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Karl Liebknecht 19110303 Schifffahrtsabgaben – ein weiterer Schritt zur Verpreußung Deutschlands

Karl Liebknecht: Schifffahrtsabgaben – ein weiterer Schritt zur Verpreußung Deutschlands

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Etat der Bauverwaltung

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 3. Bd., Berlin 1911, Sp. 3236-3248. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 152-171]

Meine Herren, wenn man bedenkt, dass unser Gesamtgüterverkehr auf den deutschen Binnenwasserstraßen von 1875 mit 2.900.000 tkg sich bis 1900 auf 11.500.000. tkg entwickelt hat, wenn man weiter beachtet, dass, während 1887 20.390 Binnenschiffe mit 2,1 Millionen Tonnen fuhren, im Jahre 1907 dagegen 26.335 mit 5,9 Millionen Tonnen, so sieht man ohne weiteres, dass sich eine ganz gewaltige Entwicklung unseres Binnenschifffahrtsverkehrs vollzogen hat, dass diese Entwicklung Hand in Hand mit einer starken Konzentration des in der Schifffahrt investierten Kapitals und insbesondere auch mit einer starken Zunahme des Tonnengehalts der auf den Binnenwasserstraßen verwendeten Fahrzeuge gegangen ist.

Meine Herren, es kann nicht wundernehmen, dass die kleinen Leute, die sich der Binnenschifffahrt gewidmet haben, unter diesen Umständen ganz besonders leiden, dass sie durch das Großkapital in die Ecke gedrückt worden sind. Die wirtschaftliche Lage der Privatbinnenschiffer, von der ich bereits beim Etat des Handelsministeriums vor einigen Tagen hier mir zu sprechen erlaubte, ist in der Tat außerordentlich traurig. Ich habe hier eine ganze Zahl von Aufstellungen, wie sie insbesondere auch in einer Zeitschrift, dem „Hamburger Prokureur", gemacht worden sind, aus denen sich ergibt, dass die Schiffer, sofern sie für sich selbst den üblichen Arbeitslohn mit in Rechnung stellen und nur eine ganz geringfügige Verzinsung des Kapitals in Betracht ziehen, häufig geradezu mit einem glatten Defizit abschließen, nicht nur nichts verdienen, sondern geradezu Schaden machen, verlieren.

Meine Herren, dass unter diesen Umständen diese kleinen Leute sich über ganz ungerechtfertigte Bevorzugungen des Großkapitals beklagen, dass sie sich besonders mit vollem Recht gegen die Art, wie das bedingte Vorschleuserecht gegenwärtig in Preußen geregelt ist, wenden, dürfte auf ungefähr allseitige Zustimmung in diesem Hause stoßen. Wenn diese kleinen Leute vielfach drei bis vier Wochen lang vor den Schleusen liegen, während es den privilegierten Fahrzeugen ermöglicht ist, mit aller Geschwindigkeit an ihnen vorbei durch die Schleusen zu dampfen, dann ist das eine Bevorzugung des Großkapitals, die aller Gerechtigkeit widerspricht. Meine Herren, selbstverständlich sind wir auch in dem Sinne Freunde des Verkehrs, dass wir durchaus nicht wünschen, dass in irgendeiner Weise durch technische Rückständigkeit, die in der Binnenschifffahrt zum Teil noch besteht, die Geschwindigkeit des Verkehrs wesentlich beeinträchtigt wird. Aber es kann doch gar keine Rede davon sein, dass die gegenwärtige Art des Vorschleuserechts den Zwecken des Verkehrs und des allgemeinen Interesses diente. Das Vorschleuserecht ist zu einem großkapitalistischen Vorrecht geworden; es wird unter Bedingungen gewährt, die sich zu verschaffen zwar den kapitalistischen Gesellschaften sehr leichtfällt, die aber von den kleinen Schiffern nur sehr schwer erfüllt werden können. Ich bitte zu erwägen: Was kann die beschleunigte Beförderung rechtfertigen? Einmal der Charakter der Ware, die transportiert wird, und weiter eine etwaige andere in der Sache selbst liegende ganz besonders zwingende Notwendigkeit, mit der Ladung zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort anzukommen. Dass leicht verderbliche Ware das Vorschleuserecht erhalten muss, darüber ist kein Streit, das ist noch von keiner Seite jemals angefochten worden. Aber andererseits wird man doch zweifellos nicht verkennen können, dass die Art und Weise des Transports, die den großen Gesellschaften das Privilegium des Vorschleuserechts verleiht, in keiner Weise verknüpft ist mit einem in der Sache selbst liegenden Interesse an besonders schleuniger Beförderung, dass diese Art und Weise des Transports durchaus kein Kennzeichen für besondere sachliche Dringlichkeit bildet. Das heutige bedingte Vorschleuserecht ist nichts weiter als ein mit einem ziemlich geringen Maß von Aufwand erkauftes Vorrecht, das aber nur unter Bedingungen, die regelmäßig nur das Großkapital erfüllen kann, erkauft werden kann. Der kleine Schiffer hat genauso sehr das Bedürfnis und vielleicht noch mehr als die großen Gesellschaften, mit Geschwindigkeit seines Weges fahren zu dürfen. Auch für ihn ist die Zeit Geld, er bekommt nicht mehr Fracht, ob er vierzehn Tage oder drei Wochen unterwegs ist. Deshalb fordere ich mit meinen Freunden, dass in Bezug auf das Vorschleuserecht alsbald Abhilfe geschaffen werde. Es will mir durchaus nicht gefallen, dass die Königliche Staatsregierung in der Budgetkommission die Erklärung abgegeben hat, dass die Erhebungen in dieser Richtung noch nicht abgeschlossen sind …

