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Karl Liebknecht 19130624 Gegen die militaristische Jugenderziehung

Karl Liebknecht: Gegen die militaristische Jugenderziehung

Rede im Deutschen Reichstag in der zweiten Lesung der Wehrvorlage zu einem sozialdemokratischen Antrag1

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, I. Session, Bd. 290, Berlin 1913, S. 5729-5733 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 334-358]

Meine Herren, ich frage: Wo ist der preußische Kultusminister bei dieser Debatte? Der preußische Kultusminister gehörte bei dieser Debatte auf die Anklagebank hierher,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

das heißt auf die Regierungsbank; es handelt sich im Wesentlichen um seine Politik, die hier debattiert wird.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Dinge, wie sie sich durch die Anwendung der Kabinettsorder von 1834 bei uns in Preußen entwickelt haben, liegen noch viel schlimmer, als mein Freund Heine und auch mein Freund Stadthagen geschildert haben. Meine Herren, nachdem das Reichsgericht am 28. Juni 1910 gesprochen hatte, hat sich das preußische Kultusministerium volle acht Monate lang um diese Reichsgerichtsentscheidung überhaupt nicht geschert.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Es hat nach seiner alten Praxis ungeniert weitergearbeitet. Wenn man von den Schulaufsichtsbehörden unter Hinweis auf die Reichsgerichtsentscheidung Remedur verlangte, bekam man zur Antwort: Wir kennen die Reichsgerichtsentscheidung nicht, für uns kommt ausschließlich die Anweisung des Kultusministers in Betracht. Und, meine Herren, der Kultusminister hat acht Monate lang gewartet, bis er ein Zirkular ins Land gehen ließ, in dem er auch keineswegs die Verwaltungsbehörden anwies, nunmehr der Reichsgerichtsentscheidung entsprechend vorzugehen, sondern in dem er, entgegen der Auffassung des Reichsgerichts, seinen eigenen Rechtsstandpunkt den Verwaltungsbehörden, den Schulaufsichtsbehörden, zur Richtschnur setzte,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

also eine offene Auflehnung der preußischen Verwaltung gegen die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtshofs.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Schließlich hat der Herr Kultusminister gegen jenes Urteil des Reichsgerichts gebohrt und gewühlt, und wie das bei einem Konflikt zwischen Verwaltung und Justiz besonders in Preußen zu kommen pflegt: da bleibt die Verwaltung immer obenauf und die Justiz fällt hinunter. Das geschah auch hier. Das Reichsgericht hat schließlich auf der ganzen Linie kapituliert und dem preußischen Kultusminister für seine schikanöse Schulaufsichtspolitik eine Blankovollmacht gegeben, viel weiter gehend, als selbst der preußische Kultusminister verlangt hatte. Und, das ist bedeutungsvoll, während der preußische Kultusminister acht Monate brauchte, ehe er die Schulaufsichtsorgane auch nur von der Reichsgerichtsentscheidung vom Jahre 1910 in Kenntnis setzte–diese neuere, höchst reaktionäre Entscheidung des Reichsgerichts vom vergangenen Winter ist in der preußischen Schulverwaltung mit einer Behändigkeit zur Anwendung gelangt, die geradezu Staunen erregen muss. Die preußische Schulverwaltung kann eben auch anders. Sie arbeitet langsam, mit einer gewissen passiven Resistenz, wenn es ihr passt, und mit einer unübertrefflichen Fixigkeit, wenn es sich darum handelt, reaktionäre Maßnahmen durchzuführen. Dafür haben wir hier wieder einen glänzenden Beweis. Ich hatte neulich den Geist der preußischen Verwaltung charakterisiert. Es wurde mir deswegen ein Ordnungsruf zuteil. Aber nach dem, was ich mir eben vorzutragen gestattet habe und was meine Freunde Heine und Stadthagen ausgeführt haben, kann jene Kritik nur als allzu milde betrachtet werden.

