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Karl Liebknecht 19130827 Hokuspokus

Karl Liebknecht: Hokuspokus

[Vorwärts Nr. 221 und 222 vom 27. und 28. August 1913. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 371-382]

Ich gedachte, mich vorab nicht zu den Krupp-Prozessen zu äußern. Die fortdauernden Schwindelmanöver der Kruppschen Leibgardisten und das wirre Wechselspiel der verschiedensten Nachrichten- und Dementierapparate, zu denen sich auch das offiziöse Wolff-Büro und die „Norddeutsche Allgemeine" gesellt haben, lässt jedoch einige Betrachtungen angezeigt erscheinen.

Man hat die ganze Affäre mit einer Fingerfertigkeit umzustülpen gesucht, die indischer Fakire würdig wäre, wäre sie minder ungeschickt; mit Siebenschwabenspießen, furchtbarlich anzuschauen, rennt man gegen mich an und sucht durch ein erschrecklich wütendes Geheul das Augenmerk von Brandt und Genossen, vor allem aber von der hoch mögenden, großmächtigen Krupp-Direktion abzulenken – ein Unterfangen, dem nach den neuesten Zeitungsmeldungen gewisse Chancen nicht versagt sind.

Wie war es denn eigentlich ?

Am 18. April dieses Jahres sprach ich im Reichstag von üblen Dingen aus dem Geheimkabinett der Rüstungsindustrie: von den Machenschaften ihrer Presse, von ihrem skrupellosen Internationalismus, von ihren patriotischen Intrigen zur Völkerverhetzung und Rüstungssteigerung. Intrigen, die, den Erisapfel des Chauvinismus unter die Völker werfend, in die Taschen des verbrüderten Rüstungsweltkapitals arbeiten, von dem berüchtigten Maschinengewehrbrief der Munitions- und Waffenfabrik und schließlich von gewissen Geschäftspraktiken bei Krupp, von dem es heißt: Der Militarismus ist groß, und Krupp ist sein Prophet.

Von Krupp berichtete ich nackte, kalte Tatsachen: dass der Vorstand dieser Firma jahrelang in Berlin einen früheren Feuerwerker Brandt unterhielt, der die Aufgabe hatte, sich an die Kanzleibeamten der Behörden der Armee und der Marine heranzumachen und sie zu bestechen, um auf diese Weise Kenntnis von den Absichten der Behörden in Bewaffnungsfragen, von Konstruktionen und Versuchen der Behörden und der Konkurrenz zu erhalten, namentlich aber von den Preisen, die andere Werke fordern oder die ihnen bewilligt werden; Herrn Brandt seien zu diesem Zwecke erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt; die berühmte Firma scheue sich nicht, höhere und niedere Beamte zum Verrat militärischer Geheimnisse zu verleiten; eine große Menge von Geheimberichten des Brandt seien in den Geheimschränken des Herrn von Dewitz in Essen, eines hohen Beamten der Firma Krupp, beschlagnahmt worden; ich hätte davon dem Kriegsminister Kenntnis gegeben; der Kriegsminister habe eingegriffen und dabei seine volle Schuldigkeit getan.

Hiermit war der Skandal fertig, bis auf das letzte Tippelchen fertig, nicht mehr zu überbieten, ein Weltskandal. Das Idol des Hurrapatriotismus, der im Nimbus einer schrankenlosen Gnade, ja Liebe der kaiserlichen Majestät verklärte Krupp, die Zierde und der Ruhm Deutschlands, der heiligste Nationalheilige, lag im Staub niederer kapitalistischer Menschlichkeit. Krupp, der gehätschelte Liebling des Staats, des Kriegsministeriums, dieses täuschend, die Pest der Korruption systematisch in die deutsche Beamtenschaft, die deutsche Militärverwaltung, die deutsche Armee tragend! – Und in derselbigen Nacht kam der Krupp-Direktor Hugenberg nach Berlin gejagt.

So kam der folgende Tag heran. Die Redner fast aller Parteien verlassen das sinkende Schiff der Ehre des Rüstungskapitals, als dessen Hauptsünde trotz alledem vielfach der Brief der Munitions- und Waffenfabrik angesehen wird. Ich spreche zum zweiten mal, sage sachlich nur Abwehrendes, Ergänzendes. Dabei fällt ein Wort: „Panama"1, die ganze heillose Wirtschaft der Rüstungsindustrie kennzeichnend, nichts mehr und nichts weniger, und eine viel zu sanfte Kennzeichnung höchstens.

