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Karl Liebknecht 19100614 Die Gesindeordnung muss beseitigt werden!

Karl Liebknecht: Die Gesindeordnung muss beseitigt werden!

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zu mehreren Petitionen um die gesetzliche Regelung des Dienstbotenwesens

I

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1910, 5. Bd., Berlin 1910, Sp. 7229-7240. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, S. 429-446]

Meine Herren, wir haben ja in Preußen in Bezug auf das Gesinderecht gegenwärtig noch die Gesindeordnung vom 8. November 1810 in Geltung; wir können also im November dieses Jahres den hundertjährigen Geburtstag dieses Gesetzes feiern. Außerdem ist für die Regelung des Gesinderechtes das Gesetz über die Verletzung der Dienstpflichten des Gesindes und der ländlichen Arbeiter vom 24. April 1854 wesentlich, ein Gesetz, das aus der konterrevolutionären Periode stammt und nun auch bereits seine 56 Jahre auf dem Rücken hat. Die beiden Gesetze, insbesondere die Gesindeordnung, sind durchaus Produkte einer feudalen Gesellschaftsordnung, des patriarchalischen Prinzips. Aber diese feudale Gesellschaftsordnung und dieses patriarchalische Prinzip setzten voraus ein gegenseitiges intimes, fast persönlich familiäres Verhältnis zwischen dem Gesinde und der Dienstherrschaft. Es bestand nicht eine einseitige Ausbeutungsfreiheit auf Seiten des Dienstherrn, sondern der Dienstherr hatte eine ausgeprägte sittliche und rechtliche Pflicht gegenüber den ihm untergebenen Personen. Wenn das Gesinde verpflichtet war, dem Herrn treu, hold und gewärtig zu sein, so war auf der anderen Seite der Dienstherr verpflichtet, in allen bösen und guten Tagen für das Gesinde aufzukommen. Diese sozialen Voraussetzungen, auf die das Gesinderecht der Gegenwart noch aufgebaut ist, sind durchaus in Wegfall gekommen, sie sind zertrümmert worden durch den Fortschritt unserer Zeit, auch auf dem Lande zertrümmert worden. Ich will nicht verkennen, dass es noch gewisse Gegenden geben mag, wo der Bauernstand in einer Weise sich erhalten hat und in einer Form, die an die früheren Zeiten erinnert, nicht verkennen, dass auch in gewissen kleinen Städten und auch in größeren Orten hier und da bei besonders gearteten Familien gewisse persönliche Beziehungen zwischen dem Gesinde und der Herrschaft bestehen. Das sind aber Ausnahmen, und für die Ausnahmen sind die Gesetze nicht da. Es sind das nur gerade die Fälle, in denen das Gesetz nicht nötig hat, Vorsorge zu treffen. Die Gesetze sind zu schaffen für die kritischen und gefährlichen Fälle; und in den bei weitem überwiegenden Fällen kann heute von einem solchen persönlichen Verhältnis zwischen Gesinde und Dienstherrschaft nirgend mehr die Rede sein, weder auf dem Lande noch in der Stadt; es ist alles Persönliche abgestreift, wenigstens in der großen Mehrzahl der Fälle, was früher dem Herrschafts- und dem Gesindeverhältnis zu eigen war.

Wir brauchen uns nur zu erinnern, in welcher Weise heutzutage das ländliche Gesinde angeworben wird. In der großen Mehrzahl der Fälle geschieht das in der Art, wie Lieferverträge für irgendeine Ware geschlossen werden. Es wird eine Art Auktion, möchte ich fast sagen, abgehalten, es sind reine Sklavenmärkte, die in der Stadt für das ländliche Gesinde abgehalten werden. Ich spreche durchaus nicht etwa vom grünen Tisch, ich kenne die tatsächlichen Verhältnisse. Ich habe so oft als Anwalt in Berlin Klage führen müssen für junge Mädchen, die von Berlin aus von Gesindevermietern auf das Land geschickt waren und die, ohne recht zu wissen, welche Arbeit sie erwartete, in böse Schwierigkeiten geraten sind und oft Gesundheit und das ganze Lebensglück verloren haben.

Es ist nicht zweifelhaft, dass hier bei dem ländlichen Gesinde dieselben Missstände bestehen wie bei den ländlichen Arbeitern. Diese Missstände für die ländlichen Arbeiter sind ja bei anderer Gelegenheit von unserer Fraktion erörtert worden. Ich will deshalb heute darauf nicht näher eingehen.