Dass wir Freunde einer großzügigen Wasserpolitik sind, brauche ich nach dem ganzen Standpunkt unserer Fraktion nicht näher auseinanderzusetzen. Dass die Kanäle nicht nur im Interesse der Schifffahrt oder anderer Spezialinteressenten, sondern im Interesse der gesamten Landeskultur gebaut werden, ist ohne weiteres klar. Die natürliche Wasserkraft ist ein Heiligtum, das mit aller Vorsicht gehütet werden muss und das sicherlich der schrankenlosen kapitalistischen Ausbeutung nie und nimmer ausgeantwortet werden darf, mit dem kein Raubbau getrieben werden darf; die Naturverwüstung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ist geradezu ein warnendes Exempel. Wir sind selbstverständlich in Anerkennung der großen Bedeutung des Wasserverkehrs jederzeit zu haben für den Ausbau aller Kanäle und für die Anlage der erforderlichen Talsperren, wobei wir fordern, dass überall die Natur in ihrer Schönheit und Ursprünglichkeit nach allen Kräften geschützt werde. Hier möchte ich aber fragen, ob es nicht möglich ist, die gewaltige Entwicklung der modernen Technik gerade auf dem Gebiete des Wasserwesens in größerem Umfange als bisher auszunutzen, um großartige Bewässerungsanlagen, Meliorationsanlagen herzustellen. Ich bin fest überzeugt, dass hier noch Gewaltiges geleistet werden könnte. Ich habe hier wiederum im Auge die geradezu bewunderungswürdigen Leistungen, die die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt auf den westlichen großen, wüstentrockenen Gebieten ausgeführt haben und auszuführen begriffen sind, Leistungen, durch die weite Länderstrecken, von der Größe des Deutschen Reiches und größer, urbar gemacht und der Landwirtschaft erschlossen werden. Wir haben in Deutschland auch genug Gebiete, in denen in dieser Weise nützlich gewirkt werden kann.

Interessant war mir an den Ausführungen der Herren Vorredner die große Energie, mit der Herr Röchling dem Minister die Leviten gelesen hat. Wir wissen wohl, woher das kommt. Es handelte sich heute für Herrn Röchling darum, dass er die Interessen, die ganz plump materiellen Interessen, der rheinisch-westfälischen Industrie vertrat. Und so hoch ideal unsere „nationalen" Parteien auch immer sein mögen, so lebhaft aus sich heraus, dass sie mit einem Minister in dieser Tonart reden, gehen sie im Allgemeinen nur, wenn sie am Geldbeutel gekitzelt werden, wenn ihnen da unangenehm zumute wird. „Es ist eine alte Geschichte"; sie heut wieder so drastisch bestätigt zu hören, war mir erfreulich. Von der rechten Seite des Hauses wissen wir: dort gehören ähnliche Töne zur Tagesordnung. Auf der linken Seite ist man in neuester Zeit ja wieder einmal oppositioneller gesonnen. Aber so recht von Herzen Opposition machen, das gelingt Ihnen (zu den Nationalliberalen) wie den Herren auf der Rechten doch nur, wenn der Minister im Punkte des Profits nicht so will, wie Sie wollen.

Allerdings besteht ein gewisser Unterschied zwischen rechts und links. So gut wie die Herren von der Rechten die Minister am Gängelband, am Draht, möchte ich sagen –, haben, so gut haben die Nationalliberalen sie lange nicht am Bändel, und infolgedessen war die Antwort, die Herr Röchling bekommen hat, doch nicht so höflich, wie sie ausgefallen wäre, wenn etwa von der rechten Seite dem Minister der Standpunkt mit gleichem Nachdruck klargemacht worden wäre.

Etwas von den Ausführungen des Herrn Ministers erweckte lebhaftes Interesse. Der Herr Minister hat mit einer Selbstverständlichkeit, die mich geradezu gerührt hat (Heiterkeit.), davon gesprochen, dass unser deutsches Kapital in dem Augenblick, wo die Bedingungen für die Anlegung sich verschieben, ohne weiteres ins Ausland abwandern würde, nach Luxemburg oder sonst wohin. Das ist etwas Selbstverständliches für das „nationale" deutsche Kapital! Ich habe nicht gehört, dass Herr Röchling im Namen der patriotischen Gesinnung der deutschen Kapitalisten dagegen protestiert hat, dass man ihnen ansinnen könnte, sie würden um des schnöden Profits willen über die Grenzen gehen. Herr Röchling hält das offenbar für keine Beleidigung, sondern für etwas, was in den Naturgesetzen des Kapitalismus begründet ist. Ganz unsere Meinung! Man sollte aber dann nicht ewig mit den patriotischen Phrasen um sich werfen, an die kein vernünftiger Mensch auf Gottes Erde mehr glaubt. Das Kapital geht dem Profit nach, und wo es ihn kriegt, da nimmt es ihn, ob innerhalb oder außerhalb des Vaterlandes ist ihm absolut gleichgültig. Es strömt, wie das Wasser, der Schwerkraft folgend, herunterfließt, der Schwerkraft des Profits folgend, dahin, wo der Profit am größten ist.

