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Karl Liebknecht 19110405 Gegen die Halbsklaverei der Dienstboten

Karl Liebknecht: Gegen die Halbsklaverei der Dienstboten

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zu zwei Petitionen um Abänderung der preußischen Gesindeordnung

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 4. Bd., Berlin 1911, Sp. 5462–5464 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 332-335]

Meine Herren, wir haben im vergangenen Jahre ausführlich über einen von uns gestellten Antrag zu dieser Frage verhandelt und auch vorgeschlagen, hierauf bezügliche Petitionen der Staatsregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.

Meine Herren, es kann nicht dem geringsten Zweifel begegnen, dass die rein juristische Lage unserer Dienstboten durchaus unmodern ist, eine durchaus inhumane, unmenschliche ist. Es ist eine Halbsklaverei, in der sich die Dienstboten befinden. Die jetzt mehr als hundertjährige Gesindeordnung ist ein Überrest aus patriarchalisch-feudaler Zeit. Es ist keine Art, dass man erwachsenen Menschen ein Gesindebuch in die Hand zwingt und dass sie sich ohne das vorschriftsmäßig geführte Gesindebuch nicht irgendwo frei bewegen können. Das ist eine Halbsklaverei. Es ist keine Art, Menschen abhängig zu machen von der Willkür ihrer Mitmenschen, indem man dem Arbeitgeber, dem Dienstherrn, das Recht gibt, seine persönlichen Empfindungen über den Arbeiter in der Form der Zeugnisse niederzulegen und so schwarz auf weiß die Übermächtigkeit und Willkürmacht des Arbeitgebers über den Arbeiter in einer Drastik zum Ausdruck zu bringen, wie das in keinem anderen Arbeitsverhältnisse möglich ist. Überall sonst haben wir die Bestimmung, dass es im Belieben des Arbeiters liegt, ob er ein Zeugnis haben will, das sich nur bezieht auf die Art und Dauer der Beschäftigung, oder ob er auch ein Zeugnis haben will über Führung und Leistungen. Dergleichen gibt es für das Gesinde nicht; es muss sich von jedem launenhaften Dienstherrn sein Urteil in das Dienstbuch hineinschreiben lassen. Während der Arbeiter auch insofern von dem Zeugnis nicht so abhängig ist wie das Gesinde, als er die Zeugnisse einfach preisgeben kann, als er von einem Beruf zum andern hinüber springen kann und auch nicht so sehr nach Zeugnissen gefragt wird, muss das Gesinde das Buch stets bei sich führen, muss es überall dieses Zeichen seiner Sklaverei präsentieren und dafür sorgen, dass es schön in Ordnung gehalten wird.

Auch abgesehen davon entspricht die juristische Lage der Dienstboten durchaus nicht den modernen Anschauungen. Ich erinnere daran, wie für das Gesinde ein Arbeitszwang besteht, wie eine Bestrafung von Kontraktbruch beim Gesinde ebenso wie bei den ländlichen Arbeitern besonders durch das Gesetz von 1854 eingeführt ist; ich erinnere daran, dass, den allgemeinen Prinzipien des Bürgerlichen Gesetzbuches widersprechend, noch ein Kompensationsrecht gegenüber dem Lohn des Gesindes erhalten ist; ich erinnere daran, wie es Beschränkungen in Bezug auf die Arbeitszeit des Gesindes überhaupt nicht gibt, wie es an Vorschriften über die Wohnung des Gesindes und dergleichen fehlt, wie wir bisher nicht einmal eine gesetzliche Krankenversicherung für das Gesinde kennen.

Meine Herren, ich meine, dass alle diese sozialen Zurücksetzungen der Dienstboten die natürliche Konsequenz haben müssen, dass in der heutigen Zeit, die die Gebundenheit der Lebensanschauungen früherer Jahrhunderte abgestreift hat, die Bevölkerung von dem Dienstbotenberufe zurückgestoßen wird. Es gibt keinen Beruf, in dem ein Mensch derartig abhängig gemacht wird von allen möglichen launenhaften Regungen des andern, wie das gerade im Gesindeberufe der Fall ist. Der Dienstbote lebt ja Tag für Tag und Nacht für Nacht zusammen gekettet mit seinem Arbeitgeber, seiner Dienstherrschaft. Bald ist es die gnädige Frau, bald der gnädige Herr, bald sind es die Kinder, bald sind es alle zusammen, deren Launen den Dienstboten so oft das Leben schwer machen.

