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Karl Liebknecht 19130222 Freiheitskrieg gegen die preußischen Feinde des Volkes

Karl Liebknecht: Freiheitskrieg gegen die preußischen Feinde des Volkes

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Handels- und Gewerbeetat

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 9. Bd., Berlin 1913, Sp. 11 898-11 900. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 124-127]

Der Abgeordnete Cassel wird es nicht zustande bringen, mich in Aufregung zu versetzen. Die Bemerkungen, die er soeben gemacht hat, waren nicht geeignet, die Haltung seiner Freunde in der Berliner Stadtverordnetenversammlung irgendwie zu motivieren. („Oho!") Sie waren auch kein hinreichender Anlass zu den Begeisterungsrufen, die sich daran angeschlossen haben. (Zuruf des Abgeordneten Cassel.) – Herr Abgeordneter Cassel, lassen Sie mich einmal sagen, wie ich über die Sache denke. (Abgeordneter Cassel: „Ist mir ganz gleichgültig!")

Ich habe vorhin von einer politischen Heuchelei gesprochen. Ich bemerke, dass ich dabei selbstverständlich nicht daran gedacht habe, den einzelnen beteiligten Herren eine bewusste Heuchelei vorzuwerfen. Dass der Herr Abgeordnete Cassel in sich selbst, subjektiv, ehrlich ist, das ist ja selbstverständlich, darüber werden wir nicht diskutieren. Aber diese ganze Gesinnung, die in der Stadtverordnetenversammlung zum Ausdruck kam, und deren Träger und Mundstück zum Teil der Herr Abgeordnete Cassel war, war allerdings von einer Art, die ich nicht anders charakterisieren kann, als ich sie vorhin charakterisiert habe, eine Gesinnung, die wahrscheinlich allerdings zum Teil erklärlich ist durch eine vollkommene historische Unkenntnis und Verständnislosigkeit in Bezug auf die historischen Zusammenhänge.

Es ist natürlich unmöglich, uns in diesem Moment eingehender mit dieser Frage zu befassen. Aber die Tatsache, dass der Kampf gegen den korsischen Eroberer zwar von dem Volke geführt wurde als ein Kampf um Befreiung aus der Fremdherrschaft, aber von den Fürsten und den herrschenden Klassen unterstützt wurde wesentlich zu dem Zweck, ihre eigene Gewaltherrschaft im Innern von Neuem etablieren zu können zum Schaden der Masse der Bevölkerung, das ist eine Tatsache, die selbst ein Treitschke in seinen jungen Jahren hat anerkennen müssen. Das Zitat können Sie in dem heutigen Leitartikel des „Vorwärts" lesen. (Zurufe rechts.) – Im heutigen Leitartikel des „Vorwärts"! Lesen Sie ihn nur nach, es kann Ihnen nützlich sein, Herr von Wenden; Sie werden sonst niemals klug werden, wenn Sie nicht den „Vorwärts" lesen. (Große Heiterkeit.)

Meine Freunde – ich selbst war an den Vorgängen im Rathause nicht beteiligt – haben aber nicht einmal von diesem zwieschlächtigen Charakter der Freiheitskriege gesprochen; sie haben nur den einzigen Gedanken zum Ausdruck gebracht – und wer uns kennt und wer ehrlich in das Verständnis jener „Erklärung" eindringen wollte, konnte das nicht missverstehen: Im Jahre 1813 hat das preußische Volk Gut und Herzblut hingegeben für die Befreiung von einem fremden Despoten, es hat sich zu diesem gewaltigen patriotischen Elan aufgeschwungen mit auf Veranlassung von Versprechungen, die ihm von höchsten und allerhöchsten Stellen gegeben worden waren („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), Versprechungen vor allem der politischen Freiheit. Das sind Dinge, die Sie alle aus der Geschichte wissen müssten. (Rufe rechts: „Schluss!" Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Forsch: Ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen.

Liebknecht: Das war im Jahre 1813. Dem Jahr 1813 sind die Karlsbader Beschlüsse gefolgt, ist Metternich gefolgt, die Heilige Allianz und die ganze vormärzliche Reaktion, ist zwar das Jahr 1848 gefolgt, dann aber die Gegenrevolution und das preußische Dreiklassenwahlrecht, dem Sie (zur Rechten) noch heutigen Tages zum guten Teil Ihre Existenz und Ihre Macht verdanken. Daraus ergibt sich, dass wir in Bezug auf die Volksfreiheit heute kaum einen Schritt weitergekommen sind, als wir vor 1813 waren. Und wenn wir die Volksopfer des Jahres 1813 rühmen und preisen, so beklagen wir, dass sie doch auch wieder gebracht worden sind zum Nutzen der herrschenden Klassen, die den Vorteil aus dem Jahre 1813 und aus der Volkserhebung eingeheimst haben („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), während die Masse der Bevölkerung zwar ihr Alles an Gut und Blut hingegeben hat, aber bis heute unterdrückt und in das Dreiklassenjoch hinein gespannt ist. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. Rufe rechts: „Schluss!" Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Meine Herren, ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen. Ich kann, nachdem die Debatte sich mal so sehr von dem Gegenstande entfernt hat, den Redner allerdings nicht hindern, das zu sagen, was er gesagt hat. Es trägt vielleicht zur Abkürzung der Debatte bei, wenn Sie den Redner nicht unterbrechen.

Liebknecht: Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt erklären, dass wir die Taten des Jahres 1813, die Taten des preußischen Volkes auf das Höchste würdigen und ehren, so sind wir doch nicht gewillt, sie zur Verwirrung des Volkes zu feiern, als ob sie Hohenzollerntaten seien, durch eine Feier der Hohenzollern, die doch wahrlich an diesem Befreiungskampf herzlich wenig Anteil hatten, die dabei geradezu widerwillig haben geschoben werden müssen. (Unruhe rechts.) Wenn wir uns dagegen wenden, dass man der Feier der Freiheitskriege ein höfisches, kirchliches Gepräge gibt, so ist das durchaus am Platze. Dazu ist uns das Jahr 1813 zu heilig. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich wiederhole: Das preußische Volk wünscht eine Feier des Jahres 1813. Aber diese Jahrhundertfeier des Jahres 1813 kann nur würdig begangen werden – nicht durch Jubelfeste, Gepränge und Prunk –, sondern durch einen neuen Befreiungskrieg, den wir 1913 führen gegen das Dreiklassenwahlrecht zur endlichen Befreiung des preußischen Volkes. („Bravo!" bei den Sozialdemokraten. Zischen rechts.)

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