Nur eines von alledem bedurfte trotz der Zugeständnisse des Kriegsministers vielleicht noch einer gewissen Aufklärung: die Krupp-Korruption. Alles andere war erwiesen und unbestritten.

Und nun kam der erste Krupp-Prozess: Krupp-Prozess wohlgemerkt! Die ganze Öffentlichkeit nannte ihn so. Der in der Öffentlichkeit Angeklagte war ja Krupp, nicht irgendein Beamter der Militärverwaltung. Dieser Prozess stand ja sozusagen unter einer Parole, nämlich: „Kein ,Panama"'. Man klammerte sich verzweifelt und unermüdlich schier eine Woche lang an den Strohhalm dieser zwei Worte der Exklamation, der Charakterisierung! „Kein ,Panama'", so hieß die Beschwörungsformel, die sofort bei Beginn des Prozesses feierlich ausgesprochen wurde. „Kein ,Panama'", so begann der öffentliche Ankläger, so wiederholten die Verteidiger, so verkündete das Gericht. Und die kapitalistische Welt, der militärische Klüngel, alle Patriotarden und vor allen Dingen die ganze Meute der Rüstungsinteressenten brüllten vor Begeisterung morgens, mittags, abends: „Kein ,Panama', gelobt sei Jesus Christus!"

Man machte sich die Sache trotz aller scheinbar kräftigen Worte gegen die armen Sünder auf der Anklagebank wirklich höllisch leicht, für die öffentliche Meinung fast beleidigend leicht. Ein Kind konnte den Hokuspokus durchschauen. Zu beweisen war, so hieß es, „Panama" oder Nicht-„Panama", und zwar „Panama" wessen? Der Heeresverwaltung. Was heißt „Panama" ? Bestechung bis zum Kriegsminister hinauf.

Erwiesen ist Bestechung einiger Offiziere und Zeugfeldwebel, die zur Vergrößerung der Distanz noch zu „elenden Schreiberseelen" herabgedrückt wurden. Bestechung des Kriegsministers ist nicht nachgewiesen, folglich usw.; man vergleiche die verschiedenen Redeblüten.

Eine klassische Beweisführung in der Tat! Dass die „öffentliche Meinung", wenigstens soweit sie in der Presse zum Ausdruck kam, in weitem Umfange auf den grotesken Galimathias hereinfiel, beweist, mit welcher Begierde sie nach irgendeinem Mauseloch suchte, um aus der militaristischen Blamage zu entschlüpfen. Man hatte sich in jenen Apriltagen in allzu große moralische Unkosten gestürzt, die man längst bedauerte und bereits bei der dritten Etatlesung durch Gelächter, Verzerrung und Verhöhnung zu einem Teil wieder zurück zu kassieren bemüht gewesen war. Das Kapitol musste gerettet werden. Aber gemach. Das Fazit des Prozesses hat zu dem „Panama" des Rüstungskapitals nur eben noch das „Panama" der sogenannten öffentlichen Meinung Deutschlands hinzugesellt.

Welch großartiges Ergebnis des Prozesses! Es war bewiesen, dass der Kriegsminister nicht bestochen war. Dass ich schandbarer Mensch den Kriegsminister zu meinem Vertrauten gemacht und ihm und seiner Gewissenhaftigkeit bei Verfolgung der Affäre Anerkennung gezollt hatte, erhöhte offenbar nur meinen Reinfall. Das Wort „Panama" kann sich nur auf die höchsten Staatsbehörden beziehen, so schwur man, und gleich darauf wurde in allen Tonarten ein „Panama" des Abgeordneten Liebknecht in die Welt posaunt, obwohl ich es meines Wissens noch nicht bis zum Kriegsminister gebracht habe.

Wie durchsichtig all das Gerede! Eine „große" Korruption ist nicht enthüllt worden, so berichtete auch ein Teil der liberalen Presse jeden Tag sechsmal. Eine „große" Korruption wessen? Der Heeresverwaltung? Die war nicht einmal behauptet.