Ich möchte mir nun die Anfrage an den Herrn Kriegsminister und an die Reichsregierung im Allgemeinen gestatten: Wird denn auch darauf gehalten, dass die Gouvernanten und Hofmeister beiderlei Geschlechts, die militärischen Begleiter, die Adjutanten, die Hauslehrer der Prinzen und Prinzessinnen einen Unterrichtserlaubnisschein der Königlich Preußischen Kultusverwaltung besitzen? Ich habe eine derartige Frage wiederholt an den preußischen Kultusminister gerichtet. Er hat darauf geschwiegen. Wir sind deswegen geneigt anzunehmen, dass das Kultusministerium nach den Unterrichtserlaubnisscheinen nur dort fragt, wo es die Kabinettsorder von 1834 zur Schikanierung der Bevölkerung benutzen will. Und was den Herrn Kriegsminister noch unmittelbarer angeht: Haben die Offiziere und Militärpersonen, die im Jungdeutschlandbund2 tätig sind, um den jungen Leuten „Unterricht" zu erteilen, ihnen das Exerzieren beizubringen, mit ihnen Ausflüge zu machen usw., den Unterrichtserlaubnisschein? Hält der Herr Kriegsminister darauf, dass in dieser Beziehung wenigstens in seinem Ressort gesetzlich verfahren wird? Ich erwarte eine Antwort auf diese meine Frage.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn wir keine Antwort bekommen, werden wir wissen, dass der Herr Kriegsminister in dieser Beziehung auf das Gesetz pfeift.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, auch nicht in hypothetischer Form dürfen Sie dem Herrn Kriegsminister vorwerfen, dass er auf das Gesetz pfeift. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung.

Liebknecht .Ich möchte die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen darauf hinzuweisen, wie in Oberschlesien von der Schulaufsichtsbehörde gewütet worden ist. Da ist in den Fällen Poniecki und Cieslok, es handelt sich um sogenannten Gesangsunterricht, für jeden Fall eines sogenannten Unterrichts an Jugendliche unter 21 Jahren eine Exekutivstrafe von 300 Mark verhängt; auf diese Weise ist gegen Poniecki eine Exekutivstrafe von zusammen 7500 Mark erwachsen, und gegen Cieslok, einen armseligen Musikgehilfen, eine Strafe von über 2000 Mark. Cieslok hat wochenlang im Gefängnis sitzen müssen. Poniecki hat, als die Strafe rücksichtslos beigetrieben wurde, um nicht auch auf Monate eingesperrt zu werden, Weib und Kind und Existenz bei Nacht und Nebel verlassen müssen, den preußischen Staub von den Füßen geschüttelt und sich in das Ausland, nach Galizien, geflüchtet. Alle Versuche, hier von der preußischen Regierung Abhilfe zu erzielen, und ebenso alle Versuche, im preußischen Abgeordnetenhaus irgendeinen Weg zu finden, damit dieser Mann wieder zu seinen Angehörigen und zu seiner Existenz zurückkehren könne – Galizien war gastlicher als Preußen – sind vollkommen ergebnislos geblieben. Und bis auf den heutigen Tag muss dieser Mann in Galizien sitzen und warten, bis in Preußen etwa einmal kulturgemäße Zustände eintreten werden.

Die Schikanen gegen die Jugendbewegung sind Legion. Es ist unmöglich, die Leporelloliste hier vollkommen aufzuführen. Ich möchte von der liberalen – der liberalen! – Stadtverwaltung in Bayreuth berichten, dass sie vor wenigen Tagen junge fortbildungsschulpflichtige Arbeiter von der Fabrik weg über die Straßen geschleppt und in Arrest gesteckt hat, weil diese kleinen Bürschchen an dem Stenographieunterricht im Jugendheim teilgenommen hatten.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das Vorgehen gegen den Spandauer Turnverein war ganz besonders rigoros. Am Abend, es waren nicht einmal Jugendliche anwesend, ist die Polizei über die Mauern geklettert, durch die Türen in den Turnsaal eingebrochen und hat alle Anwesenden verhaftet und auf die Wache geschleppt – angeblich um zu prüfen, ob Jugendliche unter 18 Jahren dabei seien. Nun, meine Herren, diejenigen, die verhaftet wurden, waren zum Teil Männer mit grauen Bärten! Die Polizei aber verhaftet sie und schleppt sie auf die Wache, um festzustellen, ob sie nicht etwa unter 18 Jahren seien!