Man klagt heutzutage viel über die Dienstbotennot, und es lässt sich nicht verkennen, dass eine Dienstbotennot auf dem Lande und in der Stadt besteht. Ein Gegenstück zu der bekannten Leutenot, ja, soweit das Land in Frage kommt, eigentlich ein Spezialstück der allgemeinen Leutenot. Aber diese Leutenot und Dienstbotennot sind nicht etwa durch die „Böswilligkeit" einer Schicht der Gesellschaft herbeigeführt worden, sondern sie sind das Produkt der ganz natürlichen Entwicklung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Wir brauchen uns nur zu vergegenwärtigen, unter welchen rechtlichen Verhältnissen gegenwärtig das Gesinde lebt, um ohne weiteres darüber klar zu sein, woher die Dienstbotennot rührt. Man macht häufig geltend, die Dienstboten hätten es ja so ungemein gut, sie seien bei ihrer Herrschaft aufgenommen wie in Abrahams Schoß, sie seien nicht in Gefahr, unmittelbar in Not hineinzugeraten, es sei für Wohnung für sie gesorgt, kurzum, sie seien immerhin in gewissem Sinne Partizipanten an der wirtschaftlichen Lage der besitzenden Klassen. Meine Herren, ich will nicht davon sprechen, dass gerade auch diese Anschauungen über die relativ günstigen Lebensverhältnisse der Dienstboten durchaus nicht der Wahrheit entsprechen. Ich habe nicht nötig, mich hier näher zu befassen mit der unzweifelhaften Tatsache, dass gerade in Bezug auf die Wohnungsverhältnisse der Dienstboten die skandalösesten Zustände in den Städten wie auf dem Lande draußen bestehen. Auch in dieser Richtung habe ich persönlich Erfahrungen genug gemacht über die „Schweineställe", die einstens den Herren Agrariern von einer sehr hochstehenden Stelle an den Kopf geworfen worden sind, diese Schweineställe, die gar nicht selten als Arbeiterwohnungen benutzt werden, während sie für das Vieh zu schlecht waren und man in der Tat für das Vieh kleine Paläste baut. Das sind ja Sachen, über die oft genug in der Öffentlichkeit geklagt worden ist,

(Zuruf von den Freikonservativen.)

und die zu heftigen Angriffen gegen unser Agrariertum geführt haben.

(Erneuter Zuruf von den Freikonservativen.)

Ich habe oft genug Gelegenheit gehabt, die Gesindewohnungen auf dem Lande persönlich in Augenschein zu nehmen, ich weiß, wie da die Kutscher und die Knechte oft genug zu hausen haben; ich weiß, wie die kleinen Kämmerchen, die sie haben, von Schmutz starren, wie da mehrere zusammen hineingepfercht werden, wie oft genug auf Gütern, deren Besitzer keineswegs am Hungertuche nagen, nicht einmal die Fenster in Ordnung gehalten werden, dass da Stroh und Lumpen in Löcher hineingestopft werden im kältesten Winter. In der nächsten Nähe von Berlin kenne ich derartige Fälle aus Prozessen.

Ich will von alledem aber hier nicht sprechen, ich will mich hier nur mit demjenigen befassen, was unmittelbar Gegenstand der Tagesordnung ist, nämlich mit der rechtlichen Seite der Sache, und will diese rechtliche Seite als einen bereits vollkommen hinreichenden Grund für die Gesindenot und für die Leutenot darlegen.

Meine Herren, schon wenn wir unsere soziale Gesetzgebung, unsere Arbeiterversicherungsgesetzgebung betrachten, sehen wir, dass das Gesinde erheblich schlechter gestellt ist. Es ist in Bezug auf die Unfallversicherung viel ungünstiger gestellt, wie überhaupt alle ländlichen Arbeiter in Bezug auf die Unfallgesetzgebung viel ungünstiger gestellt sind als die Städter; das weiß jeder Praktiker auf dem Gebiete der Unfallversicherung. Meine Herren, von besonderer Wichtigkeit ist, dass das Gesinde bis zum heutigen Tage der Krankenversicherungspflicht überhaupt noch nicht unterliegt. Man behilft sich, soweit das Interesse die Herrschaft selbst dazu treibt, dadurch, dass freiwillige Gründungen inszeniert werden wie der bekannte Berliner Abonnementsverein. Dass in der Gesindeordnung gewisse Bestimmungen über die Verpflichtungen der Herrschaft zur Fürsorge für das erkrankte Gesinde getroffen sind, ist ja bekannt; aber diese Bestimmungen sind durchaus nicht hinreichend, um das Gesinde zu schützen. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, dass im Allgemeinen die Herrschaft nicht verpflichtet ist, über die Kündigungszeit hinaus das Gesinde, das sich bei Gelegenheit des Dienstes eine Krankheit zugezogen hat, in seiner Krankheit zu verpflegen. Wenn nun das Gesinde mit vierzehntägiger Kündigung, wie hier in Berlin, angestellt ist und auch wenn es mit sechswöchentlicher Kündigung angestellt ist, wie das Gesetz es an und für sich vorsieht, so findet man die Fälle außerordentlich häufig, wo die Verpflichtung der Herrschaft zur Fürsorge für das erkrankte Gesinde aufhört und das Gesinde in der schwierigsten Lage, in der es sein kann, einfach der Not erbarmungslos preisgegeben wird. Dass hier die Krankenversicherung eine dringende Notwendigkeit ist, das ist ja zum Glück nicht nur die Auffassung der Sozialdemokratie, sondern auch anderer Kreise und Parteien.

