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Karl Liebknecht 19130620 Die Armee als Gewaltwerkzeug gegen das arbeitende Volk

Karl Liebknecht: Die Armee als Gewaltwerkzeug gegen das arbeitende Volk

Reden im Deutschen Reichstag in der zweiten Lesung der Wehrvorlage zur Begründung eines sozialdemokratischen Antrages1

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, I. Session, Bd. 290, Berlin 1915, S. 5659-5665, 5671-5673 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 305-333]

I

Meine Herren, der Herr Kriegsminister hat vor einigen Tagen von einem Zusammenhang zwischen der Armee und dem Volke gesprochen, den er nicht zerstört wissen möchte. Ich habe jetzt von einer besonderen Art des Zusammenhangs zwischen Militär und Volk zu sprechen, nämlich von der Beziehung der Armee zum Volk, die mit der Beziehung des Hammers zum Amboss zu vergleichen ist. Das ist der ernsteste Abschnitt aus dem ernsten Kapitel des Militarismus in seiner Arbeit gegen das Volk.

Unser Antrag befasst sich einmal mit dem Verhältnis der Armee zum Streikbruch. Die Armee hat häufig genug in Streiks eingegriffen, indem Soldaten zum Streikbruch kommandiert wurden. Besonders in der Erinnerung dürfte jener Fall sein, der sich, wenn ich nicht irre, im Jahre 1896 in Torgau abgespielt hat, und bei dem das Mitglied des Reichstages General von Liebert mitgewirkt hat. Es war, wenn ich nicht irre, ein Bäckerstreik, zu dem er Soldaten kommandiert hatte.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Herr von Liebert erklärte damals, dieser Streik sei mit Feuersbrunst und Wassersnot gleichzusetzen.

Besonders bei Transportarbeiterstreiks greift immer und immer wieder das Militär ein, um die etwa durch den Streik vakant gewordenen Stellen zu besetzen. Ich will mich mit den Einzelheiten dieses Themas nicht befassen, das wird ein anderer meiner Parteigenossen tun. Ich möchte hier nur noch jene unverantwortlichen Übergriffe der Militärbehörden erwähnen, die, wie zum Beispiel in Nürnberg bei dem Streik von 1906, die zur Reserve übertretenden Mannschaften zu Streikbrecherarbeit zu pressen versucht haben.

Meine Herren, das Hauptgewicht meiner Ausführungen will ich legen auf die Verwendung der Armee als Gewaltwerkzeug im wirtschaftlichen und politischen Kampfe zur Niederhaltung und Niederwerfung des Volks, besonders der Arbeiterklasse. Mein Freund Lensch hat bei der Erörterung unseres Gardeantrags von diesen Dingen gesprochen. Der Herr Kriegsminister hat ihm ziemlich ausführlich erwidert, er hat aber auf die Angriffe wegen der Verwendung der Garde gegen den inneren Feind nicht ein einziges Wort der Erwiderung gefunden. Um so mehr ist es nötig, dass wir noch einmal auf dieses Thema gründlicher eingehen.

Es handelt sich da keineswegs um blutrünstige Phantasien irgendeines Revolutionärs im Heugabelsinne. Es handelt sich vielmehr um die Weltanschauung des deutsch-preußischen Militarismus. Es sind eine große Zahl von Reden und Zeugnissen vorhanden, beunruhigenden Worten, Drohungen, die kurz zusammengestellt werden müssen, um den ganzen Ernst dieser äußerst gefährlichen Seite des Militarismus zu erkennen.

Meine Herren, der Inhaber der Kommandogewalt hat im Mai 1889 zu jener bekannten Deputation der Bergarbeiter gesagt:

Bei dem geringsten Widerstand gegen die Behörden lasse ich alles über den Haufen schießen.“

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

In den Hohenloheschen Memoiren ist unter dem 12. Dezember 1889 berichtet: Der Inhaber der höchsten Kommandogewalt habe erklärt, wenn die Sozialdemokratie im Berliner Rathaus die Mehrheit haben würde, dann würden die Sozialdemokraten die Bürger plündern;

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

ihm, dem Inhaber der Kommandogewalt, sei dies gleichgültig, er würde Schießscharten an das Schloss machen lassen und zusehen, wie geplündert wird. Dann müssten ihn schon die Bürger um Hilfe anflehen.

Am 23. November 1891 wurde bei einer Rekrutenvereidigung in Potsdam nach dem offiziellen Texte folgendes gesagt:

Ihr habt Mir Treue geschworen, das heißt Ihr seid jetzt Meine Soldaten, Ihr habt Euch Mir mit Leib und Seele ergeben. Es gibt für Euch nur einen Feind, und der ist Mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass Ich Euch befehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen. Aber auch dann müsst Ihr Meinen Befehl ohne Murren befolgen."

Meine Herren, ohne Murren! Dass der eine Feind, von dem hier der Inhaber der Kommandogewalt spricht, der innere Feind ist, der Sozialismus, das ergibt der Wortlaut und der Zusammenhang. Es ist also in dieser Rede von dem äußeren Feind mit keinem Worte die Rede. Es ist nur die Rede von einem Feind, dem inneren Feind, von der Sozialdemokratie.

Meine Herren, gedenken Sie weiter jenes Vorgangs aus dem Anfang der neunziger Jahre, den Fürst Bismarck dem Professor Dr. Kämmel erzählt hat. Bismarck betonte, die sozialdemokratische Frage sei eine militärische. Er wies auf Hamburg hin. Er erinnerte an ein Gespräch, dass er mit dem Inhaber der Kommandogewalt gehabt habe. In Hamburg – so hat er damals referiert – besteht das besondere Privileg, dass die Truppen nur aus Hamburger Bürgern bestehen dürfen, und die Hamburger Bevölkerung besteht zum größten Teil aus Sozialdemokraten. Wenn nun diese Truppen sich einmal weigern würden, auf Vater und Mutter zu schießen – so hat Bismarck den Inhaber der Kommandogewalt gefragt –, was dann? Wie soll eingegriffen werden? Soll dann gegen Hamburg das Militär von Schleswig-Holstein oder Hannover mobilisiert werden? Dann hätten wir in Hamburg eine neue Kommune – so sagte Bismarck. Der Inhaber der Kommandogewalt war, nach dem Berichte Bismarcks und des Herrn Professor Kämmel, eingeschüchtert. Er sagte, er wolle nicht einmal „Kartätschenprinz" heißen wie sein Großvater und nicht gleich am Anfang seiner Regierung bis an die Knöchel im Blut waten – „nicht gleich am Anfang seiner Regierung". Bismarck hat darauf nach seinen eigenen Worten erwidert:

Ich sagte ihm damals: ,Eure Majestät werden noch viel tiefer hinein müssen, wenn Sie jetzt zurückweichen.'"

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, diese Dinge sind etwas alt, aber sie sind doch nicht veraltet, denn wir haben eine dauernde Kette von gleichartigen Äußerungen bis in die Gegenwart hinein.

Im Jahre 1901 wurde jene berühmte Alexandrinerrede gehalten. Das Kaiser-Alexander-Regiment wurde als Leibwache angesprochen, die Tag und Nacht bereitstehen müsse, um für den Inhaber der Kommandogewalt und sein Haus, wenn es gelte, Leben und Blut in die Schanzen zu schlagen:

Und wenn jemals wieder in dieser Stadt eine Zeit wie damals kommen sollte, eine Zeit der Auflehnung (wie 1848) gegen den König, dann – davon bin ich überzeugt – wird das Regiment ,Alexander' alle Unbotmäßigkeit und Ungehörigkeit wider seinen Kaiserlichen Herrn nachdrücklich in die Schranken zurückweisen."

Die Schießschartenkaserne der „Alexandriner" ist weltbekannt geworden.

Machen wir einen Sprung von acht Jahren. Wenn ich nicht sehr irre, war es 1909 oder war es bereits 1907? , dass irgendein Kadett, ein wild gewordener Kadett, freilich plagiierend, jene Reime reimte von der roten Schar, die es etwa nach einem roten Jahr oder nach blauen Bohnen gelüste, und von den Kadetten, die gerüstet bereitstünden:

Dann wird nicht erst mit den Augen gezwickt: Wir schießen für unseren Kaiser!"