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das ist nur eine Episode aus dem Leidensweg der Arbeiterjugendbewegung.

Ein besonderes Kapitel bildet hier die polizeiliche Spitzelei gegen die Arbeiterjugendbewegung.

In Berlin ist eine ganze Anzahl von Spitzeln entlarvt worden, die sich in die Arbeiterjugendbewegung eingeschlichen hatten, um dort ihr schmutziges Handwerk zu treiben auf Anweisung des Berliner Polizeipräsidenten und des Ministers des Innern, auf die damit die ganze Verantwortung dieses schmutzigen Treibens fällt.

In Königsberg konnte am Sonntag vor acht Tagen auch ein ganz ähnlicher Spitzelfall publiziert werden. Das ist die richtige Methode, um die Jugend zu erziehen zu einer höheren Moral, zum Idealismus und dergleichen Dingen, Worte, die Sie gar nicht in den Mund nehmen sollten, ohne dass Ihnen die Schamröte ins Gesicht steigt.

Es ist sehr zu beklagen, dass der deutsche Kaiser nicht richtig unterrichtet zu sein scheint über das Wesen der staatlichen Jugendpflege; denn sonst wäre es doch wohl unverständlich, dass der deutsche Kaiser, der am 15. Mai 1890 im Börsensaale zu Königsberg sagte:

Der König von Preußen steht so hoch über den Parteien und über dem Getriebe des Parteihaders, dass er unentwegt, auf jeden Einzelnen seines Landes schauend, auch für das Wohl jedes Einzelnen jeder Provinz beflissen ist." –

dass dieser selbe deutsche Kaiser sich in der bekannten Weise der offiziellen staatlichen Jugendpflege, und besonders des Jungdeutschlandbundes angenommen hat. Meine Herren, diese staatliche Jugendpflege ist eine Jugendpflege der systematischen Korruption.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Einige Vorredner haben darauf hingewiesen, dass die süddeutsche Junge Garde eine politische Bewegung gewesen sei, und haben daraus den Schluss gezogen, dass auch heute der proletarischen Jugendbewegung der politische Charakter zukomme. Tatsache ist, dass die süddeutsche Junge Garde vor dem Reichsvereinsgesetz, entsprechend der Bewegungsfreiheit, die damals das Gesetz gewährte, sich allerdings in einem gewissen Umfang um die Politik bekümmert hat. Das war aber ihr gutes Recht, und niemand darf ihr daraus einen Vorwurf machen. Nachdem dann mit Hilfe der Fortschrittlichen Volkspartei die Versammlungs- und Vereinsfreiheit der Jugendlichen stranguliert worden ist, hat sich auch die süddeutsche Jugendbewegung in den Rahmen des Gesetzes hinein gefügt. Die Junge Garde hat sich aufgelöst. Es sind andere Organisationen auf anderen Grundlagen gegründet worden, und niemandem, der objektiv die jetzige Bewegung betrachtet, ist es möglich, vor einem unbefangenen Verstande die Behauptung zu beweisen, dass sie politisch sei. Meine Herren, was sollte die proletarische Jugendbewegung tun? Sie fügte sich in das Gesetz, sie wurde unpolitisch, und sie wird doch nach allen Noten schikaniert. Die Pseudojugendpflege dagegen befolgt das Gesetz nicht, sie pfeift nach wie vor auf das Gesetz,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und sie wird von der Staatsgewalt gehätschelt und getätschelt. Das hat mit Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit soviel zu tun, wie das sanfte Kitzeln mit den blitzenden Bajonetten, von denen der Herr Kriegsminister so begeistert gesprochen hat, mit Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu tun hat.