Die Frage der Schifffahrtsabgaben ist von hervorragendem Interesse. Dass uns diese Frage überhaupt befasst, haben wir ja der Rechten dieses Hauses und den von ihr abhängigen und ihr versippten Parteien dieses Hauses zu verdanken. Wir sind ja in der Zwangslage des viel zitierten Paragraphen 19 des Gesetzes vom 1. April 1905, der die Regierung und den ganzen Staat wie in eine Schraube eingezwängt hat, sie dazu nötigt, sich auf irgendeine Weise Schifffahrtsabgaben zu verschaffen. Willst du den Kanal, so gib Schifffahrtsabgaben! Eins gegen das andere! Diese böse Zwangslage ist ja um deswillen herbeigeführt worden, weil die Herren von der Rechten bei Emanation des Kanalgesetzes von 1905 sich bemüht haben, dies Gesetz durch Nebenbestimmungen vom agrarischen Gesichtswinkel aus möglichst unschädlich zu machen, und Paragraph 19 war gewissermaßen das Gift, das man diesem Gesetz gleich bei der Geburt injiziert hat, damit es womöglich überhaupt nicht zu Kräften komme.1

Darüber, dass die wirtschaftlichen Gefahren der Schifffahrtsabgaben sehr erheblich sind, noch länger zu reden hieße Eulen nach Athen tragen. Es ist für jeden Sozialpolitiker und für jeden Steuerpolitiker ohne weiteres klar, dass derartige Verkehrsabgaben im Schluss stets auf die Konsumenten und damit auf die breite Masse der Bevölkerung abgewälzt werden; es wäre verkehrt anzunehmen, dass diese Abgaben etwa von kapitalkräftigen, speziell persönlich interessierten und einen Vorteil ziehenden Unternehmern getragen werden. Wäre das letztere der Fall, dann würden wir uns selbstverständlich gegen Schifffahrtsabgaben nicht sträuben. Aber davon kann keine Rede sein. Es leidet der Konsum insgesamt, und das ist der Grund, weshalb wir uns stets gegen derartige indirekte Steuern – und darum handelt es sich ja – sträuben werden.

Es ist weiter daran festzuhalten, dass wiederum die kleinen Leute in der Schifffahrt am meisten unter den Abgaben leiden. Die großen Reedereien können sie schließlich abwälzen; die kleinen können es häufig nicht. So haben wir einmal die Tatsache, dass durch die Übermacht der Großkapitalisten die Konsumenten geschädigt werden, weil die großen Schifffahrtsinteressenten in der Lage sind, eine Abwälzung vorzunehmen, und dass andererseits die kleinen Schiffseigner doppelt getroffen werden, nämlich einmal als Konsumenten und dann weiter deshalb, weil sie die Abgaben nicht so abwälzen können, wie es die großen Interessenten vermögen.

Meine Herren, ins Einzelne kann ich hier selbstverständlich nicht hinein steigen; aber von einem besonders pikanten Interesse ist doch die Haltung der Rechten dieses Hauses und auch des Zentrums, also der Parteien, die in Mittelstandsfreundlichkeit gar nicht genug machen können. Wie man Mittelstandsfreundlichkeit mit Schifffahrtsabgaben überhaupt für verträglich halten kann, ist ganz schleierhaft; das ist ein Widerspruch wie Feuer und Wasser. Sie haben eben nicht eine Seele und ein Herz, sondern Sie haben mindestens zwei Herzen oder Herzenskammern, wenn nicht noch mehr. Außer dem Mittelstandsherzen haben Sie jedenfalls das agrarische Herz; aber: „zwei Herzen und einen Gedanken", und das ist der Gedanke des agrarischen Profits. Wenn die beiden verschiedenen Herzen miteinander in Konflikt geraten, dann siegt stets das agrarische; und so ist die agrarische Tendenz allenthalben hier im Hause übermächtig geworden gegenüber Ihrer sogenannten Mittelstandsfreundlichkeit. Die kleinen Schiffer können ein Lied von dieser Mittelstandsfreundlichkeit singen. Aus zweifellos agrarischen Interessen haben Sie wesentliche Interessen des Mittelstandes geopfert, aus zweifellos agrarischem Interesse wollen Sie dem Stand der kleinen Schiffer eine so große Last auferlegen, dass darunter eine große Menge dieser Existenzen notwendig zusammenbrechen muss. Wir gratulieren im Voraus zu dem Erfolg, den Sie mit dieser Ihrer Politik haben werden.

Die Schifffahrtsabgaben sind bereits gegenwärtig sehr hoch. So sind für einen Kahn von 441 Tonnen in sieben Monaten bei annähernd normaler Beschäftigung auf dem Gebiete der Elbe, der märkischen Wasserstraßen und der Oder 1144 Mark zu zahlen. Das ist ein kleines Beispiel für die schwere Belastung dieser schwachen Schultern. Die Steuern, die selbst die hoch bemittelten Angehörigen anderer Stände zu tragen haben, halten gar keinen Vergleich aus mit diesen schweren Abgaben. Es ist berechnet worden, dass dieser Betrag sich durch die neu geplanten Schifffahrtsabgaben noch verdoppeln wird. Dass das kein Pappenstiel ist, wenn man einem solchen kleinen Mann im Verlauf von sieben Monaten 1100 Mark aufbürdet, ist doch wohl ohne weiteres klar. Dazu kommt, dass die Frachten besonders für die kleinen Schiffer in den letzten Jahren um nahezu 50 Prozent zurückgegangen sind. Man wird begreifen, dass die Kleinschiffer an den Schifffahrtsabgaben zugrunde gehen werden, während die großen Gesellschaften sie allerdings aushalten werden. Sie (zur Rechten) werden durch die Schifffahrtsabgaben einfach aus der blinden Begierde heraus, Ihre agrarischen Interessen zu fördern, einer weit geschwinderen Entwicklung zum Großkapitalismus auf dem Gebiete des Schifffahrtskapitals die Wege ebnen, als sie eintreten würde, wenn Sie nicht in dieser gewaltsamen Weise Ihre Profitinteressen verfolgen würden. Nun, meine Herren, wir kennen ja Ihre Sorte Mittelstandsfreundlichkeit aus dem Effeff, wie sie sich auch bei der Reichsfinanzreform so herrlich offenbart hat!