Meine Herren, ich will das Gebiet der sozialen Gesetzgebung hiermit verlassen und mich in Bezug auf die allgemeine Gesetzgebung noch mit einigen Punkten befassen. Sie wissen, dass unser Bürgerliches Gesetzbuch es als eine wichtige, auch vom sozialen Geist geborene Bestimmung betrachtet hat, dass gegen den Lohn irgendeine Aufrechnung unzulässig sein soll, weil man eben korrekterweise der Auffassung gewesen ist, dass die Lohnarbeiter im Allgemeinen so wenig zurückzulegen in der Lage sind, dass man ihnen das, was sie gerade verdienen und dazu gebrauchen, um von der Hand in den Mund zu leben, nicht wegnehmen kann. Diese Bestimmung über das Verbot der Kompensation, der Aufrechnung und der Lohnzurückhaltung besteht nicht für das Gesinde. Dem Gesinde kann jede einzelne Dienstherrschaft den Schaden, den es durch Bruch oder ein anderes Versehen angerichtet hat, oder irgendeine andere Forderung, die sie gegen das Gesinde besitzt, vom Lohn abziehen. Als Anwalt kann man es in der Praxis erleben, dass das Gesinde, wenn es den Dienst verlässt, oft nichts mehr bekommt, sondern dass die Herrschaft kaltlächelnd eine Rechnung aufmacht, wonach sie selbst noch etwas zu fordern hat.

(Widerspruch rechts.)

Ich kann Ihnen aus meiner Praxis solche Fälle nennen. In Berlin kommt es jedenfalls vor, und ich habe auch in Glatz während meiner Festungshaft einen derartigen Fall erlebt. In einem hoch vornehmen Hause war ein Dienstmädchen zu einem erbärmlichen Lohn – ich glaube, es waren zehn Mark – beschäftigt und hatte durch ein Versehen wertvolles Geschirr fallen lassen. Die Herrschaft – ich will den Stand, dem sie angehört, nicht näher charakterisieren; es ist ein Stand, der auf Ehre und äußeres Ansehen mehr als ein anderer Stand hält – hat den Schaden dem Mädchen auf Heller und Pfennig am Lohne abgezogen, so dass fast nichts übrigblieb. Man soll gar nicht glauben, dass Fälle dieser Art so selten vorkommen. Es mag ja auf dem Lande Fälle eines patriarchalischen Verhältnisses noch geben, aber im Gros der Fälle, besonders auf den großen Gütern, hat es aufgehört; es besteht hier ein unpersönliches, ja – ich möchte sagen – ein einfaches Sklaverei-Leibeigenschaftsverhältnis.

(Zuruf rechts: „Ganz falsch!")

Sie sagen: Ganz falsch! Meine Ausführungen sind um so richtiger, je mehr Sie sagen, dass sie ganz falsch seien.

Weiter besteht die bedauerliche Bestimmung des Rechts auf die Zurückforderung der Geschenke. Ferner ist für das Gesinde ein Arbeiterschutz überhaupt nicht eingeführt. Es besteht keine Beschränkung der Arbeitszeit, es besteht keinerlei spezielle und kontrollierte Verpflichtung, Vorrichtungen zur Sicherung der Gesundheit zu treffen. Es besteht eine absolut unbegrenzte Arbeitszeit auch für Sonntage usw., und von Ruhezeit ist überhaupt nirgends die Rede. Das Gesinde muss sich gefallen lassen, zu jeder Tag- und Nachtstunde herangeholt zu werden, um jede Arbeit zu verrichten. Das Gesetz kennt schlechterdings gar keine Grenze. Da nun heutzutage das persönliche Verhältnis zu dem Gesinde aufgehört hat, leidet die Herrschaft eben heute auch nicht mehr direkt pekuniär darunter wie früher, wenn es dem Gesinde schlecht geht. Früher hatte die Herrschaft mindestens dasselbe Interesse am Gesinde wie am Vieh; es hatte genau denselben Schaden pekuniärer Art, wenn das Gesinde krank und elend wurde. Das ist heute in Wegfall gekommen. Heutzutage ist das Gesinde weiter nichts als eine Sorte von Arbeitern, die in einem besonders abhängigen Verhältnis steht. Da hat die Herrschaft kein unmittelbares Interesse daran, das Gesinde gesund zu erhalten. Das Gesinde kann ausgebeutet und dann wie eine ausgepresste Zitrone auf das Pflaster geworfen werden. So hat früher wohl eine gewisse Garantie dagegen bestanden, dass das Gesinde allzu sehr ausgebeutet wurde. Heute ist die einzige Garantie das persönliche Wohlwollen und das humanitäre Empfinden der Dienstherrschaft.