Es wird gesagt, insbesondere Herr Abgeordneter Mumm hat das gesagt, die „nationale" Jugendbewegung steht nicht auf politischem Boden; sie steht nur auf dem Boden des Patriotismus, auf dem Boden der Königstreue und dergleichen. Das sind die alten abgeklapperten Phrasen! Wir wissen, was wir unter Ihrer Sorte Patriotismus zu verstehen haben. Auch Sie wissen, dass die Wortführer dieser Jugendpflege die Unwahrheit sprechen, wenn sie sagen, dass sie die Vaterlandsliebe im Sinne der Liebe zur Gesamtheit des Volkes pflegen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Jedenfalls soll die Erziehung im Geiste dieses Patriotismus unpolitisch sein. Nun, wenn wir Sozialdemokraten die Nächstenliebe, die Menschenliebe, den Völkerfrieden, den Gerechtigkeitssinn, das Freiheitsgefühl der Bevölkerung fördern und pflegen wollen, dann soll das politisch sein. Herr Kollege Mumm! Soviel ich weiß, sind Sie geistlichen Standes. Wenn aber die Sozialdemokratie die Nächstenliebe, die Menschenliebe in werktätigem Sinne pflegt, so wird das auch mit Ihrer Zustimmung als Politik betrachtet. Dagegen soll jene krasse Sorte von Politik, die in der Pflege jenes Afterpatriotismus, jener Afterkönigstreue besteht, keine Politik sein! Das verstehe und verteidige, wer kann!

Wir müssen dem Jungdeutschlandbund nachsagen, dass er die politischste Jugendorganisation ist, die wohl jemals in Deutschland existiert hat.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist nicht irgendein x-beliebiger, sondern der Führer der Jungdeutschlandbewegung, Freiherr von der Goltz-Pascha, der vor wenigen Monaten vor einer Studentenversammlung jenes Wort ausgesprochen hat: „Wenn es doch endlich einmal losginge!" Da will man uns weismachen, dass diese Jungdeutschlandbewegung nicht darauf hinziele, die Jugend mit militärisch-chauvinistischem Geist zu erfüllen. Das steht ihr an der Stirn geschrieben. Wir sind aber der Überzeugung, dass der Jungdeutschlandbund, der wie ein Pilz über Nacht aus dem Boden herausgewachsen ist, auch wie ein Pilz zusammenschrumpfen wird.

Die Fortschrittliche Volkspartei hat bei dieser Gelegenheit mit recht tapferem Getön Stellung genommen, und zwar in einem Sinne, der unserer Auffassung zu entsprechen scheinen könnte, aber nur scheinen. Wir wissen, dass auch die Herren von der Fortschrittlichen Volkspartei, die infolge der durch sie verschuldeten Verschlechterung des Vereinsrechts an dieser Misere der Jugendbewegung schuld sind, die proletarische Jugendbewegung am liebsten vernichtet sehen möchten. Herr Dr. Müller-Meiningen hat in der Budgetkommission zum Ausdruck gebracht, dass auch nach seiner Auffassung die proletarische Jugendbewegung einen politischen Charakter trage. Das müssen wir auf das allerschärfste brandmarken. Herr Dr. Müller-Meiningen hat auch jetzt hier im Plenum mit keinem Worte Stellung genommen gegen die skandalöse Schikaniererei der proletarischen Jugendbewegung. Das stelle ich mit allem Nachdruck fest! Damit hat er seine ganze Stellungnahme genug gekennzeichnet.

(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

Es ist Ihnen eben nicht Ernst mit dem Kampf um die Beseitigung dieser schikanösen Fesseln. Wir werfen gerade Ihnen, meine Herren von der Freisinnigen Volkspartei, den scharfen Vorwurf ins Gesicht, dass Sie hier bei dem ganzen Kampf um die Reformen im Militärwesen ein systematisches und wenig würdiges Versteckspielen treiben, und zwar ein Versteckspielen mit politischen Realitäten, Sie, die Sie behaupten, Realpolitiker zu sein!

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es nicht den parlamentarischen Gewohnheiten entspricht, einer Partei des Hauses vorzuwerfen, dass sie hier Versteckspielen treibt.

