Karl Liebknecht‎ > ‎1911‎ > ‎

Karl Liebknecht 19111110 Schwarzhundert-Landsmannschaft

Karl Liebknecht: Schwarzhundert-Landsmannschaft

Zeitungsbericht über einen Prozess

[Vorwärts Nr. 265 vom 11. November 1911. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 486-489]

Die seinerzeit im Landtage gepflogenen Debatten über die Vorgänge, die den russischen Studenten Dubrowsky wegen der Verweigerung seiner Immatrikulation an der hiesigen Universität zum Selbstmord getrieben haben, hatten gestern ein längeres Nachspiel vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Charlottenburg unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats Zeckwer. Der Fall Dubrowsky hatte im Landtage die bekannten Erörterungen hervorgerufen, in denen besonders die Abgeordneten Dr. Liebknecht und Korfanty darzutun suchten, dass D. ein Opfer der russischen Polizei geworden und die Berliner Polizei jener dienstwillig gewesen sei, indem D. gezwungen werden sollte, sich der Organisation der russischen Landsmannschaft in Berlin anzuschließen. Über Ziele und Zwecke dieser akademischen Vereinigung machten beide parlamentarischen Redner weitere Ausführungen; der eine gliederte sie in die Vereinigung „echtrussischer Männer"1 ein, der andere nannte sie eine „Botschafter-Landsmannschaft russischer Studenten".

Über die betreffende Sitzung des Abgeordnetenhauses schickte der Berliner Korrespondent der in Moskau erscheinenden Zeitung „Russkoje Slowo", Journalist Ilja Trotzki, seiner liberalen Zeitung einen längeren telegrafischen Bericht, in welchem sich der Satz befindet: „Ferner entlarvten die Redner die Schwarzhundert2-Landsmannschaft." Wegen dieser Bezeichnung hatten vier russische Kandidaten als Mitglieder jener akademischen Vereinigung den Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Der Angeklagte Trotzki wurde durch Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht verteidigt, die Privatkläger wurden durch Rechtsanwalt Paul Bredereck vertreten.

Der Angeklagte bestritt, eine beleidigende Absicht verfolgt zu haben, vielmehr habe er als Journalist ein ganz objektives Telegramm abgefasst und dabei der Kürze wegen das Wort „Schwarzhundert-Landsmannschaft" gebraucht.

Seitens des Gerichts war bei dem kaiserlich deutschen Generalkonsulat angefragt worden, was dieser Ausdruck bedeute und ob er einen beleidigenden Beigeschmack habe. Die Verlesung dieser Auskunft erachtete Rechtsanwalt Dr. Liebknecht für unzulässig, da er das deutsche Generalkonsulat in dieser Frage in keiner Weise für eine geeignete objektive Behörde halte. Es handle sich doch um heftige Angriffe gegen die deutschen Behörden, welche jener Landsmannschaft kräftige Förderung habe zuteil werden lassen. Das Gericht war dagegen mit dem Rechtsanwalt Bredereck der Meinung, dass eine solche Auskunft durchaus in den Rahmen des Wirkungskreises des Generalkonsulats gehöre.

Die verlesene Auskunft ging im Allgemeinen dahin: Jene Bezeichnung stamme aus der Zeit der Revolution und wurde von der revolutionären Partei als Spott- und Schmähnamen ihren ultrareaktionären Gegnern angehängt, die, wie seinerzeit die Anarchisten und Propagandisten der Tat, vor keinen Gewalttaten zurückschrecken, denen nachgeredet wird, die Judenpogrome veranstaltet zu haben usw. Jene Charakterisierung sei kein Parteiname, sondern eine schmähende Charakterisierung der auf der äußersten Rechten stehenden ultrareaktionären Elemente. Die einen mögen diesen Namen als Ehre betrachten, die andern als Schmähung; eine solche würde gewiss als vorliegend zu erachten sein, wenn diese Bezeichnung auf die fortschrittliche Partei angewendet werden würde.

