Lenin‎ > ‎1917‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19171023 Sitzung des ZK der SDAPR

Wladimir I. Lenin: Sitzung des Zentralkomitees der SDAPR

am 23. (10.) Oktober 19171

Protokoll

[I. zum ersten Mal veröffentlicht 1922 in der Zeitschrift „Proletarskaja Rewoluzija", Nr. 10 II. zum ersten Mal veröffentlicht 31. Oktober 1924 in der Zeitschrift „Proschektor", Nr. 12 (42). Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 417-419]

I

Referat

Lenin konstatiert, dass seit Anfang September eine gewisse Gleichgültigkeit gegen die Frage des Aufstands zu beobachten ist. Dies ist aber unzulässig, wenn wir ernstlich die Losung der Machteroberung durch die Räte aufstellen. Darum hätte man schon längst die Aufmerksamkeit auf die technische Seite der Frage lenken sollen. Jetzt ist allem Anschein nach schon ein empfindlicher Zeitverlust entstanden.

Nichtsdestoweniger ist die Frage sehr akut und der entscheidende Augenblick sehr nahe.

Die internationale Lage ist so, dass die Initiative bei uns zu liegen hat.

Was jetzt mit der Preisgabe bis Narwa und mit der Preisgabe bis Petrograd vorbereitet wird, drängt uns noch mehr zu entscheidenden Schritten.

Auch die politische Lage wirkt eindringlich in dieser Richtung. Am 3.-5. Juli wären entscheidende Handlungen von unserer Seite daran gescheitert, dass wir keine Mehrheit hatten. Seither schreitet unser Aufstieg mit Riesenschritten fort.

Die Passivität und Gleichgültigkeit der Massen lässt sich dadurch erklären, dass die Massen der Resolutionen und Worte müde sind.

Jetzt steht die Mehrheit hinter uns. Politisch ist die Lage für eine Machtübernahme völlig reif.

Auch die Agrarbewegung nimmt dieselbe Richtung, denn es ist klar, dass zur Unterdrückung dieser Bewegung Riesenkräfte notwendig wären. Die Losung der Übergabe des gesamten Bodens ist zur allgemeinen Losung der Bauern geworden. Die politischen Bedingungen sind also gegeben. Es ist an der Zeit, von der technischen Seite zu sprechen. Das ist der Kern der ganzen Sache. Bei uns aber zeigt sich die Neigung, ebenso wie die „Vaterlandsverteidiger" die systematische Vorbereitung des Aufstandes gewissermaßen als politischen Sündenfall zu betrachten.

Es ist sinnlos, die Konstituante abzuwarten, die offenkundig nicht mit uns sein wird; denn das bedeutet eine Komplizierung unserer Aufgabe.

Der Gebietskongress und die Vorschläge aus Minsk2 müssen für den Beginn der entscheidenden Aktionen ausgenützt werden.

II

Resolution

Das ZK stellt fest, dass sowohl die internationale Lage der russischen Revolution (Aufstand in der deutschen Flotte als extreme Äußerung der in ganz Europa heranreifenden sozialistischen Weltrevolution und die Drohungen der imperialistischen Welt, deren Ziel die Erdrosselung der Revolution in Russland ist) als auch die militärische Lage (der unzweifelhafte Entschluss der russischen Bourgeoisie und der Kerenski und Konsorten, Petrograd den Deutschen zu übergeben) und die Eroberung der Mehrheit in den Räten durch die proletarische Partei, – dass all das im Zusammenhang mit dem Bauernaufstand, mit der Tatsache, dass sich das Vertrauen des Volkes unserer Partei zugewandt hat (Wahlen in Moskau), und endlich mit der offenkundigen Vorbereitung eines zweiten Kornilow-Abenteuers (Abtransport von Truppen aus Petrograd, die Zusammenziehung von Kosakentruppen in Petrograd, die Umzingelung von Minsk durch Kosaken usw.) – den bewaffneten Aufstand auf die Tagesordnung setzt.

Das ZK stellt fest, dass der bewaffnete Aufstand unvermeidlich und völlig reif ist, und fordert alle Parteiorganisationen auf, sich dementsprechend zu verhalten und alle praktischen Fragen von diesem Gesichtspunkte aus zu besprechen und zu entscheiden (Rätekongress des Nordgebiets, Abtransport von Truppen aus Petrograd, Auftreten der Moskauer und der Minsker usw.).

1 Die Sitzung des Zentralkomitees der SDAPR am 23. (10.) Oktober 1917 fand in der Wohnung von G. K. Suchanowa statt und war zum größten Teil der Frage des bewaffneten Aufstands gewidmet. Lenin, der anscheinend erst am Tage vorher aus Wiborg nach Petrograd gekommen war, wohnte zum ersten Mal nach den Juli-Ereignissen einer Sitzung des Zentralkomitees bei. In der Sitzung waren ferner Sinowjew, Kamenew, Trotzki, Stalin, Swerdlow, Uritzki, Dzierżyński, Kollontai, Bubnow, Sokolnikow und Lomow anwesend. Swerdlow führte den Vorsitz. Die Protokolle der Sitzung sind sehr kurz, sie enthalten nicht die ganze Diskussion und bringen außer dem grundlegenden Referat Lenins nur noch einen Hinweis auf eine kurze Information Lomows über die Lage der Dinge im Moskauer Industriegebiet und Swerdlows über die Lage in anderen Gegenden, ferner wird sehr flüchtig eine Diskussionsrede Uritzkis angeführt, der auf die Schwäche der bewaffneten Kräfte der Revolution hinwies. Die von Lenin vorgeschlagene Resolution wurde mit zehn Stimmen gegen zwei (Sinowjew und Kamenew) angenommen. Im Protokoll ist auch ein Vorschlag Dzierżyńskis enthalten, „für die politische Führung in der nächsten Zeit ein Politisches Büro aus ZK-Mitgliedern zu wählen". Das Politische Büro wurde aus sieben Mitgliedern gewählt: Lenin, Sinowjew, Kamenew, Trotzki, Stalin, Sokolnikow und Bubnow. Sinowjew und Kamenew, die gegen die Resolution über den bewaffneten Aufstand gestimmt hatten, reichten am nächsten Tag dem ZK eine Erklärung ein, in der sie gegen den angenommenen Beschluss Einspruch erhoben. Diese Erklärung wurde auch den örtlichen Parteiorganisationen zugestellt.

2 Die Vertreter der bolschewistischen Organisation in Minsk teilten – wie aus dem Bericht Swerdlows in der ZK-Sitzung vom 23. (10.) Oktober 1917 hervorgeht – dem Zentralkomitee mit, dass das Oberkommando der Armee eine Umzingelung der Stadt Minsk durch Kosaken vorbereite, um die revolutionäre Bewegung zu unterdrücken, die Stimmung an der Westfront aber sei so, dass Minsk nicht nur keine Gefahr drohe, vielmehr sei sogar die Entsendung einer revolutionären Division aus Minsk nach Petrograd zur Unterstützung des geplanten Aufstandes möglich („Protokolle der Sitzungen des ZK der SDAPR", „Proletarskaja Rewoluzija", Nr. 10 [69], 1927).

Kommentare