Schließlich gibt es allerdings noch eine andere Garantie, eine Schutzwehr für das Gesinde, und diese besteht in der Freizügigkeit, die Sie darum so gern beschneiden möchten, und darin, dass das Gesinde kontraktbrüchig wird, dass es heute unter den gegenwärtigen Verhältnissen leichter die Möglichkeit hat, das Weite zu suchen und anderwärts unterzukommen, als es früher der Fall war. Man soll nicht davon sprechen, dass das Gesinde heute nicht mehr so fleißig ist wie früher. Es tut seine Schuldigkeit genauso wie früher, und die Arbeit ist heute qualifizierter und intensiver als früher. Andererseits lässt sich ja nicht verkennen, dass das Gesinde selbstverständlich infolge der modernen Entwicklung ein freiheitliches Streben und ein größeres Selbstbewusstsein hat und infolgedessen, trotz der vorzüglich eingerichteten Polizei, leichter das Weite sucht und suchen kann, als es früher der Fall war, und anderwärts Beschäftigung suchen kann bei der starken Fluktuation unserer Arbeiterbevölkerung. Meine Herren, das ist die Ihnen so beklagenswerte Erscheinung, gegen die Sie mit aller Gewalt gesetzliche Maßregeln haben möchten. Der Kontraktbruch, der Ihnen als eine der Hauptursachen der ungünstigen Verhältnisse erscheint, unter denen die Landwirtschaft angeblich seufzt, ist von unserem Standpunkt aus nicht eine ungünstige Erscheinung, sondern eine der nützlichsten Erscheinungen, eine der gesundesten Reaktionen gegenüber dem unerträglichen Druck, unter dem das Gesinde infolge unserer gesetzlichen Lage und unserer gesamten rückständigen preußischen Verhältnisse gegenwärtig lebt. Meine Herren, nehmen Sie dem Gesinde die Möglichkeit, gelegentlich zu fliehen, den Kontrakt zu brechen, und Sie stabilisieren die Sklaverei im vollsten Umfange.

Meine Herren, wir haben bereits das Gesetz über die Verletzung der Dienstpflicht des Gesindes. Aber wenn Sie einmal sehen wollen, wie notwendig es ist, dass das Gesinde von seinem Recht, das Weite zu suchen, gelegentlich Gebrauch macht, dann brauchen Sie sich nur die ungemein grausamen Bestimmungen der Gesindeordnung zu vergegenwärtigen über die Voraussetzungen, unter denen das Gesinde berechtigt ist, seinen Dienst aufzugeben. Es heißt da:

Wenn es durch Misshandlung der Herrschaft in Gefahr des Lebens oder der Gesundheit gerät,“

und weiter:

Wenn die Herrschaft dasselbe ohne solche Gefahr, jedoch mit ausschweifender und ungewöhnlicher Härte behandelt hat."

Meine Herren, es genügt also nicht eine Ehrverletzung, eine Beleidigung grober Art; ich kann mein Dienstmädchen Hure schimpfen; ich kann das Dienstmädchen mit einem Stock schlagen, mit einer Peitsche kann ich es schlagen. Ich habe den Fall erlebt, wo ein Dienstherr seinen Knecht mit der Peitsche traktiert hat und die Gerichte erkannt haben, dass der Knecht kein Recht auf Verlassen des Dienstes hatte, weil das keine „ausschweifende und ungewöhnliche Härte der Behandlung" gewesen sei. Ich habe den Fall erlebt, dass ein Mädchen den Rücken voll Striemen hatte, die von Stockschlägen herrührten, die die Herrschaft ihr ausgeteilt hatte; es wurde in einem ärztlichen Gutachten gesagt, dass Lebensgefahr nicht vorhanden sei, und die betreffenden Richter waren der Auffassung, dass eine „Behandlung mit ausschweifender und ungewöhnlicher Härte" nicht vorliege, und so ist denn auch in diesem Falle das Verlassen des Dienstes als ungerechtfertigt angesehen worden.

Meine Herren, derartige Fälle schreien in der Tat zum Himmel, und wenn Sie die oppositionelle Presse häufiger verfolgten, so würden Sie sehen, dass solche Fälle nicht selten vorkommen. Sie wissen, dass wir alljährlich eine ganze Anzahl von Fällen zu registrieren haben, in denen sich die Herrschaft noch weit schlimmerer Exzesse schuldig gemacht hat und angeblich unbotmäßiges Gesinde bei irgendeiner Gelegenheit mit dem Revolver niedergeknallt hat. Wir haben im vergangenen Jahre mehrere solcher Fälle gehabt, die großes Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt und Anlass zu Strafverfahren gegen die Herrschaft gegeben haben.

Meine Herren, es liegt hier eine schroffe Imparität vor, wenn Sie bedenken, unter welchen Voraussetzungen der freie Arbeiter bei Ehrverletzungen usw. seinen Dienst verlassen kann und wie es bei dem Gesinde steht. Sie können auch nicht sagen, dass da das persönliche Verhältnis mitspielt, denn das besteht ja eben nicht mehr.

Das Gesinde ist keineswegs berechtigt, sich gegenüber der Dienstherrschaft dieselben Ausschreitungen zuschulden kommen zu lassen, ohne dass es deshalb entlassen werden könnte. Die Herrschaft muss wie ein rohes Ei behandelt werden, aber sie darf auf dem Gesinde herum prügeln, als ob es überhaupt keine Menschen wären.