Der Herr Minister hat im Jahre 1909 einmal den Vorschlag gemacht, diesen kleinen Leuten durch eine Art Vergenossenschaftlichung zu helfen. Ja, meine Herren, es ist uns ganz willkommen, wenn der Herr Minister auf eine solche Idee kommt. Der Genossenschaftsgedanke ist ja in einem gewissen Sinne ein sozialistischer Gedanke, und wenn der Herr Minister anerkennt, dass in anderer Weise als so den kleinen Leuten nicht geholfen werden kann, so gibt er uns damit das allerbeste Agitationsmittel in die Hand, um ihnen klarzumachen, dass unsere wirtschaftspolitischen Anschauungen die richtigen sind und die einzigen, unter deren Flagge sie zu einem Erfolge in den Bestrebungen auf Verhinderung ihres vollkommenen wirtschaftlichen Ruins segeln können.

Meine Herren, wir werden selbstverständlich den kleinen Schiffern keine Illusionen vormachen und werden ihnen stets, wie sie ja selbst erkennen, predigen, dass gegen das Großkapital kein Kraut gewachsen ist, dass wir insbesondere nicht in der Lage sind, unsere Hand dazu zu bieten – und dass auch Sie überall in diesem Hause das ernstlich nicht tun –, die Entwicklung des Kapitalismus zu unterbinden. Das wäre auch ganz unmöglich, das hieße etwa, sich einem Kurierzug entgegenstellen und ihn mit den Händen aufhalten wollen. Da kommt man nicht zum Ziel. Es ist aber selbstverständlich zu verwerfen, wenn das Großkapital in einer sinnlosen, den kleinen Leuten den Kampf erschwerenden, unbilligen Weise gefördert wird; und das ist die Wirkung der Binnenschifffahrtspolitik, die die preußische Regierung gegenwärtig verfolgt.

Meine Herren, man hat versucht, den Privatschiffern den Gedanken einzuimpfen – insbesondere war es ein Herr Ganskopf in der Generalversammlung des „Bundes" vom 20. Februar 1911, der sagte, „nur wahres Christentum und echte Königstreue sind die Grundlagen, auf denen wir eine Besserung unserer Verhältnisse in jeder Beziehung erwarten können". Ja, meine Herren, das ist ganz schön und gut. Aber glauben Sie mir: Es verfängt nicht mehr! Viel Erfolg werden Sie damit jedenfalls nicht haben. Die Schiffer empfinden das als Redensarten, als Formalitäten, glauben nicht mehr daran, kommen zu uns und werden für uns auch bei den Wahlen eintreten. Wir wissen das bereits von früheren Zeiten her, dass die Schifffahrtsbevölkerung – wie ich ja auch neulich ausführte – immer mehr zur Sozialdemokratie tendiert.

Meine Herren, jetzt will man die Schifffahrtsabgaben aber damit rechtfertigen, dass sie gerade dem Verkehr dienen! Herr Freiherr von Zedlitz ist heute mit diesem überraschendem Argument aufgetreten. Ja, meine Herren, die Schifffahrtsabgaben dienen selbstverständlich dem Verkehr, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass Kanäle nicht angelegt und Ströme nicht ausgebaut werden können, ohne dass die Rentabilität der Kapitalanlage im Sinne eines privatkapitalistischen Unternehmens garantiert ist; dann, von diesem engen kaufmännischen Standpunkt aus, würde Herr Freiherr von Zedlitz wohl sagen können, dass die Schifffahrtsabgaben zunächst einmal notwendig seien, um überhaupt Wasserstraßenanlagen zu ermöglichen.

Aber das ist ja gerade das grundsätzlich Verkehrte an dem Standpunkt, von dem Herr Freiherr von Zedlitz ausgeht. Unsere Ansicht ist, dass die Kanäle und die gesamten Wasserstraßen der Allgemeinheit dienen, dass der Verkehr dermaßen dicht verschlungen ist über die ganze Nation und selbst noch weit darüber hinaus, dass man hier niemals zwischen Privatinteressen und Interessen der Allgemeinheit unterscheiden kann, dass für derartige Unternehmungen einfach das allgemeine Ganze einzutreten hat und das allgemeine Ganze daraus wieder den Vorteil zieht. Das ist die Anschauung, von der wir ausgehen und die allein zu einer wirklich großzügigen, von kleinlichen Profitinteressen unabhängigen Verkehrspolitik führen kann.

Meine Herren, um die Vereinbarkeit der Schifffahrtsabgaben mit der Reichsverfassung zu beweisen, hat man argumentiert, dass man bei Abschluss der Schifffahrtsverträge und bei Emanation der Reichsverfassung nicht daran habe denken können, dass solche gewaltigen Leistungen zur besseren Schiffbarmachung unserer natürlichen Wasserstraßen notwendig sein würden. Das ist in einem gewissen Sinne richtig, daran hat man damals vielleicht nicht gedacht, die Technik hat sich ungeahnt entwickelt. Aber erfolgt denn diese Ausbildung unserer Wasserstraßen so ganz ohne Zweck und Vorteil? Wenn diese Ausbildung auf der einen Seite auf Grundlage der starken Entwicklung des Verkehrs und der Technik die Ausgaben hat in die Höhe schnellen lassen, so haben diese Mehraufwendungen der Allgemeinheit doch so große Vorteile gebracht und werden sie immer weiter bringen, dass sie weit aufgewogen werden. Die früheren Ausgaben für die Binnenschifffahrt standen zu den Vorteilen, die der Allgemeinheit damals daraus erwuchsen, gewiss in keinem günstigeren Verhältnis als die jetzigen Aufwendungen zu den jetzigen Vorteilen. Daraus ergibt sich, dass alle solche Argumentionen in Widerspruch stehen mit dem Geist der Reichsverfassung. Meine Herren, ich wiederhole, der Paragraph 19 des Gesetzes vom 1. April 1905 verfolgt den Zweck, die agrarischen Interessen zu vertreten.

