Karl Liebknecht‎ > ‎1910‎ > ‎

Karl Liebknecht 19100606 Zur Entschädigung der Opfer von Polizeigewalt

Karl Liebknecht: Zur Entschädigung der Opfer von Polizeigewalt

Rede gegen eine Petition der Stadtverwaltung Breslau

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1910, 5. Bd., Berlin 1910, Sp. 6608 f.]

Vizepräsident Dr. Krause (Königsberg): Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Dr. Liebknecht, Abgeordneter (Soz.-Dem.): Meine Herren, es ist nicht gerade sehr erfreulich, dass die Stadtverwaltung Breslau den Fall Biewald zum Anlass genommen hat, um einen Antrag zu stellen, wie er in der Petition formuliert ist. Wir können diesem Antrage unsere Zustimmung durchaus nicht geben und werden infolgedessen für den Kommissionsantrag stimmen. Allerdings weiche ich in Bezug auf die Gründe wesentlich ab von den beiden Herren Vorrednern.

Wenn der Herr Vorredner speziell von einem Privileg gesprochen hat, das einzelnen Gemeinden dadurch zukomme, dass dort die Polizeiverwaltung königlich eingerichtet sei, so darf ich das wohl als ein Privilegium odiosum bezeichnen. Ich weiß von einer ganzen Zahl von Gemeinden, dass sie lieber heute als morgen die königliche Polizei los werden möchten. Im Großen und Ganzen ist die königliche Polizei eine Maßregel, die den Gemeinden enge Fesseln anlegt und in ihrem eigenen Hause das Leben sauer macht und ihre Bewegungsfreiheit beschränkt.

Meine Herren, wir halten zwar dieses Gesetz für sehr reformbedürftig, können aber dennoch dem Antrage bei Herren Abgeordneten Ecker (Winsen) und Genossen nicht beistimmen. Reformbedürftig ist dasselbe nach verschiedenen Richtungen hin, und in diesen Richtungen bewegen sich ja auch zum Teil die Ausführungen der Herren Antragsteller Ecker (Winsen) und Genossen. Meine Herren, das Gesetz ist erlassen worden als ein konterrevolutionäres Gesetz. Es gehört mit zu den alten Stücken aus der Rumpelkammer der Konterrevolution, von denen wir ja in der letzten Zeit eine ganze Anzahl haben Revue passieren lassen; es ist ein Gesetz, das unzweideutig einerseits dem Grundgedanken dient, eine Repression gegen die Gemeinden zu üben, andererseits eine ausgesprochene Städtefeindlichkeit zeigt. Das Gesetz ist also zweifellos ein Produkt einer bösartigen Reaktion, und dennoch hat es eine nützliche Folge und ein Resultat, mit dem wir im all gemeinen der Grundtendenz nach einverstanden sein können.

Meine Herren, es ist selbstverständlich richtig, dass an und für sich wir nicht der Auffassung sind, als ob die Gemeinden diejenigen wären, die regresspflichtig gemacht werden müssten. besonders trifft es durchaus zu, dass eine Inanspruchnahme der Gemeinden in den Fällen als besonders unbillig erscheint, wo die Polizei königlich ist. Es ist ganz zweifellos, dass der Stadtverwaltung dort die Möglichkeit, über die Maßnahmen der Polizeiorgane zu wachen, durchaus genommen ist, und dass gerade in den ernstesten Fällen, bei denen das Gesetz von 1850 in Betracht kommen kann, die Stadtverwaltung völlig wehr- und hilflos den Maßnahmen der königlichen Polizei gegenübersteht. Es wäre daher sicherlich im höchsten Maße wünschenswert, wenn aus diesem Grunde und überhaupt im Allgemeinen, weil wir meinen, dass solche allgemeinen Sachen nicht von der Gemeinde getragen werden sollen, sondern von einem möglichst großen Umkreis, das Gesetz von 1850 eine Abänderung dahin erfahren würde, dass die Ersatzpflicht nicht der Gemeinde, sondern dem Staat zufällt. Dann würden meiner Ansicht nach all die Bedenken wegfallen, die gegenwärtig zum Teil von nationalliberaler Seite gegen die bisherige Fassung des Gesetzes geltend gemacht sind. Aber leider enthält die Fassung der Petition der Stadt Breslau durchaus diesen Gedanken nicht, sondern sie geht dahin, die Haftbarkeit der Gemeinden aus dem Tumultgesetz für die Stadtgemeinden, in denen die Polizei staatlich ist, aufzuheben, und die Haftbarkeit der Gemeinden jedenfalls überall da nicht eintreten zu lassen, wo der Schaden durch schuldhaftes Verhalten der staatlichen Polizeibehörden verursacht ist.

Meine Herren, hier ist nur der Antrag gestellt, eine Lücke zu schaffen, nicht aber gleichzeitig angeregt, wie diese Lücke auszufüllen ist. Wenn die Petition dahin gehen würde, an Stelle der RegresspfIicht der Gemeinden die des Staates zu setzen,so würden wir sie für korrekt halten, ihr ohne weiteres zustimmen, und dem Kommissionsantrag widersprechen, eine solche Petition würden wir der Regierung als Material überweisen können. Aber eine Petition in der Fassung, wie ich sie eben kurz rekapituliert habe, können wir der Regierung nicht als Material üherweisen. Das Wesentliche und Nützliche des Gesetzes ist gerade, nicht nur dass ein leistungsfähiger Schuldner geschaffen wird, sondern dass ohne lange Nachprüfung des Verschuldens irgendeiner bestimmten Person eine Ersatzpflicht statuiert ist. Wenn man sich an den einzelnen Polizeibeamten, der über die Grenze seiner Befugnis hinausgeht, zu haften hat – denken Sie an den Breslauer Fall –, wohin soll man kommen? Erstens findet man ihn nicht, und zweitens, ehe es gelingt, nachzuweisen, ob der Beamte seine Befugnis überschritten hat, kann man bereits unter dem Rasen liegen und vermodert und verfault sein. Da ist es sicher das Wertvollste, dass man im Gesetz eine unbedingte Haftung statuiert und langen Erörterungen über die Ursache des Schadens aus dem Wege geht. Weil wir diesen Grundgedanken des Gesetzes für gut halten, wenn wir auch mit der augenblicklichen Regelung der ersatzpflichtigen öffentlichen Körperschaft nicht einverstanden sind, so sind wir geneigt, dem Kommissionsantrag zuzustimmen und damit zum Ausdruck zu bringen, dass die Richtung, in der die Petition eine Änderung der bisherigen Gesetzeslage herbeizuführen sucht, uns durchaus nicht die richtige zu sein scheint; im Gegenteil, dass der von der Petition angegriffene Grundgedanke gerade der richtige ist, und dass die Mängel des Gesetzes auf einem ganz anderen Gebiet liegen, das wohl bei besserer Gelegenheit einmal erörtert werden kann.

(„Bravo!“ bei den Sozialdemokraten)

Kommentare