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Karl Liebknecht 19110524 Der Fall Dubrowsky

Karl Liebknecht: Der Fall Dubrowsky

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zu einer Interpellation der Fortschrittlichen Volkspartei1

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 5. Bd., Berlin 1911, Sp. 6937-6956 d. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 385-423]

Meine Herren, zu Beginn meiner Ausführungen gestatte ich mir, folgendes hervorzuheben. Die vorliegende Interpellation ist ganz wesentlich mit veranlasst durch meine Partei. Wir haben uns mit den Herren von der Fortschrittlichen Volkspartei in Verbindung gesetzt. Wir hatten ursprünglich die Absicht, eine weitergehende Interpellation einzubringen; wir fanden aber die Unterstützung der Herren nicht; sie haben an Stelle unserer Interpellation eine abgeschwächte Interpellation, die Ihnen jetzt vorliegt, eingebracht. Das ist auch dem Hause bekannt. Und trotz alledem ist man an mich mit dem Ersuchen herangetreten, ich solle mich verpflichten, nur zehn Minuten zu dieser Sache zu reden. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Ich habe keine Verpflichtung mehr zur Diskretion; ich nagle das vor aller Öffentlichkeit fest. Es ist ein Skandal ohnegleichen, dem wir uns nie und nimmer fügen. (Große Unruhe rechts. Rufe: „Namen nennen!") Es war Herr von Dewitz, der an mich herangetreten ist. Es ist ein Skandal; ich werde mir nie und nimmer den Mund verbieten lassen, etwas Derartiges festzunageln. (Rufe rechts: „Zur Ordnung!")

Es ist ein Skandal, in einer derartigen Angelegenheit eine so kurze Frist setzen zu wollen, um seine Ansichten zu äußern, nachdem bisher nur durchaus der Staatsregierung günstige Ansichten zur Sprache gebracht worden sind. Abgesehen davon, ist es überhaupt etwas, was auf das Schärfste zu brandmarken und zurückzuweisen ist, dass man einer Fraktion oder irgendeinem Redner in dieser Weise die Handschellen anlegen, ihn hindern will, dasjenige, was er zur Sache zu sagen hat, pflichtmäßig selbst zu bemessen und vorzutragen. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist mir allerdings nicht ganz unvorbereitet gekommen, was geschehen ist. Ich weiß aus bester Quelle, dass zwischen den leitenden Personen der großen und auch kleiner Parteien dieses Hauses Verhandlungen gepflogen worden sind, denen sich alle diese Parteien unterworfen haben sollen, wonach es aufs äußerste vermieden werden soll, mit Rücksicht auf die engen Beziehungen, die jetzt zwischen Deutschland und Russland bestehen, die russischen Angelegenheiten in eingehender Weise zu erörtern. (Zuruf rechts: „Unwahr!") – Das weiß ich positiv; Sie werden nicht in der Lage sein, das abstreiten zu können. (Abgeordneter von Pappenheim: „Einfach unwahr!") – Das ist doppelt wahr, wenn es nach Ihrer Behauptung einfach unwahr ist.

Ich komme nunmehr zur Sache selbst. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Angelegenheiten dieser Art den Landtag und auch den Reichstag beschäftigen. Ich will auf diese früheren Vorgänge mich aber nicht eingehender einlassen. Es sind schon seit dem Jahre 1903 immer wieder Klagen und leidenschaftliche Vorwürfe über die Art, wie unsere Universitätsverwaltung ihrer Pflichten in Bezug auf die Zulassung der Ausländer waltet, in die Öffentlichkeit gedrungen, und am 22. Februar 1904 hat eine ausführliche Erörterung hier stattgefunden über den Königsberger Prozess und über ähnliche Dinge, die im Zusammenhang damit zu erörtern waren, die von dem Abgeordneten Friedberg eingeleitet wurde. Diese Erörterung glaubte der Herr Minister des Innern, den man ja nicht Polizeiminister nennen darf, damit abschließen zu können, dass er sagte: Meine Herren, die preußische Polizei geht aus dieser Verhandlung mit blankem Schilde hervor. Auf diese kühne und selbstbewusste Proklamation des Ministers des Innern folgte bekanntlich die abgründige Blamage im Königsberger Prozess. Als im Dezember 1904 noch einmal über die gleiche Angelegenheit gesprochen wurde, da klang es schon merklich sanfter vom Regierungstisch, und es war so, als ob die Herren wie die begossenen Pudel dasäßen.

Das ist nicht das einzige. Wir haben im Dezember 1907 den Prozess Trofimow2 gehabt. In diesem Prozess ist in ausführlicher Weise die Frage erörtert worden, die auch gerade jetzt im Mittelpunkte unserer Verhandlungen steht, die Formen und Voraussetzungen, in denen und unter welchen die russischen Studenten speziell an der Berliner Universität zugelassen werden. Es wurde damals im Wesentlichen alles aufgerüttelt, was sich in den vergangenen vier, fünf Jahren an Unzuträglichkeiten im preußischen und besonders im Berliner Universitätswesen gezeigt hat; es wurde zurückgegriffen auf jene Ausweisung der vierzehn russischen Studenten3, die unter der Firma Mandelstamm und Silberfarb überall bekannt sind, deren Ausweisung erfolgt ist nach jener berühmten Schnorrer- und Verschwörerrede des Reichskanzlers, und zwar erfolgte, weil sie einen Protest unterzeichnet hatten, der sich gegen unerhörte und sachlich unbegründete Angriffe des Reichskanzlers richtete. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es wurde in diesem Prozess weiter darauf hingewiesen und von dem als Zeuge vernommenen Universitätsrichter Daude als dauernde Übung bestätigt, dass jeder russische Student, der ausgewiesen wird – auch dann, wenn er sich schon selbst ordnungsmäßig exmatrikuliert hat, und zwar zu einer Zeit, wo er berechtigt ist, das Semester als abgeschlossen zu betrachten –, sich gefallen lassen muss, dass als Grund seines Austritts aus der Universität nicht seine ordnungsmäßig vollzogene Abmeldung angegeben wird, sondern dass ihm als Brandmal hinein gezeichnet wird, dass er von der Polizei ausgewiesen sei („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.), eine Praxis, gegen die ständig protestiert worden ist und gegen die ich wiederholt die höheren Instanzen angerufen habe, aber regelmäßig ohne Erfolg. So wird der Betreffende gewissermaßen auf eine schwarze Liste gesetzt; es wird ihm nach Kräften unmöglich gemacht, an irgendeiner deutschen Universität weiter studieren zu können.

Abgesehen davon wurde damals ein Fall erörtert, der auch aus anderen Gründen lebhaftes Interesse erweckte, ein Fall, in dem ein Polizeibeamter an einen russischen Studenten herantrat und ihm klarmachte, wenn er der Polizei gegen Entgelt Spitzeldienste leisten würde, dann würde seine Immatrikulation leichter vonstatten gehen. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Über diesen Fall befragt, hat sich der Universitätsrichter Daude in Schweigen gehüllt; aber dass derartige Dinge tatsächlich vorgekommen sind, und zwar, wie ich betone, mit Genehmigung des Ministers des Innern, dafür kann ich einen klassischen Zeugen anführen: den früheren Minister des Innern von Hammerstein.

Es handelt sich um folgendes. In der Sitzung vom 22. Februar 1904 hat Herr von Hammerstein, der damalige Minister des Innern, folgendes in diesem Hohen Hause erklärt: Er habe keine große Hochachtung vor solchen Leuten, die als Spitzel benutzt werden; aber notwendig seien sie. – „In der leisen Anfrage dieses Beamten", eines Polizeibeamten – so bemerkte der Minister wörtlich –, „an jemanden, bei dem erfolgreiche Haussuchung abgehalten ist" – man sehe das Erpresserische in diesem Standpunkt: Es war erfolgreich gehaussucht, so dass man Anlass hatte, sofort auszuweisen! –, „in der leisen Anfrage dieses Beamten: ,wenn Sie mal etwas Strafbares erfahren, teilen Sie es uns doch mit, es soll Ihr Schade nicht sein, erblicke ich nichts Ungehöriges." („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) „Auf welche andere Weise soll denn die Polizei derartige Fäden anknüpfen?"

Es ist also damals von dem hohen Ministersessel desjenigen preußischen Ministers, den man nicht Polizeiminister nennen darf, erklärt, dass das Ministerium in derartigen Versuchen, unter erpresserischem Zwang, Leuten, die in Gefahr sind, jederzeit hinausgeworfen werden zu können, die Bereitwilligkeit zu ehrlosen Denunziantendiensten, zu bezahlten Spitzeldiensten abzuzwingen, nichts Unrechtes erblickt.

Ich will mich nicht im Einzelnen mit den Prinzipien befassen, die im Übrigen bei der Behandlung der ausländischen Studenten speziell in Preußen bestehen. Es ist Ihnen bekannt, dass schon wiederholt von den Verwaltungsinstanzen und auch von der Staatsanwaltschaft erklärt worden ist, dass die Ausländer bei uns die Garantien, die die preußische Verfassung den preußischen Staatsbürgern gewährt, nicht besitzen, weil diese nach dem Wortlaut der Verfassung nur den preußischen Staatsbürgern zugute kämen, dass infolgedessen bei ihnen Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Verhaftungen, Ausweisungen usw. unter ganz anderen Formen und unter Außerachtlassung der Garantien stattfinden können, die bei preußischen Staatsbürgern vorgeschrieben sind. Insbesondere wurde erklärt, dass das Gesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit für Ausländer überhaupt nicht gelte. Ich habe wohl nicht nötig, darauf hinzuweisen, dass diese Anschauung völkerrechtlich durchaus unhaltbar ist; denn es ist einer der ersten völkerrechtlichen Grundsätze, dass Ausländer nicht ungünstiger behandelt werden dürfen als Inländer. Aber auch abgesehen hiervon, haben wir ja einen Vertrag mit Russland geschlossen, der das noch ausdrücklich festlegt. In Artikel 1 dieses Vertrages vom 28. Juli 1904 heißt es:

Die Angehörigen eines der beiden vertragschließenden Teile, welche sich in dem Gebiet des anderen Teiles niedergelassen haben oder sich dort vorübergehend aufhalten, sollen dort im Handels-und Gewerbebetriebe die nämlichen Rechte genießen und keinen höheren oder anderen Abgaben unterworfen sein als die Inländer. Sie sollen in dem Gebiet des anderen Teiles in jeder Hinsicht dieselben Rechte, Privilegien, Freiheiten, Begünstigungen und Befreiungen haben wie die Angehörigen des meist begünstigten Landes."