Außerdem soll aber eine zweite Fliege mit der gleichen Klappe geschlagen werden: Die unliebsame Konkurrenz, die der Eisenbahnverwaltung durch die Schifffahrt gemacht werden könnte, soll durch Ausnutzung des Paragraphen 19 nach Möglichkeit unterbunden werden. Meine Herren, immer wieder hören wir, dass das Abgabenwesen dazu dienen sollte, den Wasserstraßenverkehr „in eine richtige Beziehung zu den Eisenbahnen und deren Frachtsätzen" zu bringen. Die Denkschrift vom 1. April 1905 hat das ausgesprochen, und das ist der Refrain, der immer wieder ertönt. Meine Herren, selbstverständlich müssen wir uns gegen eine derartige Taktik wenden, die getragen ist von dem fiskalischen Gesichtspunkte, der insbesondere auch im Reichstage, durchaus mit Recht, verdammt worden ist und der vom Herrn Minister durchaus unzureichend verteidigt ist.

Meine Herren, sehr interessant und bedeutsam ist die Stellung der Einzelstaaten zu den Schifffahrtsabgaben. Sie wissen, dass die Einzelstaaten zunächst zu einem großen Teil energischste Gegner der Schifffahrtsabgaben gewesen sind; Sie wissen, dass gegenwärtig im Bundesrat „Einmütigkeit" erzielt worden ist. Es ist das die Einmütigkeit des Grabes, könnte man fast sagen. Die kleineren Bundesstaaten, besonders die süddeutschen, sind mit Zuckerbrot und Peitsche zur Ruhe gebracht worden; das ist die Einmütigkeit, die man erzielt hat. Meine Herren, dass die Hilferufe, die die süddeutschen Staaten in ihren bekannten Denkschriften ausstießen, viel mehr der wahren Herzensmeinung der süddeutschen Regierungen und viel mehr der Gesinnung der dortigen Bevölkerung entsprachen als etwa die jetzige Zustimmung zu den Schifffahrtsabgaben, das liegt klar auf der Hand. Es ist also „unter Anwendung von Energie", um ein Wort des Grafen Posadowsky zu gebrauchen, den kleinen Bundesstaaten klargemacht worden, wo Bartel den Most holt, und ihnen ist einfach der preußische Wille aufgenötigt worden, indem man ihnen allerdings kleine Vorteile gewährte, Brosamen vom Tische des Herrn.

Meine Herren, wenn heute Herr von Pappenheim sich hier als Gegner des preußischen Partikularismus hingestellt und so eine Gastrolle gegeben hat – (Abgeordneter von Pappenheim: „Gastrolle?") Ja, in dieser Eigenschaft allerdings eine Gastrolle. (Abgeordneter von Pappenheim: „Nein, ich bin hier zu Hause!") Natürlich, Sie sind sonst hier nur allzu sehr zu Hause, und Sie möchten, dass wir uns nur als Gäste fühlen. Aber, Herr von Pappenheim, wenn Sie einmal gegen den preußischen Partikularismus vom Leder ziehen, spielen Sie hier doch eine Gastrolle; dabei bleibt es. – Herr von Pappenheim hat damit allerdings nur eine kleine Volte geschlagen; er hat seinen Vorbehalt gegen den Partikularismus, seine scharfen Angriffe gegen Bremen usw. angeknüpft. Er wollte also seine partikularistischen Angriffe decken, indem er eine Beteuerung der Abneigung gegen den Partikularismus als Schild vor sich hielt.

Meine Herren, die Schifffahrtsabgaben sind zweifellos politisch und wirtschaftlich ein weiterer Schritt zur Verpreußung Deutschlands. Der preußische Geist geht um. Man will diese Daumenschraube dem ganzen Deutschen Reiche aufsetzen. Mein Vorredner, der Herr Abgeordnete Waldstein, hat das mit erfreulicher Deutlichkeit gekennzeichnet. Man wünscht das ganze übrige Deutschland zu einer Dependance von Ostelbien zu machen.

Meine Herren, wie steht es mit dem Ausland? Das ist ja auch nicht ohne Interesse. Österreich hat sich bereits im vergangenen Jahre mit großer Energie gegen die Abänderung internationaler Schifffahrtsverträge ausgesprochen, und vor wenigen Wochen ist eine neue Willensäußerung der österreichischen Regierung zutage gefördert: Der Herr Handelsminister Dr. Weiskirchner hat Ende Januar dieses Jahres erklärt, dass die Regierung „unentwegt an den ihr durch die Elbverträge gewährleisteten Rechten festhalten" würde. Es ist daraufhin von dem Volkswirtschaftlichen Ausschuss ein Antrag angenommen worden, der sich eindeutig gegen die von Preußen geplante Verschlechterung der Verkehrsverhältnisse ausspricht. Ferner haben wir auch von Holland gehört, dass es sich durchaus ablehnend verhält und gewillt ist, weiterhin ablehnend zu bleiben.

Meine Herren, man hat versucht, dem Herrn Abgeordneten Dr. Röchling einen Vorwurf zu machen, weil er die fremden Staaten in der Frage der Schifffahrtsabgaben gewissermaßen als Nothelfer gegen die preußische Regierung aufgerufen habe. Auch wir können nur erklären, dass wir die Haltung der österreichischen und der holländischen Regierung begrüßen (Lachen und Unruhe rechts.), dass wir der Ansicht sind, dass in diesem Falle die ausländischen Regierungen, objektiv betrachtet – die subjektive Seite interessiert uns hierbei nicht –, bessere Freunde der deutschen Kultur und des deutschen Volkes sind als die preußische Regierung und die deutsche Regierung, besonders aber als die Herren, die auf der rechten Seite dieses Hauses sitzen.