Liebknecht: Ich habe das natürlich nur objektiv gemeint. Jedenfalls war es für uns eine gewisse Genugtuung, zumal angesichts Ihres Versagens sogar in der Boykottfrage3, wo eigentlich nur noch offene Türen einzurennen waren, wo gar nichts mehr zu überlegen war, dass Sie von dem Herrn Kriegsminister einen nur allzu berechtigten und allzu wohlverdienten Spott eingeheimst haben ob Ihrer Zurückweisung unserer Anträge zu dem Gesetz, Ihrer prinzipiellen Ablehnung, während Sie nun im vorliegenden Fall selbst nach Kanossa gegangen sind und einen Antrag zu dem Gesetz eingebracht haben. Meine Herren, es war eine verdiente Lektion, die Sie von dem Herrn Kriegsminister bekommen haben. Es ist eben nur ein Scheinkampf, den Sie – die Militärfrommsten der Militärfrommen – hier gegen die wesentlichen Schäden des Militarismus führen.

Der Herr Abgeordnete Mumm hat gemeint, eine Partei, die grundsätzlich den heutigen Staat bekämpfe, solle doch niemals Geld vom Staat fordern, sie solle zu stolz sein, um von ihm Geld zu wollen. Ei, Herr Mumm, was für eine sonderbare Auffassung haben Sie! Woher stammt denn das Geld des Staates, das wir hier fordern?

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir wollen vom Staat kein Geld geschenkt haben, sondern wir fordern im Namen des Volks einen Teil des Geldes zurück, das dem Volk abgenommen ist.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

So steht die Sache. Und es ist eines unserer Kampfziele, dem Staat soviel abzutrotzen, als wir ihm abtrotzen können. Bitten und Betteln werden wir allerdings nicht, Herr Mumm, des können Sie versichert sein.

Meine Herren, gegenüber den Ausführungen der Herren Abgeordneten Mumm und Edler zu Putlitz über den Geist der proletarischen Jugendbewegung und gegenüber den Ausführungen des Herrn Bundesratsbevollmächtigten über die Agitation der Sozialdemokratie gegen den Geist unseres heutigen Militarismus möchte ich doch noch einmal auf den Soldatenkatechismus von Ernst Moritz Arndt hinweisen, aus dem ich sehr schlagende Stellen vorgetragen habe. Meine Herren, dieser Geist der persönlichen Sicherheit, dieser Geist der Abweisung alles höfischen Kults, dieser Geist der Männlichkeit und dieser Geist des Bürgerstolzes, der in diesem Soldatenkatechismus jedem einzelnen Soldaten anempfohlen und gepredigt wird, das ist ein Geist, der wie Feuer und Wasser sich scheidet –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Meine Herren, ich bitte um etwas Ruhe.

Liebknecht: – von dem Geist, der das heutige Militärsystem beherrscht: Das ist der Geist, den wir anstreben. Und dieser Geist, den Sie meinethalben als einen rebellischen Geist bezeichnen mögen, als einen Geist, der der Untergrabung des heutigen Militärsystems dient – dieser Geist, der eine solche Armee angeblich unfähig machen soll, mit einem äußeren Feinde fertig zu werden, das ist derselbe Geist, von dem jenes Freiheitsheer erfüllt war, das das größte militärische Genie aller Zeiten zu Boden gestreckt hat. Daraus können Sie entnehmen, was es auf sich hat, wenn ein Volk aus sich selbst heraus, aus der innersten Überzeugung, dass seine Interessen in Frage stehen, in den Krieg hineinzieht, bereit, jedes Opfer zu bringen. Aber Sie sorgen durch Ihre innere Politik dafür, dass ein derartiger Geist in der Masse der deutschen Bevölkerung einfach nicht groß werden kann und, soweit er vorhanden ist, mehr und mehr vernichtet wird, verwandelt wird in Hass gegen die heutigen Zustände in Preußen und Deutschland.

Der Herr Abgeordnete Mumm hat von Hoffmann von Fallersleben und dem Lied „Deutschland, Deutschland über alles" gesprochen. Mein Freund Stadthagen hat ihm da bereits mit einigem gedient.

Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Mumm ein anderes Gedicht desselben Hoffmann von Fallersleben vortragen, aus dem Sie den Geist erkennen können, der diesen deutschen Freiheitsheros beseelt hat und der damals auch gerade von der besten Blüte des deutschen Volkes gehegt wurde.

O Gott, wofür, wofür?

Für Fürstenwillkür, Ruhm und Macht

Zur Schlacht?

Für Hofgeschmeiß und Junker hinaus

Zum Strauß?