Nachdem dies durch einen Staatsvertrag, der ratifiziert ist, also Gesetzeskraft hat, festgelegt ist, dürfte es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass jener völkerrechtliche Grundsatz hier auch durch dies besondere Gesetz zu einer bindenden Norm geworden ist und dass also der Standpunkt, dass man auf Ausländer, speziell auf Russen, die Gesetze, die die Preußen betreffen, nicht anzuwenden habe, nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Es ist ja bekannt, in welcher geradezu unglaublichen und rücksichtslosen Weise die Polizei immer und immer wieder ihr angebliches Recht auf beliebige Durchsuchungen, Verhaftungen, Beschlagnahmungen usw. bei den Ausländern, speziell bei den russischen Studenten, ausnutzt, wie sie gelegentlich unter den russischen Studenten Razzien veranstaltet und alle möglichen Leute auf acht oder vierzehn Tage in Haft steckt.

Das letzte Mal ist in größerem Umfange im Jahre 1907 so verfahren worden. Es wurde damals die russische Lesehalle in ähnlicher Weise durchsucht, wie man bei uns Verbrecherkneipen, Kaschemmen zu durchsuchen pflegt. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Es wurde eine große Anzahl von russischen Studenten und Studentinnen auf die Polizeiwache geschleppt und einem unwürdigen Verfahren unterworfen. Es wurde damals die Lesehalle, mit der eine Speisehalle in Verbindung stand, alsbald aufgelöst; es wurde damit den russischen Studenten der ganze Mittelpunkt genommen, und es wurde namentlich den ärmeren und bedürftigen russischen Studenten viel schwieriger gemacht, ihre Subsistenz zu finden.

Diese Vorgänge vom Jahre 1907 haben das letzte Mal in besonders auffälliger Weise in diese unerträglichen Zustände hineingeleuchtet. Dass in demselben Jahre 1907, als die russische Lese- und Speisehalle und alle sonstige russische Vereins- und Versammlungstätigkeit unmöglich gemacht wurde, nun der sogenannte Botschafterverein4, der Verein der russischen Landsmannschaft, in Aktion trat, das ist eine Sache, auf die ich später noch zurückkommen werde.

Meine Herren, nun ist jetzt dieser Schuss gefallen, der ein Alarmschuss ist für alle, denen die Würde und das Ansehen Deutschlands und speziell der deutschen Universitäten am Herzen liegt. Es ist eine Tragödie, die sich vor unseren Augen hier abgespielt hat, eine Tragödie, der niemand sein Mitleid versagen sollte. Ich bedaure deshalb, dass ich gerade heute aus den Verhandlungen dieses Hauses Töne habe heraushören müssen, die man wahrlich nicht hätte erwarten sollen vom Standpunkt des einfachsten menschlichen Mitgefühls. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Ich werde das noch im Einzelnen zu erörtern und zu begründen haben.

Die Einzelheiten des vorliegenden Falles will ich nicht noch einmal eingehend erörtern; sie sind im Wesentlichen vorgetragen worden. Dieser Student war ein wahrer Fanatiker des Studiums. Wer mit seinen Wirtsleuten einmal gesprochen hat, der hat gehört, wie diese Leute den jungen Menschen liebgewonnen haben, wie sie überzeugt waren, dass er ein besonders tüchtiger und braver Mensch sei, der Tag und Nacht an nichts anderes dachte als an sein Studium. Dieser junge Mann hat so studiert, dass es allerdings über die normalen Grenzen, die wir im Allgemeinen bei unseren deutschen Studenten zu finden pflegen, weit hinausgegangen ist; und es mag sein, dass das der Polizei bereits genügend Anlass gegeben hat, diesen Mann für verdächtig zu erklären. Sie kennen ja das Wort aus „Julius Cäsar": „Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein" – am besten auch wohlbeleibte Bierstudenten – „mit runden Köpfen und die nachts gut schlafen". Er hat einen hohlen Blick, er denkt zu viel: Die Leute sind gefährlich! So fürchtet man ihn; er ist gefährlich und verdächtig.

Dieser junge Mann war so erpicht auf sein Studium, dass er nicht nur leise für sich lernte, sondern auch laut memorierte und dass er sich mit seinen Wirtsleuten besonders in Verbindung setzte, um von ihnen zu hören, ob es sie oder einen anderen dort wohnenden Studenten störe, wenn er in dieser Weise intensiv arbeite. Er ist der Typus eines ordentlichen, der Wissenschaft beflissenen Mannes gewesen, der Typus eines idealen Wissenschaftlers.

Dieser junge Mann soll nun angeblich mittellos gewesen sein, er soll angeblich auch politisch verdächtig gewesen sein. Was die Mittellosigkeit anlangt, so weise ich darauf hin, dass er 100 Mark in seiner Wohnung in Berlin in einem Kuvert hinterlassen hat mit der Weisung an seine Wirtsleute, diese 100 Mark für seine Beerdigung zu verwenden. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Weiterhin ergibt der Brief, den er hinterlassen hat, dass 200 Mark an ihn unterwegs waren, und er hat auch über die Verwendung dieser 200 Mark Dispositionen in dem Abschiedsbrief getroffen. Übrigens ist die Leiche nach Petersburg überführt worden, und allein diese Überführung hat 1200 Mark gekostet, ein Beweis dafür, dass wir es hier mit wohlhabenden Leuten zu tun haben.

Was die politische Verdächtigkeit anlangt, so liegt mir natürlich nicht viel daran, diesen jungen Mann in dieser Beziehung als ein besonders harmloses Schäflein vor aller Welt zu demonstrieren. Ich halte das nicht gerade für einen Vorzug, besonders nicht in Russland. Aber, meine Herren, er ist nun offenbar ein so einseitig gerichteter Mensch gewesen, dass er für nichts Sinn und Verstand gehabt hat als für seine Wissenschaft, und das soll man natürlich dann ehren.

Nun, meine Herren, ist mir auch von seinen Wirtsleuten erzählt worden, dass er fortgesetzt gesagt hat: Einem Verein kann ich nicht beitreten, ein Verein ist mir unerträglich, ich habe keine Zeit dazu – dass er ihnen des weiteren erklärt hat: Wenn ich Mittag essen gehe und sehe, dass Russen in der Nähe sind, gebe ich mich nicht zu erkennen, weil ich keinen Russenverkehr haben will. Es kostet mich nur unnütze Zeit. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Das sind Äußerungen, die Sie von den Wirtsleuten hören können. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, dieser junge Mann hätte bereits aus anderen Gründen für unverdächtig gehalten werden können. Ich habe schon auf die hohe Stellung seines Vaters hingewiesen. Meine Herren, die Stellung seines Vaters ist ja derart, dass man fast sagen kann, er ist der Kollege des Herrn Kultusministers. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten und Heiterkeit.) Der Herr Kultusminister hat seinem Kollegen drüben, dem hohen Beamten am Heiligen Synod, diesen Stoß ins Herz versetzt durch die Kleinlichkeit der preußischen Universitätsverwaltung. Dieser selbige Vater hat nun am 17. dieses Monats bei Gelegenheit des Geburtstages des Zaren einen der höchsten russischen Orden bekommen, den Stanislaus-Orden erster Klasse. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Vielleicht hat der russische Zar sich so bemüht, dem Vater in seiner Art einen kleinen Trost zu geben für das Leid, das ihm der preußische Kollege, der Herr Kultusminister, angetan hat.

Meine Herren, dass dieser junge Mann ein außergewöhnlich begabter Mensch war, darüber brauche ich nichts mehr auszuführen; das ist eingehend genug erörtert. Meine Herren, aber dieser Eifer, dieser ungemeine Fleiß, mit dem dieser junge Mann gearbeitet hat, fand auch in der ganzen Art, wie er seinen Lebensplan sich zurechtgemacht hatte, seinen Ausdruck. Er hat Winter- und Frühlingssemester regelmäßig in Russland studiert und die Sommersemester in Deutschland zu studieren versucht, wie das ja die ganz besonders fleißigen russischen Studenten vielfach machen. Er hatte einen festen Plan: Er wollte hier in Berlin bei den Professoren Schwarz und Planck hören – und er war in Breslau bei dem Professor Lummer gut angeschrieben, er hatte bei ihm viel gearbeitet –, das ist bereits vorgetragen. Er wollte bei ihm in Breslau das Doktorexamen machen, um das Staatsexamen nachher in Russland zu absolvieren. Das sind Tatsachen, die zu wissen notwendig sind, um die Schlussfolgerungen zu ziehen, die ich nachher gegenüber den Ausführungen des Herrn Kultusministers zu ziehen haben werde. Er hat sich also einen ganz festen Plan zurecht gezimmert: Er wollte jetzt in Berlin die beiden Professoren hören, dann nach Breslau gehen und dort den Doktor bauen. Sein Aufenthalt in Jena war auch keineswegs ein Bummelaufenthalt, sondern dazu bestimmt, in dem Zeissschen Institut optische Studien zu unternehmen. Dass dies ein sehr ernster Aufenthalt war, dafür legt die Tatsache Zeugnis ab, dass ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Firma Zeiss, ein Herr Dr. Wolfke, als er von dem Unglück hörte, nachdem er den jungen Mann kaum einige Wochen kennengelernt hatte, alsbald eigens nach Berlin gefahren kam, um seinem Entsetzen Ausdruck zu geben und ihm, wenn irgend etwas zu tun sei, beizuspringen.

Einen jungen Menschen, der sich bei so kurzem Aufenthalt durch seinen Fleiß und seinen Ernst in dieser Weise die Herzen erobert hat, ist man ganz gewiss nicht berechtigt, als Bagatelle zu behandeln; er ist kein Mensch, um dessentwegen es schade ist, die Zeit dieses Hohen Hauses in Anspruch zu nehmen, wie zu meinem lebhaften Bedauern Herr Abgeordneter von Kardorff sich in der Debatte zu sagen nicht gescheut hat. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es ist ja nicht nötig, auf weitere Einzelheiten einzugehen. Die Frage der Mittellosigkeit ist, wie mir scheint, erledigt, die Frage der politischen Unzuverlässigkeit ist, wie mir scheint, erledigt, und die Darstellung, die der Herr Minister des Innern über diese Angelegenheit jetzt gegeben hat, werden wir, wie mir scheint, keine Veranlassung haben, zum Anlass für eine Revision unserer Ansicht zu nehmen.

Meine Herren, der Herr Minister des Innern gibt eine Darstellung, die von derjenigen abweicht, die das „Berliner Tageblatt" als aus dem Berliner Polizeipräsidium herrührend bezeichnet hat. Dort war nur davon die Rede, dass sich der junge Mann geweigert habe, in den Botschafterverein einzutreten.

Eine Version, die ungefähr gleichzeitig vom „Lokal-Anzeiger" publiziert wurde, aus derselben Quelle herrührend, brachte ungefähr dieselbe Darstellung, die der Herr Minister des Innern vorgetragen hat, die Darstellung nämlich, dass der junge Mann sich nach einem Verein erkundigt habe und den Polizeibeamten schließlich gefragt habe, ob es nicht einen oppositionellen Verein gäbe, in den er eintreten könne usw. Meine Herren, das ist doch eine Behauptung, die, wie mir scheint, so den Stempel der Unmöglichkeit an sich trägt („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), dass man sie geradezu als einen unfreiwilligen Scherz, allerdings einen blutigen unfreiwilligen Scherz, bezeichnen möchte. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, es ist gleichzeitig eine Beleidigung dieses Hauses, behaupte ich, wenn der Herr Minister des Innern diesem Hause ansinnt, etwas Derartiges zu glauben. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Krause: Herr Liebknecht, ich bitte, sich in Ihren Ausdrücken zu mäßigen. Der Herr Minister hat das Haus nicht beleidigt.

