Karl Liebknecht‎ > ‎1911‎ > ‎

Karl Liebknecht 19110813 Marokko und die Arbeiterklasse

Karl Liebknecht: Marokko und die Arbeiterklasse

(Zeitungsbericht über eine Rede in Göppingen)

[Freie Volkszeitung (Göppingen), Nr. 187f., 14. und 15. August 1911. Der Artikel erschien unter dem Titel: Die Demonstration für den Völkerfrieden]

Die gestrige Demonstration für den Weltfrieden gestaltete sich zu einer Kundgebung von einem Umfang und einer Wucht, wie sie Göppingen noch nie gesehen hat. Scharen und Scharen strömten von 1 Uhr ab in den Schockenseegarten und auf die Wiesen. Nicht nur die Göppinger Arbeiterschaft war massenhaft erschienen, aus den näheren und ferneren Seitentälern und Berghöhen kamen Arbeiter und Arbeiterinnen herangezogen. Die Masse – Männer und Frauen – füllte den Garten, sie stand trotz unbarmherzig herab glühender Sonne Kopf an Kopf gedrängt auf der unbeschatteten Wiese bis an den See hinunter. Die Massen werden auf über 5.000 geschätzt. Es demonstrierte aber nicht nur das Proletariat. Die Staatsgewalt demonstrierte mit, zwar nicht in Gestalt eines Oberstaatsanwalts, nach dem die „Reichspost“ getobt hatte, aber ein Polizeiassistent und der oder jene Geheime „überwachten“ diesmal die Versammlung.

Zwanzig Minuten nach 2 Uhr eröffnete der Vorsitzende die Versammlung. Allen von Ihnen wird es bekannt sein, führte er aus, dass gegenwärtig durch alle Städte und Gaue ein Kriegssturm weht. Wir sind heute zusammengekommen, um gegen den Krieg, den Menschenmord, gegen den Imperialismus energisch Protest zu erheben. (Beifall.)

Wir wissen, dass in jedem Jahr von allen Kanzeln der ganzen Kulturwelt die Worte fallen: Friede auf Erden wollen wir schaffen! Und deshalb protestieren wir heute mit aller Macht gegen die Machinationen unserer Regierung und gegen die herrschende Klasse, die Urheber der Kriegshetze! (Beifall.)

Sodann erteilte der Vorsitzende das Wort an Dr. Karl Liebknecht, der bei seinem Erscheinen stürmisch von der Versammlung begrüßt wurde, zum Thema:

Marokko und die Arbeiterklasse.

Dr. Liebknecht führte aus:

Parteigenossen und Genossinnen!

Wenn wir sagen „Friede auf Erden!“, so meinen wir dies anders als jene Pfaffen, die das in scheinheiliger Weise von der Kanzel herab zu predigen pflegen. Wir sind keine Partei des Friedens in dem Sinne, dass wir wünschten, dass die ganze Menschheit im jetzigen Zustande aus lauter friedlichen Kaffeeschwestern bestünde, die zusammen sitzen, Kaffee trinken und Kuchen dazu essen. Wir wissen vielmehr, dass es in unserer Zeit kein Heil gibt außer im Kampfe. Für uns ist die Parole in der Tat „Kampf auf Erden!“ – nicht: Friede auf Erden! (Sehr richtig.) Der Kampf aber, den wir führen wollen, der soll sein und der ist ein Kampf zum Nutzen der Gesamtheit; es ist ein Kampf um die Befreiung der Menschheit aus den Ketten kapitalistischer Ausbeutung und aus den Fesseln politischer Unterdrückung.

Dieser Kampf wird nur von unserer Partei gekämpft und er wird geführt nach verschiedenen Richtungen hin. Wir kämpfen bei den verschiedenen Gelegenheiten gegen die verschiedenen Auswüchse unserer heutigen Gesellschaftsordnung. Einer dieser Auswüchse ist die Kolonialpolitik, der Imperialismus unserer heutigen Zeit. Er ist gewiss eines der charakteristischsten und wichtigsten Merkmale unserer Zeit, dieser Imperialismus.

Es ist nicht von ungefähr, nicht durch den Willen irgend eines leichtsinnigen, bornierten einzelnen Menschen so geworden, dass unsere heutige Gesellschaft durch den Mælstrom des Militarismus, in den Mælstrom des Imperialismus und des Marinismus hineingetrieben worden ist, und dass heute Weltpolitik die Parole für die Politik aller unserer kapitalistischen Staaten ist. Das ist eine Wirkung des kapitalistischen Charakters unserer Gesellschaftsordnung.

Der Kapitalismus hat die Eigentümlichkeit an sich – und das zeichnet sein Wesen aus –, dass er die Mittel, die zum Erwerben von Gütern dienen, in die Hand einiger weniger Personen einer kleinen Klasse der Gesellschaft spielt, die sich dadurch die Macht über die große Masse der Bevölkerung an sich gerissen haben, dass in die Hand dieser Personen auch der Hauptertrag und der Nutzen aller Arbeit, die auf Erden geleistet wird, fließt, und dass diese kleinen Kreise Reichtümer anhäufen, die über alle Phantasien hinausgehen, die jemals Menschen anzuspannen vermochten. Alle Phantasien aus Tausendundeiner Nacht können sich nicht mit den märchenhaften Reichtümern vergleichen, die sich in den Händen dieser Könige, Kaiser und Zaren der Kapitalistenklasse befinden. Diesen Reichtümern auf der einen Seite steht gegenüber das graue Elend der großen Masse der Bevölkerung.

Nach seinem Wesen ist aber der Kapitalismus nicht imstande, den Überfluss von Reichtümern, die er produziert, an diejenigen im eigenen Lande abzugeben, die es im höchsten Maße nötig haben, an diejenigen, die da hungern und dürsten und die da nichts haben, womit sie ihre Blöße bedecken sollen, der Kapitalismus lechzt nach Profit, er kann nichts her schenken, so lange er Kapitalismus ist, und weil er nichts her schenken will, lässt er die Armen im eigenen Lande, die nicht bezahlen können, hungern und dürsten und in ihrer Blöße einhergehen, und verwendet die überschüssigen Güter, die er sich angeeignet hat, um sie aus dem Lande zu geben, um jenseits der Grenzen Gelegenheit zu weiterem Profit zu suchen und den Reichtum immer höher und höher aufzustapeln – bis dann schließlich die einzelnen kapitalistischen Schichten der verschiedenen Staaten auf einander stoßen und keinen Raum auf Erden mehr neben einander haben, so dass sie dann versuchen, sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Sie kämpfen dann um verschiedene Absatzgebiete, um besonders fruchtbare und mit natürlichen Schätzen versehene Gebiete. Sie kämpfen brutal die Naturvölker zu Boden. Das Leben und der Lebensodem des Kapitalismus ist ja der Profit. Sehen Sie hin, wie in unserer heutigen Zeit überall der Ruf erschallt nach Beute, der Ruf nach Kolonialbesitz! Deutschland ist in die Reihen der Kolonialstaaten eingetreten und nachdem in den verschiedenen Ecken und Ende der Erde sich bereits Konflikte zwischen den verschiedenen imperialistischen Weltmachtstaaten ergeben haben, nachdem wir unser Chinaabenteuer hinter uns haben und nachdem in Afrika sich ganz besonders heftige Konflikte mehr und mehr entwickelten, so steht jetzt im Mittelpunkt dieser afrikanischen Konflikte bereits seit vielen Jahren Marokko, ein Land, das im kolonialistischen Sinn wohl als eines der zukunftsreichsten Länder angesehen werden kann, das Afrika überhaupt besitzt.

