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Karl Liebknecht: Potpourri vom Titelschacher

Karl Liebknecht: Potpourri vom Titelschacher

[Vorwärts (Berlin), Nr. 140, 25. Mai 1914. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 391-399]

General von Lindenau

Die „National-Zeitung" vom Sonnabend kündigt an, dass die Staatsanwaltschaft „unter Umständen" gegen – den „Vorwärts" und mich Anklage wegen verleumderischer Schmähung des Andenkens des geschäftstüchtigen Generals aus § 189 des Strafgesetzbuches erheben werde. Trotz der Wut, mit der der Kriegsminister und der General Wild zu Hohenborn auf meine erste Mitteilung über den Fall Lindenau im Reichstag reagierten, ist es leider recht zweifelhaft, ob die Staatsanwaltschaft einen solchen Schwabenstreich verüben wird. Es sind ja inzwischen über diesen Günstling des deutschen Kaisers auch in der staatserhaltenden Presse noch recht erbauliche Dinge ans Licht gefördert worden. Mit aller Bestimmtheit verlautet, dass der General seinen Geldgebern innerhalb seines Machtbereichs beim Abschluss von Verträgen mit der Militärverwaltung Vorteile zuzuschanzen suchte, und zwar, wie es scheint, nicht ohne Erfolg. In Trier kursieren darüber Gerüchte, die man als abenteuerlich beiseite schieben würde, wenn nicht das Abenteuerliche gerade in diesem Fall das Normale wäre.

Jedenfalls steht unumstößlich fest, dass die schneidige Exzellenz mit halbdunklen und ganz dunklen Geschäftsleuten der verschiedensten Art insbesondere in Berlin in langjähriger, intimster Geschäftsverbindung gestanden hat, und zwar bis zu seinem Tode, und dass er eine Menge Vermittler in Ordens- und Titelsachen an der Hand gehabt hat.

Hier sei noch ein Brief, dessen Original sich wiederum in meinen Händen befindet, wörtlich wiedergegeben:

Trier, 22. Mai 1912

Verehrter Herr!

Ihren Brief erhalten, teile ich Ihnen zunächst mit, dass ich überhaupt nicht das Geld aus der Hand von Herrn Dr. …, sondern von dem mit Vollmacht ausgestatteten Herrn … erhalten habe. Quittung und alles ist vorhanden. Ich habe 3000 Mark zu wenig bekommen, bereits schwere Kämpfe darum gehabt und kann Ihnen das nur mündlich auseinandersetzen, wenn ich im Juni einmal nach Berlin komme. Wenn damals aus der Sache nichts wurde und ich das ganze Geld zurückzahlen musste, so lag das daran, dass Herr … auf Anraten seiner Frau auf die ganze Sache verzichtete.

Achtungsvoll

v. Lindenau

Dieser Brief bezieht sich, wie ausdrücklich hervorgehoben sei, auf eine andere Angelegenheit als die in dem bereits veröffentlichten Dokument vom 20. April 1913 in Frage stehende. Hier sollte für die runde Summe von 25.000 Mark zugleich einem noch sehr jugendlichen Berliner Arzt der Professortitel und einem Provinzkaufmann der Kommerzienratstitel verschafft werden.

Nicht uninteressant ist es, wie General v. Lindenau bei seinen Geschäften zuweilen gelehrige Schüler gewonnen hat. Mir liegt der Beweis dafür vor, dass ein Berliner Arzt, der um des Professortitels willen mit v. Lindenau in Verbindung getreten war, sich alsbald auch mit Feuereifer der Titelvermittlung widmete. Allerdings waren seine Preise anscheinend sehr hoch, da er für einen Kommerzienratstitel 65.000 bis 70.000 Mark beanspruchte.

Nach dem mir vorliegenden Material dürfte sich die Version, dass General v. Lindenau zwar Titelschacher und dergleichen versucht, aber keine Erfolge erzielt habe, nicht wohl aufrechterhalten lassen.

