IV. Besonderes von einigen Hauptsünden des Militarismus

IV. Besonderes von einigen Hauptsünden des

Militarismus

1. Die Soldatenmisshandlungen oder der Militarismus als reuiger und doch unverbesserlicher Sünder

Zwei Zwickmühlen

Die Herren Militaristen sind keineswegs dumm. Das beweist ihr mit äußerster Schlauheit durchgeführtes Erziehungssystem. Sie spekulieren mit beachtenswertem Geschick auf die Massenpsychologie. Wenn das friderizianische, aus Söldnern und dem Auswurf der Bevölkerung bestehende Heer durch Gamaschendrill und Prügel für seine viel mechanischeren Aufgaben zusammengehalten werden konnte, trifft dies für unsere aus der Gesamtbevölkerung mit ihrer gesteigerten Intelligenz und Moral zusammengesetzten, auf Grundlage einer Bürgerpflicht aufgebauten Armee bei ihren weit höheren Anforderungen an den einzelnen nicht mehr zu. Das haben die Scharnhorst und Gneisenau, deren Armeeorganisation mit Verkündigung der Freiheit des Rückens“ einsetzte, sofort scharf erkannt.A Dennoch gehören, wie gezeigt, schlechte Behandlung, rohe Beschimpfung, Prügel und alle möglichen Arten raffiniert grausamer Misshandlung zum eisernen Bestand auch unsres heutigen militärischen Erziehungssystems.

Die Stellung, die man auf militaristischer Seite den Soldatenmisshandlungen gegenüber einnimmt, richtet sich selbstverständlich nicht nach Ethik, Kultur, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Christentum und ähnlichen schönen Sachen, sondern nach puren jesuitischen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. Ihre verborgene Maulwurfsgefährlichkeit für die Disziplin und den „Geist“ in der Armee selbstB ist bis heute noch längst nicht zur allgemeinen Erkenntnis gelangt.C Das „Schäften“ der Rekruten und unbequemen Mannschaften durch die alten Leute, die rohen Kasernenhofblüten und gemeinen Schimpfreden aller Art sowie ein beträchtliches Maß von Püffen, Stößen, Schlägen und dergleichen, von „Hochnehmen“ und „Schleifen“ der Mannschaften wird bis zum heutigen Tage von der Mehrzahl der Unteroffiziere und selbst der Offiziere, die, dem Volke entfremdet und feind, zu borniertesten Gewaltpolitikern en miniature dressiert sind, im Innersten ihres Herzens skrupellos gutgeheißen, ja geradezu als notwendig angesehen. Der Kampf gegen diese Exzesse stößt daher von vornherein auf einen schier unüberwindlichen passiven Widerstand. Nicht offen, aber heimlich kann man es jeden Tag hören, wie Vorgesetzte das Verlangen nach menschenwürdiger Behandlung der „Kerls“ als törichte Humanitätsduselei bezeichnen. Der Dienst der Waffen ist ein rauer Dienst. Aber auch, soweit man bis zur Erkenntnis jener in der Tiefe wühlenden Maulwurfsgefährlichkeit der Disziplinarmisshandlungen durchgedrungen ist, befindet man sich wieder in einer jener Zwickmühlen, in die ein sich der natürlichen Entwicklung entgegen stemmendes Gewaltsystem auf Schritt und Tritt geraten muss und von denen wir schon einige aufgedeckt haben. Jene Misshandlungen sind eben – wie noch näher zu zeigen – unentbehrliche Hilfsmittel des äußeren Drills, dessen der kapitalistische Militarismus für den die innere freie Disziplin doch unerreichbar bleibt, faute de mieux nicht entraten kann. Sie gelten trotz alles Bedenkens und Bedauerns, wir wiederholen es, zwar nicht offiziell, aber offiziös als ein zwar nicht legales, aber unentbehrliches militaristisches Erziehungsmittel.

Man hat aber auch, abgesehen von diesen militärischen Bedenken, ein böses Gewissen, seitdem man erwischt ist, das heißt, seitdem sich die rücksichtslose sozialdemokratische Kritik des Heerwesens bemächtigt hatte und nun selbst weite Kreise des Bürgertums von jener militärischen Moral abzurücken begannen. Der Militarismus musste es ja zähneknirschend dulden, dass er nicht einfach vom obersten Kriegsherrn inszeniert und kommandiert wurde, sondern dass er vor allem materiell von der mit höhnischer Geringschätzung betrachteten Volksvertretung, von dem Reichstage, in dem sogar Abgeordnete des „Pöbels“ sitzen, kurz gesagt, von der „Kanaille“ abhängt und dass unter dem Schutze der Reichstagsimmunität seine Blöße ohne Schonung immer und immer wieder aufgedeckt wurde. So sah er sich voll verbissener Wut genötigt, die Rotüre, die „Reichstagskerle“, die verachtete und verspottete „öffentliche Meinung“ in guter Stimmung zu halten. Es galt, die Militärfrömmigkeit des Bürgertums, das an und für sich zu jeder möglichen militärischen Bewilligung bereit war, aber nicht selten, besonders in Zeiten der Finanzkalamität wider den Stachel zu löcken versuchte, auf keine zu harte Probe zu stellen und ihm seinen Wählern gegenüber, die meist den ihrem Wesen nach antimilitaristischen Klassen angehören und, bei Erkenntnis ihrer Klassenlage, der Sozialdemokratie verfallen sind, einen möglichst leichten Stand zu verschaffen. Es galt der sozialdemokratischen Agitation wirksamste Waffen vorzuenthalten oder zu entreißen, und so verfolgte man zunächst die Taktik der Vertuschung, der Verschleierung. Das Militärgerichtsverfahren war geheim, „es fällt kein Strahl in deines Herzens Nacht“, und wenn dennoch einer hineinfiel, so leugnete, bestritt und beschönigte man nach Leibeskräften. Aber selbst hinter Kasernenmauern und durch die Gitter der Militärgefängnisse und Festungen leuchtete mehr und mehr die Fackel der Sozialdemokratie. Die Militärdebatten im Deutschen Reichstage in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sind ein zäher und leidenschaftlicher Kampf um die Anerkennung der Tatsache der Kasernengräuel als einer nicht nur selten und verstreut auftretenden, sondern als einer regelmäßigen und außerordentlich häufigen, gewissermaßen organischen, konstitutionellen Erscheinung im Militarismus. Gute Dienste leistete in diesem Kampfe der durch die Öffentlichkeit des Militärgerichtsverfahrens in anderen Staaten erleichterte unanfechtbare Nachweis, dass die Militärmisshandlungen eine regelmäßige Eigenschaft des Militarismus sind, selbst des republikanischen Militarismus in Frankreich, selbst des belgischen Militarismus, selbst mehr und mehr des schweizerischen Milizmilitarismus. Die sozialdemokratische Kritik siegte wesentlich unter dem Eindruck der Anfang 1892 im Vorwärts publizierten Erlasse des Prinzen Georg von Sachsen (vom 8. Juni 1891)D und des bayerischen Kriegsministeriums (vom 15. Dezember 1891) sowie der dreitägigen Reichstagsdebatte vom 15. bis 17. Februar 1892. Nach den üblichen „Erwägungen“ und Zerrereien kam schließlich 1898 mit Hängen und Würgen die Reform unsrer Militärstrafprozessordnung, die zwar noch immer in großem Umfange gestattete, durch Ausschließung der Öffentlichkeit den Mantel christlicher Liebe über furchtbare Geheimnisse der Kasernen zu decken, die aber doch – trotz aller die weitestgehende Ausschließung der Öffentlichkeit geradezu nahelegenden Erlasse und jener viel kommentierten Maßregelung der Richter Bilses – bald einen solchen Platzregen grauenhafter Misshandlungsfälle auf die Öffentlichkeit herunter prasseln ließ, dass alle Einwände gegen die sozialdemokratische Kritik einfach wehrlos hinweggeschwemmt wurden und der Soldatenschinder als ständige Institution des staatserhaltenden Militarismus fast allenthalben, wenn auch noch so widerwillig, Anerkennung fand. Man suchte, ehrlich und minder ehrlich, dieser abschreckenden und für die sozialdemokratische „Verhetzung“ allzu günstigen Institution zu Leibe zu gehen, wenn man auch nicht an einen wesentlichen Erfolg glaubte, so doch, um den Eindruck zu erwecken, dass man mit dieser Erscheinung nicht zufrieden, sondern bereit sei, sein Bestes zu ihrer Beseitigung zu tun. Man begann mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit die Soldatenschinder zu verfolgen, aber wichtiger als der Kampf gegen die Militärmisshandlungen bleibt für den Militarismus selbstverständlich das Interesse an der militärischen Disziplin, der Gefügigmachung des Volks in Waffen zum Kampf gegen seine eigenen internationalen und nationalen Interessen. Man stelle die Urteile gegen die Soldatenschinder gemeinster Art zusammen mit den Urteilen, die oft wegen ganz geringfügiger oder in der Erregung und im Trunk begangener Verfehlungen von Soldaten gegen Vorgesetzte fast täglich ergehen. Hier blutige, drakonische Vergeltung jeder kleinsten Sünde wider den heiligsten Geist des Militarismus, dort trotz alledem verhältnismäßig milde Nachsicht und Verständnis. So ist der Kampf der Militärjustiz gegen die Militärmisshandlungen, der Hand in Hand geht mit einer unerbittlichen Erdrosselung jeder Spur einer Regung von Selbständigkeits- oder Gleichberechtigungsbewusstsein der Untergebenen, naturgemäß fast ergebnislos. Der Fall des Erbprinzen zu Sachsen-Meiningen, der den Mut besaß, die Mannschaften selbst zur Unterstützung im Kampf gegen die Misshandlungen anzurufen, ja ihnen diese Unterstützung zur Pflicht zu machen und so das Übel energischer als gewöhnlich an der Wurzel zu packen, der aber wegen dieses kühnen Schrittes alsbald den Dienst quittieren mussteE, sagt alles. Er wirft auf die ganze Halt- und Hoffnungslosigkeit des offiziellen Kampfes gegen die Militärmisshandlungen bengalisches Licht.

Das Büchlein unsres Genossen Rudolf Krafft, eines früheren bayerischen Offiziers, Die Opfer der Kaserne, bearbeitet wertvolles Material mit einer Sachkunde, die nur einer „vom Bau“ entwickeln kann. Regelmäßige Zusammenstellungen unsrer Parteipresse über die in bestimmten Zeitabschnitten bekannt gewordenen Soldatenmisshandlungsprozesse liefern – auch gegen den MarinismusF – eine geradezu erdrückende Menge Stoffs, dessen zusammenfassende BearbeitungG leider noch nicht erfolgt ist. Hier ist eine wichtige und dankbare Aufgabe zu erfüllen.

Wir hegen bei unserm grundsätzlichen Standpunkt zum Militarismus keinerlei Wahnvorstellungen. Wenn jene Scharnhorststsche Verordnung wegen der Militärstrafen meint: „Die Erfahrung lehrt, dass Rekruten ohne Schläge im Exerzieren unterrichtet werden können. Einem Offizier, dem dies unausführbar scheinen möchte, mangelt entweder die nötige Darstellungsgabe oder der klare Begriff vom Exerzierunterricht …“, so ist das natürlich theoretisch richtig, praktisch aber der Zeit weit vorausgeeilt. Die Militärmisshandlung entspringt dem innersten Wesen des kapitalistischen Militarismus. Das Mannschaftsmaterial ist zu einem großer Teil geistig und zu einem noch größeren Teile körperlich den militärischen Anforderungen, vor allem denen des Paradedrills, nicht gewachsen. Es treten immer mehr junge Leute mit einer Lebensauffassung in die Armee ein, die dem militärischen Geiste gefährlich und feindlich ist. Es gilt den „Kerls“ ihre bisherige Seele gewissermaßen herauszureißen und eine neue patriotisch-königstreue Seele hineinzustopfen. Alle diese Aufgaben sind selbst für den geschicktesten Pädagogen unlöslich, geschweige denn für die Sorte von Pädagogen, die dem Militarismus zu Gebote stehen, der auch hier, mehr als ihm lieb, sparen muss.H

Und diese militaristischen Pädagogen haben keinerlei gesicherte Existenz. Sie sind von dem Wohlwollen, von der Willkür der Vorgesetzten gänzlich abhängig und haben jeden Augenblick zu gewärtigen, einfach aufs Pflaster geworfen zu werden, wenn sie ihre Hauptaufgabe nicht erfüllen, den Soldaten nach dem Bilde des Militarismus zu formen – ein ausgezeichnetes Mittel, den gesamten Apparat von militärischen Vorgesetzten (Offizieren und Unteroffizieren) in der Hand der Kommandogewalt aufs Äußerste gefügig zu machen. Dass solche Vorgesetzte mit nervöser Rücksichtslosigkeit drillen, ist selbstverständlich, dass es dabei bald heißt „und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“ und dass die Gewalt bei der absoluten, auf Leben und Tod gehenden Macht des Vorgesetzten gegenüber den bedingungslos unterworfenen Untergebenen schließlich in Form von Misshandlungen zur Anwendung gebracht wird, ist eine natürliche und menschlich-notwendige Verkettung, in die sich auch der neu gebackene japanische Militarismus mit aller Promptheit fest verstrickt hat.I Auch in dieser Zwickmühle sitzt der Militarismus fest.

Freilich liegen die Ursachen solcher „Kommiss“freuden nicht überall gleichmäßig vor. Die Stufe der Volksbildung vor allem übt einen stark modifizierenden Einfluss.J Und es kann nicht wundernehmen, dass selbst der französische Kolonialmilitarismus hier von dem preußisch-deutschen Heimatsmilitarismus günstig absticht.K

Uns aber bietet gerade diese Form der disziplinären Gewaltausübung, gerade wegen ihrer im System begründeten Notwendigkeit, ein ausgezeichnetes Mittel, den Militarismus grundsätzlich und höchst erfolgreich zu bekämpfen, immer breitere Massen des Volks gegen ihn aufzupeitschen und das Klassenbewusstsein in solche Kreise hinein zu tragen, die ihm sonst noch nicht oder viel schwerer zugänglich sein würden. Die Militärmisshandlungen, in Verbindung mit der militaristischen Klassenjustiz eine der aufreizendsten Erscheinungen der kapitalistischen Unkultur, sind neben ihrer Maulwurfsgefährlichkeit für die militärische Disziplin wirksamste Waffen im Befreiungskampfe des Proletariats. Diese Sünde des Kapitalismus kehrt sich gedoppelt gegen ihn selbst. Und mag der Sünder noch soviel Buße tun, ehrlich in hilfloser Zerknirschung oder im Stil des Reineke Fuchs, diese Waffen können uns nicht entrissen werden, denn, trotz Sackleinen und Asche, dieser reuige Sünder ist unverbesserlich.