Meine Herren, es bestehen auch ernste Missstände bei der Vermittlung der Dienstboten. Gewissen Missständen ist allerdings ein Riegel vorgeschoben worden, besonders einer allzu weiten Ausbeutung der Dienstboten durch die gewerbsmäßigen Vermittler. Aber trotz alledem: Durch allerhand Hintertürchen wissen sich auch die Vermittler von den Dienstboten noch gegenwärtig zuweilen manche bedenklichen Vorteile zu sichern. Wir haben andererseits die Erscheinung zu verzeichnen, besonders in Berlin, dass infolge der neuen Bestimmungen über die Vermittlergebühren eine große Anzahl von Vermittlern ihre Tätigkeit eingestellt hat, weil sie meinen, dass sie nach den neueren Bestimmungen nicht mehr auskommen könnten. Das hat wiederum – wenigstens vorübergehend – gewisse Gefahren für die Dienstboten, weil ihnen dadurch – beim ungenügenden Ausbau der städtischen Vermittlung – die Stellensuche erschwert worden ist.

Alle diese Tatsachen und insbesondere die Tatsache, die als eine besonders brennende Schmach bezeichnet werden muss, dass nach der Gesindeordnung von 1810, die insoweit durch das Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch nach der bedauerlichen kammergerichtlichen Judikatur nicht abgeändert ist, Misshandlungen – außer den allergröbsten – und Beleidigungen von Dienstboten überhaupt nicht verfolgt werden können, so dass geradezu ein Züchtigungs- und Beleidigungsrecht für die Herrschaft aufrechterhalten worden ist, machen es selbstverständlich, dass die Dienstbotenfrage in der heutigen Zeit immer aktueller geworden ist.

In urwüchsiger Weise hat sich schließlich angesichts dieser exzeptionell ungünstigen Stellung der Dienstboten die Bevölkerung selbst geholfen. Meine Herren, ich will heute hier nicht von der Dienstbotenorganisation sprechen, die wir lebhaft begrüßen, wenn ihre Einrichtung auch viel zu wünschen übriglässt. Aber es ist nicht möglich, einen Beruf auf die Dauer so ausnahmegesetzlich zu behandeln, wie man den Dienstbotenberuf behandelt. Das führt, da es genug Gelegenheiten gibt, zu anderen Berufen überzugehen, notwendig zu der Konsequenz, dass sich die Bevölkerung mehr und mehr überhaupt vom Dienstbotenberufe abwendet. Nicht trotz der Gesindeordnung leiden wir – im Sinne der „Herrschaften" – gegenwärtig an einer „Dienstbotennot", sondern wegen der Gesindeordnung. Wegen dieser ungemein ungünstigen, ausnahmegesetzlichen Behandlung ist das Gesinde – dessen Beruf schon in einer unwürdigen Weise bei uns bezeichnet zu werden pflegt –, sind die Dienstboten heute so außerordentlich selten, so dass es oftmals tatsächlich ungemein schwerfällt, die notwendigsten, unentbehrlichsten Dienstboten zu bekommen.

Meine Herren, wir haben einen Antrag gestellt, der sich speziell mit der Frage, die diese Petitionen berühren, befasst. Dieser Antrag wird hoffentlich noch in dieser Session des Abgeordnetenhauses zur Beratung gelangen; dann wird auch zu erörtern sein die ungemeine Vielgestaltigkeit der Gesindeordnungen in Preußen und insbesondere die Unwürdigkeit des Gesetzes vom Jahre 1854.

Meine Herren, da wir aber heute nicht in der Lage sind, uns eingehend auf die Einzelheiten der hier in Betracht kommenden Frage einzulassen, so beantragen wir, wenigstens diese Petitionen, die uns hier vorliegen, nicht nur als Material, sondern zur Berücksichtigung zu überweisen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich bitte Sie, dem Ernst der hier vorliegenden Frage dadurch gerecht zu werden, dass Sie, unserm Antrage entsprechend, die Petitionen zur Berücksichtigung überweisen.1

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Der sozialdemokratische Antrag wurde abgelehnt. Die Red.

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