(„Na! Na!" rechts.)

Herren und Knechte – das ist die Einteilung der Menschen, wie sie unsere Gesindeordnung vorsieht.

Meine Herren, Sie entsinnen sich, dass im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch eine Bestimmung getroffen ist, wonach das Züchtigungsrecht aufgehoben sein soll, während man im Allgemeinen die Gesindeordnungen weiterhin der einzelstaatlichen Gesetzgebung überlässt. Nun hat man damit ganz offenbar das Ziel verfolgt, das „Züchtigungsrecht" aus der preußischen Gesindeordnung zu beseitigen, denn im Wesentlichen war es gerade die preußische Gesindeordnung, bei der dieser Missstand noch besonders offenkundig zutage trat.

Meine Herren, die Judikatur hat sich in einer außerordentlich bezeichnenden Weise über diese offensichtlich vom Gesetzgeber gewollte Konsequenz hinaus geholfen, indem sie rein formalistisch deduziert hat – und rein formalistisch lässt sich dagegen nichts einwenden –, dass das Allgemeine Landrecht ein eigentliches „Züchtigungsrecht" gar nicht vorsieht, sondern nur eine prozessuale Bestimmung über die Voraussetzung der Strafverfolgung von Beleidigungen und leichten Körperverletzungen des Gesindes durch die Dienstherrschaft. Dass die Reichsgesetzgebung selbstverständlich auch das mit beseitigen wollte und nicht solche formalistischen Distinktionen gewünscht hat, wie sie von der preußischen Judikatur bedauerlicherweise gemacht sind, darüber dürfte kein Zweifel obwalten.

Nun, meine Herren, das Gesetz über die Bestrafung des Kontraktbruchs der ländlichen Arbeiter und des Gesindes vom Jahre 1854, das durchaus den Geist der Gegenrevolution und auch des Vormärz atmet, ist in der Tat ein Gesetz, das in unsere moderne Zeit ebenso wenig hineinpasst wie die Gesindeordnung mit ihrem etwa hundertjährigen Alter. Wenn dort vorgesehen ist, dass das Gesinde bei ungerechtfertigtem Verlassen des Dienstes bestraft werden kann, so ist das eine Benachteiligung des Gesindes gegenüber den freien Arbeitern, bei denen es eine solche Bestrafung nicht gibt, eine Benachteiligung, gegen die wir uns auf das lebhafteste wenden müssen. Wenn da weiter vorgesehen ist, dass der kontraktbrüchige Knecht oder die kontraktbrüchige Dienstmagd zwangsweise durch die Polizei zurückgeführt werden kann, wenn sie zu Unrecht entlaufen sind, dann sehen Sie, dass wir in der Tat das Wort von der Sklaverei, von einem Rückstände aus der Periode der Sklaverei hier mit einem größeren Rechte anwenden können als bei irgend anderen Gebieten unserer gegenwärtigen Zustände. Meine Herren, es ist ein wahrer Segen, dass diese gesetzlichen Bestimmungen für das Gros der Fälle doch nur ein Schlag ins Wasser bleiben. Die Verhältnisse sind eben mächtiger als solche gesetzlichen Bestimmungen; die Verhältnisse haben dafür gesorgt, dass das Gesinde in einen – wenn ich mich so ausdrücken soll – in Ihrem Sinne so rebellischen Geist geraten ist, dass die Zahl der Kontraktbrüchigen so groß wird, die Möglichkeit, anderwärts sich unterzubringen, so verhältnismäßig günstig, dass es Ihnen mit allem Aufgebot des preußischen Polizeistaates nicht gelingen wird, auch unter Ausnutzung dieses Gesetzes über die Dienstpflichten des Gesindes vom Jahre 1854, diese Kontraktbrüche zu beseitigen. So helfen sich schließlich die Verhältnisse selbst über alle diese Arten von gesetzlichen Bestimmungen hinaus; Sie werden nicht in der Lage sein – und gerade an diesem Beispiele können Sie es ermessen –, durch Zwangsgesetzgebung dem Fortschritte der Zeit zu steuern.

Meine Herren, es ist nicht zu verkennen, dass die Härten, die diese Gesindegesetze mit sich bringen, allenthalben eine außerordentliche Erregung und Missstimmung in den fortgeschritteneren Kreisen der Bevölkerung hervorgerufen haben. Es ist auf das lebhafteste zu begrüßen, wir besonders begrüßen es auf das Lebhafteste, dass das Gesinde gegenwärtig im Begriff ist und bereits einen energischen Anfang gemacht hat, sich auf sich selbst zu besinnen, klassenbewusst zu werden und eine Organisation zu begründen. Wir begrüßen auch das Bestehen eines Dienstbotenorgans, das sich ernsthaft der Interessen der Dienstboten annimmt, und alle Versuche, durch Ausnutzung religiöser Stimmungen die Sklaverei aufrechtzuerhalten und das Eindringen des modernen Geistes in diese Schichten der Gesellschaft zu verhindern, müssen unbedingt misslingen. Mit schwarzen Kutten kann man heutzutage gegen derartige notwendige Erscheinungen der modernen Entwicklung nicht mehr ankommen. Es ist für uns eine sehr erfreuliche Erscheinung, meine Herren, dass überall sich auch innerhalb der Dienstbotenschaft dieser Geist des Selbstbewusstseins, dieser Geist der „Rebellion", meine Herren, wenn ich das Wort in Ihrem Polizeisinne gebrauchen soll, regt. Und, meine Herren, trotz Preußen wird dieser Geist der neuen Zeit auch dafür sorgen, dass schließlich die Gesindeordnung abgeschafft wird und alle die bedauerlichen und depravierenden Sondergesetzgebungen gegen das Gesinde und die ländlichen Arbeiter endlich den Todesstoß versetzt bekommen.