Der Reichsverbandshäuptling Dr. Ludwig

Wie der „Vorwärts" bereits gestern erwähnte, hat Dr. Ludwig bei der dem Reichsverband nahestehenden Presse einen Rechtfertigungsversuch unternommen. Seine Erklärung lautet: Die in Nr. 136 des „Vorwärts" veröffentliche „Enthüllung" von Karl Liebknecht hat mit dem Reichsverband gegen die Sozialdemokratie1 nicht das mindeste zu tun. Ich selbst habe aus Gefälligkeit – natürlich nur als Privatmann und nicht als zweiter Beamter des Reichsverbandes – auf Wunsch eines mir bekannten Arztes Erkundigungen eingezogen, ob es wohl möglich sei, ihm den Professortitel zu verschaffen. Die mir gegebene Auskunft habe ich auf Grund stenographischer Notizen gutgläubig weitergegeben. Mir stiegen aber hinterher Zweifel über die Richtigkeit auf, und ich überzeugte mich, dass die Angaben unzutreffend waren. Ich habe daher in der Sache nichts mehr getan, die Beziehungen abgebrochen und weder einen Pfennig Vermittlungsgebühr gefordert noch empfangen. Der betreffende Arzt hat auch den gewünschten Titel nicht erhalten.

z. Z. Dörfel b. Reichenberg i. Böhmen

Dr. Ludwig

Die Jämmerlichkeit dieses Rechtfertigungsversuches bedarf keines weiteren Kommentars. In tatsächlicher Beziehung sei bemerkt, dass Dr. Ludwig an den betreffenden Arzt herangetreten ist, nicht umgekehrt, und dass die Behauptung, er habe sich von der Unrichtigkeit der „Angaben" überzeugt und daher in der Sache nichts mehr getan, eine blanke Unwahrheit ist. In meinen Händen befinden sich drei Briefe des Dr. Ludwig über die gleiche Angelegenheit und an den gleichen Adressaten, einer vom 5. September 1911, ein zweiter vom 15. September 1911 (der bereits abgedruckte) und ein dritter vom 13. Februar 1912, der hier folgen möge:

Redaktion der Monatsschrift für Deutsche Beamte

Berlin W. 57, den 13. Febr. 1912 Mansteinstr. 1,

z. Z. Meran, Südtirol,

Pension Gilfklamm

Chefredakteur Dr. Ludwig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Mein Gewährsmann in Sachen P. (= Professor) fragt mich an, ob er sich nicht mit Ihnen direkt in Verbindung setzen kann. Er hat Ihnen jetzt eine günstigere Offerte zu unterbreiten. Da ich natürlich dies nicht ohne Ihre Genehmigung tue, erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie damit einverstanden sind. Es würde sich dann der Weg vereinfachen.

Ich muss mich hier von meinen durch die Reichstagswahl strapazierten Nerven erholen, finde, dass mir Meran sehr guttut. Da ich noch etwa 14 Tage hier bleibe, bitte ich Sie um möglichst umgehende Nachricht, ob Sie noch auf die bewusste Angelegenheit reflektieren.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Dr. Ludwig

Der betreffende Arzt hatte die Sache längere Zeit auf sich beruhen lassen. Nachdem Dr. Ludwig bei den Reichstagswahlen so aufreibenden Dienst fürs Vaterland und die heiligsten Güter der Nation geleistet hatte, dass seine Nerven auf dem Hund waren, kam er mit diesem Briefe drängend und treibend wieder auf die Sache zurück. Niemals noch konnte ein Mensch jenes Wort: patriae inserviendo consumor, d. L, im Dienst des Vaterlandes reibe ich mich auf, mit mehr Recht von sich gebrauchen als Herr Dr. Ludwig. Und so war es nur ganz in der Ordnung, dass er sich nach dem fürchterlichen Reinfall bei den Reichstagswahlen nunmehr wieder Trost suchend dem einträglichen Titelschacher zuwandte.

Man beobachte die rein kaufmännische Ausdrucksweise dieses Briefes. Der Brief könnte geradeso gut wie vom Professortitel von einem Posten Filzpantoffeln oder Schweißpuder oder dreisternigem Kognak handeln. Offenbar lässt sich beim Titelhandel auch feilschen. Das zeigt die „günstigere Offerte". Man hat eben seine Geschäftsprinzipien. Man ist ja auch ein so frommer, gottesfürchtiger Christ, dass man sich den Professortitel für Juden teurer bezahlen lässt als für Christen.