Meine Herren, nun sind Sie ja in einer sehr kriegerischen Stimmung, so dass man wirklich schon die alten Panzer der einstigen ostelbischen Rittergeschlechter rasseln hört (Lachen rechts.), wenn man nur den Antrag des Herrn Abgeordneten von Pappenheim2 liest, der nichts weiter darstellt als die Aufforderung zu einer schroffen Repressalie („Sehr richtig!"), einmal gegen die süddeutschen Regierungen, die ihren Abgeordneten oder Bundesratsvertretern noch nicht genügend den Rücken gesteift haben, von denen man ein Rezidiv erwartet, einen Rückfall befürchtet (Abgeordneter von Pappenheim: „Wir haben längst zugestimmt!") – das wissen wir, man kann aber auch unter Umständen seine Meinung ändern, die Sache ist noch nicht erledigt –, und andererseits gegen den Reichstag. In nicht misszuverstehender Weise hat Herr von Zedlitz, der öfters schon mal Ihre (nach rechts) Gedanken ausgeplaudert hat (Lachen rechts.), heute betont, es müsse klargemacht werden, dass der Reichstag nicht imstande ist, weiterhin fort zu wursteln wie bisher im Vertrauen darauf, dass man in Preußen die bisherige Schifffahrtspolitik weiter treiben wird. (Zuruf rechts.) Das hat er doch deutlich gesagt, darin besteht nicht der geringste Zweifel. Also wir wissen: Was Sie fordern, ist eine Repressalie schroffster Art gegenüber dem Reichstage mindestens, aber auch, wie mir scheint, gegenüber den ausländischen Regierungen. Wie wäre es denn schon mit so ein klein bisschen Bundesexekution gegen die widerwilligen deutschen Bundesstaaten? Wie war es doch neulich bei der Erörterung der preußisch-hessischen Eisenbahnfrage? Wie hat Herr von Pappenheim da das Kriegsbeil geschwungen gegen Hessen und eine bestellte Rede des Ministers provoziert! Das war ja mal so ein bisschen preußischer Partikularismus bei demselben Herrn von Pappenheim, der den preußischen Partikularismus wenigstens nach seinen Worten so sehr verabscheut. Der Antrag Pappenheim will, so wiederhole ich, offenbar auch gegen das Ausland eine Repressalie ausüben, gegen Österreich und gegen Holland. Das verträgt sich so sehr schön mit der bekannten Nibelungentreue, die man Österreich geschworen hat und die Österreich Deutschland geschworen hat.

Meine Herren, es sind ja die merkwürdigsten Geschichten, die sich vollziehen, sobald es den Herren auf der Rechten nicht nach ihrem Willen geht: Da kann die innere und auswärtige Politik, da kann der Friede zwischen den Bundesstaaten, da kann der Friede im Dreibunde flöten gehen, das ist ihnen ganz gleichgültig („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), das ist ihnen ganz Nebensache. So machen Sie (nach rechts) Ihre Politik mit Rücksichtslosigkeit und schroffer Brutalität. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, mit den preußischen Junkern ist nicht gut Kirschen essen. („Das ist wahr!" Heiterkeit.) Ja, es ist nicht gut mit Ihnen Kirschen essen; aber mit uns auch nicht, mit uns vielleicht noch schlechter; das werden wir Ihnen schon noch mal zeigen, meine Herren. (Lachen rechts.) Meine Herren, dann und wann sucht man uns Sozialdemokraten alte Ladenhüter an den Kopf zu werfen. (Zuruf des Abgeordneten von Pappenheim.) Ja, Sie machen es auch; etwas anderes als alte Ladenhüter haben Sie ja gegen uns nicht.

Nun möchte ich einmal, meine Herren, Ihre (nach rechts) deutsche und Dreibunds-Bundestreue dahin charakterisieren: Willst Du nicht mein Bruder sein, schlag' ich Dir den Schädel ein. (Lachen rechts. „Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.) Das ist sicherlich viel wahrer als das, was Sie uns zum Vorwurf machen.

Meine Herren, und das Köstliche an der Geschichte ist nämlich noch, dass Sie mit dieser Repressalie eine fast selbstmörderische Politik verfolgen. Sie wollen, weil Sie die andern deutschen Bundesstaaten ärgern oder weil die ausländischen Staaten Sie ärgern, die preußischen Wasserstraßen nicht auf die erforderliche Höhe bringen. Kann man sich so etwas vorstellen? Weil Sie sich über die andern ärgern, schneiden Sie sich in Ihr eigenes Fleisch hinein! Das klingt ja wie die bekannte Geschichte von dem Jungen, der sich die Finger erfroren hatte, weil er keine Handschuhe besaß, und der zu seinem Papa lief und sagte: Vater, siehst du, das ist dir ganz recht, dass ich mir die Finger erfroren habe, warum hast du mir keine Handschuhe gekauft. – Eine so kurzsichtige Politik verfolgt Ihr Antrag, eine so kurzsichtige Politik wollen Sie hier treiben, eine Politik, die freilich im Einklang steht mit der übrigen Politik, die Sie (nach rechts) auf dem Gebiet des Schifffahrtswesens bisher getrieben haben.