2. Die Kosten des Militarismus oder La douloureuse

Noch eine Zwickmühle

Der geschichtliche Materialismus, die Lehre von der dialektischen Entwicklung, ist die Lehre von der immanenten Notwendigkeit der Vergeltung. Jede Klassengesellschaft ist zum Selbstmord verurteilt. Jede Klassengesellschaft ist eine Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, und selbst wenn sie das Böse nicht wollen möchte, das Böse tun muss, die an der Erbsünde ihres Klassencharakters zugrunde gehen muss, die, mag sie wollen oder nicht, den Ödipus erzeugen muss, der sie dereinst erschlägt – und zwar ungleich dem sagenhaften Thebaner im vollen Bewusstsein des Vatermords. Jedenfalls gilt das für die kapitalistische Gesellschaftsordnung, für das Proletariat.

Gewiss möchte auch die herrschende Klasse des Kapitalismus ihre Profitinteressen ganz gern in voller Gemütlichkeit wahrnehmen. Da sich diese Gemütlichkeit aber weder mit der kapitalistischen Konkurrenz, der nationalen und internationalen, verträgt, noch auch dem Geschmack derjenigen dauernd entspricht, aus deren Haut der Kapitalismus Riemen schneidet, so errichtet der Kapitalismus zum Schutze der Lohnsklaverei um das Allerheiligste des Profits eine waffenstarrende, grausame Festung der Gewaltherrschaft. Und wenn der Militarismus für den Kapitalismus eine Lebensnotwendigkeit ist, so liegt ihm natürlich an den Riesenkosten dies Militarismus an und für sich nichts, im Gegenteil, sie sind ihm gewiss herzlich unangenehm. Aber da es nun einmal heutzutage nicht mehr möglich ist, nach dem alten kadmeischen Rezept Zähne zu säen und bewaffnete Soldaten aus dem Boden wachsen zu lassen, so bleibt nichts übrig, als sich mit der Molochnatur des Militarismus abzufinden und seine unersättliche Gefräßigkeit zu füttern. Wie peinlich den herrschenden Klassen diese Eigenschaft des Militarismus ist, lehren die alljährlichen Budgetverhandlungen der Parlamente. Der mehrwertsüchtige Kapitalismus kann eben nur wiederum beim Geldpunkt, seiner grundsätzlich schwachen Seite, gefasst werden. Die Kostspieligkeit des Militarismus ist das einzige, was ihm irgendwelche Grenzen zieht, wenigstens soweit die Kosten von der Bourgeoisie selbst getragen werden. Aber freilich, die Profitmoral sucht und findet einen ebenso bequemen wie niederträchtigen Ausweg: die Überwälzung des größten oder eines großen Teils der militaristischen Lasten auf die Schultern derjenigen Schichten des Volks, die nicht nur die schwächsten sind, sondern zu deren Unterdrückung und Peinigung auch der Militarismus hauptsächlich in Szene gesetzt ist. Die kapitalistischen Klassen nutzen, ebenso wie die herrschenden Klassen andrer Gesellschaftsordnungen, ihre noch dazu erst auf Ausbeutung des Proletariats gegründete Gewaltherrschaft aus, um die unterdrückten und ausgebeuteten Klassen ihre Ketten nicht nur selbst schmieden, sondern auch möglichst selbst bezahlen zu lassen. Nicht genug, dass man die Söhne des Volks selbst zu Henkern des Volks macht, man presst den Sold dieser Henker auch nach Kräften aus dem Schweiß und Blut des Volks. Und wenn man auch die aufreizende Wirkung dieses blutigen Gaunerstreichs hier und da einsieht, der Kapitalismus bleibt seinem Glauben treu bis in den Tod, dem Glauben an das goldene Kalb.

Freilich: Diese Abwälzung der militärischen Lasten auf die ärmeren Klassen vermindert die Ausbeutungsfähigkeit dieser Klassen; daran ist nicht zu deuteln, und auch das trägt dazu bei, den ausbeutungsfrohen Kapitalismus auf Moloch verdrießlich zu stimmen.

Der Militarismus lastet als ein Bleigewicht auf unserm gesamten Leben; er ist aber im besonderen ein wirtschaftliches Bleigewicht, ein Alb, unter dem unser wirtschaftliches Leben ächzt, ein Vampir, der es aussaugt, indem er die besten Kräfte des Volks ständig jahrelang der Produktion und kulturellen Arbeit entzieht – in Deutschland jetzt dauernd rund 655.000L der kräftigsten und erwerbsfähigsten Männer von meist 20 bis 22 Jahren –‚ sodann aber durch seine wahnsinnigen unmittelbaren Kosten. In Deutschland beziffert sich das in sprunghaftem Anschwellen befindliche Militär- und Marinebudget einschließlich des KolonialbudgetsM, aber außer den Nachtragsetats, für 1906/1907 zum Beispiel auf über 1.300 Millionen Mark, auf rund eineindrittel Milliarde Mark. Die Kosten der andern Militärstaaten sind verhältnismäßig nicht geringerN, und selbst die militärischen Ausgaben der gesegneteren Staaten, zum Beispiel Amerikanische UnionO, England (1904/1905) für Armee und Flotte 1.321 Millionen!, Belgien und Schweiz, sind so außerordentlich, dass sie im Staatshaushalt eine beherrschende Stellung einnehmen. Die Richtung der Entwicklung geht allenthalben auf uferlose Steigerung, bis hart an die Grenze der Leistungsfähigkeit.

Sehr hübsch ist folgende Zusammenstellung des Manuel du soldat:

1899 hatte Europa ein militärisches Budget von 7.184.321.093 Franc. Es beschäftigte militärisch 4.169.321 Mann, die, wenn sie arbeiten würden, täglich produzieren könnten (bei Zugrundelegung von 3 Franc pro Tag und Mann): 12.507.963 Franc. Es gebrauchte weiter militärisch 710.342 Pferde, die (bei Zugrundelegung von 2 Franc pro Tag und Pferd) täglich erzeugen könnten: 1.420.684 Franc, macht zusammen mit jenen 12.507.963 Franc 13.928.647 Franc. Die Ziffern mit 300 multipliziert, macht an verlorenem Produktivwert, unter Hinzurechnung des Budgets 11.362.915.313 Franc.“

Von 1899 bis 1906/1907 ist aber allein in Deutschland das militärische Budget von rund 920 Millionen auf rund 1.300 Millionen, also über 40 Prozent gewachsen. Die Gesamtsumme der militärischen „Spesen“ dürfte sich – ohne die Kosten des Russisch-Japanischen Kriegs – jetzt für Europa auf etwa 15 Milliarden Mark pro Jahr belaufen, das macht rund 15 Prozent des gesamten Außenhandels der Welt: wahrlich eine echte Bankrotteurwirtschaft.

Wie in den russischen Ostseeprovinzen die militärische Unterdrückung der revolutionären Bewegung lange Zeit den von ihr betroffenen Baronen übertragen war, so hat Amerika die unbegrenzte Möglichkeit verwirklicht, sogar in Friedenszeiten die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung dem Unternehmertum selbst gewissermaßen in Entreprise zu überlassen: siehe die Pinkertons, die geradenwegs eine legale Einrichtung für den Klassenkampf geworden sind. Diese Einrichtung hat jedenfalls, wie auch die belgische Form der Bürgergarde, den Vorteil, die selbst der Bourgeoisie unliebsamen Begleiterscheinungen des Militarismus (Soldatenmisshandlungen, Kosten usw.) zu mildernP und damit dem Feinde der kapitalistischen Gesellschaft einen höchst wirksamen Agitationsstoff teilweise vorzuenthalten. Aber dieser für das Proletariat auch nichts weniger als angenehme Ausweg ist den kapitalistischen Staaten, wie gesagt, für den Regelfall verrammelt, und den Weg zur wirtschaftlich viel weniger lästigen Miliz verbietet ihnen auf absehbare Zeit die innenpolitische Aufgabe, die Klassenkampffunktion des Heeres, die ja sogar eine ausgeprägte Tendenz auf Beseitigung der bestehenden Milizen entfaltet.

Man vergleiche den Gesamtetat des Deutschen Reiches für 1906/1907 in Höhe von 2.397.324.000 Mark mit dem Anteil, der auf Heer und Marine entfällt, und man sieht, dass alle übrigen Posten gegenüber diesem einen gewaltigen nur die Rolle kleiner Trabanten spielen,, dass sich alles Steuerwesen, die gesamte Finanzwirtschaft um das Militärbudget gruppiert, „wie der Sterne Heer sich um die Sonne stellt“.

So wird der Militarismus zum gefährlichen Hemmschuh, oft zum Totengräber selbst desjenigen kulturellen Fortschritts, der an und für sich im Interesse auch der heutigen Gesellschaftsordnung läge. Schule, Kunst und Wissenschaft, öffentliche Hygiene, Verkehrswesen: Alles wird aufs Äußerste stiefmütterlich behandelt, da wir für Kulturaufgaben, um ein bekanntes Wort zu gebrauchen, bei Molochs Gefräßigkeit nichts übrig haben. Das Ministerwort: Die Kulturaufgaben leiden nicht, wurde höchstens von den ostelbischen Junkern bei ihren geringen Kulturansprüchen mit überzeugter Zustimmung aufgenommen, während es selbst den sonstigen Vertretern der kapitalistischen Gesellschaft nur ein Augurenlächeln abzunötigen vermochte.

Zahlen beweisen. Eine Gegenüberstellung der eineindrittel Milliarde des deutschen Militäretats von 1906 und der 171 Millionen, die Preußen 1906 für Unterricht aller Art aufgewendet hat, die 420 Millionen, die Österreich-Ungarn 1900 für militärische Zwecke, und der fünfeinhalb Millionen, die es für Volksschulen verausgabt hat, genügt. Das neueste preußische Schulunterhaltungsgesetz mit seiner kleinlichen Regelung der Lehrergehaltsfrage sowie der berüchtigte Studtsche Erlass gegen die Aufbesserung der Lehrergehälter in den Städten sprechen Bände.

Deutschland wäre reich genug, alle Kulturaufgaben zu erfüllen; und je mehr diese Aufgaben erfüllt würden, um so leichter würde es ihm, ihre Kosten zu tragen. Aber die Barriere des Militarismus versperrt den Weg.

Die Art, in der die militärischen Kosten in Deutschland – anderwärts, zum Beispiel in Frankreich, kaum minder – aufgebracht werden, stachelt ganz besonders auf. Der Militarismus ist, man kann fast sagen, der Schöpfer und Erhalter unseres erdrückenden ungerechten indirekten Steuerwesens. Die gesamte Reichszoll- und Reichssteuerwirtschaft. die auf eine Auspowerung der großen Masse, das heißt der bedürftigen Masse unsrer Bevölkerung, hinausläuft und der es im Wesentlichen zu verdanken ist, wenn sich zum Beispiel im Jahre 1906 die Kosten der Lebenshaltung für die Masse des Volks gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 1900 bis 1904 allein um 10 bis 15 Prozent gesteigert haben, dient neben dem Junkertum, dieser Schmarotzerklasse, deren zärtliche Versorgung zu einem sehr großen Teil wiederum durch militaristische Gründe verursacht ist, in erster Linie militaristischen Zwecken.

Nicht minder haben wir es hauptsächlich dem Militarismus zu danken, wenn unser Kommunikationswesen, dessen Ausbildung und Vervollkommnung übrigens gerade im höchsten Interesse eines verständigen und seines Interesses klug bewussten Kapitalismus liegt, dennoch längst nicht den Anforderungen des Verkehrs und der Entwicklung der Technik entspricht, sondern als milchende Kuh zu einer besonderen indirekten Besteuerung des Volks ausgenutzt wird. Die Geschichte der letzten Stengelschen Reichsfinanzvorlage kann hier dem Blinden die Augen öffnen. Fast bis auf den Pfennig genau lässt sich berechnen, dass diese Vorlage nur hervorgerufen worden ist durch die Notwendigkeit, jenes 200-Millionen-Loch, das der Militarismus wieder einmal in die Reichskasse gerissen hat, zuzustopfen; und die Art der Steuergesetze, die den Massenkonsum an Bier, Tabak usw. und selbst den Verkehr, diese Lebensluft des Kapitalismus, schwer belasten, bildet eine vortreffliche Illustration zu dem oben Angeführten.

Kein Zweifel, der Militarismus ist dem Kapitalismus in vieler Hinsicht selbst eine Last, aber diese Last sitzt ihm so fest auf dem Nacken, wie der geheimnisvoll mächtige Greis auf den Schultern Sindbads, des Seemanns. Er bedarf seiner, wie man im Kriege der Spione bedarf und in Friedenszeiten der Scharfrichter und Henkersknechte. Er mag ihn hassen, aber er kann ihn nicht entbehren, so wie der christliche Kulturmensch die Sünden gegen das Evangelium verabscheut und ohne sie doch nicht leben kann. Der Militarismus ist eine Erbsünde des Kapitalismus, die zwar hie und da der Besserung zugänglich istQ, von der ihn aber erst das Fegefeuer des Sozialismus läutern wird.

3. Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im wirtschaftlichen Kampf

Vorbemerkung

Wir haben oben gesehen, wie der Militarismus geradezu die Achse geworden ist, um die sich unser politisches, soziales und wirtschaftliches Leben mehr und mehr dreht, wie er der Drahtzieher ist, der an dem „Drahte“, dem nenrvus rerum, die Puppen des kapitalistischen Puppentheaters tanzen lässt. Wir haben gesehen, welchem Zweck der Militarismus dient, wie er diesen Zweck zu erreichen sucht und wie er bei Verfolgung dieses Zweckes mit Naturnotwendigkeit das Gift selbst erzeugen muss, an dem er sterben soll. Wir haben auch erörtert, welche wichtige staatserhaltende, leider nur wenig erfolgreiche Rolle er als Gesinnungspaukschule für das Volk im bunten Rock und in Zivil spielt. Damit begnügt er sich aber nicht, sondern übt schon heute in ruhigen Zeiten seine staatsstützende Einwirkung nach verschiedenen andern Richtungen aus, zur Vorbereitung. zur Vorübung für seinen großen Tag, wo er nach langer Lehrlings- und Gesellenzeit sein Meisterstück zu liefern hat, für den Tag, da sich das Volk frech und unbotmäßig wider seine Herren erhebt, den Tag des großen Kladderadatsches.