Dieser edle Kadett, der hoffentlich damals bereits lange Hosen trug, wurde für dieses sein Gedicht, seine große poetische Plagiatsleistung, von dem Inhaber der Kommandogewalt öffentlich ganz besonders belobigt

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

wegen seiner Bereitwilligkeit, für den Kaiser auf den inneren Feind zu schießen. Das Gedicht wurde auf allerhöchste Anordnung in den Kadettenhäusern verteilt.

Schließlich erinnern wir uns jenes Vorgangs vom Jahre 1912, jener bekannten Rede, die vom Inhaber der Kommandogewalt gehalten wurde, in der gedroht wurde, die Verfassung von Elsass-Lothringen in Scherben zu schlagen. Dieses In-Scherben-Schlagen könnte natürlich nur mit Hilfe eben des Militarismus, der Armee, vonstatten gehen; darüber war sich natürlich der Inhaber der höchsten Kommandogewalt vollkommen klar.

Meine Herren, dass diese Redewendungen nicht etwa isolierte Äußerungen einer einzelnen, in mittelalterlichen Anschauungen befangenen, einen mystischen Militarismus vertretenden Persönlichkeit sind, das beweist eine große Anzahl von Äußerungen ganz verwandter Art von den verschiedensten Personen.

Meine Herren, das bekannteste Beispiel von dem Leutnant und von den zehn Mann, jenes Wort des früheren Mitglieds des Reichstags, des Herrn von Oldenburg, hat für uns einen sehr großen Wert. Es ist für uns agitatorisch von allergrößtem Vorteil geworden. Aber von fast noch größerem Interesse als der Beifall, der diesem skrupellosen Wort, diesem frechen Wort damals in diesem Hause gespendet wurde, ist für mich in diesem Moment jene Enquete, die der Berliner Magistratsrat Kremski unter Offizieren und Staatsbeamten über ihre Auffassung zu diesem Oldenburg-Januschauschen Wort veranstaltete. Besonders charakteristisch ist aus dieser Enquete die Antwort eines Offiziers, die dahin ging: Selbstverständlich werde er bereit sein, einem Befehl, den Reichstag mit Gewalt auseinanderzujagen, nachzukommen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Der Offizier setzte hinzu:

Ich könnte mir ja gar nichts Schöneres denken, als einmal ordentlich in die Quatschköpfe rin pfeffern zu können."

(„Hört! Hört!" und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, „die Quatschköpfe!"

(Zurufe.)

Sie sehen daraus, wie in militaristischen Kreisen über den Reichstag geurteilt wird, wie man dort mit einem geradezu grenzenlosen Hochmut und mit einer grenzenlosen Bereitwilligkeit zu hochverräterischer Gewalttätigkeit dem Reichstag gegenüber steht.

Auch jene Rede des Mitgliedes des Herrenhauses, von Puttkamer, vom 8. April 1911 gehört hierher, in der er mit dürren Worten erklärte, dass es früher oder später doch zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit der Arbeiterklasse kommen werde und dass in diesem Kampf der Gegner vernichtet werden müsse. Der Kampf müsse bis zur äußersten Konsequenz geführt werden, mit Nerven von noch ganz anderer Art, als sie selbst ein Bismarck und ein Roon in der Konfliktsperiode gezeigt hätten.

Meine Herren, auch die Rede des Herrn von Deimling, die er am 16. dieses Monats bei dem Jubiläum gehalten hat, gehört in dieses Gebiet. Der Herr hat erklärt:

sie wollten alle im Kampf gegen alle destruktiven Kräfte, gegen alle, die Unfrieden und Zwietracht säen in den Reichslanden, gegen die Reichsfeinde, dem Kaiser zur Seite stehen. Wenn einmal die Stunde kommen sollte – und wer weiß, ob sie nicht kommen wird und mit Naturnotwendigkeit kommen muss –, dann soll diese Stunde ein Geschlecht finden, nicht entnervt durch falsche Friedensutopien, sondern ein Geschlecht, tatkräftig, opferfreudig, gewillt, für das Vaterland alles hinzugeben.

Es ist ersichtlich, dass dabei in erster Linie an einen Kampf mit dem inneren Feinde gedacht ist.

Von größtem Interesse, meine Herren, ist die Haltung der konservativen Presse zu den Vorgängen in Ungarn2. Dort wird ein brutales Regiment, eine Säbeldiktatur über das Parlament und die Bevölkerung aufrechterhalten. Die Vorgänge in Budapest will ich hier nicht im einzelnen erörtern. Ich bin überzeugt, dass die ganz überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes und auch des Reichstages mit mir darin einig ist, dass diese Säbeldiktatur in Ungarn geradezu eine Schmach für den gesamten Parlamentarismus ist.

Der Präsident des ungarischen Reichstages, Tisza, jener von dem ungarischen Volk bis aufs Blut gehasste gemeingefährliche Reaktionär, dieser Mann, der jetzt zum Ministerpräsidenten in Ungarn ernannt worden ist, hat bei allen seinen Aktionen, bei der Verwendung des Militärs gegen das Parlament natürlich den begeistertsten Beifall unserer reaktionären Parteien gefunden. Und es ist charakteristisch, dass in der konservativen Presse nicht ein einziges Wort des Tadels zu finden war gegenüber dem Panamisten Lukács, der in Schimpf und Schande aus seinem Amt hat fliehen müssen, dass dieser Panamist Lukács in den Augen der Konservativen Partei durch die brutale militaristische Scharfmacherei des Tisza und seiner Kumpane gedeckt ist. Sie sehen also, meine Herren, dass unsere Reaktionäre wahrlich nicht skrupellos sind, wenn es sich um die Auseinandersetzung zwischen ihnen und dem aufstrebenden Volk handelt.

Deutlich war jenes Wort des Herrn von Massow: „Der einzige Trost, den wir haben, sind die Bajonette und Kanonen unserer Soldaten."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das ist der Gedanke, den gewiss gar viele Mitglieder der reaktionären Parteien auch in diesem Hause hegen. Das ist offenbar der Gedanke, von dem unsere Militärverwaltung beseelt ist. Das ist der Gedanke, der auch in den Reden des „obersten Kriegsherrn" immer wiederkehrt, der nicht müde geworden ist zu betonen, dass die Armee das sicherste Bollwerk, der festeste Pfeiler sei, auf dem das Reich und seine Herrlichkeit ruhen.

Von größtem Werte war der Satz aus der „Kreuz-Zeitung" von 1907: „Der innere Feind ist gefährlicher als der äußere Feind,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

weil er die Seele unseres Volkes vergiftet und uns die Waffen aus der Hand windet, ehe wir diese noch erheben." Ich bin fest überzeugt, dass das durchaus der Auffassung großer Parteien dieses Hauses entspricht, und ich weiß nicht, ob nicht auch in der Militärverwaltung diese hoch patriotische Auffassung eine recht weite Verbreitung gefunden hat, dass nämlich der innere Feind, das heißt der Volksgenosse, der Mitbürger mit unbequemer politischer Auffassung, schlimmer und staatsgefährlicher sei als der äußere Feind.

Der Herr Kriegsminister hat vor einigen Tagen noch mit dem Pathos, das ihm so gut ansteht, abgeleugnet, dass unser Militär zu politischen oder wirtschaftlichen Kämpfen benutzt wird. Als ihm die Worte: „Ruhrstreik", „Mansfeld" dazwischengerufen wurden, hat er seine Bemerkung dahin eingeschränkt, das Militär sei ja in diesen Fällen nur zur Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung zugezogen worden.

Anders hat sich der Herr Kriegsminister bereits am 17. dieses Monats ausgelassen. Da hat er sich wieder auf die große patriotische Phrase zurückgefunden, mit der die Militärvorlage im Übrigen begründet worden ist und die alle die Klassengegensätze in der deutschen Bevölkerung nach Möglichkeit zu vertuschen sucht. Da hat er sich wieder zurückgefunden auf den Standpunkt des Vertreters einer Armee, die staatserhaltend zu wirken hat im Sinne der deutsch-preußischen Reaktion: „Die Armee ist sich dessen bewusst, in ernster Zeit das Rückgrat des Staates zu bilden" usw.

