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Karl Liebknecht 19120608 Mit Hungerpeitsche und „Belohnung" gegen die Lehrer

Karl Liebknecht: Mit Hungerpeitsche und „Belohnung" gegen die Lehrer

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zu einem Antrag der Freikonservativen Partei1

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 5. Bd., Berlin 1912, Sp. 6855-6857 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 394-397]

Meine Herren, dieses ist offenbar die zweite „große Tat" der Freikonservativen Partei zur Reform unserer Verwaltung, die sie bei Beginn der Etatberatung angekündigt hat. Wir können von dieser gewaltigen Reformtat nur dasselbe sagen, was wir von der ersten bereits gesagt haben: Ein kreißender Berg, der ein Mäuslein gebiert. Wie Herr Hoff bemerkt hat, kommen derartige Umzüge nicht allzu häufig vor; es handelt sich also um eine recht geringfügige Sache. Gerade deshalb hat man gerade diesen Punkt herausgegriffen. Man will bei den Lehrern den Anschein erwecken, als ob man ihr guter Freund und bereit sei, etwas für sie zu tun. An die Lehrerbesoldungsfrage und andere Dinge energischer heranzugehen, die die Interessen der Lehrer viel intimer und ernster berühren als diese Kleinigkeit, davor scheut man zurück; um aber den Eindruck zu schaffen, als wolle man den Lehrern beistehen, geht man in dieser nebensächlichen Frage vor.

Selbstverständlich werden wir dem Antrage zustimmen, weil auch wir nicht verstehen, wie man die Lehrer in der Frage der Umzugskosten so ungünstig stellen kann. Wenn aber etwas den vorliegenden Antrag diskreditiert, dann ist es die Art, wie Herr von Zedlitz ihn begründet hat, dann sind es auch manche Ausführungen, die andere Redner zur Begründung des Antrages gemacht haben.

Meine Herren, die eigenartige Begründung mit der „Standesehre" will mir absolut nicht in den Kopf hinein, und ich kann mir absolut nicht denken, dass das der Auffassung der Lehrer entspricht, dass sie sich sagen, wie Herr Abgeordneter von Zedlitz ausgeführt hat, es sei für sie ein Affront gegen ihre Standesehre, wenn sie den Unterbeamten gleichgestellt sind2, wenn der Eindruck erweckt werde, dass sie von der Regierung in Bezug auf die Standesehre den Unterbeamten gleichgestellt werden. Meine Herren, ich denke doch wohl, dass unsere Lehrerschaft so viel allgemein menschliches Empfinden und so viel Bildung hat, dass ihr das Verständnis fehlt für die kleinliche bürokratische Hierarchie der Ehre, wie sie von dem Abgeordneten von Zedlitz gewissermaßen als das Ein und Alles des inneren Lebens, des Seelenlebens dieser Lehrer hingestellt worden ist. Ich bin überzeugt, dass die Lehrer vernünftig genug sind, über diese berühmte besondere „Standesehre" zu lachen,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