An diesem Tage, den seine Leibgarde lieber heute als morgen aufgehen sähe, weil sie ihn um so sicherer zu einer Sintflut für die Sozialdemokratie zu machen hofft, wird er nach Herzenslust mit Gott für König und Vaterland en gros füsilieren, kartätschen, massakrieren; der 22. Januar 1905, die blutige Maiwoche des Jahres 1871 werden ihm Ideal und Vorbild sein. Gar schön gelobte im April 1894 der Wiener Korpskommandant Schönfeldt auf einem Bankett tafelnder Bourgeois: Sie können versichert sein, dass auch Sie uns hinter Ihrer Front finden werden, wenn die Existenz der Gesellschaft, der Genuss des sauer erworbenen Besitzes bedroht sind. Wenn der Bürger in erster Linie steht, eilt der Soldat zur Hilfe!

Also der gepanzerte Arm ist stets erhoben, bereit, zerschmetternd einzuschlagen. Man heuchelt: „zur Sicherung der Ordnung“, „zum Schutz der Freiheit der Arbeit“, und man meint: „zur Sicherung der Unterdrückung“, „zum Schutz der Ausbeutung“. Regt sich das Proletariat in unbequemer Lebhaftigkeit und Macht, gleich sucht es der Militarismus säbelrasselnd zurückzuscheuchen, der Militarismus, der allgegenwärtig und allmächtig hinter jeder arbeiterfeindlichen Aktion unsrer Staatsgewalt steht und ihr den letzten, heut noch unüberwindlichen Nachdruck verleiht, der sich aber nicht nur für die großen Momente im Hintergrunde, hinter der Vorhut der Polizei und Gendarmerie hält, sondern zielbewusst stets bereit steht. auch die Alltagsarbeit zu unterstützen und in zähem Kleinkampf die Pfeiler der kapitalistischen Ordnung zu festigen. Gerade diese vielgeschäftige Vielseitigkeit kennzeichnet in ihrem Raffinement den kapitalistischen Militarismus.

Soldaten als Konkurrenten gegen freie Arbeiter

Der Militarismus ist sich als Funktionär des Kapitalismus sehr wohl dessen bewusst, dass die Förderung des Unternehmerprofits seine höchste und heiligste Aufgabe ist. So hält er sich für wohlbefugt, selbst verpflichtet, die Soldaten dem Unternehmertum, besonders dem Junkertum zur Steuerung der durch unmenschliche Ausbeutung und Brutalisierung der Landarbeiter hervorgerufenen Leutenot offiziell oder offiziös als Arbeitsvieh zu gestellen.

Soldaten als Ernteurlauber sind eine ebenso ständige wie dem Interesse der Arbeiterschaft schädliche, feindselige Erscheinung, die zugleich – ebenso wie das „Burschen“wesen – den Schwindel von der rein militärischen Notwendigkeit der langen Dienstzeit, auch gegenüber jenen Monomanen des Stechschritts und Paradedrills, in seiner ganzen Bösgläubigkeit und Tölpelhaftigkeit entlarvt und wenig schmeichelhafte Reminiszenzen an das vorjenensische Kompaniesystem wachruft. Für das Jahr 1906 sei der vielbesprochenen Generalkommandoerlasse, zum Beispiel des 1.R, des IV., des X.S und des XVII. preußischen Armeekorps, gedacht. Die sehr zahlreichen Fälle, in, denen von der Post und der Eisenbahn bei starkem Verkehr Soldaten zur Aushilfe herangezogen werden, liegen zwar komplizierter, gehören aber doch auch hierher.

Armee und Streikbruch

Unmittelbar greift der Militarismus in die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterschaft ein, indem er Soldaten zu Streikbrecherdiensten militärisch kommandiert. Wir erinnern nur an den jüngst aufgefrischten Fall des jetzigen Kommandeurs des Reichsverleumdungsverbandes gegen die Sozialdemokratie, Generalleutnant von Liebert, der schon im Jahre 1896 als schlichter Oberst begriffen hatte, dass der Streik eine öffentliche Kalamität sei wie Feuersbrunst und Wassernot, natürlich eine Kalamität für das Unternehmertum, als dessen Schutzgeist und Vollstrecker er sich fühlte.

Besonders berüchtigt ist aus Deutschland noch jene beim Nürnberger Streik vom Sommer 1906 geübte Methode, die zur Entlassung kommenden Mannschaften mit sanftem Druck in die Reihen der Streikbrecher zu schieben.

Ungleich größere Bedeutung beanspruchen drei außerdeutsche Ereignisse. Der großzügige militärische Streikbruch gegenüber dem holländischen Eisenbahnergeneralstreik vom Januar 1903, der durch gesetzliche Entziehung des Koalitionsrechts der Eisenbahner gekrönt wurdeT, gegenüber dem ungarischen Eisenbahnergeneralstreik von 1904, bei dem die Militärverwaltung noch weiter ging und, abgesehen von dem Streikbruchkommando der aktiven Mannschaften, die gesetzwidrig über ihre Dienstzeit hinaus bei der Fahne gehalten wurden, sich nicht entblödete, die Reservisten und Landwehrleute unter den Eisenbahnern und technisch geeignete sonstige Reservisten und Landwehrleute einzuberufen und so mit militärischer Fuchtel zu streikbrüchigem Eisenbahndienst zu zwingen; und schließlich gegenüber dem am 2. Januar 1907 proklamierten bulgarischen Eisenbahnerstreik.

Nicht minder wichtig ist der Anfang Dezember 1906 in Ungarn vom Ackerbauminister Hand in Hand mit dem Kriegsminister inaugurierte Kampf gegen das Koalitionsrecht und die Streiks der Landarbeiter, in denen die fürsorgliche Ausbildung von Soldaten zu Erntearbeit-Streikbrecherkolonnen im Vordergrund steht.

Auch in Frankreich ist der Soldatenstreikbruch wohlbekannt.U

Dass die militärische Erziehung Arbeitswilligkeit systematisch züchtet und die aus der aktiven Armee entlassenen Arbeiter durch ihre Bereitschaft, den Klassengenossen in den Rücken zu fallen, dem kämpfenden Proletariat gefährlich werden. zählt gleichfalls zu den internationalen militaristischen Errungenschaften.V

4. Säbel- und Flintenrecht gegen Streiks

Vorbemerkung

Die Militärbehörden allerorten sind seit jeher durchdrungen von der kapitalistischen Wahrheit des Wortes, dass hinter jeden Streik die Hydra der Revolution lauere. So ist die Armee allezeit auf dem Posten, um, wo Polizeifaust, Polizeisäbel und Polizeirevolver gegenüber sogenannten Streikexzessen nicht sofort hinreichen, mit ihrem hauenden Säbel und ihrer schießenden Flinte die unbotmäßigen Unternehmersklaven zu Paaren zu treiben. Das gilt von allen kapitalistischen Ländern, natürlich, und zwar in ausschweifendstem Maße, auch von dem als Ganzes noch nicht kapitalistischen Russland, das wegen seiner besonderen politischen und kulturellen Zustände hier nicht als typisch angesehen werden kann. Und wenn auch Italien und Österreich hier mit an der Spitze marschieren. so ist es doch für die historische Wertung der republikanischen Staatsform unter der kapitalistischen Wirtschaftsweise von größter Wichtigkeit, immer wieder darauf hinzuweisen, dass, von England abgesehen, nirgends die Soldateska zur Niederwerfung von Streiks im Interesse des Unternehmertums so dienstwillig war und so blutig und rücksichtslos gehaust hat wie in den halb oder ganz republikanischen Staaten, wie in Belgien und Frankreich. mit denen die freiesten Staaten der Welt, die Schweiz und Amerika, den Vergleich wohl aushalten können. – Russland freilich ist hier, wie überall auf dem Felde der Grausamkeit, inkommensurabel. Barbarei, noch mehr tierische Wildheit ist der allgemeine Kulturzustand seiner herrschenden Klassen, der natürliche Trieb seines Militarismus. der sich von den ersten harmlosesten Regungen dem Proletariats an im Blute friedlicher, in grenzenloser Not verzweifelt nach Erlösung schreiender Arbeiter buchstäblich gebadet hat. Kein einzelnes Ereignis darf hier genannt werden, weil das hieße, ein einzelnes Glied aus einer zeitlich und örtlich endlosen Kette willkürlich und kleinlich herauszureißen. So viele Tropfen Proletarierblutes in allen andern Ländern zusammen im wirtschaftlichen Kampfe vergossen sind, so viele Proletarierleiber hat der Zarismus zur Unterdrückung der bescheidensten Ansätze einer Arbeiterbewegung niedergestampft.

Wesensverwandt mit dieser Verwendung der Militärgewalt ist die Tätigkeit der Kolonialarmeen und Schutztruppen gegen die Eingeborenen der Kolonien, die sich nicht gutwillig in das Joch der schnödesten Ausbeutung und Habgier pressen lassen wollen. Indessen können wir auf dieses Gebiet nicht näher eingehen.

Wohl aber lässt sich hier oft keine scharfe Grenzscheide zwischen der eigentlichen Armee und der Gendarmerie sowie der Polizei ziehen, die Hand in Hand arbeitet, sich gegenseitig ersetzen und ergänzen und auch schon darum eng zusammengehören, weil ja gerade die Eigenschaft, auf die es hier ankommt, die gewalttätige Draufgängerei, die Bereitwilligkeit und Bereitschaft, rücksichtslos und schneidig mit blanker Waffe gegen das Volk zu wüten, auch bei Polizei und Gendarmerie in der Hauptsache ein echtes Produkt der Kaserne, eine Frucht militaristischer Pädagogik und Ausbildung ist.

Italien

Ottavio Dinale hat in zwei lehrreichen ArtikelnW über Arbeitermetzeleien in Italien zusammenhängend berichtet. Dabei berührt er nicht nur die eigentlichen Streikmetzeleien, sondern auch diejenigen, die aus Anlass von Arbeiterdemonstrationen im wirtschaftlichen Kampfe außerhalb von Streiks veranstaltet werden. Die Aufsätze schildern anschaulich, wie schnell in Italien die Armee bei solchen Gelegenheiten zur Hand ist, wie bei geringfügigen Anlässen und mit welch grenzenloser Schärfe militärische Attacken auf wehrlose Massen unternommen werden, wie selbst auf die fliehende, zerstreute Menge weiter gefeuert und eingehauen zu werden pflegt. Er fasst dahin zusammen, dass in Italien die „Kugeln des Königs“ Knochen italienischer Arbeiter wohl alljährlich an die fünf-, sechs oder selbst zehnmal zerschmettern. Er weist darauf hin, dass die italienische Bourgeoisie, die Urheberin dieser Massaker, zu den verbohrtesten, rückständigsten der Welt gehört, dass in ihren Augen der Sozialismus nicht eine politische Ansicht ist, sondern nur eine Spielart von verbrecherischer Gesinnung, von Kriminalität, und zwar die für die öffentliche Ordnung gefährlichste. Er zitiert die Worte, die die Mailänder Zeitung L’idea liberale am Morgen nach der Schlächterei von Grammichele schrieb: „Tote und Verwundete – diese Leute haben das Schicksal, das sie verdienen – die Kartätsche, das ist das kostbarste Element der Zivilisation und der Ordnung!“

Nach solchen Proben darf man nicht erstaunt sein, dass sich selbst eine sogenannte demokratische Regierung, wie die Giolittis, nie dazu verstand, das Militär wegen seiner blutigen Barbareien zur Verantwortung zu ziehen, es vielmehr offiziell pries, „seine Schuldigkeit getan zu haben“. Noch natürlicher erscheint, dass ein Antrag der sozialistischen Kammerfraktion auf einschränkende Regelung der Verwendung von Militär bei Kollektivkonflikten der Ablehnung verfiel.

Die Füsilladen vom Mai 1898 klärten zuerst die Klassenkampfsituation auch für die Blinden und die kurzsichtigen Optimisten. Ein annähernd vollständiges Blutregister über die letzten Jahre lautet:



Tote

Verwundete

Berra

27. Juni 1901

2

10

Patugnano

4. Mai 1902

1

7

Cassano

5. August 1902

1

3

Candela

8. September 1902

5

11

Giarratana

13. Oktober 1902

2

12

Galatina

20. April 1903

2

1

Piere

21. Mai 1903

3

1

Torre Annunziata

31. August 1903

7

10

Cerignola

17. Mai 1904

3

40

Buggera

4. September 1904

3

10

Castelluzo

11. September 1904

1

12

Sestri Ponente

15. September 1904

2

2

Foggia

18. April 1905

7

20

St. Elpidio

15. Mai 1905

4

2

Grammichele

16. August 1905

8

20

Scarano

21. März 1906

1

9

Muro

23. März 1906

2

4

Turin

4. April 1906

1

6

Calimera

30. April 1906

2

3

Cagliari

12. Mai 1906

2

7

Nebida

21. Mai 1906

1

1

Sonneza

21. Mai 1906

6

6

Benventare

24. Mai 1906

2

2


Das macht total: 23 Schlächtereien mit 78 Toten und 199 Verwundeten! Eine gute Ernte!

Die Zahl der ohne Blutvergießen abgelaufenen militärischen Mobilisationen gegen streikende oder überhaupt aus wirtschaftlichen Ursachen demonstrierende Arbeiter und „Bauern“ ist in Italien Legion. Diese „Übungen“ der Armee gehören jenseits der Alpen einfach zum täglichen Brot.X

Gleich an dieser Stelle sei noch das Selbstverständliche erwähnt, dass nach dem Zeugnis HervésY die Arbeiter- und Bauernstreikmetzeleien in Spanien, in dessen Bereich einst die Sonne nicht unterging, aber jetzt die Sonne nicht mehr aufgehen will, ebenso wenig gezählt werden können wie diejenigen Italiens.