Aber trotz alledem, prüfen wir in aller Ruhe, was das Militärgericht, das ja auch nicht über seinen Schatten springen kann, zutage gefördert hat – beträchtlich über das von mir Behauptete hinaus. Was es zutage gefördert hat, obwohl ihm außer den Urkunden, insbesondere den „Kornwalzern"2, fast nur die Aussagen der Angeklagten und der höchst unmittelbar beteiligten Krupp-Beamten zur Verfügung standen, und obwohl die Prozessbeteiligten mit peinlichster Sorgfalt vermieden, irgend etwas zu erörtern, was die Angeklagten Tilian und Genossen nicht direkt selbst betraf.

Die Korruption in der Militärverwaltung sei nicht groß, weil – die Summen, mit denen die Angeklagten Tilian und Genossen bestochen sind, nicht groß waren. Aber, mit Verlaub, seit wann gibt es denn einen Tarif der Käuflichkeit, vielleicht eine Art Zonentarif, der den Grad der Korruption nach dem Kaufpreis des käuflichen Individuums bemisst? Seit wann ist leichtere Käuflichkeit eine geringere Gefahr? Seit wann ist Filzigkeit des erfolgreichen Bestechers – die doch die Affäre nur schwieriger macht – ein Gegengift gegen Korruption? Repräsentieren die Achtgroschenmänner der Geheimpolizei einen noch höheren Grad der Reinheit als die Zwanzigmarkmänner des Rüstungskapitals? Und, mit Verlaub: Steht nicht neben den baren Bestechungsgeldern das höchst energische Bestechungsmittel des Versprechens einer lukrativen Anstellung bei Krupp? Und, mit Verlaub, wie sind die Bestechungssummen festgestellt? Nur durch das Geständnis der Angeklagten einschließlich Brandt. Und, mit Verlaub: Wie konnte eine „große" Korruption – im Sinne der Kein-„Panama"-Schreier – bewiesen werden in einem Prozesse, der sich nur die Untersuchung einer „kleinen" Korruption zum Ziele setzte?

Wer wäre so blöd, dass er nicht sähe, welch ein verfluchter Haufen Korruption dennoch auch in der Militärverwaltung bereits durch den Prozess Tilian und Genossen erwiesen ist. Die trotz aller Hindernisse aufgedeckten Fäden lassen sich mühelos und deutlich weiter verfolgen, in sehr verhängnisvolle Regionen, gleichviel, ob förmliche gerichtliche Feststellungen erfolgen werden oder nicht: denn ein Strafverfahren ist nur möglich, wenn man den Täter kennt – und wäre die Handlung noch so sonnenklar. Aber Mord bleibt Mord, bleibt auch der Täter ewig unermittelt; und Bestechung und Korruption bleibt Bestechung und Korruption, auch wenn kein Schuldiger je die Anklagebank ziert.

Schweigen wir ganz von den anderweit dokumentarisch festgestellten Traktamenten der noblen Firma für die Abnahmekommissionen und von den „Repräsentationsgeldern" des Herrn von Metzen und der sonstigen offiziellen Krupp-Vertreter in Berlin – bereits jetzt ist gegenüber der Militärverwaltung erstens festgestellt, was im Prozess Tilian und Genossen abgeurteilt worden ist.

Darüber hinaus ist zweitens festgestellt, was Brandt ganz unumwunden zugegeben hat: dass er noch mit anderen Personen der Militärverwaltung in gleicher verbrecherischer Beziehung gestanden hat wie mit den sieben angeklagten Sündenböcken, die jetzt in die Wüste geschickt sind. Der bei weitem größte Teil seiner „Repräsentationsgelder" muss für diese ausdrücklich verschwiegenen Bestechungen draufgegangen sein.

Drittens ist festgestellt, dass das Direktorium der Firma Krupp nach eigenem Geständnis alle wesentlichen von Brandt ausspionierten Geheimnisse der Heeresverwaltung schon vorher gekannt hatte. Hierbei handelte es sich nach den Erklärungen der Sachverständigen auch um äußerst geheime Dinge selbst für Krupp, und in Bezug auf eben diese Geheimnisse, die der Firma Krupp schon vorher bekannt waren, bezeugte einer der Krupp-Direktoren: Er habe sich an den Kopf gegriffen und gefragt, wie denn Brandt diese Dinge habe erfahren können; Brandt, so war offenbar gemeint, dieser Subalterne! – der doch wohl nur Beziehungen zu Subalternen haben kann! Das heißt wiederum, dass derartige Geheimnisse der Firma Krupp von nicht subalterner Seite her bekannt gewesen sein müssen. Danach ergibt sich mit zwingender Logik, dass die Firma Krupp noch andere Quellen ihrer Geheimwissenschaft außer Brandt und seinen Hintermännern gehabt hat und dass diese Quellen in erheblich höheren Regionen liegen müssen als die im Prozess Tilian aufgedeckten; sicher nicht im Bereiche der „feilen Schreiberseelen".