Da ist es nun kein Wunder, wenn die verschiedenen kapitalistischen Staaten ihr Aug gerade auf Marokko geworfen haben. Sie erinnern sich, wie Frankreich, das sein großes nordafrikanisches Kolonialreich besitzt, sich in erster Linie in Marokko festsetzte, wie dann Spanien nachfolgte – und wie damals Deutschland noch erklärte, dass man um Marokko nicht einen Pfennig ausgeben werde. Das „bisschen Marokko“ sei nicht geeignet, „das Herz eines deutschen Staatsmannes höher schlagen zu lassen“. Sie entsinnen sich aber auch, wie dann noch im Jahre 1906 überraschend die Reise des Kaisers nach Tanger kam, und wie sich alsbald um dieses Stückchen Marokko ein internationaler Konflikt, ein Weltkrieg zu entwickeln im Begriffe stand. Sie wissen ebenso noch wie damals als Hauptübeltäter und Friedensstörer Delcassé, der damalige Minister des Auswärtigen in Frankreich, angesehen, wie dieser Delcassé schließlich wieder von seiner eigenen Regierung abgelöst und fallen gelassen wurde. Sie erinnern sich, dass jener Algecirasvertrag zustande kam. Sie wissen, Parteigenossen, dass Österreich und Deutschland Seite an Seite standen, wie damals Italien als Dritter der Dreibundstaaten, seine bekannte „Extratour“ tanzte und auf Seiten Frankreichs stand. (Heiterkeit.)

Seit jener Zeit haben wir von Marokko wenig gehört. Wir haben nur gehört, dass insbesondere Frankreich, das mit Spanien durch den Algecirasvertrag in erster Linie für „Ordnung“ zu sorgen hatte, immer wieder mit den verschiedenen Völkerschaften zu kämpfen hatte, die sich nicht ohne weiteres der europäischen kapitalistischen Ausbeuterordnung fügen wollten. Sie wissen, wie man schließlich von einem immer tieferen Eindringen und von immer ausgedehnteren Kriegszügen Frankreichs nach Afrika hörte, bis man schließlich in der Tat von einem Fortbestehen der Algecirasakte nicht mehr gut reden konnte.

Es ist nicht der allergeringste Zweifel, dass es sich um eine lächerliche, irreführende Redensart handelt, mit der man überall die öffentliche Meinung zu kaprivieren versucht hat, wenn man sagt, dass jene Pazifizierungshandlungen der Franzosen, Spanier usw. gewissermaßen nur Arm in Arm mit dem im übrigen noch weithin selbständigen und souveränen Sultan von Marokko ausgeführt würden. Dieser arme, unglückselige Sultan von Marokko wäre diese guten Freunde, die angeblich in seinem Interesse pazifizieren, wahrhaftig gerne los: er wünscht sie dahin, wo der Pfeffer wächst. (Heiterkeit.) Es kann keine Rede davon sein, dass die Selbständigkeit des Sultan von Marokko noch als aufrechterhalten angesehen werden kann – und damit ist in der Tat die Grundlage der Algecirasakte gefallen.

Nunmehr kam Deutschland. Deutschland hatte sich bisher zurückgehalten. Statt irgend welcher Ansprüche, die etwa von Deutschland auf den Kuchen Marokko erhoben worden wären, hatten wir immer nur gehört, dass man nur gegen das die Grenzen der Algecirasakte überschreitende Vorgehen der Franzosen und Spanier protestieren.

Statt dass nun dieser Protest weiter verfolgt werden sollte, erlebten wir eines schönen Morgens, dass uns die Regierung ein Angebinde bescherte, an das bis dahin kein vernünftiger Mensch gedacht hatte: es ist plötzlich der „Panther“ nach Agadir entsandt worden.

Der „Panther“ nach Agadir? Weshalb entsandt?

Wenn man die Zeitungen unserer Regierungen las, da könnte es leidlich erscheinen. Da wurde gesagt: Das hat gar keine, auch nicht die geringste politische Bedeutung, wir haben den „Panther“ nur hingeschickt, weil da deutsche Interessen bedroht sind; er soll nur dort vor Anker liegen, um zu verhüten, dass irgend etwas gegen die Deutschen geschieht – im Übrigen aber mischen wir uns absolut nicht in den Gang der Dinge in Marokko ein.

Das war eine offenbare Lüge, eines der bekannten Irreführungsmanöver, mit denen die Regierung ganz besonders in der äußeren Diplomatie jeden Staates eben zu arbeiten gewohnt ist. Diese Manöver übt unsere Regierung nicht nur in dem diplomatischen Verkehr – nicht bloß in dem Sinne, dass bei diplomatischen Handelsgeschäften jeder einzelne der Kontrahenten den anderen über den Löffel zu balbieren versucht; sondern auch in dem Sinne, dass die Regierung das eigene Volk hinters Licht zu führen und zu verwirren sucht, indem die Art ihrer eigenen Mitteilungen, durch die Art der Darstellung ihrer Motive und der von ihr verfolgten Zwecke.

Es stellte sich alsbald heraus, dass die Entsendung des „Panthers“ eben größere politische Wirkungen hatte und auch haben musste, als dies eben in den offiziösen und offiziellen Organen bekannt gegeben war.

Tatsache ist, dass die Entsendung nicht anders denn als eine Provokation aufgefasst werden konnte, als ein Schlag der deutschen Regierung gegen die französische und spanische Marokkopolitik, nichts anderes denn als die Erklärung eines dritten Räubers gegenüber zwei Räubern: „Ich will auch mein Stück von der Beute haben!“ wie man nun unter diesen Umständen auf den illustren Gedanken kommen konnte, dass das Vorgehen Deutschlands nichts anderes bezweckt habe, als die Algecirasakte wieder in Geltung zu bringen, ist nicht einzusehen. Davon konnte keine Rede sein. Im Gegenteil, Deutschland machte sich anheischig, durch sein Eingreifen der Marokkoräuber sich in diesen Dreibund einzulassen. (Sehr richtig!) Nun, Parteigenossen, wir sagen keineswegs, dass die deutsche Regierung der Hauptübeltäter sei; dass die englische, die französische, die spanische Regierung im Gegensatz zu der deutschen Regierung die weißgewaschene Jungfrau sei, davon kann keine Rede sein. Die sind gewiss so viel wert wie die deutsche Regierung. Gleiche Brüder, gleiche Kappen! (Heiterkeit.) Aber trotz alledem, Parteigenossen, haben wir besondere Veranlassung, uns gerade mit der deutschen Politik zu beschäftigen, weil eben die deutsche Regierung gerade es ist, die wir hier unsererseits zu beeinflussen haben und deren Haltung in einem gewissen Sinn mit Recht dem ganzen deutschen Volk zur Last gelegt wird. Wer ist verantwortlich für dasjenige, was die Regierungen tun? Äußerlich betrachtet, die Herren v. Kiderlen-Wächter und Herr v. Bethmann Hollweg, und noch irgend ein paar Staatsmänner, die da so in Berlin herumtanzen und von denen das Volk im Augenblick gar nichts weiß, welche an der Suppe mitgekocht haben. Im Übrigen, wenn wir die äußere Seite der Dinge weglassen, so müssen wir feststellen: Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Und es gibt heutzutage kein Volk mehr, das eine Regierung hat, die es nicht haben will, wenn es sich Mühe gibt, diese Regierung zu beseitigen. (Bravo!) Das ist die Frage, die zu stellen ist: Wie werden wir die Verantwortung für all das, was von unseren deutschen diplomatischen Sudelköchen angerichtet wird, ablehnen? Denn es ist nur ein Mittel dafür, dass wir diese deutsche Regierung, für die wir die Verantwortung nicht haben wollen, ablehnen, absägen (Beifall), dass wir diese Regierung dahin schicken, wo sie eigentlich schon längst hätte hingeschickt werden müssen – zum Teufel! (Stürmischer Beifall.)