Meine Herren, dass alle die Worte, die ich eben zitiert habe, keineswegs nur graue Theorie sind, sondern ein ernster Wille der Militärverwaltung hinter ihnen steht, dafür zeugen Taten ernstester Art.

Ich will zuerst von wirtschaftlichen Kämpfen sprechen, bei denen die Armee mobilisiert worden ist. Ich will nicht weiter zurückgreifen. Die Weberkrawalle vom Jahre 1844 sollen das erste Beispiel sein. Es blieben auf der Strecke 11 Tote, 24 Verwundete von diesen ausgemergelten Proletariern.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Im Ruhrstreik vom Jahre 1889 sind insgesamt fünf Tote und neun Verwundete auf der Strecke geblieben.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das war am 10. Mai 1889! Bei dem Ruhrstreik vom Januar bis Februar 1905 ist das Militär konsigniert und in Bereitschaft gehalten worden, und das hat dem ganzen Streik seine Signatur aufgedrückt. In Mansfeld, insbesondere im Oktober 1909, ist das Militär in einer geradezu provokatorischen Weise eingeschritten.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Die 66er wurden aus Magdeburg und die 36er aus Halle herangezogen. Maschinengewehrabteilungen fuhren in den Straßen von Mansfeld, Hettstedt und andern Orten auf. Mit aufgepflanztem Bajonett patrouillierten die Soldaten auf der Straße, mit scharfen Patronen versehen, um bei der ersten gegebenen Gelegenheit den um eine bessere Lebenshaltung kämpfenden Proletariern blaue Bohnen zum Sattwerden „in den Wanst" zu applizieren.

Bei dem Ruhrstreik vom Jahre 1912 ist der Militarismus in derselben rücksichtslosen und unerhörten Weise vorgegangen. Es wurden aus Münster zwei Bataillone Infanterie und zwei Schwadronen Kürassiere in den Kreis Recklinghausen gebracht; ein Regiment Infanterie, zwei Schwadronen Husaren in den Kreis Dortmund, Maschinengewehrabteilungen aus Minden und das Infanterieregiment Nr. 15. Ich habe persönlich gesehen, wie das Militär dort gewirkt hat. Auf dem Wege von Dortmund nach Lütgendortmund traf man überall auf den Straßen Kavalleriepatrouillen kriegsbereit, um gegen den inneren Feind vorzugehen. In Castrop waren Maschinengewehre – wenn ich nicht irre sechs Stück – aufgefahren, zum Niederknallen streikender Arbeiter. Diese Maschinengewehre wurden jeden Tag zur Abschreckung der Bevölkerung durch die Stadt gefahren.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Erwähnung verdient die Instruktion, die ein Offizier der „Dreizehner" aus Münster am 14. März in Unna nach dem Aussteigen seiner Kompanie gegeben hat. Sie lautete: „Wenn Zusammenrottungen stattfinden, sind die Leute dreimal aufzufordern auseinanderzugehen. Gehen sie nicht auseinander, so ist von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Auf keinen Fall darf in die Luft geschossen werden."

(Lebhafte Rufe von den Sozialdemokraten: „Hört! Hört!")

Ein Soldat, der bei dieser barbarischen Instruktion angeblich gemurrt haben soll, wurde sofort – wenigstens wurde so berichtet, die Sache wurde nachher vertuscht – entwaffnet und unter Bedeckung in die Garnison zurück geschafft. Wie das Militär im Einzelnen bei diesem Streik gewirkt hat, darüber wird mein Freund Sachse nachher das Nähere ausführen. Er wird Ihnen darüber noch mancherlei mitteilen können, was das Vorgehen der Militärverwaltung als geradezu unentschuldbar erscheinen lässt.

Aus allerneuester Zeit ein Beispiel. In Hüningen im Elsass ist gegenwärtig ein Streik der Färbereiarbeiter. Zur sogenannten Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung sind hier die berittenen und Fußgendarmen aus ganz Oberelsass und Oberbaden zusammengezogen, außerdem die Schutzmannschaft. Aber das genügt noch nicht, um den inneren Feind in Schach zu halten. Umfassende Vorkehrungen sind dort getroffen worden, damit das Militär eingreifen kann. Außer in Basel, wo vielleicht zum Schutz der Grenzen zwei Kompanien zusammengezogen sind, stehen die Mülhauser und Müllheimer Garnisonen in Marschbereitschaft.

Ich glaube, dass diese Beispiele genügen werden, um den Ernst der Frage, die wir hier behandeln, zu beweisen.

Meine Herren, wer ist es, in dessen Händen die Befugnis liegt, die militärische Gewalt aufzurufen gegen die eigenen Bürger, zum Bürgerkriege? Das sind die Verwaltungsbehörden. Nur bei Gefahr im Verzuge kann auch die Militärbehörde selbständig vorgehen. Die Verwaltungsbehörden, das heißt in Preußen der Oberpräsident, der Regierungspräsident, der Landrat, der Polizeipräsident von Berlin, der Inhaber der Königlichen Polizeigewalt im Ruhrrevier und dergleichen. Diese Männer sind befugt, das Militär zu requirieren, und damit die größten Gefahren über die Zivilbevölkerung heraufzubeschwören. Können diese Leute, in deren Kompetenz eine so außerordentlich wichtige Entscheidung liegt, auch nur im Geringsten das Vertrauen rechtfertigen, dass sie ihre Entscheidung unparteiisch treffen werden zum wirklichen Wohle der Bevölkerung? Davon kann keine Rede sein. Die preußische Verwaltung ist die einseitigste und parteiischste Verwaltung der ganzen Welt.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Die preußische Verwaltung zum Herren einsetzen über die Verwendung des Militärs gegen den inneren Feind, das heißt, in der Tat den Feinden des Volkes die Macht in die Hände geben, bei jeder Gelegenheit, wenn die Interessen der herrschenden Klassen, der reaktionären Cliquen in Preußen bedroht zu sein scheinen, das Heer gegen das Volk zu mobilisieren. Meine Herren, die preußische Verwaltung zum Patron der Gerechtigkeit und zum Hüter der Ordnung in dem Sinne der Gerechtigkeit einsetzen, das würde heißen den Fuchs zum Patron über den Hühnerstall einsetzen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wir haben Beweise dafür. In dem Falle Mansfeld hat sich der Bürgermeister Georgi von Eisleben öffentlich darüber beklagt, dass das Militär in das Streikgebiet gezogen sei, ohne dass die geringste Veranlassung vorgelegen und ohne dass der Magistrat das Bedürfnis dafür ausgesprochen habe.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Genauso liegt es mit dem Ruhrstreik von 1912. Da war es allerdings der christliche Bergarbeiterverband, der Zentrumsverband und die Zentrumspresse, die ein großes Geschrei nach dem Militär erhoben. Sie entsinnen sich wohl jenes Artikels der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung", der auch im Reichstag bei den Debatten über den Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet eine Rolle spielte! Da hat die „Rheinisch-Westfälische Zeitung" ausdrücklich anerkannt, dass nicht die geringste Veranlassung vorlag, Militär heranzuziehen, dass ernste Ruhestörungen überhaupt nicht vorgekommen und nicht zu besorgen gewesen seien und dass man die Mobilisierung des Militärs gegen die streikenden Arbeiter nur von dem Gesichtspunkt aus verstehen könne, dass die Regierung den christlichen Streikbrechern ein größeres Entgegenkommen zeige als selbst den Bergherren im Jahre 1905.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun, jedenfalls ist es die Auffassung wohl aller Kreise gewesen, die den Vorgängen im Ruhrgebiet im vergangenen Jahr unbefangen gegenüberstanden, dass keine Veranlassung vorlag, in dieser rigorosen Weise unter Aufbietung des äußersten Mittels der Staatsgewalt einzugreifen.