Und dass an diesen Quellen nicht der Knabe Brandt oder seinesgleichen gesessen hat.

Wer wird die Sicherheit dieser Schlussfolgerung anzuzweifeln wagen? Der möge unzweideutig, rückhaltlos die Herkunft der illegalen Wissenschaft der Firma Krupp darlegen. Wir wollen klar sehen! Heraus mit der Sprache! Heraus mit den Namen der beteiligten Beamten! Heraus mit den Daten der Dokumente! Bis dahin aber sollte wahrlich kein Mensch sich fürderhin erdreisten, das Wort „kein ,Panama' in der Militärverwaltung" in den Mund zu nehmen; sonst muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihm auf Vertuschung und Verwirrung, nicht aber auf Ausrottung des Übels ankommt.

Festgestellt ist viertens in Bezug auf die Korruption in der Militärverwaltung, dass zum Ärger Krupps auch andere Rüstungsfirmen vorzüglich informiert waren, und zwar angeblich noch besser als Krupp. Woher können diese Informationen stammen? Aus legalen Quellen noch viel weniger als bei Krupp, da der Kreis der „Geheimnisse" ihnen gegenüber noch größer war. Und die Mittel zur illegalen Erlangung der Informationen müssen noch schärfere gewesen sein, weil die anderen Firmen nicht von der gleichen faszinierenden Glorie umgeben sind.

Festgestellt ist fünftens im Allgemeinen eine geradezu gemeingefährliche Umklammerung der Militärverwaltung und des gesamten Staatswesens durch das profitlüsterne skrupellose Rüstungskapital, die besonders durch das Mittel einer weitgehenden Personalunion gefördert wird. Hierher gehört, was bereits im Reichstag hervorgehoben wurde: die demoralisierende Wirkung der Aussicht auf Anstellung bei den Millionenfirmen. Bei Krupp angestellt werden, ist für Offiziere und Verwaltungsbeamte ein glänzendes Avancement. Die Sucht nach dieser Karriere geht, wie männiglich weiß, weit über Feuerwerker und Zeugoffiziere hinaus. Was liegt näher, als durch allerhand Gefälligkeiten um die Gunst Krupps zu buhlen? Dieser Quell der Korruption gehört zu den stärksten und giftigsten; ohne dass er verstopft wird, ist Gesundung unmöglich. Hier ist ein wichtiges Stück des Kampfes um die wenigstens formelle Integrität der Staatsverwaltung gegenüber der unmittelbaren Geldmacht des Großkapitals auszufechten.

Festgestellt ist sechstens, dass all diese Misswirtschaft im Herzen der Militärverwaltung sich Jahre hindurch unbemerkt und ungehindert entwickeln konnte.

Genügt das den Herolden deutscher Verwaltungsreinlichkeit noch nicht?

Nun, so beweisen sie, dass das Gefühl für diese Reinlichkeit in Deutschland in atembeklemmender Weise verlorengegangen ist, dass Skrupellosigkeit Trumpf ist und dass das Großkapital und die von ihm beherrschte „öffentliche Meinung" auch in Deutschland sich bereits in zynischer Offenherzigkeit zur Moral des „jenseits von Gut und Böse" bekennen.

Was soll das triumphierende Geschwätz, dass kein Landesverrat erwiesen sei und dergleichen? Im Reichstag ist von vornherein ausdrücklich hervorgehoben, dass Landesverrat nicht wohl in Frage komme; und jetzt möchte man mein „Panama" konstruieren, indem man triumphiert, dass – ich recht habe. Welch böses Gewissen müssen diese törichten Schreier haben. Nichtsdestoweniger bleibt bestehen, dass die von der Rüstungsindustrie in die Militärverwaltung getragene Korruption auch die Disposition zu landesverräterischen Handlungen bedenklich erhöhen muss. Das wurde im Reichstag betont, und der möge aufstehen, der es zu bestreiten unternimmt. Und bei der internationalen Versippung des Rüstungskapitals und bei der Weltlieferantenstellung Krupps im Besonderen besteht die dringendste Gefahr, dass die in strafbarer Weise erlangten Kenntnisse von Konstruktionsgeheimnissen und Plänen durch die geschäftigen Agenten Krupps auch ins Ausland getragen werden.