Meine Herren, Repressalienpolitik! Repressalien wollen Sie ja auch gegenüber Hannover anwenden. Ich beziehe mich auf den Bericht der Budgetkommission. Dort ist von dem Herrn Minister ausdrücklich, und zwar auf Anforderung des Herrn von Pappenheim, auf Befehl des Herrn von Pappenheim, darf ich wohl sagen, erklärt worden, dass, wenn Hannover nicht nachgäbe, man dann mit Hannover schon fertig werden würde durch allerhand kleine Schikanen, die man anbringen würde, und es ist dabei auch betont worden, dass man eine an und für sich im Interesse des Verkehrs liegende Schleuse nicht bewilligt habe, offenbar auch, weil man sich eben mit Hannover gegenwärtig in diesem Konflikte befindet. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, das ist eine Politik, die selbstverständlich unsere Billigung nicht finden kann.

Aber noch eine andere, ebenfalls sehr pikante Tatsache geht aus dem Kommissionsbericht hervor. Der Herr Minister teilt dort mit, dass die Königliche Staatsregierung in der Nähe des Kanals bei Hannover bereits umfangreiche Gelände angekauft habe, und zwar „für Industriezwecke". Also sehen wir die Königliche Staatsregierung auf den sündigen Pfaden der Bodenspekulation wandeln. (Heiterkeit rechts.) Meine Herren, ich weiß ja nicht, vielleicht wird der ganze Grund und Boden dort in gemeinnütziger Weise ausgenutzt. Dann ist das ein sehr vernünftiger Gedanke. Aber wir wissen ja, wie sonst der preußische Staat mit dem Grund und Boden, den er einmal in den Fingern hat, zu wuchern, zu spekulieren pflegt; denken Sie an den Botanischen Garten, an den Grunewald usw.! Wir haben die starke Vermutung, dass da auch wieder Geld gemacht werden soll, in echt privatkapitalistischer Weise und nicht dem allgemeinen Interesse entsprechend.

Wir freuen uns über das Wort von den Kanalfanatikern3, das heute von Seiten des Herrn von Pappenheim gefallen ist, wir freuen uns, dass er erneut die Tatsache konstatiert hat, was für Freunde des Verkehrs die Herren auf der Rechten sind: Freunde des freien Verkehrs mit dem Strick um den Hals und mit dem Galgen daneben. Das ist die Sorte Ihres freien Verkehrs, den Sie lieben, und dass der Herr Eisenbahnminister insbesondere noch ein Hindernis bildet aus den fiskalischen Gründen, von denen ich vorhin sprach, darüber bedarf es keiner weiteren Ausführung.

Sehr wichtig ist, dass, als der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten über das Wassergesetz interpelliert wurde, das auch von uns dringend gewünscht wird, der Herr Minister erklärte, das sei eine Sache, die durchaus der Disposition des Herrn Landwirtschaftsministers unterliegt. Meine Herren, daraus ergibt sich, dass wichtige Verkehrsfragen – denn durch das Wassergesetz werden zweifellos auch wichtige Verkehrsfragen mit berührt – in den Händen des verkehrsfeindlichsten preußischen Ministers liegen, von dem wir natürlich nichts Gutes zu erwarten haben werden. Es ist genau wie mit dem Verhältnis zwischen dem Justizminister und dem Minister des Innern: Der Herr Justizminister ist abhängig vom Herrn Minister des Innern. Ich will das Wort nicht wiederholen, das mir jüngst einen Ordnungsruf in diesem Hause eingetragen hat. Genauso ist der Eisenbahnminister in vieler Beziehung abhängig vom Landwirtschaftsminister, der schließlich eben doch neben dem Finanzminister der einflussreichste Minister Preußens ist.

Meine Herren, um festzustellen, wie rücksichtslos Sie Ihre persönlichen Interessen in der Kanalpolitik verfolgt haben, wie Sie da das Wohl und Wehe des Vaterlandes, von dem Sie nicht genug reden können, in den Hintergrund gestellt haben, dafür bietet einen schlagenden Beweis die Tatsache, dass Sie sich in der Mittellandkanalfrage den Teufel geschoren haben um die militärischen Interessen, die nach den Erklärungen der Staatsregierung mit dem Mittellandkanalprojekt auch mitverfolgt werden sollten. (Zurufe rechts.) Ja, meine Herren, es ist schon so, dass Sie (nach rechts) in allererster Linie den landwirtschaftlichen Profit fördern wollen und im Übrigen Ihnen das Vaterland Hekuba ist, wenn es nicht in dieser Richtung Ihren Interessen dient. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Dafür sind Belege in Hülle und Fülle vorhanden.

Nun, meine Herren, das Allerschönste, was mir am meisten Vergnügen bereitet, ist aber das, was in der Kommission über den Mittellandkanal verhandelt ist. Meine Herren, das muss mit Ruhe genossen werden und in der empfänglichsten Stimmung, die man überhaupt auftreiben kann.

Meine Herren, dass der Mittellandkanal nicht bei Hannover enden kann, dass er in dieser Sackgasse nicht abschließen kann, das ist klar, das lehrt ein Blick auf die Karte. Also, es wird zweifellos dazu kommen, dass dieser Kanal schließlich doch noch bis zur Elbe gebaut wird und dass das Wort des Deutschen Kaisers4 sich doch noch bewahrheiten wird, mögen Sie sich noch so sehr sträuben.

In der Kommission hat nun der Herr Abgeordnete von Pappenheim folgenden Appell an den Minister gerichtet: Ihm sei bekannt geworden, dass eine Bewegung im Gange sei, die den Verdacht entstehen lasse, dass der Kanal weiter fortgeführt werden solle. Seine politischen Freunde würden eine solche Maßregel mit Energie bekämpfen. (Abgeordneter Hoffmann: „Hört! Hört!")

