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Karl Liebknecht 19110202 Zu den Ausschreitungen der Berliner Polizei auf dem Wedding und in Moabit

Karl Liebknecht: Zu den Ausschreitungen der Berliner Polizei auf dem Wedding und in Moabit

Rede in der Berliner Stadtverordnetenversammlung zu einem sozialdemokratischen Antrag1

[Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin, 38. Jahrgang, 1911, Berlin 1912, S. 55/56. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 41-47]

Meine Herren, ich möchte dem Herrn Oberbürgermeister zurufen: Am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf. Ich muss bezweifeln, dass ein Beschluss dieses Hauses den günstigen Effekt haben würde, von dem er eben sprach.

Meine Herren, der Herr Oberbürgermeister selbst hat ja im Beginn seiner Ausführungen die lange Leidensgeschichte von Beschlüssen ähnlicher Art aus diesem Hause dargelegt und betont, wie die staatlichen Organe die diesseitigen Anträge immer wiederholt mit der Missachtung behandelt haben, die der Herr Oberbürgermeister ganz vortrefflich charakterisiert hat. Meine Herren, es ist ja in Preußen tatsächlich überall nicht so, dass der geringste der Untertanen ein Recht auf mit Gründen versehene Bescheide der Behörden hat; jedenfalls nehmen es sich im Gegenteil die Behörden allgemein heraus, die tiefst eingreifenden Bescheide ohne jede Begründung zu erlassen. Wenn nun der Herr Oberbürgermeister mit Fug und Recht diesen Zustand bezeichnet hat als einen Zustand, der ein Gefühl der Unzufriedenheit und der Zurücksetzung hervorrufen muss, so akzeptiere ich dieses Zugeständnis und erblicke darin auch das Zugeständnis, dass die Sozialdemokratie mit der Art, wie sie die preußische Regierung bekämpft, durchaus im Rechte ist, dass die Sozialdemokratie aus der Art der preußischen Verwaltung Anlass und Grund genug hat, um der preußischen Regierung überall mit aller Schärfe entgegenzutreten, dass die Unzufriedenheit im preußischen Volke gegenüber der Sorte von Regierung, unter der wir zu leiden haben, nur allzu begründet ist.

Meine Herren, wenn die Staatsregierung die Übernahme der Wohlfahrtspolizei in städtische Regie in dieser Weise abgelehnt hat, so glaube ich, dass die Gründe dafür uns allen klar genug sind, wenn sie auch nicht in Worten Ausdruck gefunden haben. Wenn der Minister Herrfurth einst eine prinzipiell andere Ansicht vertrat, wenn auch der Preußische Landtag einen prinzipiell andern Standpunkt einnahm, so haben diese Instanzen diese Auffassung offenbar nicht im Hinblick auf Berlin formuliert; vielmehr ist die außerordentlich unfreundliche Stellung, die die preußische Regierung seit je gegen Berlin eingenommen hat, durch diese Beschlüsse durchaus nicht tangiert worden. Meine Herren, der Hass gegen den Wasserkopf Berlin ist ja geradezu traditionell in der preußischen Verwaltung, und es wird uns deshalb nicht wundernehmen, wenn die preußische Regierung gerade Berlin auch hier wieder exzeptionell ungünstig behandelt hat. Das ist eben einfach Preußen, und das eine Wort Preußen besagt alles.

Meine Herren, wenn nun der Herr Abgeordnete Cassel gemeint hat, nachdem die Übernahme der Wohlfahrtspolizei abgelehnt worden sei, könne die Übernahme der Polizei in weiterem Umfange von uns nicht gut gefordert werden, weil eine Aussicht in dieser Richtung nicht bestehe, so möchte ich darauf hinweisen, dass wir gerade für die Übernahme der Sicherheitspolizei auf die Stadtverwaltung jetzt besondere neue Gründe haben. Gerade in Beziehung auf die Sicherheitspolizei, nicht auf die Wohlfahrtspolizei sind ja diese Erscheinungen zutage getreten, die den unmittelbaren Anlass zu unserm Antrage gegeben haben. Es hat sich herausgestellt, dass gerade auf dem Gebiete der Sicherheit die Königliche Polizei absolut nicht in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen, dass sich die Königliche Polizei hier in den schroffsten Gegensatz setzt zu den Interessen der Allgemeinheit des Bürgertums, des Volkes, dass die Königliche Polizei sich nicht anders fühlt denn als Vollstreckerin der Staatsräson, wie sie von der preußischen Regierung vertreten wird, also als Vollstreckerin des preußischen polizeilich-bürokratischen Staatswillens, der in dem schroffsten Gegensätze steht zu dem Willen der Mehrheit des preußischen Volkes.