Bedarf es noch vieler Worte über die Korruption des Rüstungskapitals, über das „Panama" der Rüstungsindustrie? Gibt es nur einen Fall Brandt, oder gibt es einen Fall Krupp? Ach Gott, ich gehöre wahrlich nicht zu den Optimisten. Die Grenzen, die – trotz aller Ehrenhaftigkeit der amtierenden Justizbeamten – der kapitalistischen Justiz im Allgemeinen und der preußisch-deutschen Justiz im Besonderen gesetzt sind, sind mir nur allzu geläufig, und ich habe bereits hundert gegen zehn verwettet, dass die Krupp-Direktoren nicht angeklagt werden, und tausend gegen eins, dass, wenn sie dennoch angeklagt werden sollten, ihre Verurteilung nicht erfolgen wird. Und dennoch steht für meine sozialdemokratisch geschulte Auffassung schon heute fest, dass das Krupp-Direktorium neben Brandt auf die Anklagebank gehört.

Diese Herren, denen die Bestechung im Auslande zum täglichen Brot gehört, sind wirklich und wahrhaftig keine Waisenknaben voller Ahnungslosigkeit in puncto vaterländischer Bestechung. Natürlich werden Bestechungen nicht förmlich und schriftlich in Auftrag gegeben. Die Krupp-Direktoren aber wussten und mussten wissen, dass das von Brandt und anderen Informatoren Ermittelte nur auf krummen Wegen erlangt sein konnte; sie wussten und mussten wissen, dass Verrat militärischer Geheimnisse vorlag; sie wussten und mussten wissen, dass dieser systematische Verrat ohne Bestechung unmöglich war; sie haben dem Brandt und den anderen Agenten die materielle Möglichkeit der Bestechung gewährt; sie haben die verratenen militärischen Geheimnisse fruktifiziert. Sie sind damit der Anstiftung zur Bestechung und zum Verrat militärischer Geheimnisse überführt. Bereits heute überführt, trotz aller Ausreden, trotz aller durchsichtigen Manöver, die den Stempel des Schuldbewusstseins nur um so deutlicher auf ihre Stirn brennen.

Und es steht auch fest, dass die Krupp-Direktion diese strafbaren Handlungen begangen hat um nackten materiellen Gewinns willen. Die lächerliche Ausflucht, dass die Manipulationen nur dem Zweck gedient hätten, die Herabsetzung der Preise zu veranlassen, steht auf derselben Höhe wie jener Entschuldigungsversuch der Munitions- und Waffenfabrik in Bezug auf den berüchtigten Pariser Brief. Erlangung von Aufträgen für Krupp war das Ziel, das durch die Ausspionierung der Konkurrenzangebote und -preise erstrebt wurde. Den Konkurrenten durch hinterlistiges Wegschnappen ihrer Konstruktionen das Futter nehmen, ist das patriotische Ideal, für das das Herz jener Herren pocht.

Und eines sei vor allem nicht vergessen: Die Spionage richtete sich nicht nur gegen die private Konkurrenz, sie erstreckte sich auch auf Versuche und Konstruktionen in den staatlichen Waffenfabriken, Werkstätten und Laboratorien, ging also ganz unmittelbar gegen die Militärverwaltung selbst. Es wird dafür gesorgt werden müssen, dass die Öffentlichkeit auch darüber hinreichend aufgeklärt wird; die Verhandlung vor dem Militärgericht hat über diesen Punkt den Schleier der Nacht gelassen.

Aber trotz alledem, Herr von Dewitz, Herr Dreger, Herr Rötger sind „ehrenwerte Männer", das sind sie alle, die Krupp-Direktoren – „ehrenwerte Männer". Warten wir ab, ob ihnen auch nur ein Härlein gekrümmt werden wird.

Den militärischen Behörden und allen „Haltet-den-Dieb"-Schreiern, denen, die durch ein kindisches Hokuspokus das „Panama" des Rüstungskapitals eskamotieren und taschenspielerisch durch mein „Panama" ersetzen möchten, und allen denen, die die Öffentlichkeit durch die bequeme Finte von den „feilen Schreiberseelen" ablenken möchten, empfehle ich schon jetzt aufs angelegentlichste das Studium der Akten 1 E. J. 501/1912 der Staatsanwaltschaft am Landgericht II Berlin. Ich denke, dass es dort, selbst für einen abgebrühten Geschmack, genügend paprizierte Kost in hinreichender Fülle gibt, obwohl, wie es scheint, auch da kein Angeklagter gefunden wird.