Meine Herren, wir haben gerade in den letzten Tagen wiederholt Gelegenheit gehabt, die Rolle, die Preußen in der deutschen Gesetzgebung spielt, zu charakterisieren. Wir sprachen von der Plakatgesetzgebung. Preußen war es, das verhindert hatte, dass die Plakatgesetzgebung reichsgesetzlich geregelt wurde; die clausula salvatoria ist Preußen zu verdanken. Wir sprachen von der Regelung des Vagabundenwesens. Preußens Widerstand im Wesentlichen ist es zu verdanken, dass das Vagabundenwesen bei Gelegenheit der Regelung der Freizügigkeit nicht geregelt ist, dass die bekannte clausula salvatoria in das Freizügigkeitsgesetz hineingesetzt worden ist. Meine Herren, Sie entsinnen sich, wie Preußens Widerstand gegen das Vereinsgesetz und eine freiheitlichere Regelung des Vereinsrechts dazu geführt hat, dass unser neues Vereinsgesetz in seinen grundlegenden Bestimmungen Besserungen gegen früher nicht enthält, sondern wesentliche Verschlechterungen, während man nur den süddeutschen Staaten, den anderen deutschen Bundesstaaten die Möglichkeit hat offenlassen müssen, ihrerseits freiheitlichere Bestimmungen zu treffen. Preußens Widerstand hat auch hier dafür gesorgt, dass eine freiheitlichere Reichsgesetzgebung unmöglich gemacht wurde. Ebenso war es Preußen, das es verhindert hat, dass bei Gelegenheit der Regelung des bürgerlichen Rechts das Gesinderecht nicht einbegriffen wurde. Preußen ist die Ursache für die Ausscheidung des Gesinderechts aus dem Bürgerlichen Gesetzbuche.

Das ist die Rolle Preußens im Deutschen Reich. Preußen ist der Hemmschuh in der Entwicklung des Deutschen Reichs, nicht das fort treibende Element. Die preußische Reaktion ist die Kugel an den Beinen des deutschen Volkes. Solange nicht die preußische Reaktion und die Reaktion, die speziell hier in diesem Hause ihren Sitz hat, ein Ende haben werden, solange haben wir keine Hoffnung, dass es besser werden wird.

Meine Herren, die Stellung zur Gesindeordnung gibt Ihnen wiederum die beste Gelegenheit zu zeigen, von welchem Geiste Sie beseelt sind. Wenn Sie nicht nur die Gesindeordnung, wie sie heute besteht, und das Gesinderecht aufrechterhalten, sondern am Ende außerdem noch, wie das verschiedentlich gefordert wird, einer Verschlechterung, einer Rückwärtsrevidierung des Gesinderechts etwa das Wort reden wollen, dann bleiben Sie nur allerdings Ihrer Tradition getreu, aber Sie stellen sich damit in Bezug auf Ihre Fähigkeit, die Bedürfnisse der Zeit zu erkennen und dementsprechend Ihre Pflicht zu erfüllen, das denkbar schlechteste Zeugnis aus.

Meine Herren, die Gesindeordnung muss beseitigt werden, und dieses Gesindesonderrecht muss als eines der gröblichsten Unrechte und als ein Schandfleck der preußischen Gesetzgebung mit möglichster Geschwindigkeit beseitigt werden. Meine Herren, wir fordern das, das Volk fordert das. Wir fordern Sie auf: Tun Sie Ihre Pflicht in dieser Richtung, um den Parias der Gesellschaft zu menschenwürdigen Zuständen zu verhelfen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Zwei Worte, meine Herren! Dass wir uns gegen die Petition, die von dem Herrn Abgeordneten Berndt des Näheren vertreten worden ist, energisch wenden, bedarf keiner näheren Hervorhebung.1 Wir sind der Ansicht, dass die Missstände ganz woanders liegen als beim Gesinde, dass die Missstände vor allen Dingen im Gesindevermittlungswesen liegen, das energisch einer Abhilfe bedarf und dessen reichsgesetzliche Regelung nicht lange mehr wird unterbleiben können. Im Übrigen haben wir den Antrag gestellt, die andern Petitionen, die eine Aufhebung des Gesindesonderrechts und eine Neuregelung nach modernen Grundsätzen fordern, der Regierung zur Berücksichtigung anstatt als Material zu überweisen.