Für unseres Volkes Unmündigkeit

Zum Streit?

Für Most-, Schlacht-, Mahl- und Klassensteuer

Ins Feuer?

Und für Regal und für Zensur

Nur

Ganz untertänig zum Gefechte?

Ich dächte, ich dächte …

(Zurufe rechts.)

Das hat auch Hoffmann von Fallersleben gedichtet, und das ist der Geist, der Ihnen als der Geist des Gottseibeiuns erscheinen muss, Ihnen in Ihrem Pseudopatriotismus! Meine Herren, soll man noch viel den Geist zu fotografieren versuchen, der Ihnen für die Jugend angenehm und erwünscht erscheint? Das ist der Geist, der Anfang dieses Jahres in Königsberg in der Studentenschaft zum Ausdruck kam, als man sich beinahe gegenseitig die Köpfe kaputtschlug in dem Streit um die Ehre, das Kaiserhoch ausbringen und Lakaiendienste verrichten zu dürfen. In der Tat, das ist der Geist, den Sie wünschen. Es ist derselbe Geist, jener bornierte, militaristische, hurrapatriotische Geist, der die Erinnerung an das Große des Jahres 1815 so wenig vertragen kann, dass aus diesem selben Geist der Boykott und die Einstellung des Hauptmannschen „Festspiels" in Breslau4 hervorgegangen ist, obwohl dieses „Festspiel" gerade nur im Entferntesten und so sanft wie möglich an den wirklichen Geist von 1813 heran rührt

Nun, wie können Leute, die einen derartigen Geist in der Jugendpflege, einen solchen engen, begrenzten Geist vertreten, es wagen, Männer wie Goethe, Schiller, Fichte usw. als Eideshelfer für sich anzurufen? Goethe, der große Weltbürger – eine Blasphemie ist es, seinen Namen in den Mund zu nehmen angesichts einer derartigen Geistesrichtung, wie sie von Ihnen vertreten wird! Und Schiller, der Dichter des „Teil", der sein Jugendwerk mit der Devise „In tyrannos!" in die Welt schleuderte, wie könnte der heute von Ihnen begriffen werden? Wo kann dieses „In tyrannos" –

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich möchte Sie bitten, sich nicht zu weit vom Gegenstand der Diskussion zu entfernen.

(„Sehr richtig!" rechts.)

Liebknecht: Ich wollte nur darauf hinweisen, wie man mit Rücksicht auf dieses ideal-freiheitliche Wesen des Schillerschen Geistes heute bereits so weit geht, Schiller als undeutsch, als unpatriotisch zu kennzeichnen.

Präsident: Das gehört aber nicht zum Gegenstand der Diskussion.

(Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Liebknecht: Das ist aber doch wesentlich, das gehört doch hierher.

Präsident: Nein, das ist nicht wesentlich.

Liebknecht: Das Wesentliche, was wir heute hier zu erörtern haben, ist gerade der Geist, in dem die Jugend erzogen werden soll; mit diesem Geist haben wir uns zu befassen

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

oder mit jenem Ungeiste, wie er von jener Seite gewünscht wird. Wir Sozialdemokraten wollen eben nicht haben, dass die Worte „lakaienhaft" und „deutsch" auf alle Ewigkeit Synonyme bleiben. Der Geist des Servilismus ist das Gegenteil von deutsch in dem Sinne, den wir dem Wort verschaffen wollen. Nun, meine Herren, in Bezug auf Fichte und seine Patenschaft für den Turnverein Fichte, über die sich ja auch der Herr Abgeordnete Mumm ausgelassen hat, folgendes. Vielleicht hat der Herr Abgeordnete Mumm einmal davon gehört, dass es Fichte war, der, abgesehen von seinem sonstigen großen, heiligen, rebellischen und Freiheitsgeist, keinen Servilismus kannte und ein Mann war, dass es Fichte war, der als das Ziel der Menschheitsentwicklung eine politische Organisation der Menschheit forderte, begründet auf Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, und dass er damit einer der Vertreter des großen Grundgedankens des Sozialismus ist. Wenn der Herr Abgeordnete Mumm und die übrigen Herren eine Ahnung von der sozialistischen Literatur hätten, so wüssten sie, dass kein anderer als Friedrich Engels Fichte unter die ruhmvollsten Ahnen des modernen Sozialismus gestellt hat.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, so ist der Name Fichte gerade der rechte Name für einen Arbeiterturnverein. Die Leute wissen, weshalb sie den Verein so genannt haben.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Unsere Anträge bei der zweiten Lesung der Wehrvorlage stellen gewissermaßen den Niederschlag der systematischen und umfassenden Kritik dar, die wir seit je an dem Wesen des heutigen Militarismus zu üben pflegen.