Der Herr Kriegsminister hat, als ich ihn neulich auf das Eingreifen des Militärs beim Ruhrbergarbeiterstreik hinwies, eine Bemerkung gemacht, die vielleicht auf mich abzielen sollte. Er sagte, es sei anerkannt worden, dass das Eingreifen des Militärs vorteilhaft gewirkt habe insofern, als gewisse Exzesse aufgehört und die Konflikte mit einzelnen Sicherheitsorganen nachgelassen hätten. In der Tat habe ich etwas Ähnliches ausgeführt, aber in einem vollkommen anderen Sinne. Ich habe betont, wie die lokale Polizei und Gendarmerie und auch die „private sheriffs", die Privatpolizeibeamten nach amerikanischem Muster, die man aus den Zechenbeamten genommen und mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet hatte, sich im allerhöchsten Maße als Partei gefühlt haben und gar mancher von ihnen unkontrolliert seinem zügellosen Hass gegen die streikenden Arbeiter in allerhand Exzessen Ausdruck gegeben hat, während die zentralisierte Leitung des Militärs dergleichen naturgemäß verhindert und in gewissem Sinne Ordnung geschaffen hat. Aber dieses geordnete Eingreifen des Militärs ist darum nicht etwa ein geringeres Übel gegenüber dem minder geordneten Eingreifen der Polizei und Gendarmerie. Das ungeheuerliche Gewaltinstrument der Armee erzwingt die Ruhe des Kirchhofs und der Verzweiflung.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn das das Ziel des Kriegsministers ist, dann ist sein Standpunkt wenigstens konsequent. Dass die Bergarbeiterbevölkerung die Niederzwingung ihres Streiks durch das Militär mit leidenschaftlichem Hass im Herzen begleitet hat, sollte dem Herrn Kriegsminister nicht verborgen sein, er müsste sonst mit Blindheit geschlagen sein.

Wir haben Beweise dafür, dass das Eingreifen des Militärs den Streik kaputt geschlagen hat! Abgeordneter Freiherr von Zedlitz hat am 18. März 1912 im Abgeordnetenhaus gesagt, die Polizei habe der einheitlichen Leitung entbehrt. Die Regierung habe mit Recht Militär in die Streikgegenden hineingezogen, nicht etwa in der Absicht, dass geschossen werden solle, sondern weil das Erscheinen des Militärs erfahrungsgemäß einen durchaus beruhigenden und moralischen Eindruck mache.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, das ist doch ein geradezu zynischer Hohn im Munde dieses preußischen Oberscharfmachers!

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Und der Herr Abgeordnete Friedberg hat gesagt:

Die Entsendung von Militär hat, glaube ich, einen durchaus beruhigenden Eindruck gemacht."

Im Sinne natürlich der Bergherren, deren Interessen der Herr Abgeordnete Dr. Friedberg ja vertritt –

der Beweis dafür ist, dass der Rückgang des Streiks mit dem Moment eintrat, wo das Militär erschien. Vom Standpunkt der Arbeitswilligen aus hat die Regierung sich den Dank des deutschen Volkes verdient."

Das sagt der Herr Abgeordnete Dr. Friedberg. Und da wagt der Herr Kriegsminister noch, die Behauptung aufzustellen, dass das Eingreifen des Militärs nicht die Bedeutung gehabt habe, durch Drohung mit Gewalt den Streik niederzuschlagen!?

Auch die Verwendung militärischer Gewalt im politischen Kampfe ist keineswegs eine seltene Erscheinung in Preußen und in Deutschland. Ich will nicht von allerhand Zwischenspielen reden, wie jenem von 1904 in Hildburghausen. Ich will auch den bayerischen Fall Fuchsmühl hier nicht näher erörtern.

Ein Jubiläumsartikel der „Deutschen Tageszeitung" meint, dass unsere Hohenzollern durch ein halbes Jahrtausend hindurch dem brandenburgisch-preußischen Volk die Treue gehalten haben und dass das preußische Volk in allem Wechsel der Zeit seinem Königshaus auch die Treue halten werde. Nun, Treue um Treue! Mitte November 1848 wurde diese Treue durch die Mobilisierung der Truppen gegen die preußische Nationalversammlung, durch die gewaltsame Sprengung der Nationalversammlung unter dem Kommando des Generals Wrangel besiegelt. Meine Herren, Treue um Treue! Auch Baden kann ein Lied von der militärischen Hohenzollerntreue gegen das deutsche Volk singen; aus jenem Sommer des Jahres 1849, in dem ein prinzlicher Offizier der preußischen Armee den Namen „Kartätschenprinz" redlich erwarb. Preußische Truppen nicht nur in Preußen zur Niederwerfung des Volkes, sondern auch in Baden. Und das sächsische Volk? Preußische Truppen haben im Mai 1849 auch geholfen, den Dresdener Aufstand niederzuschlagen, dessen Zweck die Einführung der deutschen Reichsverfassung war. Das Stuttgarter Rumpfparlament allerdings ist ja wohl von einheimischem württembergischem Militär auseinandergejagt worden!

Meine Herren, so hat sich Preußen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts als Gendarm Deutschlands bewährt und die preußische Armee als die Gendarmerie Deutschlands. So wurde von den Hohenzollern und ihrer Armee Treue um Treue geübt, nicht nur gegen das preußische Volk, sondern auch gegen Sachsen und Baden – als Vorschuss auf die Herrlichkeit des einigen späteren Deutschen Reichs.

Meine Herren, aus der neueren Zeit brauche ich nur die militärische Besetzung Ludwigshafens vom Sonntag vor der Wahl 1887 zu erwähnen. Die erste Maifeier, 1890, hoffte die preußische Militärpartei nach dem Zeugnis des Fürsten Hohenlohe zu einer blutigen Abrechnung mit der verhassten Sozialdemokratie ausnutzen zu können. Es wurde ihr allerdings die erwünschte Gelegenheit nicht gegeben, aber bereit war alles. Meine Herren, bei den Maifeiern ist noch lange Zeit hindurch das Militär immer konsigniert worden, genauso wie an kritischen Wahltagen. Am Stichwahltage 1903 wurde in Spandau das Pionierbataillon mobilisiert und gegen die Bevölkerung auf die Straße geführt.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das sollte die Aufregung über den Wahlausfall dämpfen. Am 5. Februar 1907, am Abend des Stichwahltags, wurden die Truppen der Berliner Garnison mit scharfen Patronen versehen und zum Ausrücken bereit gehalten.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ein besonderes Kapitel bilden unsere Wahlrechtskämpfe. Der Jahrestag des Petersburger Blutsonntags wurde am 21. Januar 1906 von der deutschen Sozialdemokratie mit ihrer ersten großzügigen Wahlrechtsdemonstration gefeiert. Damals fuhren die Kanonen der Artillerie über die Straßen von Berlin zur Warnung, zur Einschüchterung der „unbotmäßigen" Bevölkerung. Das Militär stand schuss- und marschbereit.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Bei den Wahlrechtskämpfen von 1910 wurde die Berliner Garnison mit scharfer Munition versorgt. Die Ulanen wurden auf dem Pflaster von Berlin eingeritten für die Attacke gegen den inneren Feind. Die Kanonen standen geladen auf dem Kasernenhofe.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, am 13. Februar 1910 wurden in Neumünster vom Regiment 163 vier Kompanien, etwa 450 Mann, marschbereit in der Kaserne gehalten, jeder Mann ausgerüstet mit 30 scharfen Patronen. Die Soldaten blieben allerdings damals in den Kasernen.

Am 15. Februar fand eine Protestdemonstration gegen die Polizeiüberfälle vom 13. Februar statt. Da ist das Militär in Aktion getreten. An diesem Tage rückte nach neun Uhr eine Kompanie des Infanterieregiments mit aufgepflanzten Bajonetten an. Nach dreimaliger Aufforderung, unter Trommelwirbel, den Platz zu räumen, verteilte sich das Militär in Gruppen und vertrieb die Menge.

Meine Herren, wenn Sie an diese Vorgänge denken, wenn Sie speziell die Vorgänge vom Jahre 1848/49 im Gedächtnis halten, werden Sie begreifen, dass wir einen Vorgang aus den jüngsten Tagen, der viel Staub aufgewirbelt hat, mit etwas anderen Augen betrachten, als es in der Presse zumeist geschehen ist. Ich spreche von dem Testament Friedrich Wilhelms IV., in dem er den jeweiligen Thronfolger aufforderte, noch vor der Vereidigung die preußische Verfassung umzustoßen.