die man für jede einzelne Beamtenklasse besonders abgrenzen will. Es gibt eine besondere Standesehre für die fünfte, für die sechste, für die siebente Beamtenklasse usw., und wenn man in der sechsten Rangklasse ist, und es meint jemand, man sei in der siebenten, dann fühlt man sich in seiner Standesehre fürchterlich benachteiligt. Ist es nicht komisch und lächerlich, wenn man hier Standesehre markiert und hinzufügt: Auf das Materielle kommt es den Lehrern gar nicht an, sie wollen nur die Standesehre retten! Meine Herren, wer das glaubt! Die Lehrer haben es nötig, materiell besser gestellt zu werden; das ist eine Forderung, die sie leider oft genug vergeblich bei den preußischen gesetzgebenden Faktoren erhoben haben; das ist eine Forderung, die leider oft genug speziell unter der Mitwirkung der Freikonservativen Partei abgelehnt worden ist, eine Forderung, die hier nun in einem so nebensächlichen Punkte „erfüllt" werden soll, der kaum der Rede wert ist. Wenn Herr Abgeordneter von Zedlitz dann aber noch gesagt hat, dass die Regierung einen besonderen politischen Grund habe, der ihr diesen Antrag mundgerecht machen müsse, so ist das besonders kennzeichnend. Wir sind ja gewöhnt, dass Herr von Zedlitz nicht auf die Tribüne steigen kann, ohne eine lustige, eine für uns belustigende Attacke gegen die Sozialdemokratie zu reiten. Nun hat er heute gemeint, dass die Lehrer um deswillen, weil sie der Sozialdemokratie auf dem jüngsten Lehrertage eine energische Absage erteilt hätten, verdienten, dass man sie zur Belohnung in ihrer Standesehre repariere, sie aus der siebenten in die sechste Klasse hinaufsetze und etwas höhere Umzugskosten vergüte. Ich bin fest überzeugt, dass Herr von Zedlitz mit diesem Argument auf die Regierung einen recht guten Eindruck gemacht hat. Die Regierung wird natürlich durch eine solche Haltung des Lehrertages, wie wir sie jüngst gesehen haben, zu freundlichem Empfinden für die Lehrer gestimmt werden; aber ich bin doch sehr im Zweifel, ob sie sich dieses freundliche Empfinden und die angenehme Überraschung über diese Haltung des Lehrertages allzu viel kosten lassen wird. Hier handelt es sich in der Tat aber um etwas, was nicht allzu viel kostet, und so könnte es wohl sein, dass jenes Motiv immerhin mit in Betracht kommt.

Aber es ist charakteristisch, dass man hier die Besoldungserhöhung, die Verbesserung der Lage der Lehrer, gewissermaßen als eine Belohnung verleihen will dafür, dass sich die Lehrer in einer den reaktionären Parteien erwünschten Weise gegen die Sozialdemokratie gestellt haben. Meine Herren, das ist ein Gesichtspunkt der politischen Korruption allerniedrigster Art.

(Abgeordneter Borchardt: „Sehr richtig!")

Allerdings geht Herr von Zedlitz in seiner ganzen politischen Denkweise ja von nichts anderem aus als von dem Gedanken des Terrorismus

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

von dem Gedanken, durch die Hungerpeitsche auf der einen Seite, durch Belohnung auf der anderen Seite

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

die vom Staate abhängigen Personen, Beamten und Arbeiter zu zwingen, die Sozialdemokratie zu „vernichten". Ich bin fest überzeugt, dass ein solcher politischer Grundsatz bei allen politisch anständig denkenden und ideal denkenden Menschen nur Verachtung finden wird.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Krause-Königsberg: Sie dürfen diesen Gegensatz nicht konstruieren in Bezug auf Personen, die dem Hause angehören. Ich rufe Sie zur Ordnung.

Liebknecht: Ich glaube, dass ich nicht nötig habe, dieser Art der politischen Unmoral ein Wort hinzuzusetzen, als deren Vertreter sich der Herr Abgeordnete Freiherr von Zedlitz hier aufgeworfen hat.

(Große Unruhe rechts. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, wegen dieser Beleidigung eines Mitgliedes des Hauses rufe ich Sie zum zweiten Male zur Ordnung und mache Sie auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen aufmerksam.

Liebknecht: Aber trotz dieser Art der Begründung werden wir für den Antrag eintreten.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Der Antrag forderte, die Vergütung der Umzugskosten für Lehrer auf die Sätze der mittleren Beamtenkategorie zu erhöhen. Die Red.

2 Die Besoldung der Lehrer erfolgte nach der siebenten, der vorletzten Beamtenkategorie. Die Lehrer waren damit beispielsweise den Gendarmen und Fahrkartenausgebern gleichgestellt. Die Red.

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