Meine Herren, wir halten es für unsere Aufgabe, der Wehrvorlage ein Attest mit auf den Weg zu geben, das deutlich genug ist, um der Masse der Bevölkerung draußen ad oculos zu demonstrieren, was sie an ihrem Militarismus, was sie an ihrem herrlichen Kriegsheer, an ihrer schimmernden Wehr hat. Das muss unsere besondere Aufgabe sein.

Es ist ganz richtig, dass unser Kampf gegen den heutigen Geist des Militarismus geht, das heißt gegen das Wesen des heutigen Militarismus als eines Gewaltinstruments im Interesse der herrschenden Klassen gegen die Masse der Bevölkerung zur Aufrechterhaltung der Minderheitsherrschaft im Innern und zur Vertretung der Minderheitsinteressen auch in der auswärtigen Politik. Meine Herren, das in unseren Anträgen, auch in dem vorliegenden, zu entdecken, dazu gehört wahrhaftig kein großer Scharfsinn. Das ist das klare Ziel der sozialdemokratischen Militärpolitik, solange es eine solche Militärpolitik überhaupt gibt.

Und ganz besonders in Bezug auf die Jugendpflege besteht ein ganz grundsätzlicher Gegensatz zwischen uns und Ihnen. Wäre nicht die Angst vor der Sozialdemokratie und vor der Aufklärung durch die Arbeiterjugendbewegung, meine Herren, so hätten wir wahrscheinlich heute noch keine staatliche Jugendpflege. Und wäre nicht die Angst davor immer weiter und weiter gewachsen, dass die militärische Kraft unseres Volkes leiden würde für auswärtige Konflikte, die wiederum dem Interesse der herrschenden Klassen dienen, auch dann wäre diese Jugendpflege nicht in diesem Umfange eingeleitet worden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist also bis zum heutigen Tage nicht irgendein kategorischer Imperativ des sozialen Gewissens, der Sie veranlasst, Jugendpflege von Staats wegen zu treiben, sondern einmal das Interesse am Kampf gegen die Sozialdemokratie, das heißt Ihr Streben, Ihre junkerliche und kapitalistische Machtstellung aufrechtzuerhalten gegen das Volk; und auf der anderen Seite das Interesse an der sogenannten Wehrkraft des Volkes, das heißt daran, dass das Volk eine möglichst große Menge Kanonenfutter für die herrschenden Klassen liefern könne bei den internationalen Auseinandersetzungen, deren der Kapitalismus bedarf.

Meine Herren, diese Feststellung ist nötig. Wir Sozialdemokraten wollen, dass für die Gesundheit des Volkes schlechthin und vorbehaltlos, ohne jeden Nebenzweck, gesorgt werde – um des Volkes selbst willen, um des Wohlseins und des Glücks des Volks willen. Sie aber, meine Herren, haben bei allen ihren Jugendpflegebestrebungen die Gesundheit des Volkes nur soweit im Auge, als die Interessen der herrschenden Klassen und die politischen Staatsnotwendigkeiten das vorschreiben, und deshalb können Sie die Jugendpflege nur in Ihrer politischen Färbung gebrauchen, nur unter allerhand Kautelen, die Sie dagegen zu schaffen suchen, dass sich keine schädlichen Nebenwirkungen einer allzu großen vorbehaltlosen Pflege der Volksgesundheit herausbilden. Meine Herren, dass Sie, von der Angst um Ihre Herrschaft getrieben, diese ganze Jugendpflege betreiben, das ist mit schlagender Deutlichkeit nachgewiesen worden, und daraus ergibt sich auch Ihre Haltung gegenüber unseren Anträgen. Sie wollen unsere Anträge nicht etwa um deswillen nicht, weil Sie ernstlich glauben, dass wir Politik in die Jugend hinein tragen wollen. Sie wissen ganz genau, dass Politik systematisch in der Jugend getrieben wird gerade von den staatlich gehätschelten und getätschelten Jugendorganisationen; aber Sie wollen nicht, dass wirklich unpolitische Jugendpflege getrieben werde, die nicht mit diesen politischen Schaumschlägereien verbunden ist, die Ihnen besonders am Herzen liegen.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter, ich habe es schon neulich einem Abgeordneten gegenüber für unstatthaft erklärt, die Bezeichnung „Schaumschlägerei" anzuwenden auf etwas, was Mitglieder dieses Hauses tun. Ich bitte Sie, das zu unterlassen.