Parteigenossen! Die Marokkofrage als einfache Frage der Kolonialpolitik betrachtet, unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen kolonialen Fragen. Sie ist nur eine ganz typische Erscheinung unserer heutigen weltmachtpolitischen Verwicklungen. Aber, Parteigenossen, aus sehr vielen Gründen haben wir Veranlassung, uns gerade die Marokkofrage aus einem besonderen Gesichtswinkel anzusehen. Zunächst einmal, weil wir sahen, wie hier plötzlich England in dieser Angelegenheit eingegriffen hat. England hat an und für sich bisher einen Anspruch, in Marokko selbst mitzuwirken, nicht erhoben, wenngleich England mit einer der Staaten war, die die Algecirasakte unterzeichneten. Dennoch, als Deutschland auf den Plan trat, da hat England seine Stimme erhoben, und zwar in einer Weise, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.

Von den maßgebenden englischen Politiker, von den Ministern, die nicht von einem Monarchen eingesetzt sind, die als Repräsentanten des parlamentarischen Systems anzusehen sind, von diesen Ministern ist klipp und klar Auskunft erteilt worden, dass England nie und nimmer dulden würde, dass Deutschland in irgend einer Weise kolonialen Besitz in Marokko erwerben würde. Es wurde weiterhin erklärt, dass unter allen Umständen England das Recht für sich in Anspruch nehme, bei der Regulierung der Afrikaverhältnisse, soweit Marokko in Frage komme, mitzusprechen und das in demselben Augenblick, wo man versucht, England als eine quantité negligeable, als eine nicht beachtenswerte Größe beiseite zu schieben, es seine Macht in Bewegung setzen werde, um seinen Einfluss wieder zurückzuerobern. Sie wissen, Parteigenossen, wie in England die Regierung vor dem Parlament Red‘ und Antwort gestanden hat, wie da drüben unser Freund MacDonald in einer scharfen Kritik der englischen Kolonialpolitik sich dennoch gegenüber der englischen Regierung in einer wesentlich anderen Weise ausgelassen hat, als ein deutscher Sozialdemokrat es der deutschen Regierung gegenüber machen könnte und machen würde. Mit gutem Fug und Recht!1 Weil die englische Diplomatie, die englische Auslandspolitik eine Politik ist, die im Großen und Ganzen parlamentarisch geführt wird, fühlen sich die englischen Minister verpflichtet, auch bei ihrer Auslandspolitik dem Parlament Red und Antwort zu stehen. Wenn ein englischer Minister sich erdreisten würde, die englischen Vertreter des Unterhauses nach Hause zu jagen und dann, wenn es nicht mehr versammelt ist, große weltpolitische Aktionen in Szene zu setzen, so würde sich dieser Minister in England nicht einen Tag länger halten können.

Es ist gar kein Zweifel, dass dieser englische Parlamentarismus, wenn er auch kein rein demokratischer Parlamentarismus ist, dennoch in einer ganz anderen Weise von der breiten Masse des Volkes getragen wird als bei uns irgend welche Regierungsfaktoren. So sehen Sie, dass die englische Regierung sich immerhin eine gewisse Mühe gibt, mindestens so weit, als das eben bei den Geschäften solcher Art angängig ist, bei der Einrichtung ihrer Auslandspolitik mit den vom Volke selbst gewählten Institutionen in Fühlung zu bleiben. Wenn wir das mit deutschen Zuständen vergleichen, so sehen wir zu unserer großen Beschämung, dass wir noch himmelweit entfernt sind von einem derartigen Zustand, wir sehen im Gegensatz zu England, dass bei uns mit dieser Aktion erst begonnen wurde, nachdem der Reichstag in die Ferien gegangen war, nachdem der preußische Landtag auseinander gegangen war, nachdem die deutschen Parlamente, abgesehen vom württembergischen Parlament, überhaupt nicht mehr versammelt waren.

Und wie is es in Frankreich im Vergleich hierzu? Auch in Frankreich haben die Minister Red und Antwort gestanden. Auch dort haben sie keineswegs, wie das bei uns in Deutschland der Fall gewesen ist, die Minister unter dem Vorwand irgend welcher Notwendigkeit in diplomatisches Schweigen gehüllt.

Bei uns hat es – nicht dem Parlament, sondern auch der Presse gegenüber – nicht die Spur irgend einer amtlichen Erklärung gegeben, die geeignet gewesen wäre, der Masse des Volkes Aufklärung über die Ziele und Zwecke der deutschen Marokkopolitik zu geben.

Das ist ein Zustand, der in der Tat die alleräußerste Rüge verdient; ein Zustand, den wir uns einfach nicht gefallen lassen dürfen!

Als wir in Deutschland nun sahen, dass wir entblößt von allem Parlamentarismus waren, da richteten sich die Augen ganz Deutschlands auf Württemberg, und wir rechneten auf das hiesige Parlament. Wir dachten, es ist doch noch Württemberg da. Das ist ja noch viel besser als das Deutsche Reich (Stürmische Heiterkeit und Beifallsrufe), denn wir dachten, Württemberg ist ja doch ein demokratisches süddeutsches Land. (Gelächter.) In Württemberg sind ja die erztreuen Parteien so gut Freund mit den Herren Ministern und noch höheren Stellen, dass man häufig hier wirklich nur sagen kann: „Ein Herz und eine Seele!“(Heiterkeit.) Parteigenossen, dass in einem solchen Land, das mit der Regierung so vertraut ist, das Volk Aufklärung bekommen würde, das schien doch jedem selbstverständlich zu sein. Jedem, der in diese Illusion über das demokratische Wesen in Süddeutschland eingewiegt war, die hier und da verbreitet ist, Parteigenossen, es könnte einen fast mit Schadenfreude erfüllen, wenn man sieht, wie es in dieser Beziehung in der Tat in diesem Bundesstaat ergangen ist. Ja, Parteigenossen, dass wir eine Interpellation eingebracht haben, dass das württembergische Volk das Recht hatte, zu verlangen, dass die Regierung Rede und Antwort stehe, darüber ist kein Wort zu verlieren. Es konnte und musste erwartet werden, dass eine Regierung, die sich ihrer Pflichten bewusst ist, das Parlament und die Vertreter der großen Masse des Volkes und gerade die proletarischen Vertreter des Volkes nicht so en canaille behandelt würde, wie man das in Preußen allerdings gewöhnt ist, wie man das im deutschen Reich gewöhnt ist, wie man das aber gerade in Süddeutschland nicht gewöhnt sein sollte, jedenfalls in Süddeutschland meinte, es nicht gewöhnt sein zu brauchen! (Ironisches Gelächter.) Nun, Parteigenossen, wie lief dann die große Haupt- und Staatsaktion aus? Unsere Parteigenossen und unsere Freunde und Vertreter des Proletariats in dem württembergischen Landtag bekamen von dem Ministerpräsidenten die Erklärung, dass er es ablehne, in irgend einer Weise auf die Interpellation eine Antwort zu geben, dass er sich vorbehalte, künftig eine Antwort zu geben.