Nimmt man die köstlichen Briefe, die die „Breslauer Volkswacht" veröffentlichen konnte, hinzu, so sieht man, wie Dr. Ludwig sich bereits eine eigene Terminologie angewöhnt hat. Gewisse markante Wendungen, z. B. die vom „Zug-um-Zug-Geschäft", die sich stereotyp wiederholen, legen beredtes Zeugnis ab von den durch die Übung im Titelgeschäft erworbenen Stilgewohnheiten des Reichsverbandshäuptlings. Wer zweifelt wohl noch daran, dass Herr Dr. Ludwig nur einmal einem bösen Versucher zum Opfer gefallen ist und nie wieder?

Einer von den Kleinen

Folgendes Brieflein hat typische Bedeutung:

Fritz Lindenberg, Berlin-Wilmersdorf

Export, Kommission St.- Gallener Artikel

Girokonto: Mitteldeutsche Kreditbank, Wilmersdorf

Girokonto: J. Berliner, Bankgeschäft, Berlin, Brüderstr. 13

Betrifft: Ehrung

Motzstr. 49, den 29. November 1912

Fernspr.: Pfalzburg 1140

Streng vertraulich! Herrn Dr….

Sehr geehrter Herr Doktor!

In einer Sie besonders ehrenden Angelegenheit bitte ich um eine Unterredung.

Belieben Sie mir gefl. hierfür Zeit und Ort zu bestimmen.

In großer Hochachtung

ganz ergebenst

Fritz Lindenberg

Natürlich betraf die „Ehrung" den Professortitel. Herr Fritz Lindenberg, der auch Breitestr. 25, also nahe am Schloss, domiziliert, ist der Vorsitzende eines Lokalkomitees des Berliner Vereins für Ferienkolonien, macht also außer in Titeln auch in Wohltätigkeit. Er sitzt in diesem Lokalkomitee neben – dem Reichstagspräsidenten Dr. Johannes Kaempf, dem Unterstaatssekretär Dr. jur. Michaelis, dem Oberkonsistorialrat Professor Kawerau und anderen, woraus sich sofort ergibt, dass der für die Wohltätigkeit vergossene Schweiß für einen spekulativen Kaufmann immerhin auch gewisse geschäftlich wertvolle Annehmlichkeiten mit sich bringt.

Die geheimnisvolle Pforte zum königlichen Schloss

Die Wege zu einem königlichen preußischen Titel sind gar mannigfaltig. Der romantischste wohl führt durch eine Hintertür unmittelbar ins kaiserliche Schloss. Zum Beispiel so: Man wird von einem Eingeweihten in Lagergreens Konditorei, Schlossplatz 5, bestellt. Sogar ganz ungeniert auf einer offenen Postkarte. In diesem traulichen Café wird man mit einer Dame bekannt gemacht – nicht etwa der sagenhaften „weißen Dame" aus dem Hohenzollernschloss, sondern einer Dame von durchaus realer Körperlichkeit. Und diese Huldin leitet den Titelbedürftigen gnädiglich ins Hohenzollernschloss wie einstens die Walküren den tapferen Krieger in Walhalls Gefilde. Ein Beamter der Schatullverwaltung Ihrer Majestät der Kaiserin (aus dem Jahre 1912, heute nicht mehr im Dienst) ist das Ziel. Der Trost, den er dem Durstigen spendet, ist freilich etwas gesalzen. Vierzigtausend Mark für den Professortitel! Da vergeht selbst dem Durstigsten leichtlich der Durst.

Es ist kein Märchen, das ich hier erzähle. Im September 1912 hat es sich ereignet. Ob auch sonst noch? Vielleicht wird der Staatsanwalt darüber einiges in Erfahrung bringen.

Herr Kultusminister! Sie dürfen sich wahrhaftig nicht einbilden, dass es in Preußen keinen anderen Weg zum Heile des Medizinalprofessortitels gebe als den durch das Kultusministerium!