Meine Herren, es wäre ja nicht das erste Mal, dass dergleichen staatsstreichlerische Aktionen in der preußischen Geschichte unternommen würden. Friedrich Wilhelm IV. braucht also keineswegs verrückt gewesen zu sein, als er dieses Testament niederschrieb – obgleich nicht recht klar ist, was an der heutigen preußischen Verfassung der krassesten Reaktion etwa änderungsbedürftig erscheinen könnte. Meine Herren, aber besonders charakteristisch für den Geist der heutigen Zeit und des Bürgertums ist folgendes: Es wird dem heutigen deutschen Kaiser als ein besonderes Verdienst angekreidet, dass er dieses Testament vernichtet und nicht nach ihm gehandelt hat. Es soll ein Beweis für den konstitutionellen Sinn des Kaisers sein, dass er nicht das Verbrechen des Verfassungsbruchs, des Hochverrats von oben, begangen hat! Meine Herren, dass überhaupt eine solche Beurteilung dieses Vorgangs auftauchen konnte, spricht Bände! Aber nicht minder charakteristisch ist, dass dieses Testament, als historisches Dokument immerhin nicht ohne Interesse, ins Feuer geworfen worden ist – offenbar, weil man nicht die nötige innere Sicherheit gegenüber der Versuchung fühlte, die in diesem Testament zum Ausdruck kam.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, wegen dieser Äußerungen über Seine Majestät den Kaiser, die für ihn verletzend sind, rufe ich Sie zur Ordnung!

(„Bravo!" rechts.)

Liebknecht: Meine Herren, dass unser Volksheer in der Tat als ein Exekutor gegen das um seine Freiheit und seine Wohlfahrt kämpfende Volk benutzt wird, ist eine Erfahrung der Geschichte und entspricht dem Willen der herrschenden Parteien in Preußen und in Deutschland. Wenn der Militarismus auf dem Gebiet des Boykotts und auf vielen anderen Gebieten seine Gemeinschädlichkeit enthüllt, so sind das im Verhältnis zu der Eigenschaft unseres Militarismus, von der ich eben spreche, Kleinigkeiten. Tatsache ist, dass die Verwendung des Militärs als eines Gewaltmittels gegen den inneren Feind im Sinne der herrschenden Parteien und Klassen, im Sinne der Heeresverwaltung dazu führen soll, eine chinesische Mauer gegenüber jedem Fortschritt der politischen und sozialen Entwicklung aufzurichten.

Ich weiß nicht, vielleicht gibt der Herr Kriegsminister darüber Auskunft, ob für die Verdienste im Felde gegenüber dem inneren Feind auch besondere Abzeichen verliehen werden und ob vielleicht den Fahnen der an der Niederwerfung des inneren Feindes beteiligten Regimenter auch Fahnennägel verliehen werden. Meine Herren, will der Herr Kriegsminister bestreiten, dass im Großen Generalstab oder in den Generalstäben der einzelnen Armeekorps gerade ebenso Pläne für den Bürgerkrieg ausgearbeitet werden und vorliegen wie für den Kampf gegen den äußeren Feind? Der Herr Kriegsminister wird das nicht bestreiten können, denn wir haben einen derartigen Generalstabsentwurf zur Kenntnis erhalten in jenem bekannten sogenannten Korpsbefehl des Generals Bissing3, in dem auf das genaueste geschildert wird, welche Maßregeln zu ergreifen sind bei der Bekanntmachung des Belagerungszustandes.

Es heißt dort, dass ohne Rücksicht auf die Immunität der Reichstagsabgeordneten alle Führer und Agitatoren alsbald verhaftet werden sollen.

(„Hört! Hört!" links.)

Im Übrigen ist ja auf das genaueste angegeben, wie das Militär eingreifen soll. Für die Verwendung der Truppen im Straßenkampf gelten unter anderem folgende Bestimmungen: Infanterie soll zusammen mit Kavallerie vorgehen. Ein Frontalsturm auf Barrikaden ohne nachdrückliche Vorbereitung durch Artillerie soll vermieden werden, weil er oft fehlgeht. Also, meine Herren, Artillerie gegen den inneren Feind, gegen den deutschen Staatsbürger! Der Herr Kriegsminister wird das – –

(Zurufe rechts.)

Ich sah voraus, meine Herren von der rechten Seite, dass so etwas Sie begeistern wird. Ich habe das nicht anders erwartet.

(Zuruf rechts.)

Aber ich bitte Sie, Herr Dr. Oertel, Sie sind nicht das einzige Mitglied der Konservativen Partei mit weißer Weste.

(Heiterkeit.)

Hinter Ihnen steht ein anderer Herr, der nicht bestreiten wird, soeben seine Zustimmung zu dem Bissingschen Bürgerkriegsplan ausgedrückt zu haben!

Also ohne Rücksicht auf die Immunität sollen die Abgeordneten festgenommen werden. Man sieht, dass das alte Wort sich bewahrheitet: inter arma silent leges – innerhalb der Armee kennt man keine Gesetze, der Militarismus steht über dem Gesetz. Die Weltauffassung des Militarismus, der sich als Achse des ganzen Staatswesens fühlt und als sein Hauptpfeiler, ist neulich von dem Herrn Abgeordneten Erzberger in einer außerordentlich prägnanten Weise zum Ausdruck gebracht worden, wenigstens soweit es sich um den Kampf gegen den äußeren Feind, um den äußeren Militarismus handelt. Er hat als Aufgabe unserer Militärpolitik bezeichnet, Angst und Schrecken zu erregen. Dieser Gedanke des „oderint dum metuant", mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten, ist auch der Grundgedanke der inneren Militärpolitik. Dass der Militarismus sich in dieser volksfeindlichen Rolle der Unterdrückung und Hintanhaltung jeder Fortentwicklung zur Freiheit und wirtschaftlichen Wohlfahrt – dass er sich darin noch außerordentlich aktuell fühlt und für die Zukunft eine große, noch größere Aufgabe als je erwartet, das ist ja nach der ganzen Situation in der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und speziell nach der politischen Situation in Preußen und in Deutschland nur allzu begreiflich.

Besonders fühlen sich ja die Herren Junker in Preußen eigentlich nur noch sicher hinter dem Schutzwall der Bajonette. Wir dürfen nicht vergessen – und das möchte ich den Jubiläumslobpreisern des preußisch-deutschen Militarismus aus dem Liberalismus ins Stammbuch schreiben –, dass wir dem herrlichen preußischen Kriegsheer und dieser allerheiligsten Kommandogewalt auch das herrliche Dreiklassenwahlrecht mitsamt dem allerheiligsten Herrenhaus verdanken, und damit die ganze heutige preußische Misere. Und so, wie dieses Kriegsheer die Dreiklassenschmach zu schaffen geholfen hat, so erblickt es sein hehrstes Ziel darin, die Dreiklassenschmach aufrechtzuerhalten; und es wird von Ihnen (nach rechts) als das geeignetste Mittel, ja das einzige Mittel dafür erachtet. Aber freilich, man kann auf Bajonetten nicht auf die Dauer sitzen. Dieses alte politische Wort wird auch den Herren in Preußen, so dick die Rhinozeroshaut auch sein mag, die Ihnen an einem gewissen Körperteil gewachsen ist – –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte doch, diesen Vergleich zu unterlassen, er ist unparlamentarisch!

Liebknecht: Meine Herren, ich habe das Wort eines großen Staatsmannes zitiert, und ich weiß nicht, dass dieses Zitat – –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich erklärte diese Äußerung für unparlamentarisch, und dabei hat es sein Bewenden!

Liebknecht: Also, meine Herren, ich sprach von der rückständigsten Staatsauffassung, die man sich überhaupt ausmalen kann. Die Herren Junker, die da glauben, dass sie imstande sind, mit einer solchen gewalttätigen Politik die Entwicklung des Volks zu hintertreiben, werden sehen, dass sie schließlich doch den Kürzeren ziehen.