Liebknecht: Meine Herren, zunächst hat der Herr Minister des Innern ja bezeichnenderweise auf die wichtige Tatsache hingewiesen, dass die Auskunft der Polizei nicht gelautet habe, er sei politisch nicht zuverlässig, sondern, er scheine politisch nicht zuverlässig. Und dann das andere, dass nicht gesagt ist: Er hat nicht die erforderlichen Subsistenzmittel, sondern nur: Er hat den Nachweis, dass er die erforderlichen Subsistenzmittel hat, nicht zu erbringen vermocht. Wie ungeheuer diese Unterschiede sind, hat der Erfolg gezeigt, dass die Auskunft der Polizei der Universitätsbehörde vollkommen genügt hat, sich für verpflichtet zu halten, die Zulassung zu versagen.

Meine Herren, nun behauptet also der Herr Minister des Innern, Dubrowsky habe in der behaupteten Weise – ohne jeden Anlass! –, indem er selbst zuerst das Gespräch auf Organisationen brachte, bei dem Polizeibeamten, der sich ihm als solcher zu erkennen gab, nach oppositionellen Organisationen gefragt. Meine Herren, ich wiederhole: Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man sich nicht auf den Standpunkt stellen will, dass Dubrowsky geradezu geistesgestört gewesen sei. Es bleibt nur eins oder das andere übrig.

Meine Herren, aus welcher Quelle hat denn der Herr Minister des Innern diese Behauptung? Aus der Quelle seiner Geheimagenten, aus der Quelle derjenigen Beamten, über deren Zuverlässigkeit noch ein weiteres Wort zu sprechen sein wird. Meine Herren, es ist nicht das erste Mal, dass Polizeibeamte unwahre Berichte erstatten; es ist nicht das erste Mal, dass Polizeibeamte noch ganz andere Verbrechen begehen als dieses Amtsverbrechen, dass sie unzutreffende Berichte erstatten. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Urkundenfälschungen und dergleichen nachzuweisen waren wir schon in der Lage. Ich werde auf die einzelnen Fälle, die bereits der Geschichte angehören, noch zurückzukommen haben.

Meine Herren, wir sind, nachdem der Mund dessen verschlossen ist, der nähere Auskunft darüber geben könnte, auf die Aussage desjenigen Polizeibeamten angewiesen, der die Schuld an dem unglückseligen Ausgange trägt, wenn die Darstellung, von der wir ausgehen, zutreffend ist; dass aber dieser Beamte, der sich in Verteidigungsstellung befindet, ein klassischer Zeuge nicht ist, liegt auf der Hand. Dann wird man die innere Wahrscheinlichkeit der Darstellung zu prüfen haben und zu dem Ergebnisse kommen, dass die innere Wahrscheinlichkeit durchaus gegen die Darstellung des Herrn Kultusministers und des Herrn Ministers des Innern spricht und dass der Vorgang sich anders abgespielt haben muss, als von ihnen dargestellt wird.

Meine Herren, im Übrigen ist von dem Herrn Minister des Innern gesagt worden und ebenso von dem Herrn Kultusminister, jetzt liege Material vor, durch das bewiesen sei, dass der Dubrowsky sich nicht aus dem bisher angenommenen Grunde, dem Versagen der Immatrikulation, um das Leben gebracht habe. Meine Herren, ich bitte Sie: Denken Sie doch einmal diesen Fall zu Ende! Sie haben einen ungemein ehrgeizigen Menschen, der überall, wo er bisher war, Vertrauen gefunden hat, Vertrauen erweckt und Vertrauen gezeigt hat, und dieser junge Mann wird nun plötzlich hier behandelt wie ein unreines Tier, das man in einem zivilisierten Staate, an der größten deutschen Universität, nicht dulden dürfe. Das hat er sich offenbar zu Herzen genommen, und zwar so sehr, dass er dadurch in seinem seelischen Gleichgewicht wesentlich beeinträchtigt worden ist.

Aber, meine Herren, das ist ja nicht das einzige. Der Herr Kultusminister und der Herr Minister des Innern haben gemeint, es sei ja dem Dubrowsky ein leichtes gewesen, den Verdacht von sich abzuwenden. Meine Herren, das trifft nicht zu. Jeder, der ein klein bisschen politische Erfahrung hat, weiß, dass nichts schwerer zu beseitigen ist als der Verdacht einer politischen Unzuverlässigkeit. Die Polizei hat irgend etwas in ihren Geheimakten; diese Geheimakten werden niemals geöffnet; man hat keine Möglichkeit, sich spezialisiert, substantiiert zu verteidigen. Wenn die Polizei aber auch hundertmal alle möglichen Rechtfertigungsgründe hört, so wird sie selten bereit sein, ihre gewonnene und bereits verwertete Ansicht zu revidieren. Es ist für jeden, der einmal in ähnlicher Lage gewesen ist, ohne weiteres klar, dass allein schon die Tatsache, dass ein Verdacht politischer Unzuverlässigkeit besteht, nahezu als irreparabel anzusehen ist. Das weiß man besonders, wenn man mit russischen Erfahrungen behaftet ist, wo die Verdächtigkeit allein genügt, um jemanden nach Sibirien zu bringen, um ihn auf dem Verwaltungswege Zeit seines Lebens unglücklich zu machen, wo aus derartigen Motiven heraus die brutalsten Eingriffe in die Interessen der Persönlichkeit tagtäglich stattfinden.

Meine Herren, es ist aber weiter noch ein anderer Punkt in Betracht zu ziehen, und das ist notwendig, damit man die ganze Tragik dieser Sache und ihre weit ausgreifende Bedeutung erkennt, damit auch Herr von Kardorff sie erkennen möge in ihrem charakteristischen und typischen Wesen. Meine Herren, es ergibt sich bereits aus dem Vortrage des Herrn Abgeordneten von Liszt5, dass unter den Universitäten in Preußen – wenn es nicht geschieht auf Grund eines Geheimerlasses des Gesamtministeriums, dann auf Grund einer Übung oder auf Grund von irgendwelchen Spezialerlassen, die an die einzelnen Universitäten gerichtet sind – Vereinbarungen bestehen, wonach sie überall gleichartig zu verfahren haben bei gleichartigen Fällen. Wenn Dubrowsky in Berlin nicht immatrikuliert worden ist – es ist ja doch für jeden, der gleiche Fälle durchgemacht hat, klar, dass für ihn dann eine preußische Universität überhaupt nicht mehr in Frage kam. („Sehr richtig!") Herr von Kardorff, Sie sind ja wie ein neugeborenes Kind in Ihrer Unschuld. (Zuruf von den Sozialdemokraten: „Er tut nur so!") – Nein, er tut nicht so; ich weiß, Herr von Kardorff gehört zu den ehrlichen Naturen; er ist unschuldig wie ein weißes Lämmlein.

Der Herr Kultusminister selber wird nicht in Abrede zu stellen vermögen, dass, wenn Dubrowsky hier in Berlin die Zulassung verweigert worden ist, zehn gegen eins zu wetten war, dass er auch in Breslau nicht immatrikuliert worden wäre. Und damit war sein ganzer Plan zerstört. Beim Professor Lummer, wo er bereits lange Zeit gearbeitet hatte, wollte er sein Examen machen; alles war nach der Richtung vorbereitet, er brauchte das Institut des Professors Lummer. Es ist also nicht ein Fall, den man abschwenkend mit dem Worte erledigen könnte: „Kleine Ursachen, große Wirkungen"! „Folgen einer pathologischen Veranlagung des jungen Mannes." Für einen so idealen und arbeitsfreudigen jungen Mann mit dem klar vorgesteckten Lebensziel und dem klar ausgearbeiteten Lebensprogramm war es allerdings ein ungemein schwerer Schlag, meine Herren. Dass das aber auch in der Tat die Ursache für das Unglück war, dafür bitte ich nur jeden, der Interesse an dem Fall hat, sich bei den Wirtsleuten des Dubrowsky zu unterrichten. Die Frau hat mir gesagt: Nachdem er dieses Papier bekommen hat, ist er nicht mehr zur Ruhe gekommen. Er hat ihr gesagt: Das ist mein Unglück; er hat, sooft sie hereinkam, das Papier vor sich liegen gehabt, und immer wieder, wenn sie kam, nachdem er es ihr bereits zwanzig mal gezeigt hatte, hat er darauf hingewiesen und gesagt: Das ist mein Unglück, das ist ein großer Irrtum, wie kann man mir derartige Dinge vorwerfen, das ist mein Unglück. – Er hat also in Dutzenden von Fällen, wie die Frau jedem, der es will, bestätigen kann, seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass durch diesen schweren Schlag sein Leben gebrochen sei, er hat seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, und zwar in einer Weise, die am unanfechtbarsten ist: gegenüber der Frau, der er sein ganzes Vertrauen geschenkt hat.

Und nun will man gar angesichts dieser klaren Sachlage versuchen, das Zeugnis eines totkranken, schwerverwundeten, kurze Zeit darauf sterbenden Menschen, der sich natürlich an und für sich auch in einer seelischen Wirrnis höchsten Grades befunden hat, wie das bei Selbstmördern regelmäßig der Fall ist, das Zeugnis eines solchen Mannes – ein paar Worte, die er irgend jemandem gegenüber unkontrolliert heraus gestoßen haben soll – verwerten, um daraus den großen Schild zu bauen, mit dem sich die Regierung gegen alle Angriffe decken will. Meine Herren, das ist nicht schön, auf derartige Äußerungen eines sterbenden Menschen zurückzugreifen, Äußerungen, die nicht mehr kontrolliert werden können, Äußerungen, über deren Wortlaut nichts Verbürgtes vorliegt. Ich hätte gewünscht, dass ein derartiger Versuch zu einer derartigen Verwirrung des Sachverhalts unterblieben wäre. („Sehr richtig!")

Nun, lassen wir das; die Motive sind klar, wie mir scheint, die allerdings bei wirklich willensstarken Menschen, bei kampffrohen Naturen beileibe nicht dahin gewirkt haben würden, ihnen die Lebenskraft zu rauben; das will ich gern anerkennen. Aber es handelt sich bei Dubrowsky eben um keine politische Kampfnatur. Also gerade eine Eigenschaft, wie sie in gewissem Sinne von der Regierung gewünscht wird, war es, die diesen Mann hier so empfindlich gegen den Schlag gemacht hat, der gegen ihn geführt worden ist. Meine Herren, es scheint mir also vollkommen klar zu sein, dass hier die Schuld, die Blutschuld, auf der Regierung lastet (Lachen rechts.) und dass alle Worte, die heute gefallen sind und die dazu dienen sollen, um diese Schuld von der Regierung abzuwälzen, nicht geeignet sind, gegenwärtig nicht und in Zukunft nicht, diese Schuld von der Regierung abzuwälzen. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.)