Meine Herren, eine Regierung, deren Macht aufgebaut ist auf dem Dreiklassenwahlsystem, auf dem Militarismus und auf dem preußischen Polizeisystem, eine solche Regierung, die damit bereits im schroffsten Gegensatz steht zu der Masse des Volkes, ist einfach der Quelle ihrer Macht nach außerstande, die Interessen der Bürgerschaft zu vertreten; einer solchen Regierung muss das schroffste Misstrauen entgegengesetzt werden, und es muss verlangt werden, dass ihr alle Machtbefugnisse nach Möglichkeit abgenommen werden, durch die sie in die Lage versetzt wird, in die Interessen des Bürgertums einzugreifen.

Meine Herren, es ist zweifellos richtig, was der verflossene Minister Miquel nach Herrn Cassels Zitat einstens gesagt hat: „Wer die Polizei hat, der hat ein großes Stück Gewalt." Diesen Standpunkt hat die Sozialdemokratie seit je vertreten, und deshalb hat sie sich konsequent bemüht zu verhindern, dass die brutalen Mittel der Staatsgewalt in Hände gelegt werden, die wir nicht als fähig erachten, diese Machtmittel im Interesse der Allgemeinheit anzuwenden, von denen wir sogar überzeugt sind, dass sie vielfach von einer Skrupellosigkeit geleitet werden, von einer skrupellosen Tendenz, den Willen der herrschenden Minderheit zu vertreten gegenüber dem Willen der Masse des Volkes. Das gibt nach meiner Überzeugung allen Anlass, unsern Antrag a) als keineswegs zu weitgehend erscheinen zu lassen.

Der Herr Oberbürgermeister hat aus seiner Empfindung heraus, die ihm jeder nachfühlen wird, erklärt – gebeten, möchte ich fast sagen –, dass man ihm nicht noch einmal zumuten möge, mit einer Regierung, die die Stadtverwaltung von Berlin derart en canaille behandelt, in Verbindung zu treten in einer Angelegenheit, wegen deren er diese brüske und pflichtwidrige Antwort erhalten hat. Aber der Herr Oberbürgermeister geht hierbei von einem verkehrten Standpunkt aus. Wir würden nie und nimmer die Hand dazu bieten, den Herrn Oberbürgermeister zu veranlassen, als Bittflehender zu der preußischen Staatsregierung zu gehen, sie zu bitten, aus Gnade und Barmherzigkeit irgendwelche Rechte zu bewilligen. Wenn wir unsern Antrag stellen, so ersuchen wir den Magistrat, den Antrag als Vertreter der Berliner Bürgerschaft fordernd und heischend und verlangend („Sehr richtig!"), rücksichtslos, fußend auf dem Willen der Berliner Bürgerschaft, vorzutragen. Es soll nicht ein sanftes Wort fallen; es soll nicht im höflichen Kurialstil gekatzbuckelt werden, sondern es soll ganz geradeaus gesagt werden: Die Bürger Berlins wollen, dass in dieser Weise reformiert werde, und fordern, dass die Regierung ihre Schuldigkeit tue. (Bewegung.)

Wenn der Herr Oberbürgermeister einen solchen Ton gegenüber dem Ministerium nicht anschlägt, dann weiß ich genau, dass das durchaus den Übungen des Geschäftsverkehrs zwischen Magistrat und Ministerium entspricht. Aber wir haben keinen Anlass, unsere, ich möchte sagen, etwas derberen Allüren, die wir in der Politik für angemessen halten, besonders einer Sorte von Regierung gegenüber, wie es die preußische ist, hier preiszugeben. Es liegt übrigens, wie mir scheint, durchaus innerhalb des Bereiches der Möglichkeit, dass der Magistrat, in Formen der üblichen Höflichkeit bleibend, dennoch bei der erneuten Verhandlung deutlich genug zum Ausdruck bringt, dass er hier keineswegs als Bittender kommt, sondern als ein im Interesse der Bürger Fordernder. Wenn wir dies dem Herrn Bürgermeister und dem Magistrat zumuten, so kann darin nicht die Zumutung einer erneuten Entwürdigung liegen, die allerdings liegen würde in der Zumutung, als ein Bittflehender zur preußischen Regierung zu gehen. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend, meinen wir, dass es möglich ist, den Antrag zu a) aufrechtzuerhalten. Man wird gewiss der Sozialdemokratie nicht imputieren wollen, dass sie den Herrn Oberbürgermeister in eine solche peinliche Situation versetzen möchte, wie er sie vorhin charakterisiert hat.