Österreich-Ungarn

In der schwarzgelben Doppelmonarchie liegt die Sache, wie allgemein bekannt, nicht viel besser. Der sozialistische Abgeordnete Daszyński durfte am 25. September 1905 mit Recht im österreichischen Parlament ausrufen: „Bei den Streiks, bei den Demonstrationen des Volkes geradeso wie bei dem Aufschäumen des Nationalgefühls ist es immer die Armee, die das Bajonett gegen dass Volk, gegen die Arbeiter, gegen die Bauern kehrt“ Er konnte, um das politische Gebiet hier mit einzubeziehen, betonen: „Wir aber leben in einem Staate, in dem die Armee schon im Frieden der einzige Kitt so disparater Elemente bleibt“ und auf die Grazer Vorgänge vom Jahre 1897 und das in Graslitz vergossene Blut deuten. Beim Sturze Badenis griff bekanntlich in den Novembertagen dem Jahres 1897 zu Wien, Graz und Budapest das Militär blutig ein. Die häufigen Arbeitermetzeleien besonders in Galizien (hier sei nur das im Jahre 1902 in Burowicki und in Ubinie bei Kamionka vergossene Feldarbeiterblut erwähnt) sind in aller Erinnerung, ebenso die blutigen Vorgänge von Falkenau, Nürschan und Ostrau, die freilich auf das Konto der Gendarmerie fallen, dieser besonders der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung gewidmeten und halb dem Kommando der Militärbehörden, halb dem der bürgerlichen Verwaltungsbehörden. aber einer rein militärischen Disziplin unterworfenen Spezialtruppe. Beim Triester Generalstreik vom Februar 1902 kam es gleichfalls zu Zusammenstößen mit der Armee, zehn Personen wurden teils getötet, teils verwundet. Auch die Vorgänge in Lemberg im Jahre 1902 bei dem Maurerstreik und bei den sich an diesen Streik anschließenden politischen Demonstrationen, bei denen Husaren in die Menge ritten und schossen und fünf Personen töteten, verdienen Erwähnung. Der rein nationalistische Krawall von Innsbruck aus dem Jahre 1905 liegt indes außerhalb unseres Themas.

In Ungarn sind größere Ausschreitungen der Militärgewalt gegen das Volk bis in die letzten Jahre hinein häufig gewesen, wie denn auch naturgemäß die Gendarmerie – vergleiche zum Beispiel die Tumulte auf der Puszta bei Tamasi, wo sie ohne jede Ursache auf friedliche Landarbeiter feuerte – hier ihre „Schuldigkeit“ stets „voll und ganz“ getan hat. Nur ein Ereignis der allerneuesten Zeit sei festgehalten, nämlich die Schlacht, die am 2. September 1906 im Komitat Hunyad geschlagen wurde und in der das Militär unter den streikenden Bergarbeitern der Petrosenyer Kohlenwerke geradezu wütete. Zahlreiche Personen wurden schwer, davon zwei lebensgefährlich und 150 Personen leicht verletzt.

Die Scharmützel und Treffen, die die Armee sonst noch in den politischen Kämpfen des Proletariats der Habsburger Doppelmonarchie geliefert hat, werden au andrer Stelle gestreift werden.

Daszyński erhob in seiner genannten Rede die Forderung, „die Bajonette sollen nicht … politisieren“. Sie haben sich aber seit dieser Zeit, wie männiglich bekannt, nur immer lebhafter und tatkräftiger der Politik zugewandt.

Belgien

In Belgien können die Arbeitermetzeleien auf eine lange Geschichte zurückblicken. Wichtig sind die Vorgänge der Jahre 1667 und 1868, schon wegen des Eingreifens der Internationale. Den Reigen eröffnet die sogenannte Hungerrevolte von Marchienne aus dem Jahre 1867, wo wehrlos demonstrierende Arbeiterzüge von einer Kompanie Soldaten überfallen und niedergemacht wurden. Im März 1868 folgte das Massaker von Charleroi und im Jahre 1869 die infamen Schlächtereien von Seraing und Borinage.

Das Massaker von Charleroi, das gegen die durch Förderungseinschränkungen und Lohnkürzungen zur äußersten Verzweiflung getriebenen Grubenarbeiter durch Militär und Gendarmerie veranstaltet wurde, gab damals der Internationale Anlass zu einer lebhaften Agitation in Belgien und zu einer Proklamation des Generalrats, was wiederum einen bedeutsamen organisatorischen Erfolg für die Internationale zeitigte.Z

Bei den sogenannten Hungeraufständen des Jahres 1886, bei denen neben wirtschaftlichen Fragen auch die Forderung des allgemeinen Wahlrechts, freilich in unklarer Weise, hineinspielte, wiederholten sich die Szenen der sechziger Jahre. Der General Baron Van der Smissen erließ am 5. April 1886 sein berüchtigtes. später selbst von der Kammer missbilligtes Zirkular, das zynisch dekretierte: „L’usage des armes est fait sans aucune sommation“, das heißt, von der Waffe wird ohne vorherige förmliche Warnung Gebrauch gemacht. Es fielen Menschenopfer unerhört. In Roux allein wurden durch eine Salve 16 Arbeiter getötet. Und auf all dies setzte die Klassenjustiz durch zahlreiche schwere Verurteilungen von Arbeitern ihren Stempel und ihren Trumpf. Von 1886 bis zum Jahre 1902 verging in Belgien fast kein Streik ohne militärisches Eingreifen. Es werden aus diesen Jahren allein etwa 80 Tote gezählt. Bei dem Generalstreik des Jahres 1895, der, obwohl in erster Linie politisch, hier mit erwähnt sei, blieben zahlreiche Tote auf der Walstatt. Die Namen Verviers, Roux, La Louvière, Jemappes, Ostende, Borgerhout, Mons sind der klassenbewussten belgischen Arbeiterschaft mit glühenden Lettern in das Gedächtnis gebrannt. Sie sind blutige Blätter in dem dicken Schuldbuch des belgischen Kapitalismus. Im Jahre 1902 wurde das stehende Heer unter Einberufung der Reservisten zum letzten Male, und zwar gegen den Generalstreik, mobilisiert. Die ungünstigen Auskünfte, die das Ministerium über die Stimmung und Gesinnung der Soldaten erhielt und die ihre Bestätigung auch alsbald darin fanden, dass die Soldaten ihre revolutionäre Gesinnung ziemlich ungeschminkt zur Schau trugen, die Marseillaise sangen, die Offiziere auspfiffen usw., veranlassten die auch früher schon mehrfach unternommene Verschickung der flämischen Soldaten nach den wallonischen Gebieten und umgekehrt und führten schließlich dazu, dass das stehende Heer überhaupt nicht zur Verwendung gebracht wurde. Seit 1902 haben die proletarischen Soldaten in Belgien die ehrenvolle Rolle eines Hofhunds des Kapitals, „einem fliegenden Wachtpostens vor dem Geldschrank des Unternehmertums“, wenigstens soweit der innere Militarismus in Frage kommt, wie bereits oben dargestellt, an Gendarmerie und Bürgergarde abgetreten: Die Bourgeoisie muss sich zum Schutz ihres heiligen Ausbeuterprivilegs nun wenigstens selbst bemühen und ihre eigene Haut zu Markte tragen, wenn man unbewaffneten Volksmassen gegenüber von dergleichen überhaupt reden will. Dass die Bürgergarde im Kampf gegen den inneren Feind ausgezeichnet funktioniert, ist an anderer Stelle geschildert.

Frankreich

In Frankreich ist die Geschichte des Klassenkampfes mit strömendem Blut geschrieben. Nicht die Hekatomben der dreitägigen Julischlacht von 1830, nicht die 10.000 Leichen des Straßenkampfes vom 25. bis 26. Juni 1848, das Henkerswerk Cavaignacs, nicht der 1. Dezember 1851 „Napoleons des Kleinen“, auch nicht das Meer von Blut jener 28.000 Helden, in dem die französische Bourgeoisie massenmörderisch als Mandatarin und Rächerin des wutheulenden Kapitalismus in der roten Maiwoche des Jahres 1871 die Kommune, diesen Sklavenaufstand im Kapitalismus, zu ersäufen suchte, nicht der Père Lachaise und die Mauer der Föderierten, die tragischen Wahrzeichen eines Heroismus ohnegleichen. sollen hier heraufbeschworen werden. Diese im höchsten Sinne revolutionären Ereignisse, bei denen der Militarismus sein grausiges Werk verrichtet hat, fallen außerhalb des Rahmens unsrer geschichtlichen Betrachtung.

Seine Heldentaten gegen wehrlose streikende Arbeiter beginnen bereits früh. Der sogenannte Aufstand der Seidenweber von Lyon, dessen Fahne die berühmten und ergreifenden Worte trug: vivre en travaillant ou mourir en combattant (arbeitend leben oder kämpfend sterben), begann im November 1831 mit militärischer Schießerei auf eine friedliche Demonstration; die empörten Arbeiter eroberten in zweitägigem Kampf die Stadt; die Nationalgarde fraternisierte mit ihnen; ohne Schwertstreich aber rückte bald das Militär ein. Unter dem Kaiserreich sind La Ricamarie, Saint-Aubin und Decazeville die Namen berühmter Debuts. Damals bekämpften die Bourgeois-Republikaner die Entsendung von Soldaten nach den Streikgebieten aufs heftigste. Kaum aber waren diese selben Republikaner zur politischen Herrschaft gelangt, als sie die eben noch befehdete Methode des Bonapartismus selbst zu üben begannen und ihr Vorbild gar bald übertrafen. Und nur wenn der Schuldige ein Klerikaler oder Monarchist war, fand man aus politischer Ranküne Worte der Missbilligung. In Fourmies vollführte ein Lebelgeschoss im Körper eines jungen Mädchens, Maria Blondeau, am 1. Mai 1891 die Bluttaufe des neuen Regimes. Die Strecke des Tages, die dem 145. Linienregiment zufiel, waren 10 Tote und 35 Verwundete. Aber der Schlächter von Fourmies, Constant, und sein Geselle, der Kapitän Chapuis, blieben nicht allein. Auf Fourmies folgten 1899 Chalons-sur-Saône, 1900 La Martinique, sodann Longwy, wo die Offiziere die franko-russische Allianz durch Anwendung von Nagaikas besiegelten und feierten, schließlich im Mai und Juni 1905 Villefranche-sur-Saônea und vor allen Dingen Limoges mit den Reiterattacken und den Füsilladen vom 17. April 1905.b Im Dezember 1905 spielte das Drama von Combréec, und am 20. Januar 1907 wurden Demonstranten für die Sonntagsruhe durch ein gewaltiges Militäraufgebot von den Pariser Straßen verjagt.

Auch Dünkirchen, Le Creusot und Montceau-les-Mines dürfen hier nicht vergessen werden, wo sich nach dem Bericht der Confédération Générale du Travail an die internationale Konferenz zu Dublin die Soldaten mit den Streikenden solidarisch erklärten.d

Es ist wahr, was Meslier bei dem jüngsten großen Antimilitaristenprozess ausrief: Seit der Ermordung der kleinen Maria Blondeau zu Fourmies hat die Arbeiterklasse in Frankreich ein langes, opferreiches Martyrium durchlebt. Nichts vermag die Illusion der friedlichen Entwicklung jener weiland „neuen Methode“ besser ad absurdum zu führen, als die Tatsache, dass gerade die kräftige Steigerung der antiklerikalen und republikanischen Gesinnung und Betätigung, die im Frankreich des letzten Lustrums, im Frankreich des Millerandismus zutage getreten ist, keine Verminderung, sondern geradezu ein Anwachsen der militärischen Streik-„Strafexpeditionen“ gezeitigt hat. Auch das neueste radikaldemokratische, mit zwei Sozialisten durchsetzte Ministerium Clemenceau wird keinen Wandel schaffen. Lafargues scharf zugespitzter Satz: „Die modernen Armeen dienen, soweit sie sich nicht mit Kolonialräubereien befassen, ausschließlich dem Schutze des kapitalistischen Eigentums“e, trifft auch für Frankreich den Nagel auf den Kopf.

Vereinigte Staaten von Amerika

Was es mit dem „Ton der Gleichberechtigung“ auf sich hat, auf den das gesellschaftliche und öffentliche Leben in den Vereinigten Staaten vielfach abgestimmt istf, dass der Kapitalismus seinen „Ton“, wenn’s darauf ankommt, sehr wirksam durch den „son du canon“, das Gewehrknattern und das Sausen der Säbel, in dem er dem Proletariat selbst in Amerika vorläufig nun einmal noch über ist, zu unterstützen weiß, lässt sich leicht zeigen. Die folgenden Daten sind zugleich höchst lehrreich in Bezug auf die einschneidende Bedeutung der militärischen Rekrutierungs-, Dislozierungs- und Ausbildungsart für die Verwendbarkeit der Truppen gegen den „inneren Feind“. Sie erhalten oft ein eigenartiges Gepräge durch die häufige, den besonderen amerikanischen Zuständen entspringende verhältnismäßig gute Bewaffnung der Arbeiterschaft.

Auch „drüben“ setzte, wie in Belgien, die Periode der Arbeitermetzeleien mit der Arbeitslosenbewegung ein. Am 15. Januar 1874 fiel in New York eine starke Polizeitruppe ohne jede Provokation über einen Demonstrationszug der Arbeitslosen her. Hunderte von schwerverletzten Arbeitern blieben auf dem Schlachtfelde des Tompkins-Platzes.