Meine Herren, auf die Einzelheiten des Falles will ich nicht mehr eingehen, auf die angebliche Möglichkeit des nachträglichen Nachweises der Subsistenzmittel usw. Aber, wenn der Herr Minister noch darauf hingewiesen hat, dass Dubrowsky wohl in der Lage gewesen wäre, mit aller Leichtigkeit den Verdacht zu entkräften, weil er ja auch speziell durch die Universitätsbehörde auf den richtigen Weg gewiesen worden sei, dann, meine Herren, wird vollständig verkannt die Stimmung, in der sich dieser junge Mann befand.

Und dann, meine Herren, bitte, wollen Sie sich auch ausmalen, wie dieser junge Mann bei der Universitätsbehörde empfangen worden sein mag. Der Universitätsrichter mag ja im Allgemeinen ein recht liebenswürdiger Herr sein, aber dass sein Auftreten in Fällen dieser Art der Bestimmtheit und Energie nicht ermangelt, das weiß aus eigener Erfahrung, wer die Berliner Universität kennt, und das weiß ich aus zahlreichen Berichten. Wenn da diesem jungen Mann mit seiner russischen Erfahrung gesagt wird: Gehen Sie in das Polizeipräsidium, eben dorthin, wo Ihnen die politische Unzulässigkeit bestempelt worden ist – dann wird dieser junge Mann, und wenn er politisch noch so harmlos gewesen ist, sich gesagt haben: Gott um Himmels willen, das heißt ja den Teufel bei Beelzebub verklagen; habe ich zu erwarten, dass man dort jetzt gerechter und ehrlicher sein wird, als man es mir gegenüber bisher gewesen ist?

Ich mache im Übrigen darauf aufmerksam, dass in dem Schreiben, das Dubrowsky von der Universitätsverwaltung bekommen hat, mit keinem Worte auf die Gründe hingewiesen worden ist, aus denen er zurückgewiesen worden ist, dass vielmehr ausschließlich gesagt worden ist, „nach den angestellten Ermittlungen" könne seine Aufnahme nicht erfolgen. Wie kann man aus dieser nichtssagenden Redewendung irgendeinen Fingerzeig dafür entnehmen, was für Schritte man zu unternehmen habe, um sich den Zutritt zur Universität zu ermöglichen! („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist also doch ein vollkommen klarer Sachverhalt, den man nicht versuchen sollte zu vertuschen, ein Sachverhalt, der, wie mir scheint, geeignet ist, bis in die tiefsten Tiefen der Schäden hineinzuleuchten, die in unserer Universitätsverwaltung und auch in unserem Polizeiwesen bestehen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, besonders auffallend und vielfach gerügt worden ist es, dass der recherchierende Polizeibeamte offenbar – denn das halte ich für erwiesen – sich die Mühe gegeben hat, den Dubrowsky zum Eintritt in den sogenannten Botschafterverein zu veranlassen, in die Semljatschestwo, die Landsmannschaft russischer Studenten. Meine Herren, dieser Versuch ist offenbar unternommen worden, um eine Falle zu stellen: Tritt er ein, dann ist er uns recht, tritt er nicht ein, dann hat er damit dokumentiert, dass er ein politisch verdächtiges Individuum ist. Es handelt sich also um eine Schlinge, die der Polizeibeamte gelegt hat.

Meine Herren, was ist das nun für ein Verein? Ich will auf Einzelheiten, die teilweise bereits berührt worden sind, hier selbstverständlich nicht zurückkommen. Das muss aber betont werden: Ein Mitbegründer dieses Vereins war der Student Mentschikow, der Sohn des Hetzers aus der „Nowoje Wremja", desselben russischen reaktionären Politikers, der selbst einem Schiemann von der „Kreuz-Zeitung" ein Gräuel war. Der frühere Ehrenvorsitzende war der Graf Mussim Puschkin, der frühere hiesige Generalkonsul, soviel ich orientiert bin. Jetzt ist der Ehrenvorsitzende der stellvertretende Botschafter zu Berlin. Der Vorsitzende ist jetzt der Sohn des Generalkonsuls Hamm, während früher ein gewisser Pokrowski Vorsitzender war.

Die Gründung des Vereins erfolgte Schlag auf Schlag, nachdem alle übrigen Organisationen, Lesehalle usw., der russischen Studenten in Berlin zerstört waren, offenbar um im Trüben zu fischen und um die russischen Studenten nach Möglichkeit zu spalten, die schwarzen von den weißen Böcken zu sondern. Die Gründung wurde in dem Stolypinschen Blatt, in der „Rossija", eingehend erörtert und gepriesen. Meine Herren, dass dieser Verein die christliche Konfession verlangt, ist bereits bekannt; dass dieser Verein bei allen seinen Veranstaltungen Subventionen von der Botschaft bezieht, ist – ich weiß nicht, ob es heute schon vorgetragen worden ist – jedenfalls eine Tatsache, die ich auch hier bestätigen kann. Meine Herren, der Botschafter ist, wenn nicht förmlich, so doch in der Tat praktisch der Leiter und Protektor dieses Vereins, und die übrigen Namen, die ich vorhin bereits nannte, haben zur Genüge gezeigt, dass die Charakteristik dieses Vereins als eines Botschaftervereins, als eines Vereins echtrussischer6 Studenten, eine durchaus zutreffende ist.

Meine Herren, es darf weiter darauf hingewiesen werden, dass dieser Verein trotz alledem bisher nur 16 bis 17 Mitglieder zu werben gewusst hat, ein Beweis dafür, dass die russische Studentenschaft in Berlin sich immerhin noch ein starkes Reinlichkeitsgefühl bewahrt hat. Lebhaft zu bedauern ist es allerdings, dass in der hiesigen russischen Gesellschaft sich allzu viele Menschen finden, die bereit sind, die Veranstaltungen dieses Vereins echtrussischen Charakters zu besuchen.

Meine Herren, dieser Verein sollte nun dem jungen Manne aufgezwungen werden. Dass das der Fall war, ergeben auch Äußerungen, die er zu seiner Wirtin gemacht hat. Er hat, wie schon erwähnt, ihr wiederholt erklärt: In diesen Verein trete ich nicht ein; ich will überhaupt in keinen Verein eintreten; es kostet mich zu viel Zeit. Das hat er besonders gesagt unmittelbar im Anschluss an den Besuch des Kriminalbeamten. Damit ist, wie erwähnt, klargelegt, meine Herren, dass man hier versucht hat, einen Organisationszwang gegen diesen jungen russischen Studenten auszuüben.

Meine Herren, was aber weit über dieses hinaus der Sache ihre allgemeine Bedeutung, die Herr von Kardorff ja leider nicht in ihr zu finden gewusst hat, gibt, das sind die Prinzipien und die Einzelheiten des Verfahrens bei Entscheidung über die Aufnahme auswärtiger, speziell russischer Studenten, wie sie jetzt bekannt geworden sind.

Meine Herren, das Interview, das der Rektor der Universität, Herr Professor Rubner, vom Stapel gelassen hat, ist in dieser Richtung von äußerstem dokumentarischen Wert, von historischer Bedeutung, und es wird einstens in der Geschichte der deutschen Universitäten zu den unrühmlichsten Blättern gehören; das ist meine feste Überzeugung und das wird wohl auch die Ansicht jedes einsichtigen Menschen sein. Die Auslassungen der Polizei sowohl wie des Professors Rubner enthalten ein glattes Eingeständnis der Missbräuche auf den Universitäten, die bisher regelmäßig verschleiert worden sind.

Da ist im Besonderen auf folgendes hinzuweisen: Bevor die Universität einen auswärtigen Studenten aufnimmt, fühlt sie sich verpflichtet, von dem Antrage des Studenten der Polizei Mitteilung zu machen. Die Polizei stellt Erhebungen an, die sich in üblicher Weise vollziehen, wobei sie auch selbstverständlich ausländische Polizisten, Polizeiagenten mit zu Rate zieht. Dann bekommt die Universitätsbehörde eine Auskunft, die sich über die beiden Punkte: politisch verdächtig und mittellos oder nicht mittellos, auslässt; und Herr Professor Rubner erklärt: „Die Polizei teilt uns übrigens bei den als politisch verdächtig Bezeichneten keine näheren Einzelheiten mit, da es sich dabei um geheime Akten handelt." (Abgeordneter Hoffmann: „Hört! Hört!") Die Universität, die so von der Polizei nur orphische, dunkle Auskünfte bekommt, fühlt sich verpflichtet, diesen Weisungen der Polizei dennoch Genüge zu tun. Dass das in der Tat ein unerhörter Skandal ist, der da in die Öffentlichkeit gekommen ist, bedarf wohl keiner näheren Erörterung.

Meine Herren, dass der vertrauliche Erlass des Staatsministeriums aus dem Jahre 1906 nicht existieren soll, wie uns die Herren Minister versichert haben, das ist ja eine ungeheure Beruhigung für uns. Wir wissen leider nur, dass die Universitätsbehörden so verfahren, als ob ein solcher Erlass vorhanden wäre, und darauf allein kommt es uns an. Ich möchte den Herrn Minister bitten, seine Auskunft, die mir etwas spitzfindig zu sein schien, zu erweitern und zu erklären, ob nicht gleichlautende Anweisungen von verschiedenen Ministerien an die Verwaltungen der einzelnen Universitäten getrennt ergangen sind oder ob die untergeordneten Behörden angewiesen sind, darauf hinzuwirken, dass die Universitätsverwaltungen eine solche Praxis innehalten.7 Damit, dass ein solcher allgemeiner Erlass des Gesamtministeriums nicht besteht, ist natürlich nichts gebessert.