Und dann noch eines. Als ich im Frühjahr dieses Jahres in der Budgetkommission das Schmiergelderunwesen bei kleineren militärischen Lieferungen – nicht in der Rüstungsindustrie – zur Sprache brachte, war es der Kriegsminister, der mit Pathos die Behauptung eines weitverbreiteten derartigen Missstandes als eine schwere Verunglimpfung der Militärverwaltung zurückwies. Heute ruft ein großer Teil der nationalen Presse voll Emphase: „Kapitalisten Deutschlands, wahret eure heiligsten Güter, wahret das Recht auf Schmiergeld!" Wie ein Cherub mit dem Flammenschwert stellt sich das Allteutschtum schützend vor das Paradies der Bestechung, des Verrats militärischer Geheimnisse im Profitinteresse der Rüstungsindustrie. „Die Post" wie die „Rheinisch-Westfälische Zeitung" predigen mit lohender Löwenherzhaftigkeit das Kreuz gegen mich, den niederträchtigen Feind des Glaubens an das allein seligmachende Schmiergeld. Und zur Deckung der Schmiergeldgeber und -nehmer, der Bestecher und der Bestochenen, der Verräter militärischer Geheimnisse und ihrer Anstifter sucht man mich mit den schäbigsten Mitteln persönlich herunterzureißen. Wir haben's herrlich weit gebracht!

Mir ist's wahrhaftig recht, wenn man zur Entschuldigung der sieben Schacher auf der Anklagebank des Kriegsgerichts alle möglichen Gründe ins Feld führt; sie tun auch mir als Personen leid genug. Doch mischt sich in diese Entschuldigungsbemühungen ein Zug widerlich unwahrhaftiger Sentimentalität. Was will man? Neunundneunzig Prozent der Opfer unserer heutigen Justiz haben mindestens den gleichen Anspruch auf Mitgefühl wie die Tilian und Genossen. Jene abgeschmackte Sentimentalität eines Teils der kapitalistischen Presse muss aber – so sehr wir den Schuldigen vom Standpunkte menschlichen Empfindens selbst völligen Freispruch wünschten – dennoch um so schärfer zurückgewiesen werden, als sie auf einem anderen Wege denselben Zweck verfolgt, den die nackte Rüstungspresse anstrebt, indem sie die ganze Last der Schuld auf einige kleine Subalterne abzuwälzen sucht: die Größe des Übels fort zu schwindeln und die Verfolgung der großen Sünder, der wirklich Schuldigen, der jedenfalls tausendfach Schuldigeren zu hindern.

Jeden Tag bringt die Presse Meldungen über die weitere Entwicklung der „Affäre", jeden Tag folgen Dementis; voll Sorge blicken die Kein-„Panama" -Schreier in die Zukunft, ihr böses Gewissen lässt ihnen keine Ruhe. Und die Justiz scheint noch unschlüssig hin und her zu schwanken. Die Möglichkeit, dass sich das Verfahren, sogar das gegen Brandt, à la Eulenburg-Prozess in das End- und Bodenlose verliert und versandet, rückt nach den neuesten Meldungen nahe.

Aber komme, was kommen mag! So gewiss der Abgrund der Korruption noch immer große, ungeahnte Geheimnisse birgt, so wenig dürfen wir das unterschätzen, was bereits heute feststeht. Für uns ist die weitere Entwicklung der Sache, soweit die Justiz ihres Amtes zu walten hat, sicher nicht gleichgültig; indessen soll darüber kein Zweifel sein: Bereits heute ist das politisch Wesentlichste hinreichend aufgehellt. Es gilt nunmehr, die politischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Diesem Ziel gilt jetzt unser Kampf, möge die Justiz versagen oder nicht.

1 1893/1894 fanden in Frankreich zwei aufsehenerregende Prozesse statt, die eine große Betrugs- und Bestechungsaffäre im Zusammenhang mit dem Bau des Panamakanals durch eine französische Aktiengesellschaft aufdeckten. Angelehnt an den Panamaskandal wurden späterhin weitere große Betrugsaffären als „Panama" bezeichnet.

2 Deckname für die nach Essen gesandten Spionageberichte. Die Red,

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