Da muss man doch fragen: Wo ist denn eine solche Bewegung im Gange; ist es vielleicht Seine Majestät der preußische König, der wiederum sein Herz einem solchen Wahne zuneigt, dass wir doch einen Kanal bauen könnten unter der Herrschaft der Junker im preußischen Landtag? Wackeln bei uns etwa wieder so ein klein bisschen die Throne, oder wird durch das Wort des Herrn von Pappenheim wieder so ein kleines Thronwackeln angekündigt? (Lachen rechts.) Ich kann es ja nicht wissen; wir gehören ja nicht zu den Eingeweihten der politischen Geheimküchen, aber Sie (zur Rechten) wissen ja genau in allen Couloirs Bescheid, denn Sie regieren ja selbst, Herr von Pappenheim. (Heiterkeit.) Sie können mir ja nachweisen, wenn ich unrecht habe; ich frage ja auch nur ganz bescheiden bei Ihnen an, der Sie ja wissen müssen, wo solche Bestrebungen im Gange sind. Aber Sie müssen mir schon erlauben, dass ich meine Kombinationen mache, auch wenn sie Ihnen unbequem sind. Selbstverständlich erheben sich, wenn solche „Bestrebungen" „im Gange sind", sofort die Kanalrebellen und rufen dem Minister ein „Kusch" zu (Heiterkeit.), wie das ja in Preußen der Fall zu sein pflegt, wenn ein Minister nicht will, wie die Herren Konservativen wollen.

Die Antwort, die der Minister Herrn von Pappenheim erteilt hat, muss man in einen goldenen Rahmen einrahmen. Sie lautet: „Ferner erkläre ich, dass irgendwelche Vorkehrungen für die etwaige Fortsetzung des vor einem geschlossenen fiskalischen Walde endenden Kanals über Hannover hinaus nicht getroffen werden. Ich habe sogar abgelehnt, dass im Osten Hannovers auf Staatskosten eine Schleuse hergestellt werde, die allerdings zur sachgemäßeren Ausgestaltung eines städtischen Osthafens zweckdienlich sein würde." („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) – Das ist die Schleuse, von der ich vorhin sprach. – „Es soll auch der Schein vermieden werden, als würde der Anfang einer Kanalfortsetzung mittelbar gefördert." (Erneutes „Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten. „Sehr richtig!" rechts.) Meine Herren, dass ist so schön, dass ich darauf wirklich kein anderes Wort finde als: Die Regierung frisst Ihnen schon aus der Hand. (Große Heiterkeit.)

So weit ist es in Preußen gekommen. Solche Art der Regierungsführung muss man sich in einem hoch industriellen Lande gefallen lassen; man muss es sich gefallen lassen, dass ein Minister – oder Verkehrsminister –, selbst unter Preisgabe von Verkehrsinteressen, wie er hier ausdrücklich erklärt hat: um auch nur den Anschein zu vermeiden, als ob er irgendwie dem Willen der Rechten dieses Hauses zuwider wäre, seine Maßnahmen trifft. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn damit nicht festgestellt ist, dass Sie auf der Rechten verdienen, dass mit Ihnen endlich eine gründliche Götzendämmerung eintritt (Heiterkeit.); wenn damit nicht bewiesen ist, dass die preußische Staatsregierung ihre Pflicht und Schuldigkeit dem preußischen Volke gegenüber nicht tut; wenn damit nicht bewiesen wird, dass das deutsche Volk von einer übermütigen Clique, einer kleinen Minorität, zum Schaden des Allgemeininteresses regiert wird (Erneute Heiterkeit rechts und im Zentrum. „Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), dann weiß ich nicht, wie man den Beweis weiter noch führen soll. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Damit ist der Beweis geführt worden, dass es die allerhöchste Zeit ist, endlich Ihrer für das Reich, für die internationalen Beziehungen des Reiches, für die innerpolitischen Beziehungen in Deutschland, für die wirtschaftlichen und politischen Interessen des ganzen Deutschen Reiches so verderblichen Politik rücksichtslos und mit Energie ein Ende zu machen. („Sehr gut!" und „Bravo!" bei den Sozialdemokraten.) Wir werden unsere Kraft einsetzen, um – mögen Sie tun, was Sie wollen – dieses Ziel zu erreichen, zum Heile des ganzen deutschen Volkes. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Lachen und Zischen im Zentrum und rechts.)

1 Um die Einfuhr von billigerem Getreide in die Absatzgebiete der preußischen Junker zu erschweren, setzten sie in dem Kanalgesetz Vom 1. April 1905 durch, dass die Frachtkosten auf den Binnenwasserstraßen verteuert wurden. Die betreffende Bestimmung, Paragraph 19, lautete: „Auf den im Interesse der Schifffahrt regulierten Flüssen sind Schifffahrtsabgaben zu erheben. Die Abgaben sind so zu bemessen, dass ihr Betrag eine angemessene Verzinsung und Tilgung derjenigen Aufwendungen ermöglicht, die der Staat zur Verbesserung oder Vertiefung jedes dieser Flüsse über das natürliche Maß hinaus im Interesse der Schifffahrt gemacht hat. Die Erhebung dieser Abgaben hat spätestens mit Inbetriebsetzung des Rhein-Weser-Kanals oder eines Teiles desselben zu beginnen."

2 Die Konservative Partei beantragte, bis zur Annahme des Schifffahrtsabgabengesetzes die Fahrtiefen der Flussläufe nur in der dem Vertrage entsprechenden Weise zu unterhalten. Das war ein Vorstoß gegen die Bundesstaaten, die mit der Erhebung von Schifffahrtsabgaben nicht einverstanden waren. Nachdem der Minister erklärt hatte, er werde auch ohne Annahme dieses Antrages den Wünschen der Antragsteller entsprechen, zogen diese ihre Anträge zurück. Die Red.

3 Gemeint sind die Junker, die gegen den Bau des Mittellandkanals opponierten. Die Red.

4 Aus Anlass der Einweihung des Dortmund-Ems-Kanals am 11. August 1899. Die Red.

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