Der Titel- und Ordenstarif

Roter Adlerorden 4. Klasse:


Für Akademiker

8.000 M

Für Nichtakademiker

12.000 M

Kommerzienrat für Preußen:


m regulären Verfahren (unter Innehaltung des üblichen Instanzenzuges)

50.000 M

Bei beschleunigtem Verfahren (unter Umgehung dieser Instanzen)

60.000 M

Für Hessen, Baden, Coburg usw. stellt sich der Kommerzienrat billiger um etwa

10.000 M

Preußischer Kommissionsrat

25.000 M

Wobei man sich herunterhandeln lassen kann bis

20.000 M

Preuß. Professor für Ärzte, Künstler usw.

25.000 M

In Coburg und den anderen Bundesstaaten macht der Professortitel nur

20.000 M

Zuweilen sogar nur

18.000 M

Hoflieferant des Kaisers oder der Kaiserin

15.000 M

Hoflieferant des Kronprinzen oder der Kronprinzessin

12.000 M

Eventuell abzuhandeln bis auf

10.000 M

Hoflieferant in Coburg, Hessen usw.

8.000 M

Hoflieferant in Waldeck-Pyrmont nur

5.000 M

Kammersänger je nach d. Bundesstaat zwischen

5.000 M

bis

10.000 M

Konsul- und Generalkonsultitel auswärtiger Staaten je nach der Größe und Bedeutung des Staates von

10.000 M

bis

30.000 M

Nobilitierung (Adelsprädikat):


In Preußen

300.000 M

bis

400.000 M

In Coburg

250.000 M

Man sieht, dass zur Blaufärbung des gewöhnlichen Bürgerblutes eine ganz erkleckliche Menge Goldes erforderlich ist. Dieser oder ein ähnlicher Tarif pflegt den „Schleppern" und „Schiebern" aufgegeben zu werden. Wir wagen natürlich nicht die Behauptung, dass er bindend ist und dass es jederzeit möglich ist, „Zug um Zug" gegen diese Tarifsätze die betreffende „Ehrung" zu erwerben. Die Tatsache aber, dass ein derartiger Tarif bei den „Schiebern" und „Schleppern", den „Oberschiebern" und „Oberschleppern" verbreitet ist, und das nicht etwa erst seit gestern, sondern seit vielen Jahren, und dass das Gewerbe seinen Mann ernährt, spricht dafür, dass diesem Tarif eine gewisse Realisierungsfähigkeit innewohnt.

Sieht ein „Opfer" oder ein „Dummer" besonders wohlhabend aus, so wird den „Schleppern" und „Schiebern" die Pflicht auferlegt, den Preis aufzuschlagen, wie unter gewissen Voraussetzungen auch unter die Grundtaxe gegangen werden kann. Von dem Betrag erhält der „Schlepper" oder „Manager", auch „Taster" oder „Sonde" genannt, zirka fünf Prozent. In gewissen Fällen auch mehr. Bei einem vor kurzem verstorbenen Obermanager adligen Geblüts erhielt ein anderer noch lebender Manager der Regel nach 10 Prozent. Nach manchen bösen Erfahrungen ist in den letzten Jahren, so heißt es, immer nur gegen Vorschuss gearbeitet worden.

Es scheint, dass die Staatsanwaltschaft hier mancherlei zu tun bekommen könnte, wenn sie geschickt arbeiten und rasch und rücksichtslos zugreifen würde.

1 Eine nach dem sozialdemokratischen Wahlerfolg bei den Reichstagswahlen im Jahre 1903 im Mai 1904 gegründete Spezialorganisation des deutschen Monopolkapitals für den Kampf gegen die Sozialdemokratische Partei. Nach dem Wortlaut des Gründungsaufrufs stellte sich diese von den Arbeitern „Reichslügenverband" genannte Organisation die Aufgabe, „alle Deutschen ohne Unterschied des religiösen und politischen Bekenntnisses" zum Kampf gegen die Sozialdemokratie zusammenzuschließen. Finanziert wurde sie vornehmlich durch die Monopolkapitalisten an Rhein und Ruhr. An der Spitze dieser militaristischen, chauvinistischen und antidemokratischen Propagandaorganisation stand General Eduard von Liebert, der gleichzeitig Mitglied der Hauptleitung des Alldeutschen Verbandes und Vorstandsmitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft war und auch im Deutschen Flottenverein eine erhebliche Rolle spielte. Der Reichsverband bestand bis 1914.

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