Der Kampf gegen den inneren Feind ist eine der wichtigsten Aufgaben des Militarismus. Der Herr Kriegsminister kann das nicht ableugnen. Er hat zu einem großen Teile bereits das Geständnis abgelegt: Die ganze Geschichte und eine Unzahl von Dokumenten beweisen es. Es kann nicht bezweifelt werden, dass der Kampf gegen den inneren Feind in gewissen Zeitläuften in der Instruktionsstunde sogar dem Kampf gegen den äußeren Feind vorangestellt,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

dass in diesem Sinne die ganze Ausbildung der Soldaten geleitet wird. Der „Kreuz-Zeitung", die den militärischen Zweck dieser Militärvorlage nicht sofort anerkennen konnte, war diese Vorlage mit dem Ziel der Einstellung von weiteren 120 bis 130.000 Mann um deswillen von vornherein sehr sympathisch, weil sie auf diese Weise die nationale Schule des Militarismus einem weiteren großen Teile unserer Bevölkerung glaubte angedeihen lassen zu können.

Dieser Kampf gegen den inneren Feind, der einen der Hauptzwecke unseres Militarismus ausmacht, genügt allein, um die Sozialdemokratie zu einem unerbittlichen Gegner und Feind des gegenwärtigen Militärsystems zu machen. Die Tatsache, dass unser Militärsystem als ein Hemmnis für jede Kulturentwicklung aufs Schwerste, wie ein Alp, auf unserer Bevölkerung lastet, diese Tatsache allein spornt uns zu dem leidenschaftlichsten Kampf gegen das gegenwärtige Militärsystem an.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Alle Ausführungen des Herrn Kriegsministers über das Milizsystem und seine geringere Brauchbarkeit im Kampf gegen den äußeren Feind können von uns nicht als seine gründlich durchdachte, wirkliche Meinung angesehen werden. Wir sind überzeugt, dass unser Militärsystem in der gegenwärtigen Form, trotz gewisser schwerer Nachteile, die es auch für die herrschenden Klassen mit sich bringt, nur um deswillen aufrechterhalten wird, weil Sie eine Armee haben wollen, die zum Kampf gegen den inneren Feind verwendbar ist, weil ein wirkliches Volksheer zum Kampf gegen den inneren Feind in dem von mir gekennzeichneten Sinne nicht verwandt werden kann. Deshalb scheiden sich gerade bei der Erörterung der vorliegenden Frage die Weltanschauungen auf das Allerschroffste. Deshalb wundert es mich auch gar nicht, dass Sie (nach rechts) mit zur Schau getragener Gleichgültigkeit der Behandlung dieses Punktes beiwohnen. Wir wissen genau, dass die Erörterung dieses Punktes in das Herz des Militarismus hinein stößt.

Soll ich dem Herrn Kriegsminister, der Vertrauen zu der Disziplin unserer Armee auch bei der Verwendung gegen den inneren Feind hegt, da wir nun einmal im Jubiläumsjahr sind, vielleicht aus dem Soldatenkatechismus eines gewissen Ernst Moritz Arndt4 verlesen, was jener große Patriot über die militärische Disziplin und ihre Grenzen gesagt hat?

Sie meinen, wenn sie zur Fahne eines Königs oder Fürsten geschworen haben, müssen sie blind tun alles, was er ihnen gebietet; sie achten sich also nicht als Menschen, die einen freien Willen von Gott erhalten haben, sondern als dumme Tiere, die sich treiben lassen."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Und diesen tierischen Zustand und diesen blinden Gehorsam gegen ihren Herrn nennen sie ihre Soldatenehre und meinen, Soldatenehre sei ein anderes Ding als Bürgerehre und Menschenehre. Das ist aber nicht wahr."

Das sagt Ernst Moritz Arndt. Und weiter:

Wenn aber ein Fürst anders tut, als wofür Gott ihn eingesetzt hat, und nicht fürstlich regiert nach dem Ebenbilde Gottes, so muss der Soldat und Christ Gott mehr gehorchen als den Menschen."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es heißt: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir wohl gehe und du lange lebest auf Erden. Es heißt nicht etwa: Du sollst auf Vater und Mutter schießen, auf dass es dir wohl gehe!

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

Ernst Moritz Arndt fährt fort:

Denn wenn ein Fürst seinen Soldaten befähle, Gewalt zu üben gegen die Unschuld und das Recht, wenn er sie gebrauchte, das Glück und die Freiheit ihrer Mitbürger zu zerstören, … wenn er durch sie seine eigenen Landsleute … bekämpfen hieße, müssten sie nimmer gehorchen",

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

was wider das Gebot Gottes und das ebenso heilige Gebot streitet, das Gott in unser Gewissen gepflanzt hat. Denn auch ein König und Fürst darf nimmer tun noch befehlen, was in aller Ewigkeit Unrecht bleibt, und spräche man es mit Engelszungen und schmückte man es mit Engelsscheinen aus."

Dann heißt es:

Und diese einfache und ewige Lehre gehört auch dir an, Soldat, denn du bist ein Mensch, und du sollst den Menschen nicht ausziehen, wenn du die Montur anziehst."

Das ist das bekannteste Wort aus dem Soldatenkatechismus. Ferner heißt es:

Das ist die wahre Soldatenehre, dass kein König und Fürst, keine Gewalt noch Herrschaft, den edlen und freien Mann zwingen kann, das Schändliche und Unrechte zu tun oder tun zu helfen" –

und wem es dennoch befohlen werde, der soll dem Befehlshaber „den Degen im Angesicht zerbrechen".

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Das sagt Ernst Moritz Arndt.

Meine Herren, und er sagt schließlich:

Das ist die deutsche Soldatenehre, dass der Soldat fühlt, er war ein deutscher Mensch, ehe er von Königen und Fürsten wusste; es war ein deutsches Land, ehe Könige und Fürsten waren; dass er es tief und inniglich fühlt: das Land und das Volk sollen unsterblich und ewig sein, aber die Herren und Fürsten mit ihren Ehren und Schanden sind vergänglich."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

So steht in Ernst Moritz Arndts Soldatenkatechismus geschrieben!

Und Sie, meine Herren (zur Rechten), fühlen selbst, wie die militärische Disziplin Ihnen unter den Fingern zerbricht. Denn das ist ja doch evident: Ein wie zerbrechliches Ding muss die militärische Disziplin nach Ihrer eigenen Auffassung sein, wenn Sie sie so ängstlich vor jeder Gefährdung zu behüten suchen, wie die Maßnahmen in Bezug auf den Militärboykott zeigen.

Meine Herren, vielleicht darf ich darauf hinweisen, wie sich jüngst in einer Fortbildungsschule die Fortbildungsschüler weigerten, dem Kommando ihres Lehrers, ein Kaiserhoch auszubringen, Folge zu leisten. Diese Rebellion unter den jugendlichen Arbeitern in der Fortbildungsschule hat in den Zeitungen der reaktionären Parteien blasses Entsetzen hervorgerufen. Ja, meine Herren, dieselben Stimmungen und Auffassungen, nur viel aufgeklärter, wie sie hier in diesen jugendlichen Herzen und Köpfen demonstrativ zum Ausdruck gekommen sind gegenüber einem Schulleiter, der diese Schüler zu patriotischen Demonstrationsobjekten herabwürdigen wollte, dieselben Anschauungen und Empfindungen beherrschen einen gewaltigen Teil und einen immer gewaltiger werdenden Teil unserer Armee.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir sind uns dessen sicher, dass Sie allesamt gegen unseren Antrag stimmen werden. Das dient aber nur dazu, dass derjenige Sinn unseres Antrags damit nur um so deutlicher klargelegt wird, auf dessen Feststellung es uns in allererster Linie ankommt. Meine Herren, durch Ablehnung dieses unseres Antrags wird die Legende zerstreut, vernichtet, die Legende von der patriotischen Sendung der schimmernden Wehr. Ihre Stellung zu unserem Antrag zeigt, dass es Ihrem Willen und dem Willen der Militärverwaltung entspricht, dass auch die weitere Vermehrung unseres Heeres dem Zweck dienen soll, das Heer, das sogenannte Volksheer, gegen das Volk zu gebrauchen als ein Gewaltinstrument zu seiner Niederhaltung im Kampfe um politische Freiheit und wirtschaftliche Wohlfahrt. Aber die Versuche des Herrn Kriegsministers, der Militärverwaltung, die sozialistischen Anschauungen, die rebellischen Anschauungen im Sinn des Ernst Moritz Arndtschen Soldatenkatechismus aus der Armee heraus zu treiben – diese Versuche werden vergeblich sein. Ich sage dem Herrn Kriegsminister nach einem alten Wort: Socialismum expellas furca, tamen usque recurret, man mag den Sozialismus mit Spieß und Schwert heraus treiben, er wird immer wieder zurückkehren. Der innere Feind, der von Ihnen bekämpft werden soll, steht längst nicht mehr außerhalb der Armee, sondern in der Armee selbst darinnen.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

So werden alle Versuche, diesen inneren Feind mit militärischen Mitteln abzuhalftern, ganz vergeblich sein; und wir leben der frohen Zuversicht, dass in einer gar nicht allzu fernen Zeit auch Ihre stärkste Waffe, auch die Waffe des Militarismus, zerbrechen wird an dem aufsteigenden Volk wie Strohhalme an einer steinernen Mauer.