Es folgten die dramatischen Ereignisse bei den Eisenbahnerstreiks vom Juli 1877. Gegen die Streikenden der Baltimore- und Ohio-Eisenbahn sandte der Gouverneur mehrere Kompanien der Staatsmiliz, die indessen zu schwach waren. Die vom Präsidenten Hayes zu Hilfe gesandten 250 Mann regulärer Truppen hatten keinen besseren Erfolg. In Maryland wurden von den aufgebotenen Miliztruppen durch Gewehrfeuer zehn Mann getötet und eine größere Zahl verwundet. In Pittsburgh weigerte sich die vom Sheriff aufgebotene Ortsmiliz einzuschreiten. Der alte Trick der Dislozierung wurde angewandt. 600 aus Philadelphia gesandte Milizsoldaten lieferten den Streikenden eine kurze, aber heftige Schlacht, wurden jedoch geschlagen und flüchteten am folgenden Morgen. Die in Reading (Pennsylvanien) gegen die Streikenden aufgebotenen Milizen waren zumeist Arbeiter, die mit den Streikenden fraternisierten, ihre Munition unter sie verteilten und ihre Waffen gegen alle feindlichen Milizsoldaten zu kehren drohten. Eine Kompanie jedoch, die sich fast ausschließlich aus den besitzenden Klassen rekrutierte und von einem verwegenen Offizier geführt wurde, eröffnete das Feuer gegen die Menge, tötete 13 Personen und verwundete 22. Die Kompanie wurde ihrer Heldentat freilich nicht froh, sondern musste bald jämmerlich zerschunden das Feld räumen. St. Louis, das eine Zeitlang völlig in den Händen der Streikenden war, wurde schließlich von der gesamten Polizeimacht in Gemeinschaft mit mehreren Milizkompanien nach förmlicher Belagerung des Hauptquartiere des Exekutivausschusses für die „Ordnung“ zurückerobert.g

Die Schrecken, die im Mai 1886 über Chicago hereinbrachen, fallen auf das Konto der Pinkertons und der Polizeitruppe. Der Mähmaschinenfabrikant MacCormick ließ seine 500 bewaffneten Pinkertons gegen die Streikenden los – angeblich zum Schutze der „Arbeitswilligen“ – und gab damit den Anstoß zu den blutigen Attacken der Polizisten, die unterschiedslos auf Männer, Frauen und Kinder einschlugen, sechs Personen töteten und zahlreiche verwundeten. Das war am 3. Mai. Am 4. folgte die berühmte Dynamitbombe, die eine heftige Straßenschlacht auslöste, bei der 4 Arbeiter getötet und ungefähr 50 verwundet wurden, während von den Polizisten 7 den Tod fanden und 60 verletzt wurden. Das grausame gerichtliche Nachspiel des 4. Mai 1886, in dem die demokratische Klassenjustiz Amerikas ihren glänzenden Befähigungsnachweis erbrachte, ist weltbekannt.1

Eingehendere Betrachtung verdienen sodann die Ereignisse aus den Jahren von 1892 bis 1894. Zunächst spielten sich im Juli 1892 bei dem Streik in den Eisen- und Stahlwerken von Carnegie in Homestead heftige Kämpfe zwischen den vom Unternehmer requirierten bewaffneten Pinkertons und den Streikenden ab, wobei 12 Tote und 20 Schwerverwundete fielen, die Pinkertons unterlagen und schließlich Regierungstruppen durch Besetzung der Stadt und mit Hilfe des Standrechts die Niederlage der Streikenden besiegelten. Fast gleichzeitig brach in Coeur d’Alène (Idaho) ein Bergarbeiterstreik aus, die nur aus einigen 100 Mann bestehende Miliz war außerstande, in den Kampf zwischen den Streikbrechern und Streikenden gegen die letzteren, die wohlbewaffnet waren, einzugreifen. Erst die vom Gouverneur erbetenen Bundestruppen trieben die Streikenden zu Paaren.

In Buffalo traten im August 1892 die Weichensteller in den Ausstand. Die Ortsmiliz, die gleich bei Beginn des Streikes einberufen war, schien nicht geneigt, das Streikpostenstehen zu verhindern. Schließlich wurde der Sheriff veranlasst, den Gouverneur um Truppen zu bitten, worauf binnen 48 Stunden fast die ganze Staatsmiliz in zwanzigfacher Übermacht gegenüber den Streikenden erschien und „Ruhe“ schaffte.

Im gleichen Monat gaben die Streiks in den Eisengruben von Inman, in den Kohlengruben von Oliver Springs und Coal Creek Gelegenheit zur Konzentration der ganzen Staatsmiliz durch den Staatsgouverneur, nachdem mehrere einzelne Milizabteilungen von den Streikenden entwaffnet und wieder heimgeschickt worden waren. Auch hier folgte nach Niederwerfung des Streiks eine unbarmherzige Aktion der Klassenjustiz.

Schließlich sei des Chicagoer Pullmanstreiks vom Jahre 1894 gedacht, bei dem der Präsident der Vereinigten Staaten, entgegen dem Protest Altgelds, des Gouverneurs von Illinoish, Bundestruppen entsandte, die in Gemeinschaft mit der Staatsmiliz den Streik brachen; 12 Tote wurden verzeichnet. Freilich hat hier, mehr wie in allen andern früheren Fällen, die Justiz Hand in Hand mit dem Militarismus gearbeitet und durch die berühmten Einhaltsbefehle2 und Massenverhaftungen so viel zur Niederwerfung der Arbeiter beigetragen, dass der Streikführer Debs bezeugte: „Nicht die Eisenbahnen, nicht die Armee schlugen uns, sondern die Macht der Gerichte der Vereinigten Staaten.“i

Dennoch bleibt es wahr, dass, trotz des häufigen Versagens der Miliz und trotz der häufigen Bewaffnung der Streikenden, die militärische Macht für die Niederlagen der Arbeiter in all den erwähnten Fällen entscheidend gewesen ist; und auch in der Folgezeit wurden die Streiks in Amerika „in der Mehrzahl der Fälle mit Hilfe der Ortspolizei, der Staatsmiliz oder der Bundestruppen unterdrückt“, allerdings auch unter Beihilfe der „Regierung durch Einhaltsbefehle“. Fast ausnahmslos endeten nach dem hier wohl etwas pessimistischen Hillquitj die Streiks so mit einer Niederlage der Arbeiter.

Kanadas

freier“ Boden ist am 24. November 1906 in Hamilton von Arbeiterblut gerötet worden. Bei einem Zusammenstoß mit streikenden Eisenbahnern verwundete die Miliz 50 Personen zum Teil schwer.

Schweiz

Das Sündenregister der Schweiz auf diesem Gebiete ist wahrlich groß genug. Schon im Jahre 1869 wurden von der Genfer Regierung außer der Polizei auch die Milizen gegen streikende Arbeiter in Bewegung gesetzt. Im gleichen Jahre berief die Waadtländische Regierung ein zur Übung abmarschiertes Bataillon telegraphisch zurück, versorgte es mit scharfen Patronen und ließ es mit aufgepflanztem Bajonett in die Stadt einmarschieren, in der die Arbeiter streikten. Gleichfalls 1869 ließ die Baseler Regierung Truppen auf Pikett stellen, als die Seidenweberinnen zur Verbesserung ihrer erbärmlichen Lage streikten, und als im gleichen Jahre in La Chaux-de-Fonds ein Streik der Schalenmacher und Graveure ausbrach, versah sich die neue Bürgerregierung mit Waffen und Munition zur eventuellen Mobilisierung der Miliz.

Im Jahre 1875 kam es zum Blutvergießen. Gegen 2000 streikende Sankt-Gotthard-Tunnel-Arbeiter, die sich hauptsächlich gegen das schamlose Trucksystem zu wehren suchten, wurden von der Regierung des Kantons Uri, der, wie es heißt, von den beteiligten Unternehmern hierzu 20.000 Franken zur Verfügung gestellt waren, die Milizen mobilisiert. Als Opfer der mutigen Attacke blieben mehrere Leichen und etwa 15 Verwundete auf dem Schlachtfeld des Klassenkampfes. Blut floss auch im Jahre 1901 durch zwei von der Regierung des Kantons Wallis gegen den Streik der Simplon-Tunnel-Arbeiter aufgebotene Kompanien. Einige Arbeiter trugen schwere Verwundungen davon. Gegen streikende italienische Maurer wurden im gleichen Jahre in Tessin zwei Kompanien auf Pikett gestellt. Im Oktober 1902 ereigneten sich die bekannten Vorgänge in Genf, wo aus Anlass des Streiks gegen eine amerikanische Ausbeutergesellschaft die Arbeiter auf Befehl der Genfer Regierung zusammengejagt und -gehauen wurden. Als sich damals Wehrmänner weigerten, das Schergenamt zu übernehmen, wurden sie ins Gefängnis geworfen und ihrer bürgerlichen Rechte für verlustig erklärt. Dass sich bei diesem Anlass auch das nicht einberufene Bürgertum im großen Umfange gegen die Arbeiter selbst bewaffnete, sei nur nebenher erwähnt. Um dieselbe Zeit etwa fand in Basel eine Streikmobilisierung der Miliz statt. Im Jahre 1904 riefen die Bauunternehmer von La Chaux-de-Fonds. gegen einen zu ihrer Verzweiflung trotz aller Herausforderungen völlig ruhigen und daher für das Unternehmertum hoffnungslosen Bauarbeiterstreik die Regierung um militärische Hilfe an mit dem Erfolge, dass Kavallerie und ein Bataillon Infanterie prompt erschienen und durch ihre einschüchternde Wirkung die gesetzlich kämpfenden Proletarier in die Fabriksklaverei zurücktrieben. Im Jahre 1904 erfolgte auch am Ricken im Kanton Sankt Gallen ein Militäraufgebot gegen einen Streik, angeblich zum Schutz der ganz und gar nicht gefährdeten Obst- und Gemüseernte. Ebenso sandte Sankt Gallen seine Miliz nach Rorschach, wo eine aufgeregte Menge aus Anlass einer Lohndifferenz in den dortigen, in Händen französischer Unternehmer befindlichen Gießereien einige Fensterscheiben eingeworfen hatte.

Sehr ernst ist der Fall, der sich im Sommer 1906 in Zürich abgespielt hat. Dort traten, nachdem infolge der großen Teuerung verschiedene Streiks mit dem Ziele einer Lohnerhöhung ausgebrochen waren, auch die Bauarbeiter zu dem gleichen Zweck in den Ausstand. Ohne jeden Grund griff die Miliz blutig ein, prügelte und schlug die streikenden Arbeiter in der brutalsten Weise zusammen. schleppte besonders ausländische Streikende in die Kasernen, traktierte sie dort mit Reitpeitschen. und zwar unter Anführung der Offiziere. Damit nicht genug: Das Streikpostenstehen wurde verboten und jeder demonstrative Umzug untersagt. Die auf die schmählichen Vorgänge bezügliche Interpellation im Großen Rat ward zunächst auf die lange Bank geschoben und dann von der kompakten bürgerlichen Mehrheit einfach ohne Diskussion abgewürgt. Und um allem die Krone aufzusetzen: Sechs von den Führern der Streikenden wurden vor Gericht gezogen. und am 24. August 1906 wurde, unter Freisprechung der übrigen fünf, Sigg wegen angeblicher Anstiftung zur Meuterei begangen durch ein an die Milizen gerichtetes antimilitaristisches Flugblatt. zu acht Monaten Gefängnis und einjähriger Entziehung des Aktivbürgerrechts verurteilt.

Mehr kann man von einer bürgerlichen Republik und einer Miliz wahrhaftig nicht verlangen.

Und diese Daten erhalten ihre besondere Beleuchtung durch die bereits in anderem Zusammenhange erwähnte Tatsache, dass im Jahre 1899 den militärisch inaktiven Schweizer Bürgern die Munition entzogen worden ist. Man sieht, dies geschah gerade zur rechten Zeit, um bei dem verschärften Klassenkampf die Verwendung der Miliz im Interesse des Unternehmertums zu erleichtern.

Am 21. Dezember 1906 hat der Nationalrat mit einer Mehrheit von 65 gegen 55 in das neue Militärreorganisationsgesetz eine Bestimmung aufgenommen nach der, wenn Konflikte wirtschaftlicher Natur „die Ruhe im Innern gefährden oder stören“, das dadurch „notwendig werdende“ Truppenaufgebot einzig zu dem Zweck „der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ erfolgen darf. (Das gesamte Gesetz wurde mit 105 gegen 4 Stimmen votiert.) Zweifellos besagt die genannte Bestimmung nichts anderes, als was schon bisher die Richtschnur für das Eingreifen des Militärs bildete; sie ist also wertlos, doppelt wertlos, ja geradezu bedenklich durch die große Minorität, die sich sogar gegen sie erklärt hat.

Norwegen

Das freie Norwegen, das im Sommer 1905 die gemütlichste Revolution der Weltgeschichte absolviert3 und sich dann aus ureigener Vergnügungssucht wieder eine monarchische Spitze aufgesetzt hat, rudert trotz aller an ihm haftenden Bauernromantik ganz im Fahrwasser der kapitalistischen Staaten.

Die Anwendung der Militärgewalt gegen streikende Arbeiter gehört auch in diesem Lande der bäuerlichen Demokratie nicht zu den Seltenheiten. Ein Artikel in Det Tyvende Aarhundrede vom 1. Mai 1903. S.53 berichtet darüber. Wir erfahren daraus, dass sich im Jahre 1902 allein zwei Fälle der Art ereignet haben; in Dunderlands Dal und in Tromsö.

Deutschland

Es bleibt noch Deutschland übrig. Gerade in Deutschland ist die Verwendung des Militärs bei wirtschaftlichen Kämpfen nicht üblich. Wenigstens sind Fälle aktiven Eingreifens der Armee außer bei den Weberkrawallen von 1844, bei denen die preußische Infanterie von diesen armseligen, bis aufs Blut gepeinigten Proletariern 11 tötete und 24 verwundete und die Klassenjustiz durch eine Unsumme von Zuchthausstrafen das Werk besiegelte, und dem Bergarbeiterstreik von 1869, bei dem am 10. Mai die durch den Oberpräsidenten von Hagemeister requirierten Truppen vor Grube Moltke 3 Tote und 4 Verwundete und in Bochum 2 Tote und 5 Verwundete auf der Walstatt ließenk, kaum zu verzeichnen. Bei den Berliner Arbeitslosentumulten vom Februar 1892 ist das Militär nicht in Aktion getreten, wohl aber war, glaubhaften Nachrichten zufolge, das Berliner Militär am 18. Januar 1894 schon auf das bloße Gerücht hin, dass von Arbeitslosen eine Demonstration vor dem Berliner Schloss geplant sei, konsigniert.

Diese militärische „Mäßigkeit“ hat ihren Grund aber nicht etwa in einer besonders sanftmütigen und gerechten Gesinnung unsrer entscheidenden Instanzen. Im Gegenteil! Deutschland hat eine im Sinne des Unternehmertums ausgezeichnet organisierte und starke Polizei und Gendarmerie. Deutschland ist nicht umsonst der Polizeistaat katexochen. Die scharf bewaffnete Polizei und die scharf bewaffnete Gendarmerie erfüllen hier ganz die Funktionen, die anderwärts mehr dem Militär überlassen werden, und zwar bequemer und anpassungsfähiger gegenüber den mannigfaltigen Nuancen der Augenblickslage als die schwerfälligere und plumper wirkende Heeresmaschinerie.