Künftig“, nachdem jetzt der Landtag auseinander [gegangen] ist, „künftig“ im nächsten Jahr, „künftig“, wenn also die ganze Marokkogeschichte längst vergessen ist, dann wird der Ministerpräsident v. Weizsäcker vielleicht dem württembergischen Volk Auskunft zu geben geruhen, was die deutsche Reichsregierung und damit die württembergische Regierung für Absichten verfolgt hat. (Große Heiterkeit und Beifallsrufe.) Kann es einen größeren Hohn geben als ein solches Verhalten einer Regierung, die sich selbst als eine volkstümliche Regierung bezeichnet. Und, Parteigenossen, kann man sich eine schlimmere Ohrfeige für die Vertreter des Volks denken, als sie ihnen hier von der Regierung erteilt worden ist? Und, Parteigenossen, ist es nicht eine Schande ohnegleichen, dass die Vertreter der bürgerlichen Parteien alle zusammen in das Hohngelächter eingestimmt haben, unter welchem unsere Parteigenossen wie begossene Pudel verschwinden mussten, nachdem sie ihre Interpellation in dieser Weise von der Regierung verhöhnt gesehen hatten? Von der Regierung die Ohrfeige – von den bürgerlichen Parteien verhöhnt und verspottet – zum Schaden den Spott dazu! (Pfuirufe!) Das war das Ergebnis der Interpellation, welche unsere Parteigenossen hier unten in Stuttgart, im demokratischen Württemberg eingebracht haben. (Sehr richtig!) Daran erkennen wir die deutschen Zustände. Daran erkennen wir, dass Württemberg weiter nichts ist als eine Dependance von Preußen, eine Dependance der preußischen Junkerschaft, mit all den Unmanieren, die wir bei uns in Norddeutschland sehen. (Sehr richtig!)

Parteigenossen, so lange da nicht ein Ende geschaffen wird, werden wir zwar fortgesetzt erleben, dass Süddeutschland verpreußt wird, aber nicht, dass Preußen verwürttembergt oder verbayert wird. (Heiterkeit und Zustimmung.)

Dergleichen Sachen „wie im Musterländle da oben“ werden wir nicht so bald erleben, wenn von uns selbst, unter Anspannung aller politischen Kräfte des deutschen Volkes zunächst einmal im Kern der deutschen preußischen Reaktion in Preußen unmittelbar ein energischer Angriff unternommen und durchgeführt wird gegen die preußische Junkerherrschaft. Vorläufig sehen wir immer nur, wie aus Preußen der Geist der preußischen Polizeiwirtschaft nach Süddeutschland herunterfließt. Wir in Württemberg haben bis jetzt zwar noch nicht das Dreiklassenwahlrecht gekriegt. Aber dafür haben Sie schon die schöne preußische Lotterie bekommen. (Heiterkeit.). Hier haben sie bereits eine Einmütigkeit und Einhelligkeit, diesseits und jenseits des Mains, wie man sie sich schöner überhaupt nicht denken kann.

Parteigenossen! Es ist für uns nicht der allergeringste Zweifel, dass jeder Deutsche, der einen Funken von politischem Ehrgefühl besitzt, sich sagt: Eine solche Behandlung, wie sie die 65 Millionen Deutschen bei Gelegenheit des Marokkokonflikts erfahren haben, eine solche Behandlung, wenn es gilt, dem Volk irgend eine Aufklärung zu geben, geschweige denn das Volk zur Mitwirkung anzurufen, zur Mitentscheidung anzurufen – ich meine jeder Einzelne, der sich vergegenwärtigt, was für eine Schmach darin liegt, wird sich selbst den Schwur ablegen müssen, dass er alle seine Kräfte einsetzen werde, mit dazu beizutragen, dass diesem jämmerlichen Zustand in Deutschland, in Preußen, in Württemberg und in allen deutschen Bundesstaaten ein Ende bereitet wird (Sehr richtig und stürmischer Beifall.) – ein Ende lieber heute als morgen.

Parteigenossen! Abgesehen von allem dem Vorgetragenen besteht aber noch ein ganz besonders ernster Grund der uns dazu bestimmt, uns die Marokkopolitik der Regierung sehr genau anzusehen.“

Der Schluss der Rede folgt morgen. Folgende Resolution wurde einstimmig angenommen:

Folgende Resolution wurde am Schluss einstimmig angenommen:

Die am 12. August in Göppingen unter freiem Himmel tagende Versammlung, die von über 5.000 Personen besucht war, protestiert mit allem Nachdruck gegen die Einmischung Deutschlands in Marokko als gegen ein leichtfertiges und gefährliches Kolonialabenteuer, das geeignet ist, die Schrecken eines Weltkriegs heraufzubeschwören.

Sie verurteilt dieses Abenteuer auch auf das Entschiedenste als einen Ausfluss des persönlichen Regiments.

Die Versammelten erheben schärfsten Protest gegen die Nichtachtung, mit welcher die sogenannte liberale Regierung Württembergs, wie gegen das Verhalten der bürgerlichen Parteien, die sich aus diesem Anlass wieder einmal zu Mitschuldigen der Regierung gemacht haben.

Sie erklärten es als Pflicht der Arbeiterklasse aller Länder, mit allen zur Verfügung stehenden Machtmitteln sich einem brudermörderischen Krieg zu widersetzen.

Sie wissen, dass die mord- und raubbesudelte Weltpolitik die Blicke der werktätigen Massen von der volksfeindlichen Heimatpolitik ablenken soll und als unvermeidliche Folge Militarismus und Marinismus mit ihrem wahnsinnigen Wettrüsten begünstigt und steigert, ebenso wie das persönliche Regiment.

Die Versammelten verdammen diese Politik grundsätzlich und stellen ihr die Forderung der konsequenten Demokratie entgegen, in deren Mittelpunkt für den Augenblick die Eroberung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts in Preußen steht.

Sie fordern die sofortige Einberufung des Reichstags.

Karl Liebknecht fuhr fort:

Wir müssen uns stets vergegenwärtigen, dass, so weit wir in der Geschichte zurückblicken können, die Auslandspolitik stets zwei verschiedene Zwecke verfolgt hat: Einmal hat sie dem Zweck der Machterweiterung, der politischen wie der wirtschaftlichen Machterweiterung nach außen gedient; auf der anderen Seite aber ist sie seit jeher auch dazu ausgenutzt worden, um die innere Politik zu bestimmen.