Übrigens haben wir noch einen besonderen Anlass, gerade jetzt diesen Antrag aufrechtzuerhalten. Die Gründe, die uns bestimmt haben, ihn jetzt zu wiederholen, sind erst zum größten Teil in die Erscheinung getreten, nachdem jener ablehnende Bescheid vom Ministerium gekommen ist, jedenfalls nachdem die Beratungen darüber gepflogen sein können. Es ist doch kein Zweifel, dass das Urteil in dem Wedding-Prozess2 und das in dem Moabiter Schwurgerichtsprozess3 nicht bereits ergangen war, als im Ministerium die entscheidenden Beschlüsse gefasst wurden. Da wir nun gerade, auf diese gerichtlichen Feststellungen gestützt, unsern Antrag gestellt haben, so haben wir alle Veranlassung, mit Rücksicht auf die veränderte Sachlage, auf das veränderte Material, von Neuem die Wünsche der Bürgerschaft gerade wegen der Sicherheitspolizei zum Ausdruck zu bringen, nachdem sich die Staatspolizei absolut nicht bewährt hat.

Die Polizei hat die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass Ruhe und Sicherheit auf den Straßen herrschen. Aber die Berliner Schutzmannschaft hat gerade in Moabit in ihrer Haltung bei weitem mehr zu wünschen übriggelassen als die Berliner Arbeiterschaft. Zweifellos hat die Arbeiterschaft bei wiederholten Gelegenheiten bewiesen, dass sie imstande ist, bei den ernstesten Kämpfen, wo große Massen in Erregung versetzt worden sind, Ruhe und Disziplin und Ordnung aufrechtzuerhalten. Sofern die Polizei da nicht eingegriffen hat, ist in der Regel so gut wie nichts vorgekommen.

Wir sind keineswegs der Ansicht, dass Ausschreitungen, die von erregten streikenden Arbeitern gegen Arbeitswillige begangen werden, wo das etwa vorgekommen sein sollte, zu billigen seien. Das ist ein Standpunkt, der nirgends von der Arbeiterbewegung eingenommen wird. Wenn die Polizei sich darauf beschränkte, in solchen dringenden, aber sehr seltenen Fällen einzugreifen, so würde kein Hahn danach krähen, und es würde auch von der Sozialdemokratie keine Einwendung dagegen erhoben werden. Hier aber hat es sich nicht darum gehandelt, sondern darum, dass die Polizei, statt eine Ruhestifterin Ruhestörerin gewesen ist und ein Maß von Disziplinlosigkeit zutage gefördert hat, das in der Tat alle Grenzen überschreitet und das in der glänzenden Disziplin der Arbeiterschaft ein beschämendes Gegenteil findet. Das zum ersten Teil unseres Antrages.

Was den zweiten Teil anbelangt, so können wir zwar nicht anerkennen, dass gegen diesen Teil die Bedenken des Herrn Oberbürgermeisters durchgreifen können, dass wir dem Magistrat etwas zumuten, wozu er keine Kompetenz besitzt; denn in der Tat, wir verlangen ja nicht, dass der Magistrat sich als Aufsichtsbehörde über die Polizei etabliert, sondern unsere Form ist so gewählt, dass sie es durchaus verträgt, dahin gedeutet zu werden, dass der Magistrat durch Vermittlung der gesetzlichen Aufsichtsorgane die erforderlichen Maßregeln gegen die Polizei ergreifen soll. Aber wir legen natürlich gar kein Gewicht auf die Form dieses Teils des Antrages und erkennen gern an, dass der Antrag, der von anderer Seite gestellt ist, einen guten Ersatz für den zweiten Teil unseres Antrages bildet. Ich bin von meiner Fraktion ermächtigt zu erklären, dass wir den zweiten Teil zurückziehen zugunsten des von der Mehrheit gestellten Antrages.