Die Zahl der blutigen Konflikte zwischen Streikenden und Polizei oder Gendarmerie ist in Deutschland groß genug. Der Berliner Straßenbahnerausstand vorn Jahre 1900 und die sogenannten Breslauer Krawalle4 vom Jahre 1906 stehen keineswegs als Ausnahmen da. Die abgehackte Hand Biewalds ist nur ein besonders aufreizendes Wahrzeichen jener blindwütigen polizeilichen Draufgängerei, dieses Produktes der militärischen Zucht. Sie befindet sich in der guten Gesellschaft von zahlreichen gespaltenen Schädeln, abgehackten Ohren, Nasen, Fingern und andern Gliedmaßen, und diese gute Gesellschaft vermehrt sich rapide.

Die Zahl der blutigen Opfer der bewaffneten Staatsgewalt bei Streiks dürfte in Deutschland alles in allem schwerlich viel geringer sein als in andern Staaten; eine auch nur überschlägige Berechnung hierüber ist freilich ganz unmöglich, da die Verletzungen bei polizeilichem Einschreiten leider nicht genügend registriert und beachtet zu werden pflegen. Wenn aber diese Opfer in Deutschland geringer sein sollten als anderwärts, so ist das nicht dem guten, dem humanen Willen des Unternehmertums, des kapitalistischen Staats zu danken. Das wird aufs Klarste durch die Tatsache bewiesen, dass die militärischen Konsignationen und Inbereitschaftstellungen bei großen Streiks auch bei uns fast regelmäßig sind. Das ernsteste Beispiel dieser Art bot der große Ruhrbergarbeiterstreik vom 8. Januar bis zum 10. Februar 1905.l Jener Erfolg würde vielmehr ausschließlich der Besonnenheit, Mäßigung und scharfen Selbstzucht, der Schulung und Aufgeklärtheit der deutschen Arbeiterschaft zuzuschreiben sein. Und wir dürfen uns keinen Zweifel hingeben, dass es sich zum Beispiel die preußische und die sächsische Regierung nicht erst zweimal überlegen würden, bei geeignetem Anlass mit Pauken und Trompeten, mit Flinten, Säbeln und Kanonen dem Unternehmertum im wirtschaftlichen Kampf beizustehen.

5. Kriegervereine und Streiks

Bei dem Bestreben des Militarismus, militaristische Tendenzen durch die Kriegervereine auch über die aktive Dienstzeit hinaus bei den Mannschaften zu erhalten und weiterzuverbreiten, erscheint es fast selbstverständlich, dass die Kriegervereine auch bei Streiks eingreifen. Sie sind freilich nicht imstande, eine Tätigkeit gewaltsamer Unterdrückung der wirtschaftlichen Arbeiterkämpfe zu entfalten, wohl aber darf man sie als prädestinierte Streikbrecherorganisationen bezeichnen. Wenigstens möchte man sie an gewissen Stellen gar zu gern in diesem Sinne verwerten. Und nur der Umstand, dass sich in ihnen trotz aller Vorsichtsmaßregeln ein gehöriger Prozentsatz oppositioneller, selbst sozialdemokratischer Elemente findet, in Verbindung mit der Tatsache, dass gerade bei den Konflikten zwischen Unternehmertum und Arbeiterschaft am Allerehesten selbst lammfrommen, sozial einsichtslosen Arbeitern die Galle überläuft und ein Verständnis für den Klassenkampf und ihre eigene Klassenlage eingepaukt wird, dass ferner gerade ein Allzuscharf schartig macht und selbst die christlichen und liberalen Arbeiterorganisationen aufpeitscht, hemmt die volle Ausnutzung der Kriegervereine. Immerhin ist die Diskussion, die der im Juni 1906 in Ostheim abgehaltene Abgeordnetentag des Großherzoglich-sächsischen Krieger- und Militärbundes von Sachsen-Weimar über diesen Punkt gepflogen hat, von großem Interesse. Diese Diskussion entspann sich in Anknüpfung an einen vom Abgeordnetentag angenommenen Grundsatz, wonach jedem Vereinsmitgliede die Pflicht erwächst, den Ausschluss von solchen Mitgliedern, die sich als Anhänger der staatsfeindlichen Parteien, besonders der Sozialdemokratie, erweisen, zu betreiben. Es ergab sich, dass man, wenn auch nicht jeden Streik, so doch diejenigen Streiks, die der Pflicht zur Treue gegen Kaiser, Fürst und Vaterland“ zuwiderlaufen, für eine Betätigung staatsfeindlicher und revolutionärer Gesinnung betrachtet. Da es von denjenigen hohen Herrschaften, die in den Kriegervereinen nun einmal die große Geige spielen, abhängen wird zu deklarieren, wann und wo sotane Treue durch einen Streik in Frage gestellt sei, und da diese Herren, gleich unsrer Polizei und unsrer Justiz, nur allzu sehr gewohnt sind, jeden Streik, der ja auch nur gar zu oft ihre eigenen, innersten Interessen mittelbar oder unmittelbar trifft, als sozialdemokratische Machenschaft zu betrachten, so kann man hier auf eine fruchtbare Arbeit der Kriegervereine rechnen. Fruchtbar aber nicht so sehr für das Unternehmertum als für die Sozialdemokratie, der nichts lieber sein kann, als derart plumpe, nur der Aufklärung der Arbeiter und der Schwächung der Kriegervereine dienende Tolpatschereien. Immer systematischer führen die Kriegervereine die Ausschließung nicht nur der Sozialdemokraten, sondern auch der Mitglieder aller auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Gewerkschaften durch. Kein Zweifel, dass sie damit in kleineren Orten den Gewerkschaften vorübergehend gewisse Schwierigkeiten machen, da sie die Mitglieder, abgesehen vom üblichen Klimbim und Traram, auch durch gewisse, oft mit recht beträchtlichen Beitragszahlungen erworbene, materielle Vorteilen fesseln.

Die Kriegervereine werden in ihren Bestrebungen von Klassenjustiz und Verwaltung energisch unterstützt, die immer noch den grotesken Mut haben, sie, die den politisch-agitatorischen Charakter aus allen Poren schwitzen, als unpolitische Organisationen zu behandeln, ein Helfershelferdienst, den diese Organe des kapitalistischen Staats schon aus Solidarität und im Interesse des gemeinschaftlichen höheren Zwecks, des Schutzes der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, dem Militarismus leisten müssen.

6. Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im politischen Kampf oder das Recht der Kanonen

Wie die Krone des Klassenkampfes, seine konzentrierteste Form, der politische Kampf ist, so ist im Klassenkampf die Krone, die konzentrierteste Form der Leistungen des Militarismus, dieser schärfsten Konzentration der politischen Macht, sein mittelbares und unmittelbares Eingreifen in den politischen Kampf. Hier wirkt der Militarismus zunächst als wirtschaftliche Macht, als Produzent und als Konsument. Die rücksichtslose Ausschließung aller Sozialdemokraten oder der Sozialdemokratie Verdächtigen aus den Militärwerkstätten, zum Beispiel Spandaus; die vorbehaltlose Auslieferung der dem Einfluss des Militarismus unterworfenen Arbeiter an die reaktionären Parteien, insbesondere an den Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie, diese schwarzen Banden Deutschlands, und ihre gleichzeitige hermetische Absperrung gegen jede, auch die geringste Berührung mit der Sozialdemokratie zeigen, wie der Militarismus seine Hauptaufgabe, den Unternehmerschutz, vorzüglich erfasst hat und mit militärischem Schneid durchführt. Kein Krupp und kein Stumm kann sich hier mit dem Militarismus messen, der damit sogar diejenigen, deren Interesse er vertritt, in der Energie der Vertretung ihrer Interessen übertrifft. In den Spandauer Militärwerkstätten zum Beispiel herrscht der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie dermaßen, dass er geradezu die Rolle eines Vigilanten zur Kontrolle der guten Gesinnung jedes königlichen Arbeiters spielt und sein Wort und sein Wille über die Entlassung der Arbeiter schlechthin entscheidet. Das haben von neuem die Vorgänge bei der Entlassung des Vorstandes eines harmlosen Vereins der ungelernten Arbeiter in den Militärwerkstätten im Sommer 1906 schlagend bewiesen.

Einen beträchtlichen, jetzt freilich rapid in der Abnahme begriffenen Einfluss übt der militärische Lokalboykott, von dem alle diejenigen Gastwirte betroffen zu werden pflegen, bei denen Arbeitervereine oder irgend etwas, was auch nur entfernt nach Sozialdemokratie riecht, verkehren. Dieser Boykott schlägt zwei fliegen mit einer Klappe. Er schützt die Soldaten nach Möglichkeit vor der Berührung mit dem umstürzlerischen Gift: Das gehört noch in das Gebiet der oben erörterten militaristischen Pädagogik. Er erschwert ferner aber auch, indem er sich oft zu einer wahren Saalabtreiberei auswächst, der Arbeiterschaft die Besorgung von Unterkunftsräumen und Sälen. Wenn sich zum Beispiel in Berlin dieser Boykott bereits als undurchführbar herausgestellt hat und daher nahezu beseitigt ist, so haben unsre Genossen in den kleineren Orten unter dieser Rattenplage, die sich natürlich auch gegen die wirtschaftlichen Kämpfe des Proletariats richtet, nicht wenig zu leiden.o

Dies sind aber nur „die Kleinen von den Seinen“. Der Militarismus begnügt sich nicht damit, in den kniffligen, täglichen politischen Kleinkampf zäh und forsch nach seiner Art einzugreifen, sein Ehrgeiz reicht unendlich höher; er ist ja die vornehmste und wichtigste Stütze von Thron und Altar in allen den großen und größten, schweren und schwersten Konflikten der kapitalistischen Reaktion mit dem Umsturz, so, wie er in allen früheren revolutionären Bewegungen großen Stils sein Schwergewicht in die Waagschale geworfen hat. Hier bedarf es nur kurzer Hinweise.

Von den grausigen Lorbeeren, die sich der kapitalistische Militarismus im Kampf gegen das Pariser Proletariat im Juli 1850, im Juni 1848, im Mai 1871 aufs Haupt drückte, ist bereits gehandelt, nicht minder von der Emeuteprovokation „Napoleons des Kleinen“ vom 2. Dezember 1852. Die Chartistenschlächterei zu Newport und Birmingham von 1839, bei der 10 Tote und 50 Verwundete fielen, verdient hier besonderes Interesse, eben, weil sie sich in England abgespielt hat: Auch du, mein Sohn Brutus!

Ganz Russland ist seit nunmehr zwei Jahren – unter Verhängung des Kriegszustandes der verschiedenen Grade zum Schutze der zarischen Knutenbarbarei und zur grausamen Niederwerfung der Freiheitsbewegung – den Fäusten, Peitschen, Säbeln, Flinten und Kanonen der Soldateska ausgeliefert, die im Begriff ist, dieses unglückliche Land in ein großes Leichenfeld zu wandeln. Nur das Fortschreiten der revolutionären Entwicklung und die damit korrespondierende, sich notwendig im Verhältnis zur jeweiligen Energie der revolutionären Kräfte vollziehende Zersetzung der Armee bieten die sichere Gewähr, dass dieses „christliche“, aber auch selbstmörderische Vorhaben nicht verwirklicht werde. Indes Russland kommt, wie wiederholt bemerkt, bei einer Untersuchung der kapitalistischen Staaten nur mit großen Einschränkungen in Betracht.

Wichtig ist die Rolle des stehenden Heeres bei dem ersten großen belgischen Wahlrechtskampf und die Rolle, die die Bürgergarde, diese spezielle militaristische Klassenkampforganisation der Bourgeoisie, bei dem zweiten großen belgischen Wahlrechtskampf im Jahre 1902 gespielt hat.

Österreich hat – von dem militärischen Aufgebot gegen die am 1. Mai 1896 im Wiener Prater demonstrierende Arbeiterschaft und von den oben behandelten Ereignissen in Prag, Wien und Glatz (1897), in Lemberg und Triest (1902) abgesehen – vor allem in seinem Wahlkampf vom Jahre 1905 ein zweites glänzendes Beispiel militaristisch-politischer Aktion großen Stils geliefert. Besonders war Böhmen bekanntlich drauf und dran, der Schauplatz eines Bürgerkriegs zu werden.p Am 5. und 28. November 1905, den Tagen der Wahlrechtsdemonstration, war Prag, wo auch die Bergarbeiter streikten, von Militär überfüllt und eingeschlossen; die umliegenden Höhen waren von schussbereiter Artillerie besetzt; etwa 80 Personen wurden – freilich von der Polizei – verwundet.

Die hierher gehörenden Vorgänge in Italien haben schon an andrer Stelle Erwähnung gefunden.

Gehen wir nunmehr zu Deutschland über, zu dem Deutschland, dessen oberster Kriegsherr durch ein weltbekanntes Wort, das als wirksamste Waffe in das ständige Arsenal der antimilitaristischen Propaganda aller Länder aufgenommen ist, dem vierten Gebot für die Soldaten eine eigenartige Auslegung gegeben und nicht nur am Sedantage 1895 auf dem Gardefestmahl die bekannte Rede gegen die „Rotte von Menschen“ gehalten, sondern auch am 28. März 1901 jenen berühmten Appell an seine Alexandriner gerichtet hat. Dem Proletariat als solchem, dem einzigen unzermorschten Pfeiler der „Verfassung“, galten die militärischen Rüstungen und Wrangel-Streiche, mit denen 1848/1849 die von dem Bürgertum dreiviertel verratene und gänzlich im Stich gelassene deutsche Revolution zu Boden gedrückt und ihres Erstgeburtsrechts schnöde beraubt wurde. Man denke sodann der Boyen-Lötzener Kettenaffäre vom September 18705 und der blutrünstigen Phantasien Bismarck-Puttkamerschen Angedenkens, in denen jene „Heroen des 19. Jahrhunderts“ zur Zeit der sozialistengesetzlichen Schmach ein militärisch-schneidiges, kunst- und weidgerechtes Zusammensäbeln, Zusammenfüsilieren und Zusammenkartätschen der auf die Straße gepeinigten Arbeiterschaft vorausahnten und herbeisehnten.q Die militärischen Konsignationen bei den Maifeiernr und den Reichstagswahlen sind bis auf den heutigen Tag überbekannts, ebenso die Vorgänge während des sächsischen Wahlrechtsraubs von 18966 und der Anteil des Militärs an der „Pazifikation“ der sächsischen Bevölkerung vom Jahre 1905/1906.t In Hamburg wurde bei den Wahldemonstrationen am 17. Januar 1906u, am „roten Mittwoch“, das Militär, das sich aus Hamburger Kindern zusammensetzt, im Hintergrund gehalten, der Polizeisäbel und der Polizeirevolver genügten; ihrer Arbeit sind die beiden Leichen zu verdenken, die das Pflaster der freien Hansestadt zierten.