Das gilt in verschiedener Beziehung. Nehmen wir an, das bei Gelegenheit des Marokkokonflikts dem Deutschen Reiche irgend welche neuen Kolonien zuwachsen oder dass irgend welche anderen sogenannten politischen Machterweiterungen für Deutschland dabei herauskommen: was wird die Wirkung sein? – – neue Rüstungen! neue alljährlich aufzubringende Ausgaben! eine Steigerung der imperialistischen Neigungen in Deutschland. All das ist aber seit Jahren Hand in Hand gegangen mit einer Verschärfung des Absolutismus, mit einer Verschärfung aller volksfeindlichen Tendenzen der herrschenden Klassen. Nichts kann die herrschende Klasse in gleichem Maße in die Lage versetzen, den Willen der Masse des Volkes mit Füßen zu treten, als der Besitz einer starken militärischen Macht es vermag. Je größer die militärische Macht, die sich in den Händen der herrschenden Klassen konzentriert, um so mehr fühlen sie sich gegenüber dem Willen der Masse des Volkes gewappnet. Sie pfeifen auf die Unzufriedenheit des Volkes und verfolgen um so rücksichtsloser ihre Politik der Ausbeutung und des kolonialen Raubs. Schon diese Rückwirkung des Imperialismus auf unsere innere Politik und die Tatsache der durch sie erfolgenden Steigerung der Gewalt unserer reaktionären Mächte macht jeden Sozialdemokraten zu einem geschworenen Feind des deutschen Imperialismus.

Soll ich auch auf jenes Märchen eingehen, das man immer und immer wieder erzählt: dass wir Deutschen keine Vaterlandsfreude seien! dass wir Deutsche im Gegenteil immer und immer nur wieder das Ausland anrufen und es im Gegensatz zu Deutschland preisen?! Nein, Parteigenossen! davon ist keine Rede! Das eine allerdings muss festgehalten werden: eine Vermehrung der deutschen imperialistischen Macht über die Grenzen Deutschlands hinaus bedeutet, abgesehen von den Rückwirkungen nach innen, ein Hinaustragen der deutschen Reaktion, der deutschen Brutalität über die Grenzen Deutschlands.

Ganz anders ist das in England und ganz anderes konnte infolgedessen dort unser Genosse MacDonald sprechen. Wo bisher England in von Europäern besiedelten Kolonien2 seine Fahne aufgepflanzt hat, da hat es in weitem Umfange der politischen Befreiung der Völker gedient. Denken Sie an die eine Tatsache, welche die Engländer nach dem Burenkriege in Südafrika eingeführt haben, wie dort alsbald dem soeben kriegerisch danieder gehaltenen Burenvolke eine demokratische Verfassung gegeben worden ist, eine Verfassung, zehnmal demokratischer als sie in irgend einem deutschen Staat (Sehr richtig! Rufe: hört, hört!) vorhanden ist. Wie steht es in dieser Beziehung in Deutschland? Jetzt, nach vierzig und mehr Jahren, hat man vor kurzem Elsass-Lothringen den fünfzigsten Teil einer Demokratie gegeben, nachdem man es mehr als vierzig Jahre lang im Zustand der Ausnahmegesetzgebung gelassen hatte!

Wenn Deutschland ein Land mit reicher und glücklicher Bevölkerung wäre, geeignet, überall hin die Palme des Friedens zu tragen, überall die Fackel der Freiheit zu entzünden – ja dann möchte Deutschland überall in die Welt hinausziehen! Aber ein solches Deutschland gibt es nicht, und das offizielle Deutschland von heute, das hassen wir in die Seele hinein. (Sehr richtig! Lauter Beifall.) Die freiheitlichen Eroberungen, die wir aus Deutschland heraus machen können, die mache Deutschland durch die Auslandspolitik der Sozialdemokratie: indem die Masse des deutschen Volkes sich feindselig gegen die Haltung der deutschen Diplomatie wendet, indem sie im Gegensatz zu jenen Kriegshetzern und Beutepolitikern, die Fahne des Friedens aufgepflanzt und unseren Freunden jenseits der Vogesen und jenseits des Kanals die Hand drückt. Dadurch macht das deutsche Proletariat seine internationale Politik, eine wahrhafte Politik friedlicher Durchdringung! Wir haben unsere selbständige innere Politik, und so haben wir auch unsere selbständige äußere Politik, die grundlegend entgegengesetzt ist der der herrschenden Klassen. Die internationale Politik wird auch dazu verwendet, um die Masse des Volkes selbst von all denjenigen Kämpfen abzulenken, die dazu führen könnten, der herrschenden Reaktion Schwierigkeiten zu bereiten. Das ist der Bonapartismus, zu welchem die internationalen Konflikte seit jeher benützt worden sind. Auch in Deutschland haben wir solche bonapartistischen Projekte bereits häufig gehabt. Alle diese Weltmachtschwärmerei, alle jene phantastischen und großspurigen Worte, mit denen unsere Weltpolitik eingeleitet worden ist, alle jene Vorschusslorbeeren der Generalissimi – sie sind zu einem großen Teil von Anfang an mit von dem Bemühen geleitet gewesen, im Volke, ich möchte sagen eine Art Besoffenheitsstimmung in Bezug auf die Auslandspolitik zu erzeugen. (Heiterkeit.) Und wenn man im Übrigen die Politik betrachtet: im Jahre 1887 haben wir es gehabt3, im Jahre 1907 haben wir es bei den Hottentottenwahlen gehabt4. Wir wissen auch noch, wie aus Anlass jener Casablancaaffäre Bülow versuchte, einen lebhafteren Konflikt mit Frankreich herbeizuführen, um das Augenmerk der Öffentlichkeit abzulenken von seinem Kampf gegen das persönliche Regiment, der bekanntermaßen damals in den Novembertagen des Jahres 1908 spielte.5

Dabei wissen wir aus den allerbesten Quellen, dass das Marokkoabenteuer derartigen Zwecken mit dient. Wir wissen es aus der allerbesten Quelle – von solchen reaktionären Blättern, die ihre Ohren sehr nahe an den geheimen Kammern der Regierungsdiplomatie zu haben pflegen. Nachdem die Reichsfinanzreform die Bevölkerung in Aufregung versetzt hatte und jede Nachwahl ein Hieb war, der einen Reaktionär zur Strecke brachte und einen Sozialdemokraten in den Reichstag hineinführte, da wurde alsbald gesagt: aus diesem verzweifelten Zustande gibt es für die Regierung keine Rettung außer durch die Anzettelung eines internationalen Konflikts!

Denken Sie daran, dass die Regierung, indem sie die „Panther“ nach Agadir entsandte, sich so, wenn sie nicht vollkommen mit Blindheit geschlagen war, voraus sagen musste, dass nunmehr ein äußerst turbulentes Spiel angehen müsste. Denken Sie daran, wie dieser Akt der Regierung diese „Heldentat“ alsbald von den herrschenden Parteien mit großem Jubelgeschrei aufgenommen wurde und sich unsere Panzerplattenpatrioten, die Hauptkolonialinteressenten, die Rhein[isch]-Westfälische Zeitung und die Alldeutschen, die noch im Jahre 1908 den Kaiser wegen seines Versuchs einer friedlichen Politik so scharf angegriffen hatten, alle mit Begeisterung glaubten: dies ist die rettende Tat! Und dass sie nunmehr hofften, jene Entsendung des „Panthers“ würde gleich einer Emser Depesche wirken, das heißt den Ausbruch des Krieges herbeiführen.