(„Sehr richtig!" rechts.)

Liebknecht: Meine Herren, da diese Schaumschlägereien Tatsache sind, brauche ich wohl nicht über sie zu reden.

(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

Sie sind ja genügend bekannt.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident; Herr Abgeordneter Liebknecht, ich bitte Sie, sich auch in dieser Form meinen Anordnungen nicht zu widersetzen!

Liebknecht: Meine Herren, wir haben unseren Antrag gestellt und haben auch die von den bürgerlichen Parteien zu diesem Punkt gestellten Anträge als eine willkommene Gelegenheit benutzt, um damit, wie auch durch alle unsere übrigen Ausführungen, Ihre Jugendpflege und den ganzen Militarismus in seiner Nacktheit vor der ganzen Bevölkerung hinzustellen. Es ist nötig, den Militarismus in seiner Nacktheit zu betrachten und von ihm all den Flittertand und all den falschen Glanz abzustreifen, den Sie ihm mit allerhand Scheinwerfermanövern geben. Je mehr das durch unsere politische Tätigkeit gelingt, um so mehr erreichen wir, dass im Interesse des ganzen Volkes dieser Hauptpfeiler einer volksfeindlichen Minderheitsherrschaft in Preußen-Deutschland, der Militarismus, untergraben wird und sein Fall beschleunigt wird.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Zur Debatte stand folgender sozialdemokratischer Antrag über das Jugendturnen: „Alle landesrechtlichen Vorschriften, durch welche die Erteilung des Turnunterrichts von der politischen oder religiösen Gesinnung des Lehrers oder der Schüler abhängig gemacht wird, werden aufgehoben. Ebenso alle landesgesetzlichen Vorschriften, durch welche Gemeinden beschränkt werden in der Überlassung der Turnhallen an Vereine, die Turnunterricht erteilen oder Turnübungen abhalten." Die Red.

2 Er wurde 1911 durch den preußischen Generalfeldmarschall von der Goltz gegründet. Es handelt sich um eine vom imperialistischen Staat systematisch geförderte chauvinistisch-militaristische Dachorganisation, in der die Mehrheit der bürgerlichen Jugendvereine unter dem Deckmantel der „Jugendpflege" zusammengefasst wurde. Er richtete sich gegen die proletarische Jugendbewegung und diente der chauvinistischen Verhetzung und militaristischen Erziehung der Jugend.

3 Die sozialdemokratische Fraktion hatte den Antrag gestellt, den Militärboykott aufzuheben, der sich besonders gegen die Gastwirte und andere Gewerbetreibende richtete, die ihre Räume für Veranstaltungen der Sozialdemokratischen Partei oder der Gewerkschaften zur Verfügung stellten. Die Red.

4 Am 31. Mai 1913 wurde in Breslau das „Festspiel in deutschen Reimen", das Gerhart Hauptmann im Auftrag des Magistrats von Breslau aus Anlass der Jahrhundertfeier des Befreiungskrieges 1813 geschrieben hatte, uraufgeführt. Da Hauptmann darin der monarchistischen Legendenbildung keinen Raum gab, wurde es von den reaktionärsten Kräften heftig angegriffen. Sie putschten den Kronprinzen auf, der beim Magistrat von Breslau durchsetzte, dass weitere Aufführungen des „Festspiels" unterblieben.

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