Der 21. Januar 1906 aber zeigte die Schutzwehr des Kapitalismus in vollster Glorie. Wer an diesem Tage in der Ruhe des „geheiligten“ Sonntags die Kanonen über das Pflaster der Berliner Straßen hat rasseln sehenv, hat damit einen Blick in Herz und Nieren des Militarismus getan. Dieses Kanonengerassel tönt uns noch heute in den Ohren und spannt unseren Kampf gegen den Militarismus zu unermüdlicher Ausdauer und schonungsloser Rücksichtslosigkeit an.

Am 21. Januar 1906 handelte es sich um eine Demonstration gegen die preußische Dreiklassenschmach. Wir wissen aber, dass unserm Militarismus der Säbel ebenso locker in der Scheide und die Kugel ebenso locker im Gewehr sitzen werden, wenn es sich darum handeln sollte, durch einen Staatsstreich die Reichsverfassung im reaktionären Sinne umzustürzen. Die jüngsten Enthüllungen Hohenlohes und Delbrücks haben gezeigt, wie Bismarck im Jahre 1890 drauf und dran war, den Reichstag auseinanderzujagen, das Reichstagswahlrecht zu rauben, die Proletariermassen auf die Straße zu hetzen, vor die Gewehrläufe, die Kanonenrohre zu treiben, durch Zerschmetterung ihrer wehrlosen Reihen die Sozialdemokratie zu zertrümmern und auf den zerfetzten Proletarierleibern von Blut und Eisen eine Zwingburg bismärckisch-junkerlicher Reaktion zu errichten.w Wir haben weiter gehört, dass der deutsche Kaiser für diesen Plan nicht zu haben war, weil er zunächst „die begründeten Beschwerden der Arbeiter befriedigen und wenigstens alles getan haben“ möchte, „um ihre begründeten Forderungen zu erfüllen“. Wir wissen, dass darüber, welche Forderungen der Arbeiter begründet sind, die Arbeiterschaft durchaus andrer Meinung ist als die herrschenden Klassen, dass die Anfeindung des Reichstagswahlrechts, zu dessen heftigen Gegnern, wie die Hohenlohe-Memoiren enthüllt haben, auch der Exkommunist Miquel gehört hat, wenigstens in sehr einflussreichen norddeutschen Kreisen in fortwährender Steigerung begriffen istx und dass damit die Gefahr einer „militärischen Lösung“ der sozialen Frage durch die kleinkalibrigen Flinten und die großkalibrigen Kanonen heute näher gerückt scheint als je.y Sollte es zu der jüngst angekündigten Ernennung des Generalstabschefs Helmuth von Moltke zum Reichskanzler kommen, so würde das allem Anscheine nach einen Sieg der berüchtigten höfischen Militärpartei bedeuten.z

An „Kartätschenprinzen“, Kartätschenjunkern und Kartätschengeneralen ist nie in der Weltgeschichte Mangel gewesen. Man muss auf alles gefasst sein. Es ist keine Zeit zu verlieren.*

7. Kriegervereine im politischen Kampfe

Natürlich entfalten die Kriegervereine eine sehr intensive politische Tätigkeit, die die deutsche Justitia freilich durch ihre Binde noch nicht hat bemerken können. Wie sie bei den Wahlen mobilisiert werden, weiß jedermann, ebenso, wie sie ihre Mitglieder zum Austritt aus den oppositionellen politischen Organisationen zwingen. Erwähnung verdient ihre „königstreue“ Saalabtreiberei. gegenüber der klassenbewussten Arbeiterschaft. Nur zwei neuere Fakten seien hervorgehoben: der im Oktober 1906 in Duisburg-Beeck gefasste Boykottbeschluss des Vereins ehemaliger Soldaten des XVI. Armeekorps gegen den Kaiserhof zu Duisburg, der zu einer Bergarbeiterversammlung freigegeben worden war, und der Ausschluss derjenigen Saal- und Gastwirte, die ihre Lokale der Arbeiterschaft überlassen, aus den sächsischen Kriegervereinen.** In kleineren Orten sind diese Kampfmittel keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen; der gut organisierten Arbeiterschaft gegenüber freilich sind sie Lufthiebe.

Das hierher gehörende Material verdient zur Verwertung im Kleinkampfe systematisch gesammelt zu werden.

8. Der Militarismus, eine Gefährdung des Friedens

Nationalistische Gegensätzlichkeiten – das Bedürfnis nationaler Ausdehnung infolge der Bevölkerungsvermehrung, das Bedürfnis nach Einverleibung von Gebieten mit natürlichen Schätzen zur Hebung des Nationalreichtums (will sagen: des Reichtums der herrschenden Klassen) und zur Verselbständigung des Staats zu einer in der Produktion sich möglichst selbst genügenden Wirtschaftseinheit (eine natürliche Ergänzungstendenz zur Schutzzollpolitik, eine Tendenz, die freilich gegenüber der sich immer stärker durchsetzenden weit ausgreifenden internationalen Arbeitsteilung nur von verschwindender Bedeutung sein kann), das Bedürfnis nach Erleichterung des Verkehrs im Inland und mit dem Ausland (zum Beispiel durch Erwerbung von schiffbaren Flüssen, von Seehäfen usw.), des Verkehrs, der das Mittel ist, durch das sich der Stoffwechsel des Wirtschaftskörpers, der Handel, vollzieht – und Gegensätze des allgemeinen kulturellen Niveaus, insbesondere auch der politischen Entwicklungsstufe, können sehr wohl auch heute noch internationale politische Spannungen erzeugen. Die wichtigsten politischen Spannungen, die heute zu internationalen kriegerischen Verwicklungen führen können, entstehen aber, wie oben bereits dargelegt, durch die Konkurrenz der einzelnen Staaten innerhalb der Weltwirtschaft, durch den Welthandel, durch die Weltpolitik mit all ihren Komplikationen, insbesondere die Kolonialpolitik. Hauptträger dieser Spannungen sind die mächtigen Expansionsinteressenten der Industrie und des Handels, die als Interessenten an einem erfolgreichen Krieg bezeichnet werden mögen.

Es kann aber nicht verkannt werden, dass die Existenz der stehenden Heere, in denen sich der Militarismus in seiner ausgeprägtesten Form sedimentiert, an und für sich den internationalen Frieden bedroht, eine selbständige Kriegsgefahr bildet. Dabei mag ganz davon abgesehen werden, dass die Steigerung der militärischen Lasten, jene „Schraube ohne Ende“, zu der Neigung führen kann, einen günstigen Augenblick jeweiliger militärischer Überlegenheit nicht unbenutzt verstreichen zu lassen oder eine nun einmal doch für notwendig gehaltene kriegerische Auseinandersetzung vor einer weiteren ungünstigen Verschiebung des militärischen Stärkeverhältnisses zum Austrag zu bringen, eine Neigung, die bekanntlich bei dem jüngsten Marokkokonflikt in Frankreich nicht ohne Einfluss war§, die aber stets mehr für den Zeitpunkt des Kriegsausbruchs als für den Ausbruch selbst maßgebend ist.

Aber das stehende Heer erzeugt, wie in viel geringerem Maße ja auch die Miliz, eine moderne Kriegerkaste, eine Kaste von Personen, die sozusagen von Kindesbeinen auf den Krieg dressiert sind, eine .privilegierte Konquistadorenkaste, die im Kriege Abenteuer und Beförderung sucht. Hinzu kommen diejenigen Kreise, die im Falle eines Kriegs ihr besonderes Schäflein scheren, die Lieferanten von Waffen, Munition, Kriegsschiffen, Pferden, Ausrüstungs- und Bekleidungsmaterial, Verpflegungs- und Transportmitteln, kurz: die Armeelieferanten, deren es natürlich auch – aber minder – in Milizstaaten gibt. Beide Gruppen von speziellen Kriegsinteressenten, das heißt von Interessenten am Kriege, an der Kriegsführung selbst – die abenteuerlustige der Offiziere und die vom Kriegserfolg ganz unabhängige der Armeelieferanten – sitzen, um einen populären Ausdruck zu gebrauchen, dicht an der Spritze. Sie sind versippt mit den höchsten Staatsämtern und besitzen großen Einfluss auf diejenigen Instanzen, die formell über Krieg und Frieden zu entscheiden haben. Sie lassen keine günstige Gelegenheit vorübergehen, ohne zu versuchen, diesen Einfluss, den sie meist durch ihre Bewucherung des Militarismus erst erworben haben, in pures Gold umzusetzen und Hekatomben von Proletariern auf dem Altar ihres Profits opfern zu lassen. Sie hetzen als Kolonialtreiber das „teure Vaterland“ in gefährliche, kostspielige, für sie höchst profitable Abenteuer, um dann als Flottentreiber dieses selbige Vaterland auf Kosten anderer in einer für sie wiederum höchst profitablen Manier zu retten.§§

So bedeutet Kampf gegen die stehenden Heere und den chauvinistisch-militaristischen Geist Kampf gegen eine Gefahr für den Völkerfrieden. Das alte Wort: Si vis pacem, para bellum mag für den einzelnen von militaristischen Staaten umgebenen Staat immerhin gelten, keinesfalls aber gilt es für die Gesamtheit der kapitalistischen Staaten, an die sich die internationale Agitation der Sozialdemokratie richtet. Und noch weniger spricht dieser Satz für die Notwendigkeit, sich auf den Krieg gerade in Form des stehendes Heeres vorzubereiten, auf das im Gegenteil der genau umgekehrte Satz zutrifft: Si vis bellum, para pacem – keine größere Kriegsgefahr als eine solche Friedenssicherung! Für den aggressiven wirtschaftlich-politischen Imperialismus unsrer Tage freilich ist das stehende Heer die adäquate Form der Kriegsvorbereitung.

So wahr aber der Völkerfriede im Interesse des internationalen Proletariats und darüber hinaus im Kulturinteresse der gesamten Menschheit liegt, so wahr ist der Kampf gegen den Militarismus, der da alles in allem gleich, ist der Völkerverhetzung, der Summe und dem Extrakt aller friedenstörenden Tendenzen des Kapitalismus, kurzum, der da die ernste Gefahr des Weltkrieges ist, ein Kulturkampf, den zu führen das Proletariat stolz ist, den es in seinem ureigensten Interesse führen muss und den zu führen keine andre Klasse als solche (einzelne wohlmeinende Schwärmer bestätigen hier nur die Regel) ein nur entfernt ebenso großes Interesse besitzt.

Der Militarismus stört aber auch den inneren Frieden, nicht nur durch die ihm eigene Verrohung der Bevölkerung, durch die schweren wirtschaftlichen Lasten, die er dem Volk auferlegt und durch den so geschaffenen Steuer- und Zolldruck, nicht nur durch die Hand in Hand mit ihm einhergehende Korruption (vergleiche die Woermann, Fischer, von Tippelskirch, Podbielski und Genossen), nicht nur durch die Zerreißung des unter der Klassenteilung schon genugsam seufzenden Volks in zwei Kasten, nicht nur durch Militärmisshandlungen und Militärjustiz, sondern vor allem dadurch, dass er ein mächtig wirksamer Hemmschuh gegen jeden Fortschritt, dass er ein kunstvolles und höchst kräftiges Instrument ist, um das Ventil des sozialen Dampfkessels gewaltsam zuzupressen. Wer immer eine Fortentwicklung des Menschengeschlechts für unvermeidlich hält, für den ist das Bestehen des Militarismus das wichtigste Hindernis für die Friedlichkeit und Stetigkeit einer solchen Entwicklung, dem ist der ungebrochene Militarismus gleichbedeutend mit der Notwendigkeit blutig-roter Götzendämmerung des Kapitalismus.

9. Die Schwierigkeiten der proletarischen Revolution

So ist die Beseitigung oder möglichste Schwächung des Militarismus eine Lebensfrage für den politischen Emanzipationskampf, dessen Form und Art der Militarismus in gewissem Sinne degeneriert und damit entscheidend beeinflusst, eine Lebensfrage um so mehr, als die Überlegenheit der Armee über das Volk ohne Waffen, über das Proletariat, infolge der hochentwickelten Technik und Strategie, infolge der Riesenhaftigkeit der Armeen, infolge der ungünstigen lokalen Gliederung der Klassen und bei dem für das Proletariat besonders ungünstigen wirtschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie eine weit größere ist als je, und schon darum wird jede künftige proletarische Revolution bei weitem schwieriger sein als jede bisherige Revolution. Es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass in der bürgerlichen Revolution das treibende revolutionäre Bürgertum längst wirtschaftlich das Heft in Händen hatte, bevor die Revolution im engeren Sinne zum Ausbruch kam, dass es eine zahlreiche, ihm wirtschaftlich unterworfene und seinem politischen Einflusse preisgegebene Klasse für sich in das Feuer treiben und sich die Kastanien aus dem Feuer holen lassen konnte, dass es den alten Plunder des Feudalismus gewissermaßen erst angekauft hatte, bevor es ihn zertrümmerte oder in die Rumpelkammer warf, während das Proletariat alles, was dort mit Reichtum errungen ist, mit Hunger und mit den eigenen nackten Leibern erobern muss.

A Vgl. die hochinteressante, freilich illusionsreiche Verordnung wegen der Militärstrafen.

B Der einsichtige Manteuffelsche Befehl vom 14. April 1885 besagt unter anderem: „Schimpfen greift die Gefühle der Ehre an und vertilgt sie, und der Offizier, der die Untergebenen schimpft, wühlt in seinem eigenen Blute; denn auf den, der sich schimpfen lässt, ist kein Verlass in Treue not in Bravheit … Mit einem Worte: Wie der Vorgesetzte vom General bis zum Leutnant die Untergebenen behandelt, so sind sie.“

C Die Masse der Deserteure und ungehorsamen Wehrpflichtigen gibt unter anderem einen entfernten Maßstab. 15.000 deutsche Deserteure sind in den ersten 50 Jahren der Reichsherrlichkeit allein in der französischen Kolonialarmee ums Leben gekommen, während die blutige Schlacht von Vionville (16. August 1870. – Die Red.) nur 16.000 Verwundete und Tote brachte. Vgl. Däumig, Schlachtopfer des Militarismus.