Meine Herren, die Versuche, meine Darlegungen zu entkräften, sind meiner Ansicht nach vollkommen fehlgeschlagen. Wenn von einem oder dem andern der Herren Vorredner darauf hingewiesen worden ist, dass sich die kleinen Bauern in der Tat oftmals in einer Zwangslage befinden, auch infolge der Leutenot, infolge des Gesindemangels, so habe ich nicht einen Augenblick Bedenken getragen, das von vornherein in meinen Ausführungen hervorzuheben. Wir wissen, meine Herren, dass der kleine Bauernstand heutzutage sehr schwer zu leiden hat, und wir haben in unseren Publikationen stets darauf hingewiesen und Vorschläge gemacht, wie dem kleinen Bauernstand nach unserer Auffassung besser zu helfen ist als durch eine agrarische Gesetzgebung, die nur dem Großgrundbesitzer, aber nicht dem Kleinbauern nützen kann.

Wenn man gemeint hat, dass ich ohne Sachkunde, gewissermaßen vom grünen Tisch aus spräche, so ist man im Irrtum. Ich bin durch die Gunst des Sozialistengesetzes zehn Jahre meines Lebens auf das Land hinausgetrieben worden und habe alle landwirtschaftlichen Arbeiten, die man überhaupt machen kann, bei dieser Gelegenheit mitgemacht und das bäuerliche und ländliche Leben aus der größten Nähe und lebendigsten Anschauung kennengelernt. Außerdem gibt mir mein Beruf häufig Gelegenheit, den tiefsten Einblick in das soziale Elend des Gesindes in Stadt und Land zu tun. Ich habe auch häufig genug Gelegenheit bei meinen Reisen auf das Land, diese Dinge persönlich kennenzulernen. Ich spreche also nicht vom grünen Tisch aus, sondern aus der Erfahrung des Lebens heraus, ebenso gut wie die andern Herren. Ich glaube, die Herren, die vor mir gesprochen haben, unterscheiden sich vielmehr dadurch von mir, dass ihre Erfahrung begrenzt ist und deshalb an Allgemeingültigkeit mehr zu wünschen übriglässt als das, was ich ausgeführt habe. Ich bin natürlich nicht in der Lage, Ihnen gegenwärtig eine ganze Anzahl von Fällen spezieller Art aus dem Ärmel zu schütteln. Ich habe vorhin einen Fall angedeutet. Ich habe des weiteren davon gesprochen, dass mir aus meinem Wahlkreise Potsdam-Osthavelland Fälle bekannt sind, wo das Gesinde in Wohnungen hat wohnen müssen, wo die Fenster im Winter mit Stroh und Lumpen zugestopft worden sind. Ich kann weiter darauf hinweisen, dass ich vor ganz kurzer Zeit in Potsdam eine Gerichtsverhandlung gehabt habe, wo es sich ebenfalls um Gesindeangelegenheiten handelte, wo das Gericht sogar Gelegenheit nahm, deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass es die bisherigen Zustände als unerträglich betrachte. Es war durch das Gesetz dem Dienstherrn die Möglichkeit gegeben, einem Dienstboten, den er nicht entlassen wollte, der aber fort wollte und wohl Grund hatte fortzugehen, die Sachen zurückzubehalten, so dass das Mädchen ohne jede Kleidung draußen war.

(„Ach!" rechts. „Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich bitte, hören Sie zu, was ich Ihnen sage. Die Polizei hat versucht, in das Privatdienstverhältnis einzugreifen. Der Amtsvorsteher hat mit Rücksicht auf die Besorgnis, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung eintreten könnte, weil das Mädchen nackt und bloß herausgeworfen war, den Gendarmen hingeschickt, um die Sachen gewaltsam von dem Dienstherrn wegzunehmen. Das war eine gute Regung des Amtsvorstehers, die ich durchaus anerkannt habe, aber trotz alledem war dieses Eingreifen des Amtsvorstehers und des Gendarmen ungesetzlich, weil es sich um eine Privatangelegenheit handelte. Das Kammergericht hat glatt anerkannt, dass der Widerstand, den der Dienstherr gegen den Gendarmen geleistet hat, kein Widerstand gegen die Staatsgewalt gewesen sei. Das Gericht hat sich bemüht, unter Widerspruch gegen die Judikatur des Kammergerichts, sein Missfallen über diese Art der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck zu bringen. Es ist gescheitert an der tatsächlichen Rechtslage.