Meine Herren, dass der Sachverhalt, den ich erörtert habe, vielfach Aufregung verursacht und speziell in der deutschen Presse, soweit sie nicht ganz rechts steht, eine einmütige Empörung hervorgerufen hat, ist Ihnen ja bekannt. Niedriger gehängt werden müssen aber einige Zeitungen, die in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht haben. Die „Deutsche Tageszeitung" versucht, die politische Unzuverlässigkeit des Dubrowsky deshalb als dargetan anzusehen, weil der „Vorwärts" sich zu seinem Schwurzeugen mache, und so versucht die „Deutsche Tageszeitung" nachträglich den jungen Mann, der als Opfer der preußischen Polizei und der preußischen Universitätsverwaltung gefallen ist, entgegen seiner eigenen Anschauung zu einem Sozialdemokraten zu stempeln. Meine Herren, dass der „Vorwärts" sich zum Schwurzeugen dieses jungen Mannes gemacht hat, ist nur insofern wahr, als er sich der Sache angenommen hat, wie es die Pflicht jedes humanen Menschen, wie es die Pflicht jedes einzelnen, auf die Reinlichkeit unserer Verwaltung bedachten Menschen war. Er konnte an der uns lebhaft interessierenden Frage nicht vorübergehen, ohne die Ursachen dieses tragischen Falles zu untersuchen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn sich der „Vorwärts" um die Universitätsangelegenheiten kümmert, wenn er Gewicht darauf legt, dass die Freiheit der Dozentur und die Freiheit der Studenten nach aller Möglichkeit gewahrt werde, so verfolgt er damit nur eine alte Tradition der Sozialdemokratie, und wir werden es uns nie und nimmermehr nehmen lassen, nach unserem besten Wissen und Gewissen die Missstände in unserem Universitätswesen zu rügen, nicht in dem kleinlichen Parteiinteresse, von dem aus die Herren von der Rechten und auch andere Parteien dieses Hauses die Universitäten zu betrachten pflegen, sondern von dem Standpunkt des Vertrauens in die Wissenschaft, ihren Wert und ihre Bedeutung für die Gesamtheit, die die wissenschaftliche Betätigung selbst in der Zwangsjacke unserer Universitäten besitzen muss. Dieses Vertrauen, diese Überzeugung von der Notwendigkeit einer möglichst polizeifreien Entwicklung unserer Universitäten ist es, was uns immer und immer wieder veranlasst, auf diese Missstände hinzuweisen.

Und noch ein anderes: Es ist die Tatsache, dass wir es als eine Schmach im Interesse Deutschlands empfinden, wenn Deutschland in dieser Weise vor aller Welt sich als rückständiger, barbarischer Staat dokumentiert („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.), wie das in diesen Vorgängen hier zutage getreten ist. Es ist, wie ich vorhin schon sagte, die Pflicht jedes Menschen, der etwas auf die Würde und Ehre unseres Volkes und auf die Würde und Ehre der deutschen Universitäten hält, dass er sich dieses Falles annimmt und nach aller Möglichkeit dafür sorgt, dass die wahren Gründe des tragischen Vorfalles aufgeklärt werden und Abhilfe gegen diese Missstände geschaffen wird.

Meine Herren, dass von anderen Zeitungen – leider auch vom „Leipziger Tageblatt" – sehr bösartige Angriffe gegen die russischen Studenten erfolgt sind, brauche ich hier nicht zu erörtern. Aber den Vogel hat das unter Ausschluss der Öffentlichkeit „mit Gott für Kaiser und Reich" erscheinende „Volk" abgeschossen. Dort wurde unter dem Titel „Schnorrer und Verschwörer" am 18. Mai ein Artikel veröffentlicht, in dem ausgeführt wird, dass die aus Russland kommenden Personen zwei verschiedenen Kategorien angehören, einmal seien es solche, die in Russland ihr Geld gestohlen oder durch Betrug errungen haben („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) und es nun in Deutschland ausgeben, andererseits solche, die mit geringer äußerer Kultur, mit wenig schönen Kleidern als Studenten und der Wissenschaft Beflissene Deutschland und die deutschen Universitäten aufsuchen, und dann wird gesagt: „Ob die Leute gestohlen haben, ist eine interne russische Angelegenheit" („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.), „die jenseits der russischen Grenze erledigt werden mag, während bei uns alle diese Erwägungen fortfallen, und der Russe für uns nur als angenehmer Gast oder lästiger Ausländer in Betracht kommt."

Nun kommt es: „Von diesem nüchternen praktischen Standpunkt aus sind uns die Leute, deren Ziel schließlich London oder Genf ist, weniger willkommen als die Rivierareisenden; denn sie machen uns nur polizeilich zu schaffen, verschandeln das Straßenbild durch ihre gesucht schlampige Kleidung und stören unsere eigenen studierenden Landeskinder."

Hier ist klar zum Ausdruck gebracht, dass es diesen frommen Leuten vom „Volk" „mit Gott für Kaiser und Reich" viel angenehmer ist, mit russischen Hochstaplern zu tun zu haben als mit den russischen Studenten, die sich in ihrer Art der Wissenschaft widmen. Meine Herren, es ist in mancher Beziehung schon richtig: Gleich und gleich gesellt sich gern; es sind eigentümliche Liebhabereien, die dieses fromme Blatt für die Hochstapler hat.

Meine Herren, sehr bedauerlich ist es auch, dass die „Königsberger Hartungsche Zeitung" recht wenig liberale Ansichten über unsere Angelegenheit geäußert hat. Es ist dort als eine unangenehme Erscheinung hervorgehoben, dass sich die russischen Studenten vielfach aus „anderen", das heißt „geringeren" Gesellschaftskreisen rekrutierten, das heißt aus solchen Kreisen, die von dem zahlungsfähigen, satten deutschen Bürgertum nicht als gleichwertig betrachtet werden. Meine Herren, dass das im Sinne eines ernsthaften Liberalismus nicht als ein Nachteil, sondern als ein Vorteil anzusehen wäre, das hat die heute wiederholt schon zitierte „Retsch" in der Nummer 121 vom 5./18. Mai der „Königsberger Hartungschen Zeitung" in deutlichster Weise unter die Nase gerieben.

Meine Herren, dass diese Königsberger Zeitung, die sich liberal nennt, es im Übrigen billigt, dass die preußischen Universitäten auch die politische Zuverlässigkeit usw. prüfen, und bloß einige bessere Kautelen in der Methode verlangt, hat sie leider nur gemein mit nahezu sämtlichen Rednern, die bisher heute hier gesprochen haben, und mit dem Standpunkt, den auch die Herren Minister hier eingenommen haben. Meine Herren, das ist ein Standpunkt, dem wir auf das Allerschroffste hier zu widersprechen haben.

Meine Herren, dass die freisinnige Interpellation die Tatsache, dass die Universitäten derartige Untersuchungen vornehmen und die ausländischen Studenten in dieser Weise drangsalieren und kleinlich schikanieren, als gottgewollte Schickung hinnimmt, ergibt ihr Wortlaut, und dagegen habe ich mich in allererster Linie zu wenden.

Meine Herren, wir verurteilen selbstverständlich auch die Art, in der die Aufsicht über die Studenten ausgeübt wird. Wir billigen selbstverständlich nicht, dass die Polizei, wenn sie bei Durchführung ihrer usurpierten Ansicht über die Universitäten in der gerügten Weise verfährt, dass sie Personen wählt, die so wenig kontrollierbar und zuverlässig sind, dass sie in unnobler Weise durch diese Personen Fallen stellen lässt, dass sie sich auf Grund vollkommen unkontrollierter und geringfügiger Indizien für befugt hält, ein Votum über die politische Zuverlässigkeit abzugeben, dass die Polizeiverwaltung – indem sie alle ihre Auskünfte, all ihr Material geheim hält – den Studenten nicht die Möglichkeit gibt, sich in substantiierter Weise zu rechtfertigen, und dass schließlich kein Rechtsmittel, kein Rechtsbehelf gegenüber derartigen Maßregeln der Polizei wie auch der Universitätsverwaltung gegeben ist.

Meine Herren, schließlich wenden wir uns auch gegen die Geheimhaltung der Bestimmungen, die für die Universitäten hier maßgebend sind. Wenn wir auch aus dem Munde des Rektors Rubner gewisse Mitteilungen bekommen haben, so sind sie doch unvollständig, und ich glaube, wir haben ein gutes Recht, von den beiden Herren Ministern zu erwarten, dass sie die offenbar doch in irgendeiner Weise formulierten Bestimmungen über den hier fraglichen Gegenstand dem Lande bekanntgeben. Ist das nicht schon um deswillen notwendig, damit die ausländischen Studenten wissen, woran sie sind, damit sie in der Lage sind, sich, wenn sie des Willens sind, in die Bestimmungen hinein zu fügen, die von den maßgebenden preußischen Behörden getroffen sind?

Nun, meine Herren, im Übrigen: Wie kann man sagen, dass es sich gewissermaßen nur um einen vereinzelten Missgriff handelt, dessen Wiederholung leicht vermieden werden könne, indem man eben eine größere Garantie in Bezug auf das Beamtenmaterial einführt! Es ist kein einzelner Missgriff, veranlasst durch einen zufälligen unzuverlässigen Beamten oder durch eine zufällige schlechte Instruktion, sondern die Unzuverlässigkeit des Beamten, die sich hier gezeigt hat, ist eine organisch notwendige Folge des Wesens unserer politischen Geheimpolizei.

Meine Herren, welche Kontrolle kann denn auf den Wegen der politischen Geheimpolizei überhaupt geübt werden, auf diesen dunklen und schmutzigen Schleichwegen der politischen Geheimpolizei? Das gehört zum Wesen der politischen Geheimpolizei, dass sie sich nach aller Möglichkeit jeder Kontrolle und Kontrollierbarkeit entzieht. Und so, wie aus dem einfachen Kriminalbeamten notwendig ein Spitzel wird, wie aus dem Spitzel notwendig ein Agent provocateur wird, wenn er nicht ein außerordentlich fester Charakter ist – und die mag man unter den Gentlemen mit der Laterne suchen –, so wird notwendig aus dem spitzelnden Polizeibeamten auch bei erster bester Gelegenheit ein Übertreiber und Lügner. Diese Leute werden ja nach den Erfolgen, die sie erzielen, bezahlt! Sie spüren über sich keinerlei geringste Kontrolle und können keine solche spüren, weil keine möglich ist. Die Unzuverlässigkeit liegt also in dem System, das hier zusammenfällt mit dem ganzen System unserer politischen Geheimpolizei.

Dann aber: Welches Material wird hier benutzt? Es ist Tatsache, dass wir russische Agenten in Berlin und in Preußen mit Genehmigung der Polizei haben. Das brauche ich nicht als Behauptung von meiner Seite in die Welt hinaus zu senden; ich berufe mich auf die Mitteilungen, die der Herr Minister des Innern Freiherr von Hammerstein am 22. Februar 1904 in diesem Hohen Hause gemacht hat, wo er ausdrücklich erklärte, dass es der Königlich-preußischen Regierung bekannt sei, dass bei der hiesigen russischen Botschaft sich ein Angestellter der Botschaft befinde, welcher den speziellen Auftrag hat, das Verhalten der verdächtigen russischen „Anarchisten" zu beobachten. Und in derselben Sitzung hat es Freiherr von Zedlitz als unerwünscht bezeichnet, dass in dieser Weise ausländische Polizeibeamte etwa im Inland obrigkeitliche Funktionen üben, aber es ist von ihm doch auch als eine Notwendigkeit, in die man sich zu fügen habe, bezeichnet worden. Auch der maßgeblichste Herr in diesem Hause, Herr von Heydebrand, ist aufgetreten und hat ausdrücklich erklärt: „Ich bin damit einverstanden, dass die Überwachung dieser staatsgefährlichen Bestrebungen in erster Linie zu erfolgen hat durch unsere eigenen polizeilichen Organe; aber man kann doch nicht verkennen, dass, wenn man wirklich sachgemäß und zweckmäßig gegenüber diesen Elementen verfahren will, es dann durchaus auch angezeigt ist, dass die Behörden desjenigen Landes, aus dem die Betreffenden stammen, auch ihrerseits bei dieser Überwachung mitwirken."