Das kann nicht wundernehmen, damit haben wir seit Jahren gerechnet. Diese Parteien sind seit jeher bereit, jederzeit die Kriegsfackel zu entzünden.

Aber auffälliger und wichtiger zu beobachten war, wie auch die konservative Partei in ihrem offiziellen Organ in ganz ähnlicher Weise in die Kriegstrompete hinein blies. Die konservative Partei ist im Allgemeinen keine kolonialpolitische Partei, im Gegenteil, sie hat – denken Sie an das Wort von der „grässlichen Flotte“ – eine gewisse Abneigung gegen jede Auslandspolitik und möchte mehr eine sogenannte „Heimatpolitik“ herbeiführen. Wenn die Konservativen mit der Auslandspolitik sich aussöhnen, so zu einem solchen wesentlichen Teil wegen der schwierigen Lage, in der sie sich befinden, wegen der Notwendigkeit, gerade wegen ihrer Sünden in der Reichspolitik und vornehmlich auch in der preußischen Politik das Auge des Volkes abzulenken. Und so erklärt es sich dann, wie die Konservative Korrespondenz gleich bei Beginn der Afrikaaktion schreien konnte: Es gibt drei Möglichkeiten, erstens die Franzosen ziehen gleich den Spaniern ihre Truppen zurück oder zweitens, Deutschland bekommt angemessene Kompensationen in Marokko oder drittens Krieg. – Und jede dieser drei Möglichkeiten ist uns gleich lieb. Wenn die Konservative Korrespondenz so schreibt, so kennzeichnet das deutlich diese monarchistische Politik der herrschenden Parteien Preußen-Deutschlands, dass sie eben gerade hoffen, durch einen auswärtigen Konflikt besser die Fischlein der Wähler bei Gelegenheit der nächsten Wahlen fangen zu können. Das muss man sich vergegenwärtigen, um zu verstehen, dass die deutsche Marokkopolitik aus den verschiedensten Gesichtspunkten heraus von dem deutschen Volk verurteilt und aufs Schärfste bekämpft werden muss.

Nun ist zu fragen: Was hat das Proletariat zu tun, um hier seinen Willen durchzusetzen? Kaum war es lebendig geworden im deutschen Volk, kaum hatte sich gezeigt, dass die Masse des Volkes in der Tat keine Lust hatte, auch nur einen Knochen eines deutschen Grenadiers um Marokko willen zu opfern, als die Stimmen, die sich gegen die Regierung richteten, nicht nur innerhalb der Sozialdemokratie sich immer mehr und mehr bemerkbar machten und vermehrten, als bereits immer offensichtlicher und deutlicher hervortrat, dass die deutsche Politik ein Fiasko erleiden müsse mit ihrem großspurigen und polternden Auftreten, nachdem sich alle Großmächte gegen Deutschland erklärt hatten, nachdem auf diese Weise die Regierung auch den Boden verloren hatte bei dem alldeutschen Weltpolitikschreiern, die gerade am lautesten die Auslandspolitik begrüßt hatten, da sah die Regierung schließlich ein, dass sie irgend etwas tun müsse, um den Boden unter den Füßen wieder zu gewinnen. Und so kam gestern vor acht Tagen jenes berühmte Kommuniqué, in dem die Regierung dem Volk gnädiglich mitzuteilen geruht, dass inzwischen die französische und die deutsche Regierung „in Bezug auf den prinzipiellen Standpunkt eine Annäherung gefunden hätten“.

Das war eine Aufklärung, wie wir sie uns besser nicht wünschen konnten. Was diese Worte bedeuten, darüber konnten wir die dicksten Bücher schreiben und kein Mensch würde daraus klug werden trotz all der dicken Bücher. (Heiterkeit.) Es ist ein delphisches Orakel, das die Regierung hier vom Stapel gelassen hat und das dem deutschen Volk genügen soll in seiner gläubigen Ergebung, nunmehr nicht mehr an der Gottähnlichkeit der deutsche Diplomatie zu zweifeln, sondern sich gottergeben in die Hände der Herren von Kiderlen-Wächter und Bethmann Hollweg usw. zu begeben. Aber wir sind absolut nicht geneigt, uns mit einer solchen allgemeinen Phrase abspeisen zu lassen, sondern wir haben ein gutes Recht zu fordern, dass wahrhafte Klarheit gefordert wird, und wir haben nicht nur das Recht, das zu fordern, sondern sogar, dass bevor irgend welche entscheidenden Schritte getan werden, vorher das Volk gehört wurde. (Stürmische Zustimmung.) Wir haben zwar einen deutschen Reichstag. Dieser Reichstag hat aber längst alles Vertrauen im Volke eingebüßt. (Sie wissen ja, welche Wandlungen er durchgemacht hat, und Sie wissen, wie die Regierung selbst das Ende dieser Blockherrlichkeit voraussieht.) Da kann es für uns keinen Zweifel geben, welche Parole die deutsche Sozialdemokratie auszugeben hat. Die Entscheidung, die jetzt zu treffen wäre, die darf auch nicht von dem jetzigen Reichstag getroffen werden, die muss in Übereinstimmung mit der großen Masse des Volkes gefällt werden. Ehe irgend welche entscheidenden Schritte getan werden, müssen Neuwahlen anberaumt werden. Wollte die Regierung sich bei der Auslandspolitik auf die breite Masse des Volkes stützen können, dann würde sie wirklich eine großzügige Spekulation unternehmen gerade im Sinne der Aufrechterhaltung unserer heutigen Gesellschaftsordnung, wenn sie Schlag auf Schlag den Reichstag auflösen und Schlag auf Schlag mit kurzer gesetzlicher Frist Neuwahlen anberaumen würde.

So könnte unter Umständen die Möglichkeit gegeben sein, die Volksvertretung zu erziehen, die geeignet ist, den Willen des Volkes wirklich zum Ausdruck zu bringen.

Parteigenossen, im Übrigen aber haben wir keine Veranlassung, uns zu verhehlen, dass jene Rufer nach dem Reichstag, jene nationalliberalen alldeutschen Zeitungen, insbesondere die Rheinisch-Westfälische Zeitung, die Leipziger Neuesten Nachrichten, die Post und wie sie alle heißen, weit davon entfernt sind, die Zusammenberufung zu fordern aus denselben Motiven, aus denen wir von der Sozialdemokratie sie fordern. Wenn die Sozialdemokratie die Zusammenrufung fordert, so geschieht das um deswillen, weil sie will, dass die Auslandsfragen von der großen Masse des Volkes in den demokratischen Formen entschieden werden. Jene Parteien aber, die sich jetzt hinter den Reichstag stellen, das sind diejenigen, die im Jahre 1908 im Reichstag die heftigsten und feindseligsten Rufer waren gegenüber dem deutschen Kaiser und seinem persönlichem Regiment. Damals wie heute aus denselben Gründen: sie fürchteten, dass unter dem Einfluss der auswärtigen Konstellationen und der Abneigung der großen Masse des Volkes gegen einen Krieg die Regierung allzu nachgiebig sein werde, dass ihnen die Felle wegschwimmen könnten, auf die sie schon so sehr gerechnet hatten – – – und um deswillen, um eine kriegerische Politik zu treiben, um zu erreichen, dass ihre imperialistischen Kolonialabenteuerwünsche dennoch durchgeführt werden, geschah es, dass sie die Zusammenberufung des Reichstags wünschten. Also im Sinne einer Unterstützung der imperialistischen Bestrebungen, im Sinne einer Schürung des Kriegsfeuers.

