Karl Liebknecht‎ > ‎1912‎ > ‎

Karl Liebknecht 19120202 Aufgebauschte Belanglosigkeiten

Karl Liebknecht: Aufgebauschte Belanglosigkeiten

Zuschrift an „Vorwärts"1

[Vorwärts vom 3. Februar 1912 Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 514 f. (Fußnote)]

Das ist in der Tat der Gipfel der Situationskomik. In der ,Humanité' soll ich als rasender Roland des Antimilitarismus aufgetreten sein; und gleichzeitig möchte man mich wegen eines Interviews, das die ,Daily News' veröffentlichen, als Chauvinisten und als Renegaten an meinen bisherigen antimilitaristischen Anschauungen drapieren, so dass ich schon fast in Gefahr bin, zu einem ,Staatsmann und Diplomaten' in jenem beliebten Sinne zu avancieren. Welcher Varieté-Verwandlungskünstler könnte mit solchen Leistungen aufwarten! Die Wahrheit ist einfach genug. Ich habe den beiden Herren, die mich befragten, erklärt, dass nach meiner Überzeugung Deutschlands Defensivkraft gegenüber einem frivolen Überfall, wie etwa dem italienischen gegen die Türkei, keineswegs durch die gewaltige Entwicklung der Sozialdemokratie gelitten habe und leide; dass aber allerdings durch eben diese Entwicklung die provokatorischen Tendenzen unserer auswärtigen Politik trotz aller bonapartistischen Ablenkungs- und Verwirrungsbestrebungen wesentlich geschwächt seien und dass die 4¼ Millionen sozialdemokratischer Wähler ein gehöriges Gewicht in der Waagschale des Friedens bedeuteten. Gegen den Willen eines solchen gewaltigen Teiles der Bevölkerung würden sich die Kriegstreibereien unserer deutschen Chauvinisten und Prozentpatrioten nicht leicht durchzusetzen vermögen, und die Sozialdemokratie werde ihre volle Schuldigkeit zur Durchkreuzung der völkerverhetzenden Machenschaften zu tun wissen. Wenn das Proletariat der anderen Länder seine Schuldigkeit ebenso tun werde wie das deutsche Proletariat, so würden die schwarzen Pläne der Afterpatrioten diesseits und jenseits der deutschen Grenzpfähle zuschanden werden. Verzeihen Sie, dass ich diese Selbstverständlichkeiten schreibe. Die Zwecke, die die deutsche Presse mit der Ausschlachtung der Interviews verfolgt, sind aber, wenn auch durchsichtig genug, so doch auch bedenklich genug, um eine kurze Klarstellung zweckmäßig erscheinen zu lassen.

Berlin, den 2. Februar 1912.

Dr. Karl Liebknecht

1 Die Zuschrift verfasste Karl Liebknecht nach einer Unterredung mit dem Parteivorstand, vor dem er sich wegen seines Interviews in der „Humanité“ verantworten musste. Sie lässt den unerhörten Druck erkennen, den die Opportunisten in der Parteiführung auf Karl Liebknecht ausübten. Sie ist zugleich aber auch ein Beispiel für die falsche Rücksichtnahme Karl Liebknechts auf die „Einheit" der von Opportunisten beherrschten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Kommentare