(Lebhaftes „Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Der Herr Kriegsminister hat in Bezug auf den Bissingschen Erlass mitgeteilt, dass es sich um eine Studie des Großen Generalstabs handle. Daraus ergibt sich also, dass in dem Großen Generalstab derartige Pläne über das Verhalten des Militärs bei einem künftigen Bürgerkrieg ausgearbeitet worden sind. Es ist also genau so, wie ich es behauptet habe.

Der Herr Kriegsminister hat bestritten, dass in der Instruktionsstunde der Kampf gegen den inneren Feind gepredigt werde. Das ist nicht richtig. Ich persönlich entsinne mich aus meiner Militärdienstzeit, dass dieser Kampf in der Instruktionsstunde eine große Rolle spielte und dass der Kampf gegen den inneren Feind sogar dem Kampf gegen den äußeren Feind voran genannt wurde.

Der Herr Kriegsminister hat sich in Bezug auf die Maschinengewehre, die in Mansfeld und im Ruhrrevier gegen die streikenden Arbeiter aufgefahren sind, mit der Redewendung begnügt, dass die Maschinengewehre ein integrierender Bestandteil des Truppenteils seien. Herr Kriegsminister, das ist keine Antwort! Es ist uns wohl bekannt, dass die Maschinengewehrabteilungen Truppenteile sind. Aber warum werden diese Abteilungen gegen die Streikenden geschickt? Warum fährt man die Maschinengewehre in solch provozierender Weise in den Straßen herum? Darüber hätte der Herr Kriegsminister Erklärungen abgeben sollen. Doch nur darum, um die streikende Bevölkerung durch Drohung mit Gewalt einzuschüchtern! Der Herr Kriegsminister hat jenes unverantwortliche Wort wiederholt, dass das Eingreifen des Militärs beruhigend gewirkt habe, und – hat sich gar auf sozialdemokratische Zeitungen berufen. Wahr ist, dass die Gewehre „beruhigend" gewirkt haben, aber nur in dem Sinne, wie der Strick auf den Erhängten beruhigend wirkt, in dem Sinne, dass der Streik einfach durch die Wucht des Militärs zerdrückt, erdrosselt worden ist. Ein Beweis dafür ist ja gerade das, was der Herr Abgeordnete Friedberg bestätigt hat: dass mit dem Eintreffen des Militärs der Streik begonnen hat nachzulassen. Es kann keine Rede davon sein, dass das Einschreiten des Militärs den Interessen der Arbeiterklasse gedient habe. Im Gegenteil, es war die schwerste Vergewaltigung der streikenden Arbeiter, dass das Militär in dieser Weise eingriff. Darüber ist kein Zweifel. Das sollte auch der Herr Kriegsminister nicht bestreiten wollen.

Der Herr Kriegsminister hat schließlich geglaubt, einen Hohenzollernkaiser in Schutz nehmen zu müssen, weil ich ihm einen Spitznamen beigelegt habe, den der Herr Kriegsminister nicht gerade zu lieben scheint. Nun, der Herr Kriegsminister dürfte wissen, dass diese Bezeichnung historisch geworden ist. Er müsste aber vor allen Dingen bedenken, dass die Bezeichnung „Kartätschenprinz" nach den Mitteilungen Bismarcks vom gegenwärtig regierenden Kaiser für seinen Großvater gebraucht ist. Der Herr Kriegsminister sollte sich also mit einer anderen Persönlichkeit über den Gebrauch des Spitznamens „Kartätschenprinz" auseinandersetzen.

In Bezug auf die Vorgänge in Hüningen weise ich darauf hin, dass es sich um Militär aus Müllheim und aus Mülhausen gehandelt hat, und der Herr Kriegsminister dürfte wohl nicht bestreiten wollen, dass diese beiden Orte in Deutschland liegen, dass also deutsches Militär in Betracht kommt.

Schließlich hat der Herr Kriegsminister gesagt, dass das Militär nicht in erster Linie gegen den inneren Feind bestimmt sei. Das heißt doch wohl, dass es mindestens in zweiter Linie gegen den inneren Feind bestimmt ist. Und das genügt wahrhaftig. Dieses erneute klare Bekenntnis des Kriegsministers ist für uns von sehr großer Wichtigkeit in dem Moment, wo man die Bevölkerung für die Annahme dieser Militärvorlage in einen Bausch patriotischer Begeisterung zu versetzen sucht, wo man der Bevölkerung vorredet, dass die Militärvorlage dem Schutz der heiligsten Güter und der ganzen Bevölkerung diene. Gerade in diesem Moment muss diesem Pseudopatriotismus die Maske rücksichtslos vom Gesicht gerissen und gezeigt werden, dass der Militarismus um nichts in der Welt ein patriotisches Instrument ist, sondern dass er ein Instrument des Klassenkampfes, des Kampfes gegen die eigene Bevölkerung ist, ein Instrument zum Bürgerkrieg gegen die eigene Bevölkerung, die man jetzt im Interesse der Heeresvorlage patriotisch verwirren und düpieren möchte. Das musste in dieser Stunde gesagt werden.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Vizepräsident Dove: Das Wort hat der Herr Kriegsminister.

Von Heeringen, General der Infanterie, Staats- und Kriegsminister, Bevollmächtigter zum Bundesrat für das Königreich Preußen: Die letzten Worte des Herrn Abgeordneten, die er ziemlich aufgeregt gesprochen hat, werden bei mir nicht das gleiche Gefühl auslösen, denn solche Sachen können auch ruhig behandelt werden.

(Zurufe von den Sozialdemokraten: „Bürgerkrieg!")

Wir denken nicht an Bürgerkrieg und bereiten uns auch in unserer Truppe selbst nicht darauf vor.

Der Herr Abgeordnete moniert, dass im Großen Generalstab derartige Pläne ausgearbeitet würden. Nein, meine Herren, der Große Generalstab treibt historische Studien

(Lachen bei den Sozialdemokraten.)

und hat eine historische Studie über Aufstände in Pest, in Brescia und wie die Orte alle heißen, ausgearbeitet. Wenn Sie das durchlesen – der Erlass des Generals von Bissing ist Ihnen ja, anscheinend durch Vertrauensbruch, in die Hand gekommen –, dann werden Sie darin im Eingang finden, dass das geschehen ist zu dem Zweck, um die Kommandeure darüber zu orientieren, was sie zu tun haben, wenn der ernste Moment an sie herantritt,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

in dem sie auf Grund der Gesetze und der Verfassung ihrer Pflicht nachkommen müssen, wie sie sich dann zu verhalten haben.