Sie haben hier in der denkbar autoritativsten Form einmal vom Ministertisch aus, andererseits von den Führern der konservativen Parteien, von denen der eine Herr wichtiger und mächtiger ist als die Minister, das deutliche Eingeständnis, dass in Preußen derartige russische Polizeiagenten geduldet werden zum Zwecke der Überwachung russischer Staatsangehöriger.

Ich brauche nicht hinzuweisen auf die einzelnen Personen, die früher diese Ämter hier ausgefüllt haben, auf die Unzuverlässigkeit dieser Personen. Die Namen Asew, Harting-Landesen, Sinaida Jutschenko sind Ihnen allen bekannt. Das sind die Leute, die in Deutschland zeitweilig jene Tätigkeit ausgeübt haben, die von der preußischen Polizei genehmigte amtliche Tätigkeit der Überwachung russischer Staatsangehöriger in Preußen, das sind zugleich Leute, denen Verbrechen über Verbrechen nachgewiesen worden sind, denen nachgewiesen worden ist, dass sie die Urheber bei weitem der meisten aller in der verflossenen revolutionären Periode begangenen Attentate in Russland gewesen sind. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich habe nicht nötig, über die Einzelheiten in dieser Richtung zu sprechen. Ich habe im vergangenen Jahre einmal eine Rede darüber gehalten, bei der die Herren dieses Hauses die große Liebenswürdigkeit besaßen, fast ausnahmslos den Sitzungssaal zu verlassen, im Übrigen nicht gerade zu meiner Betrübnis, denn ich hatte nicht etwa, nachdem die Herren aus dem Saal verschwunden waren, das Gefühl, weniger Verständnis zu finden, als ich gefunden haben würde, wenn die Herren hier gewesen wären. Ich habe damals auch auf Weißmann Bezug genommen, den in Sofia lange Zeit beschäftigt gewesenen Finanzagenten der russischen Polizei, der jetzt im November 1910 vom Warschauer Gericht wegen Bestechlichkeit und Beihilfe zu Diebstählen zum Verluste seiner Ehrenrechte und zu Korrektionshaft von einem Jahr vier Monaten verurteilt worden ist, ein Mensch, der ein politischer Agent provocateur der schlimmsten Art war und sich nun auch gemeiner Verbrechen schuldig gemacht hat.

Im Übrigen kann ich Sie beruhigen. Wir haben auch jetzt einen solchen Herrn hier in Berlin. Dieser Herr, der jetzt die amtliche Funktion an der Botschaft hat, sich für die hiesigen russischen Kreise zu „interessieren", wie man es zu nennen pflegt, ist ein Herr von Zakrzewski, Attaché der russischen Botschaft. Ich nenne den Namen dieses Herrn von Zakrzewski, der sich bereits in einer sehr unwürdigen Weise heranzuschleichen versucht hat an allerhand Russen, in voller Öffentlichkeit, brandmarke ihn hiermit und warne hiermit alle sich in Berlin aufhaltenden Russen, sich jemals mit diesem Herrn irgendwie einzulassen. (Lachen rechts.)

Dass wir auch mit unseren deutschen Polizeiagenten, die zu ähnlichen Aufgaben in ähnlicher Weise benutzt werden, nicht viel Staat machen können, ist ihnen wiederholt dargelegt worden. Ich brauche nicht zu sprechen von der im Augenblick viel Staub aufwirbelnden Affäre des Kommissars Treskow II, gegen den das Disziplinarverfahren schwebt, nachdem man sich lange Zeit in der Zentralstelle bemüht hat, die wirklich Anlass zu einem Disziplinarverfahren gebende Angelegenheit zu vertuschen. Ich will nicht zurückgreifen in die Tiefe der Vergangenheit auf die Namen der Stieber, aber auch hier wieder müssen wir den Namen des Polizeikommissars Schöne nennen, die Affäre Grienblatt und den in der Affäre Trofimow hervorgetretenen Herrn von Arnim.

Im Falle Schöne-Brockhusen, von dem ich zunächst spreche, ist bewiesen, dass ein Berliner Kommissar Schöne eine Urkunde, einen Pass, gefälscht hat, dass dieser höhere Beamte versucht hat, einen russischen Staatsbürger zum Hochverrat gegen sein Land anzustiften – kurzum in der denkbar unanständigsten, in verbrecherischer, strafbarer Weise von diesem Beamten vorgegangen ist, ohne dass alle Appelle in der Öffentlichkeit, in der Presse, im Parlament bisher auch nur zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens geführt hätten. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Porsch: Das führt von dem Absatz 2 der Interpellation etwas weit ab; ich möchte Sie doch bitten, bei dem Gegenstand der Interpellation zu bleiben.

Liebknecht: Ich spreche im Augenblick davon, dass das Polizeimaterial, das zu Auskünften der fraglichen Art benutzt wird, sehr unzuverlässig ist, dass alle Vorsicht obwalten muss, und da möchte ich in Bezug auf den Polizeikommissar von Arnim darauf hinweisen, dass er sich im Prozess Trofimow als gänzlich unfähiger und unorientierter Mensch gezeigt hat, der noch 1907 glaubte, Mosts „Freiheit" existiere noch und Most, der längst verstorben war, sei noch am Leben, und der auch im Übrigen Heiterkeit erregen musste durch seine absolute Unkenntnis.

Ich verweise dann auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Dresden im Falle Grienblatt. Danach ist erwiesen, dass im Berliner Polizeipräsidium eine Urkunde, die die wesentliche Grundlage für die Erhebung der Anklage war, in ihr Gegenteil gefälscht worden ist. Ich will von den übrigen traurigen Helden nicht sprechen, die in der Broschüre meines Freundes Ernst8 festgenagelt sind. Ich habe keine Ursache zu wiederholen, was in sehr eindrucksvollen Erörterungen mein Freund Hoffmann in diesem Jahr diesem Hause vorgetragen hat.

Wir sind also Gegner jener heimlichen Feme gegen die Studenten, Gegner jener diskretionären Gewalt, die man der Polizei gibt, wir sind Gegner all dieser Missstände, von denen ich sprach und auf die zum Teil die Herren Vorredner hingewiesen haben. Aber das wichtigste ist und bleibt, dass die Bedingungen, die hier für die Zulassung der Ausländer gesetzt sind, im höchsten Maße blamabel sind und dass das Verhältnis zwischen Universität und Polizei so unwürdig wie möglich ist. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Die Universität ordnet sich der Polizei unter; der Polizeibeamte kommandiert, er pfeift, und die Universität muss tanzen. Nicht einmal selbst nachforschen darf die Universität, sie ist verpflichtet, das zu tun, was die Polizei ihr sagt; sie ist nicht einmal berechtigt, von der Polizei nähere Auskunft zu verlangen; sie bekommt von der Polizei keine Auskunft – grundsätzlich nicht! –; sie muss, ob sie will oder nicht, einfach die Studenten zurückweisen.

Allerdings, was das Verhältnis zwischen Polizei und Kultusministerium anlangt, so bin ich nach den heutigen Ausführungen der Herren Minister ein bisschen unsicher geworden; denn es schien mir, als ob jeder der Herren bald die eigene Schuld auf den anderen schieben, bald die Schuld des anderen in gewissem Sinne auf sich selbst nehmen wollte. Der Herr Kultusminister sagte, dass die Universitäten aus eigenem Antrieb zu einer derartigen Regelung gegriffen hätten und dass der Universität hier keine Gewalt angetan werde. Ähnlich meinte der Herr Minister des Innern, dass die Universitätsbehörden die Polizeibehörde um Auskunft ersucht hätten. Es ist dennoch ziemlich unklar, wie die Sache liegt. Es ist unklar, ob die Universitätsbehörden in irgendeiner Weise verpflichtet sind, sich dem Wunsche, dem Willen der Polizei zu fügen; es ist unklar, ob sie verpflichtet sind, vor der Zulassung die Auskünfte von der Polizei einzuziehen. Über alle diese Dinge ist bisher vom Ministertisch keine erschöpfende Auskunft gegeben worden. Wer nun der schuldige Teil ist, wer nun auch angefangen haben mag, ob die Polizei die Universität genötigt oder ob die Universität freiwillig auf ihr Erstgeburtsrecht verzichtet hat, das kann vollkommen dahingestellt bleiben, da der tatsächliche Zustand gegenwärtig jedenfalls so überaus blamabel wie möglich ist.

Was soll man dazu sagen, wie sich die preußischen Universitäten auf diesem hier erörterten Gebiet nur noch als Dependancen der Polizei fühlen! Es ist ja vor kurzem im „Vorwärts" dem Herrn Rektor Rubner eine kleine Blütenlese von Aussprüchen großer deutscher Gelehrter vorgehalten worden, aus denen er vielleicht eine andere Auffassung über die Stellung der Universität zur Polizei hätte gewinnen können. Da wurde unter anderem die Äußerung Schleiermachers über die Beziehung zwischen Staat und Universität zitiert: dass die Universität vor allen Dingen die allmählich vorherrschend gewordenen Einflüsse des Staates in dessen natürliche Grenzen zurückweisen müsse, dass in allem, was zu dem Gebiete der Universitäten gehört, die Universität sich frei und unabhängig ihre Verfassung selbst bilden müsse und sie nach Beschaffenheit der Umstände selbst müsse verändern können. Alles übrige wird von Schleiermacher als Vormundschaft bezeichnet, der ein Theologe, ein sehr frommer Herr und auch ein sehr königstreuer Herr war. Und was sagt Wilhelm von Humboldt? Er ruft dem Staat zu: er müsse sich immer bewusst bleiben, dass er immer hinderlich ist, sobald er sich in das Universitätswesen hineinmischt, und dass die Sache ohne ihn unendlich besser gehen wird.

Nun, meine Herren, wie die Sache von den gegenwärtig leitenden Persönlichkeiten der Berliner Universität beurteilt wird, das haben wir aus dem Munde des Herrn Abgeordneten von Liszt wie auch aus den Auslassungen des Herrn Professors Rubner erfahren. Danach wird davon ausgegangen, dass, nachdem nun irgendwelche Ministerialverfügungen bestehen, die Universitäten einfach die Pflicht haben, sich zu beugen. Es wird das damit motiviert, dass wir in Preußen keine gesetzliche Regelung dieses Gebiets haben und dass infolgedessen die Verwaltung die Macht in Händen habe.