Rechtsanwalt Dr. Liebknecht stellte sodann eine große Reihe von Anträgen, die beweisen sollte, dass die von den beiden Abgeordneten in ihren Reden aufgestellten Behauptungen in Bezug auf diesen Verein wahr seien und der Verein mit Recht die Bezeichnung „Schwarzhundert-Landsmannschaft" verdiene. Er stellte unter anderem unter Beweis, dass bei Festlichkeiten dieses Vereins das Büfett von der Botschaft gespendet worden sei, dem Verein sei von der Witwe des Generals Keller eine Geldspende von 1000 Mark gemacht worden, Protektor des Vereins sei der stellvertretende russische Botschafter in Berlin; der Verein habe Anlehnung an die sogenannte Akademisten-Organisation gehabt, die unter dem Protektorat des sattsam bekannten Purischkewitsch stehe, der ein Mann der extremsten „echtrussischen" Richtung sei und zu denen gehöre, die die Bezeichnung „Schwarzhundert-Männer" als eine Ehre für sich in Anspruch nehmen. Der Zar und die Regierung identifizieren sich fortgesetzt mit den „Echtrussen", der Zar gebe diesen Geldmittel aus seiner Schatulle, und er habe am 23. Dezember 1905 an eine Deputation Worte gerichtet, die ihn vollständig mit dem echtrussischen Volksverband identifizieren. Die Männer dieses Verbandes bezeichnen sich selbst als echtrussische Schwarzhundert-Männer. Jetzt werde die ganze extreme Reaktion so bezeichnet. Es sei ein politisch-technisches Wort, welches vom Standpunkte der Opposition zweifellos beleidigend, vom Standpunkt der gouvernementalen Partei aber keineswegs beleidigend sei; der General von Lieber, Fürst Bülow und der Kaiser seien gewiss nicht beleidigt gewesen, als sie nach dem Ausfall der Reichstagswahlen 1907 vom Schwarzhundert-Verband Glückwunschdepeschen erhielten. Schließlich verwies Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht darauf, dass die reaktionäre Zeitung „Russische Fahne" im August 1907 in einem Artikel Kaiser Wilhelm II. als „neuen großen Schwarzhundert-Mann" gerühmt habe, „der in die Reihen der russischen Reaktionäre getreten sei".

Rechtsanwalt Bredereck beantragte die Ablehnung aller dieser Anträge. Dieser akademische Verein gehöre laut Statut keiner politischen Partei an und nehme zu politischen Fragen gar keine Stellung. Es sei völlig unrichtig, dass er in Beziehung zu den Ultrareaktionären stehe. Ganz abwegig sei der Hinweis auf Purischkewitsch, der etwa die Rolle des Grafen Pückler seligen Angedenkens spiele.

Das Gericht lehnte alle Beweisanträge ab.

Rechtsanwalt Bredereck beantragte hierauf die Bestrafung des Angeklagten. Der Verein sei keineswegs ein subventioniertes Organ der russischen Regierung. Die Bezeichnung „Schwarzhundert-Landsmannschaft" werde in Russland allgemein als beleidigend empfunden; sie werde von den Liberalen gebraucht, wenn sie in wegwerfendem Sinne von ihren Gegnern sprechen. Der Verein stehe nicht auf dem Standpunkt der „echtrussischen Männer" und noch weniger auf dem der „Schwarzhundert-Männer".

Rechtsanwalt Dr. Liebknecht bedauerte, dass ihm durch Ablehnung der Beweisanträge die Möglichkeit genommen sei, gegen das Gutachten des Generalkonsulats, welches in sich widerspruchsvoll sei, zu polemisieren und zu beweisen, dass der Verein kein rein akademischer sei. „Schwarzhundert-Leute" sei an und für sich durchaus kein Schimpfwort vom Standpunkt der russischen Reaktionäre. Wenn der Angeklagte dies Wort gebraucht habe, so dürfe nicht vergessen werden, dass er nur in einem knappen Telegrammstil den Inhalt zweier Reden zu rekapitulieren hatte. Die große Gefahr liege vor, dass es zu einem großen Unfug ausarten könnte, wenn man in dieser Weise parlamentarische Erörterungen vor das Forum der Gerichte bringen würde.

Der Angeklagte blieb im Übrigen auf dem Standpunkt stehen, dass er mit der Bezeichnung das Richtige getroffen habe.

Das Gericht hielt den Angeklagten der Beleidigung schuldig und verurteilte ihn zu 100 Mark Geldstrafe, eventuell zehn Tage Haft.

1 Mit der Bezeichnung „echtrussische Männer" sind die Mitglieder des Verbandes des russischen Volkes gemeint, einer 1905 zum Kampf gegen die Revolution gegründeten monarchistischen Schwarzhunderterorganisation in Russland.

2 bewaffnete Banden, gegründet 1905–1907 durch die zaristische Polizei und durch monarchistische Organisationen. Sie ermordeten revolutionäre Arbeiter und Angehörige der Intelligenz, organisierten Judenpogrome und terrorisierten die nationalen Minderheiten.

Kommentare