In Wirklichkeit geht es in der Praxis ja harmloser zu, als Sie es darstellen. Um das zu beweisen, will ich Ihnen den Eingang eines Artikels aus der „Kölnischen Zeitung" vorlesen, der beschreibt, wie es beim Streik im Ruhrgebiet zugegangen ist. Der Zeitungskorrespondent sucht eine Kompanie auf und schreibt dann folgendes:

Als ich bei ihr eintraf, fand ich die Straßen besetzt durch Mannschaften mit aufgepflanztem Seitengewehr; der Kompaniechef war gerade im Begriff zu sammeln. ,War es denn so schlimm?' meinte ich, auf die Seitengewehre deutend. ,Keine Spur', war die Antwort, ,aber damit nichts Schlimmes passierte, habe ich beizeiten vorgebaut. Sehen Sie, als ich hier ankam, waren zahlreiche Streikende auf der Straße und warteten auf die Ausfahrenden, die ich schützen musste. Da ließ ich denn laden und Seitengewehre aufpflanzen, recht vor aller Augen. Dann ging ich an die Leute heran und sagte: Sie tun wirklich am besten, nach Hause zu gehen; hier holen Sie sich nur blutige Köpfe. Sehen Sie, da sahen die Leute mich an und sich an und sagten: Herr Hauptmann, da haben Sie auch ganz Recht;

(Große Heiterkeit.)

und dann gingen sie allmählich auseinander. Für uns kommt es doch darauf an, dass wir die Ruhe herstellen, ohne zur Gewalt greifen zu müssen. Das gelingt aber am besten, wenn niemand an unserem festen Willen zweifelt, und da führt so ein blitzendes Bajonett eine sehr eindringliche Sprache!"

(Große Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Sehen Sie, meine Herren, durch die einfache Anwesenheit der Armee und ihrer Waffen ist die Ruhe und Ordnung wiederhergestellt worden.

Vizepräsident: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Kriegsministers fordern unsern Dank heraus. In solcher Weise ist noch niemals der Zynismus entschleiert worden, mit dem unser Militär die Vergewaltigung des Volks betrachtet. Es handelt sich für uns keineswegs nur darum – und das weiß der Herr Kriegsminister ganz genau –, ob etwa Gewalt wirklich angewandt wird. Ich habe wiederholt energisch betont, dass eine der gefährlichsten Wirkungen des Eingreifens des Militärs gerade die ist, dass durch die Drohung mit Gewalt der Streik niedergeworfen wird. Wenn der Herr Kriegsminister Jurist wäre, würde er wissen, dass die Drohung mit der nackten brutalen Waffengewalt, wenn sie in solcher Form auftritt, der Gewalt selber gleichzustellen ist. Er begeistert sich für die deutliche Sprache des blitzenden Bajonetts und freut sich der Harmlosigkeiten, der Idylle, die er uns geschildert hat. Meine Herren, ist das nicht einfach eine brutale schamlose Vergewaltigung, wenn ich den Streikenden das blitzende Bajonett drohend vor die Augen halte?

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter –

(Unruhe und Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Ich bitte zunächst den Herrn Abgeordneten Ledebour, nicht dazwischen zu sprechen, wenn ich spreche. – Ich mache Herrn Abgeordneten Dr. Liebknecht darauf aufmerksam, dass die Bezeichnung „Zynismus" und die Bezeichnung „brutale Vergewaltigung" gegenüber der Ausübung amtlicher Pflichten der Militärbehörden durchaus unzulässig ist.

(Rufe bei den Sozialdemokraten: „Amtliche Pflichten?")

Die amtliche Pflicht, wenn ihnen der Befehl erteilt wird, mit den Waffen zu erscheinen, ist, dies zu tun, und wenn darauf aufmerksam gemacht wird, dass unter Umständen von diesen Waffen Gebrauch gemacht werden muss, so liegt kein Grund vor, derartige Ausdrücke zu verwenden. Ich bitte den Herrn Abgeordneten, sie zu vermeiden, da ich sonst andere Mittel der Geschäftsordnung anwenden müsste.

Liebknecht: Die Worte des Herrn Kriegsministers haben gezeigt, dass er und seine Militärs die Bearbeitung, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Streikenden so betrachtet, als ob es sich um die Bekämpfung, die Niederwerfung eines äußeren Feindes handle. Die streikenden Arbeiter verfolgten nach der Angabe des Ministers keinen anderen Zweck, als die Streikbrecher zu beobachten und sich zu informieren.

(Lachen rechts.)

Ja, meine Herren, Sie, die Sie mit Reichsverbandslügen vollgestopft sind,

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

wissen ja gar nicht, wie es bei Streiks hergeht. Der Herr Kriegsminister hat nicht ein Wort davon zu sagen gewagt, dass etwa Anstalten zu Gewalttätigkeiten getroffen gewesen seien. Er hat nur gesagt, dass streikende Arbeiter, die er selbst als sehr harmlose Menschen geschildert hat, bei den Zechen versammelt gewesen seien und dass das Militär diese auseinandergetrieben habe. Dabei ist die blitzende Sprache der Bajonette in Aktion getreten. Hiernach liegt so deutlich wie möglich zutage, welch rücksichtsloser Geist der Gewalttätigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung in der Militärverwaltung herrscht, und dass diese selbst das Gefühl für das Unerhörte ihres Vorgehens verloren hat.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir sehen, dass unsere Anklage gegen die Militärdiktatur, gegen die Überhebung des Militarismus über die Zivilbevölkerung, unsere Anklage wegen der Bereitwilligkeit der Militärverwaltung im Interesse der politischen und wirtschaftlichen Volksfeinde gegenüber der arbeitenden Bevölkerung mit den schärfsten Mitteln, mit Waffengewalt, vorzugehen, ihre volle Berechtigung hat, dass alle unsere Anklagen auf Tatsachen beruhen, die keineswegs weg geleugnet werden können. Die Militärdiktatur, die der Herr Kriegsminister heute als eine harmlose Sache hinzustellen sich bemüht hat, ist von der breiten Masse der Bevölkerung längst als eine Gemeingefahr erkannt; und so bekämpfen wir das heutige militärische System mitsamt dem Herrn Kriegsminister als eine Gemeingefahr für das deutsche Volk.

(Beifall bei den Sozialdemokraten.)

1 Der sozialdemokratische Antrag, als Artikel 1q einzufügen, lautete: „Die zum Militärdienst eingezogenen Mannschaften dürfen nicht verwendet werden: 1. zu polizeilichen Zwecken im wirtschaftlichen oder politischen Kampf, 2. als Ersatz für streikende oder ausgesperrte Arbeiter." Er wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der Polen abgelehnt. Die Red.

2 Der ungarische Ministerpräsident Lukács hatte Riesensummen staatlicher Gelder dazu verwendet, um bei den Wahlen zum ungarischen Reichstag eine der österreichisch-ungarischen Monarchie gefügige Regierung zusammenzuschieben. In dem gegen Lukács geführten Prozess wurde weiter festgestellt, dass er sich an Staatsgeschäften persönlich bereichert hatte. In Anlehnung an den Panamaskandal wurde er deshalb als „Panamist" bezeichnet.

Am 3. Juni 1913, während des Prozesses gegen Lukács, fanden in Budapest Demonstrationen gegen die Regierung Lukács statt. Am nächsten Tag kam es auch im ungarischen Reichstag zu Tumulten. Während die Oppositionspartei gerade eine Erklärung gegen das Kabinett Lukács abgab, erschien der Reichstagspräsident Tisza. Dieser ließ die Parlamentswache in den Beratungssaal einrücken, die von der Waffe Gebrauch machte und einen Abgeordneten niederschlug. Als der Tumult weiter zunahm, wurde noch Gendarmerie eingesetzt. Am 5. Juni 1913 musste Lukács zurücktreten. Tisza wurde sein Nachfolger.

3 Der kommandierende General des VII. Armeekorps in Münster, Freiherr von Bissing, erließ am 30. April 1907 einen Befehl, der detaillierte Anweisungen enthielt, wie sich die Truppen bei Unruhen, im Fall des Belagerungszustandes, bei Straßenkämpfen usw. zu verhalten hätten. Dieses Dokument, ein typisches Beispiel für die Brutalität, mit der die deutsche Arbeiterklasse durch den militaristischen, junkerlich-bourgeoisen Staat bekämpft werden sollte, gelangte 1910 in die Hände der Sozialdemokratie und war für sie von großer agitatorischer Bedeutung.

4 Ernst Moritz Arndt: Kurzer Katechismus für teutsche Soldaten nebst einem Anhang von Liedern, 1812. Nachdruck: Ernst Moritz Arndt: Kurzer Katechismus für teutsche Soldaten, Berlin 1956. Die Red.

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