Trotz alledem haben wir uns natürlich gegen die Zusammenberufung des Reichstags nicht zu sträuben. Aber wir haben, indem wir diese Forderung erheben, bei Weitem wichtigeres zu tun: Wir haben die Masse des Volkes selbst in Bewegung zu setzen! Das ist schließlich doch das Entscheidende! (Lebhafter Beifall.) Mag im Reichstag entschieden werden, was da will: der Reichstag ist nicht mehr getragen von der Zustimmung der Masse der Bevölkerung, und selbst wenn ein neuer Reichstag gewählt würde, wir haben kein wahrhaft demokratisches Wahlrecht, nicht einmal im Deutschen Reich, so gilt es unsere ganze außerparlamentarische Macht zu betätigen, das Volk durch die Presse, durch Versammlungen, durch Agitation von Mund zu Mund aufzuregen und aufzureizen, es mit festem Willen zu erfüllen, dass es die Politik der Regierung nicht mitmacht, dass es im Gegenteil sich bereit erklärt, alle Opfer auf sich zu nehmen, und unter Aufwendung aller ihm zu Gebote stehenden Mittel die Regierung zu zwingen, Friedenspolitik zu treiben statt Kriegspolitik. (Sehr richtig! Beifall.) Und wenn unser deutscher Parteivorstand auch, Gott sei’s geklagt, mit seinem Aufruf ein klein wenig Krähwinkler Landsturm gewesen ist, die Masse der deutschen Parteigenossen hat nicht gewartet, bis man Befehl von oben bekommen hat, zu demonstrieren. Wir sind auch in unserer deutschen Partei keine Bürokraten und warten nicht erst auf den Parteivorstand, bis er uns Anweisung gibt, zu demonstrieren. Wir haben schon vorher demonstriert und wir werden weiter demonstrieren, und die Masse des Volkes wird fortdauernd ihren Willen zum Frieden zum Ausdruck bringen, gegenüber all den verbrecherischen und gewissenlosen Versuchen, die da gemacht werden, trotz alledem die Friedenstendenzen, die sich jetzt zeigen, noch zu durchkreuzen, und doch das Ziel zu erreichen, das unsere herrschenden Kolonialparteien wünschen.

Wir sind noch längst nicht am Ende! Kein Mensch weiß, was da werden mag. Dieses Kommuniqué bedeutet weiter nichts als ein paar nichtssagende Redensarten und es kann jeden Augenblick dazu kommen, dass dennoch das Pulverfass in die Luft fliegt. Wir wissen, dass die Spannung zwischen Deutschland und England seit längerer Zeit eine sehr große ist, dass die ablehnende Haltung Deutschlands gegen die Abrüstung in England und Frankreich ein um so größeres Misstrauen gegen Deutschland erzielt hat, und sie wissen, dass, wenn einmal die Spannung so heftig geworden ist, ein kleiner Anlass unter Umständen dazu führen kann, dass eine welterschütternde Katastrophe eintritt. Deshalb ist der Frieden in keiner Weise gesichert, deshalb muss nach wie vor der Wille des Proletariats zum Frieden zum Ausdruck gebracht werden. Da ist die Pflicht des deutschen Proletariats, unseren französischen und englischen Freunden zuzurufen, dass wir trotz der nationalen Unterschiede nicht deren Feinde sind und uns um das bisschen Marokko in Feindseligkeiten hineintreiben lassen. Dass im Gegenteil das deutsche Volk gewillt und entschlossen ist, die Zügel seines Geschicks selbst in die Hand zu nehmen, und dafür zu sorgen, dass unter dem Einfluss des Proletariats der Gedanke der internationalen proletarischen Solidarität mehr und mehr Boden finde, damit in dieser Weise der Völkerfriede gesichert werde gegen alle böswilligen Wünsche, Versuche und Angriffe unserer herrschenden Klassen.

Aber wir wollen nicht etwa, indem wir die Friedensposaune blase, uns als einen himmlischen Friedenschor installieren und versuchen, die Ohren und Herzen der herrschenden Klassen für die süßen Melodien des Friedens zu gewinnen: Um des Himmels Willen! Von selbst sind sie nicht dazu zu bringen. Wir können ihnen die schönsten und die süßesten Flötentöne in die Ohren hinein blasen, wir würden sie doch nicht in Schäferstimmung versetzen. Unser Kapitalismus ist von rauer, brutaler, blutgieriger Art. Und unsere herrschende Diplomatie denkt nicht daran, auf süße Flötentöne zu reagieren. Kräftig drauf los muss geredet werden (Stürmischer Beifall), dass den Herren die Ohren klingen. (Lauter Beifall.) Es gilt, den Herren, die so gerne die gepanzerte Faust schütteln und damit rasseln, zu zeigen, dass auch das deutsche Volk eine Eiserne Faust hat und sich von der gepanzerten Faust nicht imponieren lässt. (Stürmischer Beifall.)

So, Parteigenossen, gilt es, der herrschenden Politik eine proletarische Machtpolitik entgegenzusetzen. Denn, merken die herrschenden Klassen, es geht ihnen an den Kragen, dann werden sie unter den Hammerschlägen der proletarischen Politik merken, dass trotz alledem der Wille des Volks das höchste Gesetz ist. (Beifall.) Es gilt nur, den Willen des Volkes auch zu schaffen, ihn zu äußern und zu betätigen. Daran fehlt es noch immer. Wir haben noch nicht die ganze Masse des Volkes. (Sehr richtig!) Der Feind, den wir am tiefsten hassen, der uns umlagert, schwarz und dicht, der Unverstand der Massen, noch heute ist er unser stärkster Feind. Mit den Herren da oben wären wir schon längst fertig, wenn wir nicht noch erst mit dem Proletariat fertig werden müssten. (Sehr richtig!) Es ist also die Pflicht und Schuldigkeit von uns allen, dass wir auch diese Gelegenheit benutzen, um unseren herrschenden Klassen den Willen des Proletariats in jeder Form zu demonstrieren, aber auch diesen Willen und diese Macht zu verstärken durch Verstärkung der Organisation, durch Steigerung des Klassenkampfgeistes, durch vermehrte Opferwilligkeit, durch immer tieferes Empfinden der internationalen Solidarität des gesamten Proletariats.

Lassen wir uns nicht verwirren, lassen wir uns nicht verdummen, lassen wir uns nicht ablenken von den Sünden der herrschenden Klassen, wie sie es so gerne möchten – bleiben wir, das Auge klar und vorwärts gerichtet, um dasjenige Wild zuerst zu treffen, das wir uns vorgenommen haben zuerst zu treffen! Bleiben wir dabei, der preußisch-deutschen Reaktion, insbesondere der Reaktion, die im preußischen Junkertum ihre Hauptstütze hat, zunächst einmal zu Leibe zu gehen, um den Herren zu zeigen, dass die Zeit vorüber ist, wo Deutschland nach mittelalterlichen Grundsätzen regiert werden konnte. Und dann wollen wir unseren französischen Brüdern zeigen, dass das deutsche Volk längst über die äußeren Formen der Politik hinausgewachsen ist, die bei uns in der Verfassung festgelegt sind, dass das deutsche Volk längst für eine wirkliche Demokratie reif ist, und dass es bereits stark genug ist, den herrschenden Klassen ein großes Stück seines demokratischen Willens aufzuzwingen.