Ich bin der Überzeugung, dass, wenn auch nicht auf die preußische Regierung, so doch auf die Masse des Volkes, soweit es sich noch ein freiheitliches Gefühl bewahrt hat, ein einheitlicher Beschluss dieser Versammlung das gute Resultat erzielen wird, die Aufklärung des Volkes über die preußische Regierung zu fördern. Wenn das geschieht, dann wird schließlich die preußische Regierung, wenn sie auch nicht will, doch durch die Macht der Stimmung der großen Masse des Volkes gezwungen werden, ihre volksfeindliche Politik aufzugeben und ihre Pflicht und Schuldigkeit zu tun, die sie bisher auf dem Gebiete der Polizei in ganz besonders schnöder Weise vernachlässigt hat.

Ich bitte Sie dringend, dem Antrage a) wenigstens insofern Rechnung zu tragen, als Sie unserm Antrage auf Kommissionsbehandlung zustimmen, und ich bitte Sie weiter, dem Antrage b) in der von Ihnen selbst gewählten Gestalt einhellige Folge zu geben und damit den schärfsten Protest zu erheben, den wir in diesem Augenblick erheben können, ihn in alle Welt hinauszuschreien, den schroffsten Protest gegen die wahrhaft unerträgliche Haltung der Polizei, unter der ganz Berlin wie unter einer Fremdherrschaft seufzt.

1 Nachdem der Stadtverordnetenversammlung mitgeteilt worden war, dass die preußische Regierung es abgelehnt habe, mit dem Magistrat erneut über die Übernahme weiterer Zweige der Polizei in die Verfügungsgewalt der Stadt zu verhandeln, stellte die sozialdemokratische Fraktion folgenden Antrag: „Die Versammlung ersucht den Magistrat: a) mit den Staatsbehörden zwecks Übertragung sämtlicher Zweige der Polizei auf die Stadt in Verhandlungen zu treten; b) die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Bürger gegen Ausschreitungen von Polizeibeamten für die Zukunft zu schützen." Der Antrag a) wurde abgelehnt, der Antrag b) nach Abänderung angenommen.

2 Am 29. Oktober 1910 begann in der Fleisch- und Wurstfabrik Morgenstern (Berlin-Wedding) ein Streik gegen die als Maßregelung erfolgte Entlassung von zwei gewerkschaftlich organisierten Arbeitern. Als die Polizei provokatorisch eingriff, kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und der Bevölkerung. Zahlreiche Personen wurden verhaftet. In einem Prozess vor der 4. Strafkammer des Berliner Landgerichts III (16. bis 25. Januar 1911) wurden 18 Personen wegen Aufruhr, Auflauf, Landfriedensbruch, Beleidigung, Bedrohung und Widerstand gegen die Staatsgewalt angeklagt. Karl Liebknecht war einer der Verteidiger. Obwohl es der Verteidigung durch eine ausführliche Beweiserhebung (§ 244 StPO) gelang, das provokatorische Vorgehen der Polizei als wesentliche Ursache der Straßenkämpfe nachzuweisen, wurden acht Angeklagte zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen und die Mehrzahl der übrigen zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Nur ein Angeklagter wurde freigesprochen.

3 Im September 1910 streikten die Arbeiter der Firma Kupfer & Co., einer dem Stinnes-Konzern angeschlossenen Kohlengroßhandlung in Berlin-Moabit. Als Streikbrecher des Streikbrechervermittlers Hintze, geschützt durch die Polizei, provokatorisch auftraten, kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und der Bevölkerung. Die brutal vorgehende Polizei tötete zwei und verwundete zahlreiche Personen. In zwei großen Prozessen – vom 9. November 1910 bis 11. Januar 1911 vor einer Berliner Strafkammer und vom 9. bis 23. Januar 1911 vor dem Schwurgericht des Berliner Landgerichts I – wurde gegen 18 Angeklagte verhandelt, von denen 14 insgesamt 67½ Monate Gefängnis erhielten. Der Rest wurde freigesprochen.

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