D Hier wird von „in hohem Grade bedenklichen Zuständen“ gesprochen, von „raffinierter Quälerei“, vom „Ausfluss einer Rohheit und Verwilderung“, die bei dem Vorgesetztenmaterial „kaum für möglich“ und bei der geübten Aufsicht „kaum für durchführbar“ gehalten worden sei. Am 8. Februar 1895 veröffentlichte der Vorwärts einen gleichfalls hier einschlägigen kaiserlichen Erlass an die kommandierenden Generale vom 6. Februar 1890. Die Erlasse der Scharnhorst und Gneisenau (nach Jena) und Manteuffel (18. April 1885) gehören in andern Zusammenhang, ebenso der Erlass des Erbprinzen von Sachsen-Meiningen.

E Vgl. z.B. den Fall des unglückseligen Rückenbrodt, in dem eine drahtumsponnene, tauförmige Asbestpackung – von den Schindern selbst mit ätzender Ironie „militärischer Erzieher“ bezeichnet – ihre scheußliche Rolle spielte. (Vorwärts vom 25. September 1906.)

F Vgl. Frankfurter Zeitung vom 6. April 1903, Verhandlungen des Reichstages vom 4. und 8. März 1904, besonders die Reden der Abgeordneten Bebel, Ledebour und Müller-Meiningen, und Vorwärts vom 6., 13., 14. und 21. Mai 1903. Ferner die Kabinettsorder, abgedruckt im Armee-Verordnungsblatt vom 29. April 1903, die da betont: Nicht eine Beschwerdepflicht, sondern nur ein Beschwerderecht bestehe für den Soldaten. Dazu auch Militär-Wochenblatt vom 29. Mai 1903, nach dem die Desavouierung und Verabschiedung des Erbprinzen „peinlichstes Aufsehen“ erregt haben soll. Wo?

G Einiges auch in Prinz Arenberg und die Arenberge, S.15 ff., über „aristokratische Soldateinmisshandler“.

H Am 27. Februar 1891 erklärte Caprivi in Bezug auf die Soldatenmisshandlungen: Uns ist „der gebildete Unteroffizier mehr wert als der rohe, weil er seltener von seinem Temperament sich wird fortreißen lassen, selbst wenn er gereizt wird“; woher aber die „gebildeten“ Unteroffizier. nehmen und nicht stehlen?

I Vgl. z.B. Brandenburger Zeitung vom 8. Dezember 1906.

J Deutschland kennt hier keine Mainlinie. Auf dem Gebiet der Soldatenmisshandlungen wenigstens ist die deutsche Einigkeit und Einheit verwirklicht.

K Vgl. Däumig, Schlachtopfer des Militarismus, S.370.

L 1906/1907: 614.562 Mann stehenden Landheer; 1905/1906: 40.672 Mann Marine.

M Jeder in Deutsch-Südwestafrika kämpfende Soldat kostete das Deutsche Reich 1906 9.500 Mark.

N In Frankreich zum Beispiel 1905 1.101.260.000 Franc! Frankreich hat seit 1870 an die 40 Milliarden Franc für militärische Zwecke (ausschließlich Kolonien!) ausgegeben!

P Aber selbst in den Vereinigten Staaten entfielen 1904/1905, bei einem Gesamtetat von 720 Millionen Dollar, auf Kriegs- und Marinedepartement allein 240 Millionen Dollar!

R Wegen dessen Beleidigung, angeblich begangen durch die Kritik des Ernteurlaubserlasses, bekanntlich der Redakteur der Königsberger Volkszeitung im Herbst 1906 zu einer hohen Geldstrafe verurteilt ist.

S Vgl. dazu auch den Bescheid dieses Generalkommandos im Vorwärts vom 5. November 1906.

T Der am 30. Januar 1905 begonnene Streik endete am 1. Februar 1905 siegreich; am 10. März bereits kam das Antistreikgesetz vor die Kammer, am 6. April brach der Generalstreik aus, am 9. April wurde das Antistreikgesetz votiert, am 15. April fand der Generalstreik seinen unglücklichen Abschluss. So rasch arbeiten die Mühlen des Kapitalismus, wenn sein „Holland in Not“ ist.

U Vgl. Le Manuel du soldat, S. 9.

V Vgl. ebenda, S. 8.

W Le Mouvement Socialiste, Mai-Juni und August-September 1906, Les massacres de classe en Italie.

X Vgl. z.B. Les Temps Nouveaux vom 16. Dezember 1905 (Ancona. Taurisano).

Y Leur Patrie, Paris o.J., S.99.

Z Vgl. hierzu G. Jaeckh, Die Internationale, Leipzig 1904, S.69 ff.

a Vgl. hierzu Mouvement Socialiste vom 1. und 15. September 1905.

b Vgl. die ausführlichen Darstellungen im Mouvement Socialiste, Nr.155 und 156 und in La Vie Socialiste, 1. Jahrgang, Nr.15-18. Der Nationalkongress von Chalons-sur-Saône (Oktober-November 1905) beschäftigte sich, nachdem der Antrag der sozialistischen Kammerfraktion auf parlamentarische Enquete abgelehnt war, in einer ausführlichen Resolution mit Limoges und Konstantins Bericht darüber.

c Les Temps Nouveaux, 16. Dezember 1905.

d Großes Aufsehen erregte vor einigen Jahren die Broschüre L’armée aux grèves (Die Armee bei den Streiks) von Leutnant Z.

e l’Humanité vom 9. Oktober 1906.

f Vgl. Sombart, Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?, Tübingen 1906, S.129.

g Vgl. den für Nordamerika hier meist benutzten Hillquit, Geschichte des Sozialismus in den Vereinigten Staaten, Stuttgart 1906, S. 211

1 Die amerikanische Klassenjustiz ließ zehn Arbeiterfunktionäre, die erwiesenermaßen völlig unschuldig waren, verhaften und fünf von ihnen hinrichten.

h Desselben Altgeld, der am 26. Juni 1890 die Chicagoer Anarchisten begnadigte.

2 Einhaltsbefehle – von den Unternehmern erwirkte gerichtliche Verfügungen, die den betreffenden Streik als ungesetzlich erklärten. Die großen Streiks in den Jahren 1901 bis 1904 wurden in der gleichen Weise bekämpft. Ein Versuch, 1902 im Repräsentantenhaus eine Gesetzesvorlage gegen die „gerichtlichen Verfügungen“ durchzubringen, verhinderten die Unternehmerverbände.

i Vgl. Hillquit, Geschichte des Sozialismus in den Vereinigten Staaten, S.190, 209ff., 236ff., 306ff.

j Ebenda, S.314.

3 Gemeint ist der Austritt Norwegens aus der Union mit Schweden auf Beschluss des norwegischen Storthings vom 7. Juni 1905.

k Der deutsche Kaiser erklärte am 19. Mai 1889 der Kaiserdeputation: „Merke ich daher, dass sich sozialdemokratische Tendenzen in die Bewegung mischen und zu ungesetzlichem Widerstande anreizen, so würde ich mit unnachsichtlicher Strenge einschreiten und die volle Gewalt, die mir zusteht – und dieselbe ist eine große –, zur Anwendung bringen.“ Nach der Freisinnigen-Zeitung äußerte er weiter, beim geringsten Widerstand gegen die Behörden lasse er alles über den Haufen schießen.

46 Anlässlich einer Demonstration der Breslauer Arbeiter zur Unterstützung streikender Metallformer am 19. April 1906 richtete die Polizei unter den Demonstranten ein Blutbad an. Dem Arbeiter Biewald wurde dabei von einem Polizisten, der ihn bis in sein Haus verfolgte, die Hand mit dem Säbel abgehackt.

l Vgl. auch den Fall in Landau-Kaiserslautern vom September 1906.

m Über die „Sauf- und Rauffeste“ der Kriegervereine (Worte des Pfarrers César) siehe Sozialdemokratische Partei-Correspondenz Nr.21 vom 8. Dezember 1906.

n Vgl. den Aufruf des Sächsischen Militärvereins Schützen und Jäger in Leipziger Volkszeitung vom 1. Dezember 1906.

o Dazu gehört auch die Drohung mit dem Militärboykott, durch die man z.B. bei der Reichstagswahl 1903 in Spandau diejenigen Gastwirte, in denen die Sozialdemokraten Abschriften der Wählerlisten zur Erleichterung der Kontrolle dieser Listen auslegten, nötigte, diese Auslegung zu inhibieren (vgl. Denkschrift des Reichstages, Nr.618, von 1905-1907).

p Vgl. auch: Der Jugendliche Arbeiter, Dezember 1905 (über die Erschießung des 16jährigen Johann Hubac).

5 Gemeint ist die Verhaftung des „Braunschweiger Ausschusses“, des Parteiausschusses der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Eisenacher), der nach der Gefangennahme Napoleons III. in Sedan in einem Aufruf einen ehrenvollen Frieden mit der Französischen Republik gefordert und gegen die geplante Annexion Elsass-Lothringens protestiert hatte. Die Verhafteten wurden in Ketten nach der Festung Lötzen gebracht.

q Ludwigshafen in der Pfalz wurde am Sonntag vor der Wahl 1887 von Truppen förmlich besetzt, und nur die Besonnenheit der Sozialdemokratie verhinderte, dass die Kleinkalibrigen losgingen (vgl. die Schilderung in der Festschrift zum Mannheimer Parteitag 1906, S.9ff.). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Äußerung des deutschen Kaisers, die Hohenlohes Memoiren unter dem 12. Dezember 1889 registrieren: „dann – wenn die Sozialdemokraten im Berliner Rathaus die Mehrheit haben würden – würden diese die Bürger plündern; ihm sei dies gleichgültig, er werde Schießscharten an das Schloss machen lassen und zusehen, wie geplündert werde; dann müssten ihn die Bürger schon um Hilfe anflehen.“

r Das galt besonders von der ersten Maifeier (1890), die die militärischen Scharfmacher, die „Militärpartei“ (Hohenlohes Memoiren, 14. September 1893), gar zu gern zu einer blutigen Abrechnung mit der lästigen und verhassten Sozialdemokratie benutzt hätten (vgl. den Sorge-Briefwechsel, S.354 und 357).

s Vgl. hier die Oberschlesischen Wahlkrawalle von Laurahütte und Zabrze im Jahre 1903.

6 In Sachsen hatten die herrschenden Klassen 1896 das Dreiklassenwahlrecht eingeführt und dadurch die Sozialdemokratie aus dem Landtag ausgeschaltet.

t Vgl. den von der Leipziger Volkszeitung am 5. April 1906 veröffentlichten Schießerlass für den 21. Januar 1906.

u Wahlrechtsdemonstrationen wurden durch einen halbtägigen politischen Generalstreik, dem ersten in Deutschland, unterstützt. Die Red.

v Vgl. auch den sächsischen Schießerlass, Fußnote t.

w Bekanntlich förderten die Hamburger Nachrichten diesen Plan im März 1892 wieder einmal ans Licht.

x Vgl. Handbuch für sozialdemokratische Wähler, Berlin 1905, Der Preußische Landtag, Handbuch für sozialdemokratische Landtagswähler, Berlin 1905 und vor allem die Hamburger Nachrichten, die Kreuz-Zeitung, die Deutsche Tageszeitung und Die Post aus Anlass der Reichstagsauflösung vom 15. Dezember 1906, für den Fall eines ungünstigen Wahlausfalls.

y Der Vollblutjunker von Oldenburg-Januschau hat im Mai 1905 im Reichstag und im Dezember 1906 auf der Konitzer Provinzialversammlung des Bundes der Landwirte mit seinem Appell an die preußischen Bajonette einer mindestens sehr einflussreichen Kamarilla frisch aus dem Herzen gesprochen.

z Das Berliner Tageblatt charakterisiert diesen kommenden Mann so: „Helmuth von Moltke gilt für einen ausgesprochenen Reaktionär, temperiert durch eine gewisse soldatische Offenherzigkeit und Lebensfreudigkeit, dem freilich auch spiritistische Neigungen nachgesagt werden. Ein Mann der Theorie ist er ganz und gar nicht, viel eher ein Draufgänger, der auch den ‚Mut der Kaltblütigkeit‘ besitzt, mit dem hauenden Säbel und der schießenden Flinte Politik zu treiben.“ Da wären glücklich alle von unsern Scharfmachern ersehnten Eigenschaften auf einem Haufen zusammen.

* Damit bei der Tragödie auch das Satyrspiel nicht fehle, sei hier auf die amüsante Farce hingedeutet, die sich im Jahre 1904 in dem thüringischen Städtchen Hildburghausen abgespielt hat, wo die Schüler des Technikums eines Nachts in „burschikosem Übermut“ und aufgeregt über den Mangel polizeilicher Duldsamkeit gegenüber den Unordnungsbedürfnissen dieser Bürgersöhnchen einen wahrhaften Sturm auf die Polizeiwache unternahmen, der nur mit Hilfe einer requirierten Infanteriekompanie, aber ohne Blutvergießen abgeschlagen werden konnte. Das Nachspiel vor dem Meininger Landgericht verdient ebenso der Vergessenheit entrissen zu werden. Die angeklagten „Rebellen“ wurden nicht, wie dies bei ähnlichen Fällen mit Arbeitern zu geschehen pflegt, ins Gefängnis oder gar ins Zuchthaus gesteckt, sondern, soweit sie nicht freigesprochen wurden, mit mäßigen Geldstrafen belegt, während der unglückliche Leutnant, der bei seinem Einschreiten wohl nicht alle Formen strikt innegehalten hatte, einen kräftigen Nasenstüber erhielt.

** Dazu die in der Leipziger Volkszeitung vom 1. Dezember 1906 abgedruckte Erklärung des Präsidiums des sächsischen Kriegervereinsbundes.

§ Vgl. dazu den Aufsatz des Generalmajors von Zepelin, Kreuz-Zeitung vom 23. Dezember 1906.

§§ Vgl. die Rheinisch-Westfälische Zeitung vom 5. Dezember 1906.

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