Ich kann diesen Standpunkt nur aufs Allerenergischste bekämpfen. Weshalb hat die Universitätsverwaltung es nötig, sich ohne weiteres in dieser unwürdigen Weise behandeln zu lassen? („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Gehe ich selbst davon aus, was ja leider – nach herrschender Praxis – Tatsache ist, dass unsere ganze Unterrichtsverwaltung jedem Zugriff ordentlicher Rechtsmittel entzogen ist, so dass sie eine tyrannische Willkür im Verwaltungswege nach allen Richtungen, die ihr belieben, auszuüben vermag, kann man dann sagen: Weil ein spezielles förmliches Rechtsmittel nicht gegeben ist, um deswillen bereits ist man machtlos? Kann man sagen: Wenn eine feste Instanz nicht gesetzlich festgelegt ist, darum kann man sich überhaupt nicht wehren? Meine Herren, das ist so ein preußisch-subalterner Standpunkt, der hierin zum Ausdruck kommt. Haben denn die Göttinger Sieben einst ein besseres Gesetz gehabt, als gegenwärtig für die Universitäten besteht, und haben sie nicht durch ihren Protest, durch ihr Auftreten damals tüchtig dazu beigetragen, dass sich die vormärzlichen Zustände in Deutschland geändert haben? Meine Herren, das ist es, was man überall in dem Verhalten unserer Professoren vermisst, wie man es leider auch in dem Verhalten unserer Studenten vermisst.

Dann und wann, wenn in Straßburg oder sonstwo da unten ein kommandierender General die Studenten allzu heftig koramiert, dann plötzlich erwacht in ihnen das studentische Selbstbewusstsein, dann wissen sie auf einmal, was sie zu tun haben, um ihrer „Ehre" zu genügen. Wenn aber in einer solchen Weise der Polizeiverwaltung Einfluss gegeben wird auf die freie Republik der Geister, auf die Universitätsverwaltung, wenn so ihre Kommilitonen in den Tod getrieben werden, wie es sich in diesem Falle zeigt und wie in zahlreichen Fällen ihre Existenz vernichtet wird, da rührt sich in der ganzen deutschen Studentenschaft keine Maus. Meine Herren, man gründet freie Studentenschaften, aber sie dürfen beileibe nicht politisch sein, sie dürfen keinen Sozialdemokraten hören. Das ist die Freiheit der Studenten an der preußischen Universität!

Die Dozenten – ja, meine Herren, darüber ist ein gewichtiges Wort zu sagen. Es ist Ihnen bekannt, mit welchen Worten einst der Kultusminister Bosse die Lex Arons9 begrüßt hat. Sie wissen, wie er gegenüber dem Fall des Professors Delbrück im Jahre 1899 davon gesprochen hat, dass die Disziplin in eiserner Hand zu halten ist – die Disziplin, wohl bemerkt, über die Professoren an den Universitäten, nicht über einen Schutzmann, der etwa exzediert – in gerechter, aber eiserner und strenger Hand, was damals dem Abgeordneten Rickert Veranlassung gab, davon zu reden, dass jetzt wohl die schneidige Richtung im Kultusministerium Einfluss gewonnen habe, in jenem Kultusministerium, das sich stolz dann und wann – man kann es freilich nur als Selbstironie betrachten – auch als Ministerium des Geistes bezeichnet.

Meine Herren, die Lex Arons hängt allerdings als ein disziplinarisches Richtbeil über dem Kopf jedes einzelnen Universitätsdozenten, der einige Bewegungsfreiheit anstrebt. Aber, meine Herren, wie dem auch sei: Wenn unsere Universitätsdozenten das ganze Schmähliche dieses Zustandes begreifen würden und wenn sie sich mit der Energie gegen diese preußische Korruption, die ihnen angesonnen wird, wehren würden, wie das ihrer Stellung allein würdig wäre, dann, meine Herren, bin ich fest überzeugt, würde das nicht ergebnislos bleiben. Wir haben aber nicht einmal einen gemeinschaftlichen Protest der Dozenten hier gehört, nicht einmal die mildeste Form einer Opposition hat sich geltend gemacht („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), und selbst aus den Ausführungen des Herrn Geheimrats von Liszt, den ich sonst ungemein hochschätze, hat ein Geist der Selbstbescheidung geklungen, ein Geist des Sichfügens, ein Geist, abhold jeder energischen Opposition gegen erbärmliche und niederdrückende Zustände in unserem Universitätswesen, ein Geist, den ich auch wegen des Ansehens des so hoch angesehenen Namens dieses Herrn auf das tiefste beklagen muss.

Meine Herren, wir haben hier vergeblich auf ein Wort gewartet, das mit Nachdruck die Empörung zum Ausdruck bringt, die in weitesten Kreisen herrscht und allenthalten herrschen müsste, vom Standpunkt der Wissenschaft und der Universität gegenüber jenen Vorgängen und Maßregeln. Ich möchte mit Byron rufen: I want a hero, einen Helden möchte ich sehen, einen preußischen Professor, der sich einmal erhebt und als Mann auftritt gegenüber der preußischen Polizei und dem preußischen Kultusministerium. Aber wo ist der Mann, wo ist der Held, der da auftreten würde? Meine Herren, was wir hier heute beklagen, ist gar kein Wunder. Die preußische Universität wird genauso behandelt, wie sie es verdient, solange sie sich nicht besser ihrer Haut wehrt und solange sie sich sklavisch auf den kleinlichen, bürokratisch subalternen Abwehrstandpunkt stellt.

Meine Herren, dass wir auch mit den Bedingungen der Aufnahme der auswärtigen Studenten nicht einverstanden sind – mit den Bedingungen, dass man politisch unverdächtig sein und größere Mittel besitzen muss usw. –, das ist ja ganz selbstverständlich. Ist es nicht geradezu etwas Rührendes, Großartiges, dieser Bildungsdurst, der sich gerade in Russland besonders geltend macht, dieser Bildungsdurst der armen Menschen? Ist jemals, möchte ich den Herrn Polizeiminister fragen, ein russischer Student der Armenfürsorge zur Last gefallen? Ich bin fest überzeugt, dass der Fall noch nicht passiert ist. Aus Gründen der Armenfürsorge soll man nicht mit solchen Maßregeln kommen; der Fall ist nicht vorgekommen. Diese Leute schlagen sich in der allererbärmlichsten Weise durch, um ihren Idealen zu leben, und sie würden sich lieber eine Hand abhacken lassen, als von der Armenpflege etwas annehmen. Also, Besorgnisse aus Armenfürsorgegründen bestehen nie und nimmer.

Man sollte den gewaltigen Idealismus, der sich bei den jungen Studenten zeigt, begrüßen. Was würde aus unseren Universitäten im Mittelalter, in der Zeit, wo sie sich entwickelt haben, geworden sein, wenn man da von jedem Studenten verlangt hätte, dass er seine Mittel nachweisen solle, in der Zeit, wo die Studenten, die hinauszogen, vielfach nicht reicher waren als die armen Handwerksburschen, die von Land zu Lande ziehen! Meine Herren, diese Kleinlichkeit, mit der man dasjenige auch in Bezug auf die ausländischen Studenten durchsetzen will, was in Bezug auf die einheimischen leider bereits Tatsache ist, dass man nämlich nur begüterte Studenten zum Studium zulässt – diese Kleinlichkeit bedarf gerade vom Standpunkt der Heiligkeit der Wissenschaft und des Idealismus dieser Bestrebungen eine energische Zurückweisung. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich will nicht von dem berühmten Missbrauch des Gastrechts sprechen und nicht von den gefälschten Legitimationspapieren. Die preußische Polizei hat auch schon oft genug Sachen gefälscht, und wenn irgendein Student wirklich mal einen Pass gefälscht haben sollte – (Widerspruch rechts.) Ich habe Polizeifälschungen nachgewiesen! Ich erinnere an den Fall Grienblatt: Denken Sie an den Königsberger Prozess, an die Fälschungen, die dort gerichtlich festgestellt sind, an den Fall Schöne-Brockhusen; das sind Fälle, die festgelegt sind; da hilft kein Widerspruch.

Meine Herren, es ist durchaus notwendig, mit größter Schärfe vor allem die Bedingung der politischen Zuverlässigkeit zurückzuweisen. Es ist bedauerlich, dass auch von den Herren der Linken, abgesehen von den Herren Polen, diese politische Zuverlässigkeitsprobe nicht im Prinzip angegriffen ist. Was sollen wir denn nun in den Fällen machen, wo russische Studenten kommen, die in Russland politisch verdächtig sind, die keinen anderen politischen Standpunkt einnehmen, als ihn bei uns alle möglichen, durchaus für loyal erachteten Parteien einnehmen? Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass selbst die Zeitung „Retsch", die drüben als sehr verdächtig gilt, nur unserer „Vossischen Zeitung" zu vergleichen wäre, die doch ganz gewiss einen durchaus loyalen Charakter trägt. Meine Herren, was in Russland alles politisch verdächtig ist, wissen Sie oder sollten Sie wenigstens wissen. Dass wir nun den aus Anlass der besonderen russischen Verhältnisse aus Russland heraus gejagten russischen jungen Leuten nicht die Universität verbieten sollten, das scheint mir ganz selbstverständlich zu sein. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich möchte bei der Gelegenheit an den Herrn Minister für Kultus die Frage richten, ob ihm von einer Abmachung zwischen deutschen Universitäten etwas bekannt ist, wonach sämtliche bei Gelegenheit der letzten Studentenunruhen in Russland relegierten oder sonst mit diesen Unruhen befassten Studenten an keiner deutschen Hochschule mehr zugelassen werden sollen. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Das ist eine Nachricht, die in angesehenen, auch den Regierungsparteien angehörenden russischen Zeitungen verbreitet worden ist, eine Nachricht, die zu einem Teil auf eine Äußerung zurückgeführt worden ist, die, ich glaube, der Berliner Universitätsrichter Daude irgendwo getan haben soll. Es wäre wichtig, darüber eine Aufklärung zu gewinnen. Wir würden selbstverständlich dem zu widersprechen haben, dass diese aus Russland relegierten Studenten bei uns zurückgewiesen werden. Denn es sind nur Leute, die sich nach den russischen politischen Verhältnissen politisch oppositionell gebärdet haben, Leute, die der Regel nach mit zu den tüchtigsten und anständigsten, den kulturell wertvollsten Elementen Russlands gehören.

Überhaupt steht es im schroffsten Widerspruch mit den Anforderungen, die wir an jede Universität zu stellen haben, dass eine politisch-chemische Nachprüfung der Gesinnung stattfinden soll. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Diese Gesinnungsschnüffelei, mag sie sich erstrecken auf welche Parteirichtungen sie will, müsste verpönt, müsste zurückgewiesen werden („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) von den Stufen dieser heiligen Tempel der Wissenschaft, die angeblich unsere Universitäten sein sollen. Statt dessen ist bei uns die Polizei mitten in diesem Tempel drin, sie regiert diesen Tempel. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es ist just der richtige Moment, in dem sich der Fall Dubrowsky ereignet hat. Gerade in diesem Jahre sind es 100 Jahre, dass jener Fichte Rektor der Berliner Universität wurde, jener selbe Fichte, der seine „Reden an die deutsche Nation" hielt, um Deutschland aufzurufen, sich von der französischen Fremdherrschaft freizumachen, von jener Fremdherrschaft, die zwar eine Fremdherrschaft war, die aber zweifellos in vieler Hinsicht Deutschlands Kultur gewaltsam vorangetrieben hat.