Wenn jedermann seine Pflicht tut, wenn jeder von Ihnen agitiert und arbeitet und jeden gewinnt und heranzieht, wenn jeder seine ganze Zeit für unsere Sache opfert, dann wird es den herrschenden Klassen mit dem Versuch einer Wahlparole, die sich gemacht haben, fehlschlagen. Dan werden die nächsten Reichstagswahlen einen solchen Hagel von roten Stimmzetteln auf das Kapital und auf die Köpfe der sonst herrschenden Klassen bedeuten, dass ihnen all ihre Herrlichkeit gründlich verhagelt werden wird. (Beifall und Heiterkeit.)

Dann, Parteigenossen, wird auch dem deutschen Volke die Gelegenheit gegeben werden, durch den neu gewählten Reichstag der preußischen Reaktion an das Leder zu gehen. Der Kampf, den wir in Preußen kämpfen, ist ein allgemeiner deutscher Kampf, der auch für Sie gekämpft wird. Es ist ein Kampf, der wohl in absehbarer Zeit wohl so ernste Konsequenzen zeitigen wird, wie sie bisher in der Parteibewegung noch nicht gezeitigt worden sind. Bei diesem Kampf, der in Preußen geführt werden muss, sind Sie in der Lage, uns durch Ihre herzliche Sympathie zu unterstützen. – Bei den Reichstagswahlen können Sie aber unmittelbar in unserem preußischen Wahlrechtskampf mitarbeiten. Denn die Zusammensetzung des Reichstags und die Art, wie er von Süddeutschland beschickt wird, wird für den Fortgang dieses Werkes von wesentlicher Bedeutung sein.

Dann aber, Parteigenossen, und das ist für den Augenblick das Wichtigste und Aktuellste, ist es unsere Pflicht und Schuldigkeit, unseren herrschenden Parteien – auch den liberalen Parteien, die mit unserer Auslandspolitik durch dick und dünn gehen – vor allem aber den Herren Kiderlen-Wächter und Bethmann Hollweg zuzurufen: Ihr mögt euch dahin scheren, wo der Pfeffer wächst, euch können wir nicht gebrauchen. Wir haben kein Vertrauen zu euch, wir machen eure Politik nicht mit, wir haben eine andere Politik zu führen. (Stürmischer Beifall.)

Und es ist unsere Pflicht, dass wir hinüberrufen über die Vogesen zu unseren französischen Freunden und über den Kanal zu unseren englischen Freunden: wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.

So werden wir also damit den Willen des internationalen Proletariats zum Völkerfrieden fördern, wir werden über die Köpfe der jetzt noch herrschenden Klasse hinweg uns die Hände reichen, um einen internationalen Bund zu gründen und aufrecht zu erhalten, der ein festerer Wall gegen jede Friedensstörer sein soll als alle die diplomatischen Versuche, als alle die Monarchenküsse und Entrevuen und gegenseitigen Flottenhöflichkeitsbesuche und Professorenaustausche und dergleichen schöne Dinge mehr. Dann werden wir einen Damm gegen die Kriegsgefahr aufrichten, den die Flut nicht zu durchbrechen vermag, weil aufgerichtet und aufrecht erhalten von dem Willen der großen Masse des Volkes.

Parteigenossen, es gilt aus der Marokkoaffäre alle Lehren zu ziehen, die daraus zu ziehen unser Parteiprogramm uns aufgibt. Es gilt, alle Folgerungen für die innere und äußere Politik zu ziehen, die unserem Programm entsprechen. Es gilt, diese unsere Friedensdemonstration zu schließen mit einem dreifachen Hoch auf den Völkerfrieden, mit einem „Nieder mit allen Kriegshetzern und Kolonialfreunden“: Und es gilt zu schließen mit der Bekundung der Solidarität für unsere französischen Brüder – mit einem Hoch auf den internationalen völkerbefreienden Sozialismus. Der internationale, völkerbefreiende revolutionäre Sozialismus, er lebe hoch, hoch, hoch.“

Nachdem das den Kehlen der Tausenden entstürmende flammende Hoch und der Beifallssturm sich gelegt hatten, verlas der Vorsitzende Genosse Kinkel die Resolution, die einstimmig angenommen wurde, und die wir schon gestern im Wortlaut gebracht haben. Mit einem energischen Appell an die Parteigenossen, sich des Ernstes und der Schwere der bevorstehenden Kämpfe bewusst zu sein und alle Kraft einzusetzen, um auch die Rückständigsten aufzuklären und neue Scharen in die Reihen der proletarischen Organisation einzureihen, neue Leser für die Parteipresse zu werben, um bereit zu sein für die entscheidenden Kämpfe, die uns bevorstehen, schloss der Vorsitzende die Versammlung.

1 Offenkundig hat Liebknecht noch unterschätzt, wie gering der Unterschied zwischen den parlamentarischen Imperialismus à la England und dem halb absolutistischen Imperialismus à la Deutschland war, und nicht gesehen, dass die Differenzen der sozialdemokratischen Politik daran lagen, dass in England der Opportunismus, der sich in Deutschland erst ab dem August 1914 krass zeigte, schon vorher offenkundig war.

2 Die folgenden Ausführungen sind offensichtlich verfehlt, schon angefangen damit, dass Südafrika ja nicht nur von EuropäerInnen besiedelt war, sondern überwiegend von AfrikanerInnen, aber auch von InderInnen, die damals schon gegen ihre Diskriminierung kämpften.

3 Bei den „Faschingswahlen“, den Reichstagswahl vom 21. Februar, dem Rosenmontag 1887, gewannen die Sozialdemokraten trotz des Terrors unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes beträchtliche Stimmengewinne.

4 1906 löste Reichskanzler von Bülow den Reichstag auf, weil außer den Sozialdemokraten nun auch das Zentrum zusätzliche Mittel zur Niederschlagung der um ihre Freiheit kämpfenden Eingeborenen Deutsch-Südwestafrikas, vor allem der „Hottentotten“ (Nama), verweigert hatte. Die Neuwahlen am 25. Januar 1907, die sogenannten Hottentottenwahlen, gewann unter beispiellosem Terror gegen die Sozialdemokratie und durch chauvinistische Verhetzung ein „regierungsfreundlicher" Block aller liberalen und konservativen Parteien, der Hottentottenblock.

5 Gemeint ist die „Daily-Telegraph-Affäre“. Der Kaiser hatte in einem Zeitungsinterview behauptet, er habe während dem Burenkrieg 1899-1902, in dem Deutschland offiziell neutral war, für die britische Armee persönlich Feldzugspläne ausgearbeitet. Als Reaktion auf die Affäre wurde Druck auf den Kaiser ausgeübt, sich aus der Tagespolitik herauszuhalten.

Kommentare