Solche Fälle sind mir wiederholt vorgekommen. Ich kann dem Herrn Abgeordneten von Oertzen die Akten aus meinem Büro vorlegen, bin auch gern bereit, ihm persönlich näheres Material zu geben über Fälle von Vermietungen von Berliner Gesinde mit besonders bedauerlichen Folgen für das Gesinde, Fälle von Auspeitschungen, von brutaler Behandlung des Gesindes. Das sind Fälle, die durch meine Hand gegangen und zweifelsfrei durch die Gerichte bestätigt worden sind; es sind keine Phantasiegebilde. Es ist sehr schwer, die einzelnen Fälle stets namhaft zu machen. Sie müssen aus eigener Anschauung wissen, wie die in solcher Lage befindlichen Personen heimlich zu unsereinem geschlichen kommen, heimlich, weil sie wissen, dass, wenn es bekannt wird, sie sofort die unangenehmsten Folgen bei ihren Arbeitgebern haben, und wir meinen, dass man nur mit der allergrößten Vorsicht die Mitteilungen dieser betreffenden Personen verwerten und ihre Namen der Öffentlichkeit preisgeben kann.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Sie wollen fordern, dass man in solchen Fällen einen derartigen Vertrauensbruch begeht?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Abgeordneten von Oertzen haben hier, wie ja schon vielfach sonst stets dadurch sympathisch berührt, dass aus diesen Ausführungen hervorging, dass der Abgeordnete von Oertzen persönlich sicherlich ein außerordentlich human und menschenfreundlich gesinnter Mann ist; er spricht stets mit dem Herzen. Das ist das außerordentlich Erfreuliche an ihm, und das ist in gewissem Sinne das Versöhnende gegenüber den außerordentlich rückständigen politischen und sozialen Anschauungen, die er hier vertritt.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.)

Es ist für uns Sozialdemokraten jedoch unmöglich, so sehr wir diese persönlichen Eigenschaften anerkennen, um deswillen in irgendeiner Weise unsere Kritik einzuschränken.

Meine Herren, besonders charakteristisch ist diese Rückständigkeit der Auffassungen des Herrn Abgeordneten von Oertzen zutage getreten in seiner Charakteristik des organisierten Gesindes als des schlechten Gesindes. Das ist ja eine solche mittelalterliche und unglaubliche Auffassung! Ich muss es als eine grobe Beleidigung dieser organisierten Dienstboten auf das Schärfste zurückweisen, und ich bin der Ansicht, dass trotz des sicherlich guten Glaubens, mit dem hier diese Behauptung aufgestellt worden ist, diese Behauptung das böseste Blut unter dem Gesinde, und zwar mit Recht, erregen wird. Es unterliegt keinem Zweifel, dass gerade diejenigen sich organisieren, die am meisten Selbstgefühl und Ehrgefühl besitzen. Es sind nach unsrer Ansicht die besten Elemente, die sich in diesen Organisationen zusammenschließen, und nicht die schlechtesten.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, das Gesinde braucht die Organisation, es braucht das Streikrecht, und es wird sich dieses Recht erkämpfen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

III

Die moralische Verpflichtung, die der Abgeordnete Kreth mir hat aufbürden wollen, hier Arbeiter zu denunzieren, kann ich selbstverständlich nicht anerkennen. Im Übrigen habe ich mich bereit erklärt, dasjenige Material, was ich aktenmäßig darüber zur Verfügung habe, dem Abgeordneten von Oertzen, der vorhin darum bat, zur Verfügung zu stellen. Es bedarf also absolut nicht einer derartigen Herausforderung, wie sie von Herrn Kreth vom Stapel gelassen ist.

Im Übrigen behaupte ich, dass Ihnen Fälle der Art, wie ich sie vorgebracht habe, aus persönlicher Anschauung bekannt sind, so gut bekannt, dass es in der Tat Eulen nach Athen tragen hieße, wenn ich Ihnen derartige Fälle auseinandersetzen wollte. Sie verteidigen eine Position, von der Sie die stille Hoffnung haben, dass wir sie nicht kennen. Aber es ist Ihnen unangenehm, dass wir sie doch kennen.

Wenn Herr von Kreth darauf hingewiesen hat –

(Zuruf rechts.)

man ist ja erstaunt darüber, wenn einer bei Ihnen nicht den Titel „von" trägt –

(Zuruf rechts: „Den Witz haben wir schön gehört!")

das ist kein Witz von mir –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher: Meine Herren, eine Privatunterhaltung können wir hier doch nicht führen.

Liebknecht: Wenn von Ihnen Gewicht darauf gelegt ist, dass die organisierten Arbeiter nach Ihrer Auffassung minderwertig seien, und wenn der Abgeordnete Kreth von Neuem das unterstrichen hat, so anerkenne ich vollkommen, dass diese seine Anschauung durchaus homogen ist und einig geht mit der Grundanschauung, die hier vielfach im Hause vertreten worden ist, nach welcher die dümmsten Arbeiter mindestens auf dem Lande die besten sind.

Im Übrigen glaube ich zu der Argumentation der Herren Gegner meiner Ausführungen sagen zu können: wehe Euch, wenn Ihr nichts besseres wisst!

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Der Zentrumsabgeordnete Berndt beantragte, dass das Gesinde künftig bei Stellenwechsel polizeilich beglaubigte Entlassungsscheine der letzten Beschäftigungsstelle vorzulegen habe – also Beschränkung der Freizügigkeit. Die Red.

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