Meine Herren, sollte es nicht vielleicht auch in diesem Jahre irgendeinen Fichte geben an der Berliner Universität, der da auch Reden hält an die deutsche Nation? Herr Geheimrat von Liszt wird vielleicht diese Reden an die deutsche Nation halten, Reden, in denen er sie auffordert, sich zu befreien von der Fremdherrschaft der russischen Polizei, von der Fremdherrschaft der Zarenliebedienerei, von der Fremdherrschaft der Speichelleckerei gegenüber Russland, die bei uns immer noch eine bedauerliche Tatsache ist. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Und der gleichzeitig Reden an die deutsche studierende Jugend und die deutschen Universitätsdozenten hält, in denen er sie auffordert, sich freizumachen von der Fremdherrschaft der preußischen Polizei in der Universität. Vielleicht wird Herr Geheimrat von Liszt diese Reden an die deutsche Nation und die deutschen Universitäten halten.

Nun, meine Herren, es ist mir nicht möglich, mich mit allen Einzelheiten zu befassen, die hier noch angeführt werden können. Meine Herren, es ist mir auch nicht möglich, mich noch eingehender mit dem Standpunkt zu befassen, den Koryphäen des deutschen Geistes gegenüber ähnlichen Bestrebungen zur Verunglimpfung und Herabwürdigung unserer Wissenschaft eingenommen haben. Meine Herren, ich möchte Sie nur erinnern an jenes Wort von Herder, das sich in seinen Schulreden findet:

Geister der Wissenschaft, ihr reinen, ewigen Seelen, Geister der Sitte und Zucht, werdet, o werdet uns nah, Possen bannet hinweg, unkeuschen Geschmack und den Dünkel, der Kastiliens Quell schmählich entweihet und trübt!"

Der Kastiliens Quell schmählich entweihet und trübt!" Wenn man überhaupt noch ein Gefühl für Reinlichkeit hat, unreinlicher, als Kastiliens Quell unter dieser Art der Polizeibevormundung und Polizeiwirtschaft bei uns in Preußen ist, kann er doch wahrlich kaum mehr sein.

Der Herr Kultusminister kann nun beten und sagen: Ein treuer Knecht war Fridolin, ein treuer Knecht des Herrn Polizeiministers. So kann auch Herr Professor Rubner beten. Er fühlt sich als ein treuer Knecht der Polizei; er fühlt sich nicht berufen, mit Energie und Männlichkeit das unwürdige Ansinnen zurückzuweisen, das ihm fortgesetzt gestellt wird.

Und, meine Herren, dann erleben wir das schöne Schauspiel, das wir in diesem Hause so oft erleben können. Die Herren von der Rechten sind schon sehr kluge Taktiker; sie sagen sich: Die beste Deckung ist der Hieb. Sie sind angeklagt; denn sie sind in erster Linie verantwortlich für die Zustände an der Universität, die sie immer wieder und wieder gefördert haben, besonders bei den Debatten im Jahre 1904 und im Jahre 1906. Und nun denken sie: Die Gelegenheit ist günstig zu einer Sozialistenhetze. Der Redner der Konservativen Partei hat sich denn wahrhaftig auch diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Statt der Staatsregierung ins Gewissen zu reden, statt im Allergeringsten einen Versuch zu unternehmen, die Kulturinteressen Deutschlands zu vertreten und die Ehre Deutschlands vor dem Ausland zu verteidigen, die in diesem Falle ernstlich genug gefährdet ist, haben die Konservativen nach dem altbewährten, aber vielleicht nicht lange mehr sich bewährenden Mittel – denn es ist ein auf die Dauer sehr kurzsichtiges Mittel – gerufen: „Haltet den Dieb!" und die Sozialdemokratie als die Schuldige an dem unglückseligen Vorfall zu kennzeichnen versucht. Der Geist der Wirrnisse ist es, sagte ihr Redner, der Geist der politischen Unruhe und Unzufriedenheit ist es, der diesen jungen Mann, der mit Politik nichts zu tun hat, in den Tod getrieben hat. Er hat die Stirn gehabt, der Sozialdemokratie den Tod dieses Dubrowsky auf die Rechnung zu setzen. Meine Herren, ich muss gestehen, dass das allerdings an Unverfrorenheit schwerlich etwas zu wünschen übriglässt.

Meine Herren, von Wirrnissen ist in diesem Fall gar nicht die Rede gewesen. Wenn aber wirklich sittliche Wirrnisse und dergleichen in Frage kämen, wer hat sie geschaffen? Sind diese Wirrnisse etwa künstlich und schuldhaft geschaffen durch diesen unglückseligen Dubrowsky oder durch die sogenannten oppositionellen Parteien? Meine Herren, diese Wirrnisse sind und werden verschuldet – in Preußen wie in Russland und allerwärts – durch die Parteien und durch die Regierungen, die sich mit aller Gewalt gegen den Fortschritt der Entwicklung stemmen, die das, was nicht haltbar ist, konservieren wollen und die, wenn es nicht mehr möglich ist, diese Konservierung zu vollziehen mit dem Willen und getragen von dem Vertrauen der Bevölkerung, gewillt und bereit sind, ihre Machtstellung und alle Rückständigkeit zu schützen mit den Waffen der Gewalt, mit Benutzung aller der brutalen Mittel, die ihnen die Staatsgewalt zur Verfügung stellt.

Dass sich bei der jetzigen Besprechung die Konservative Partei als durchaus reaktionär charakterisiert hat und dass auch alle übrigen Parteien des Hauses es nicht vermocht haben, das prinzipiell Wichtige an dieser Angelegenheit herauszuarbeiten, dass sich auch nicht ein Vertreter anderer Parteien gefunden hat, der eine Regelung des Fremdenrechtes gefordert hätte, dass es nur der Herr Geheimrat von Liszt gewesen ist, allerdings auch vielleicht der Herr Abgeordnete Friedberg, die von einem Universitätsgesetz gesprochen haben, das geschaffen werden müsste, das stellt dieses Haus vor aller Welt bloß. Auch von einer Regelung der Rechtsverhältnisse der Studierenden ist nicht geredet worden. Auch das charakterisiert dieses Hohe Haus auf das Allerschneidendste.

Meine Herren, wir wünschen allerdings auch ein Universitätsgesetz. Aber ein Universitätsgesetz, das wir aus den Händen der preußischen Regierung und dieses Hohen Hauses empfangen sollen, das wird natürlich nicht besser sein als die jetzigen Zustände; das wird nur eine Kodifikation des jetzigen unwürdigen Zustandes und nichts anderes bedeuten. Es können eben halt auf einem Dornenstrauch keine Feigen wachsen.

Trotz alles Hohnes und Spottes, die wir von den Herren immer und immer wieder hören, wenn wir die Sozialdemokratie als die einzige wirkliche Kulturpartei (Heiterkeit.) – als die einzige wirkliche Kulturpartei! – („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) erklären, bleibt nichts anderes übrig, als auch hier wiederum festzustellen, dass es hier nur die Sozialdemokratie gewesen ist, hier und in der Presse, die gewagt hat, das prinzipiell Wichtige und Wesentliche aus diesem Falle herauszuschälen und die Konsequenzen zu ziehen, die gezogen werden müssen im Interesse der deutschen Kultur, im Interesse der deutschen Universitäten, im Interesse des Ansehens und der Ehre des deutschen Namens im Inlande und im Auslande. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

1Der russische Student D. Dubrowsky hatte Selbstmord begangen, weil ihm die Immatrikulation an der Berliner Universität wegen „politischer Unzuverlässigkeit" verweigert worden war. Die Interpellation lautete: „Ist der Königlichen Staatsregierung bekannt, dass dem russischen Studenten Demetrius Dubrowsky das Studium an der hiesigen Universität versagt worden ist? Durch welche Organe und nach welchen Grundsätzen wurden in diesem Falle und werden im Allgemeinen die politische Zuverlässigkeit und der Besitz der erforderlichen Subsistenzmittel bei ausländischen, insbesondere russischen Studierenden geprüft?"

2 Trofimow, ein russischer Student, der schon 1904 in Berlin studiert hatte, immatrikulierte sich 1906 erneut in Berlin als Student der Medizin. Er war Vorstandsmitglied der 1907 in Berlin aufgelösten russischen Lesehalle, eines Zentrums der russischen revolutionären Emigranten, und wurde am 22. Oktober 1907 während einer illegalen Zusammenkunft verhaftet. Nach dem Prozess gegen ihn Ende 1907 wurde er als „lästiger Ausländer" aus Preußen ausgewiesen.

3 Am 16. März 1904 befahl der Berliner Polizeipräsident die Ausweisung von 14 russischen Staatsangehörigen aus Preußen als „lästige Ausländer". Sie hatten am 5. März 1904 an einer Protestversammlung der russischen Studenten in Berlin teilgenommen, die sich gegen die Beleidigungen der russischen Studenten durch den Reichskanzler von Bülow in seiner Reichstagsrede vom 29. Februar und gegen die Bespitzelung durch die preußische Polizei richtete. Karl Liebknecht legte am 22. März vor dem Verwaltungsgericht Beschwerde gegen die Ausweisungen ein, die abgewiesen wurde. Nach einer von Karl Liebknecht angeregten und am 22. März durchgeführten Abschiedsveranstaltung, an der auch deutsche Sozialdemokraten teilnahmen, reisten die Ausgewiesenen am 24. März aus Berlin ab. Die verstärkte Aktivität der preußischen Polizei Ende 1903 und Anfang 1904 gegen die russischen Emigranten in Deutschland stand in engstem Zusammenhang mit der Vorbereitung des Königsberger Geheimbundprozesses.

4 Er wurde von der russischen Botschaft in Berlin finanziell unterstützt. Die Red,

5 der die Interpellation begründete. Die Red.

6 Mit der Bezeichnung „echtrussisch" sind die Mitglieder des Verbandes des russischen Volkes gemeint, einer 1905 zum Kampf gegen die Revolution gegründeten monarchistischen Schwarzhunderterorganisation in Russland.

7 Es ist heute dokumentarisch nachgewiesen, dass derartige Geheimdirektiven im Herst 1906 tatsächlich gegeben wurden. 1910 erfolgte dann eine weitere Erschwerung der Immatrikulation russischer Studenten an den preußischen Universitäten. Die Red.

8 Eugen Ernst: Polizeispitzeleien und Ausnahmegesetze 1878–1910, Berlin 1911. Die Red.

9 Betraf die Unterstellung der unbezahlten und bisher nicht als Beamte geltenden Privatdozenten unter die Disziplinargewalt des preußischen Staates seit dem Jahre 1898. Diese Gesetzesänderung richtete sich besonders gegen die Sozialdemokratie und wurde zuerst gegen den sozialdemokratischen Physikdozenten Arons angewandt. Arons wurde am 20. Oktober 1900 wegen seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie von der Universität Berlin gewiesen.

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