Karl Liebknecht‎ > ‎1914‎ > ‎

Karl Liebknecht 19140520 Reichsverbandshäuptling und sonst noch was!

Karl Liebknecht: Reichsverbandshäuptling und sonst noch was!

[Vorwärts (Berlin), Nr. 136, 20. Mai 1914. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 356-361]

General v. Lindenau bildet eine einzelne traurige Ausnahme." „Die Auffassung, dass sein Fall nur das Symptom einer allgemeinen Korruptionserscheinung sei, ist eine Narretei"; so lautet das Echo der meisten bürgerlichen Blätter auf den Artikel vom Montag. Nun gut, wir werden sehen. Ich hätte ein Grab aufgerissen und einen Toten herausgezerrt, so deliriert die „Post". Nun gut, so wollen wir an die Lebendigen gehen. Und deren gibt es wahrlich nicht wenige; denn das Titel- und Ordensgeschäft ist auch in unserem Preußen echt preußischer Eigenart ein „gutes Geschäft" und wirft saftige Provisionen, „Bewegungsgelder" und „Waschgelder" und noch manches andere ab.

Ein gar weitverzweigtes System von „Schleppern" und „Hauptschleppern", von „Schiebern" und „Oberschiebern" ist über das ganze Land gebreitet und reicht selbst bis ins Ausland. Hunderte von Menschen mögen allein in Berlin ihr Leben dadurch fristen oder sich eine starke Nebeneinnahme verschaffen, dass sie in Titel und Orden „arbeiten". Die Zahl der „Dummen" ist ja so gewaltig groß. Freilich sind es nicht immer „Dumme", die die Leute vom Metier so zu nennen pflegen; denn Titel und Orden rentieren sich für die damit Gesegneten häufig ganz vortrefflich.

Die „Kreuz-Zeitung" fordert, dass unseren Angaben über General v. Lindenau nachgegangen werde, „und zwar in der rücksichtslosesten Weise, damit die Mitschuldigen, an denen es ja hier kaum fehlen kann, zur Verantwortung gezogen werden können und damit in die ganzen hier in Frage kommenden Verhältnisse gründlich hineingeleuchtet wird". „Es muss der Nachweis geliefert werden" – so schreibt sie –, „dass, wenn sich bei uns irgendwo etwas von Korruption zeigt, wir den Mut haben und es vertragen können, sie restlos aufzudecken." Nun wohl, so wollen wir zunächst aus unserem Material das folgende Brieflein vorsetzen:

Dr. Franz Ludwig

Staatswissenschaftlicher Schriftsteller

Streng vertraulich!1

Berlin W. 57, den 15. Sept. 1911

Mansteinstr. 1

Sehr geehrter Herr Doktor!2

Soeben hatte ich mit meinem Gewährsmann eine Zusammenkunft, der mir folgende Eröffnungen machte:

Die Erlangung des Professortitels bei außerpreußischen Höfen ist nicht mehr, wie früher, durchführbar, wenigstens nicht für Ärzte. Offenbar hat Preußen in dieser Richtung die Möglichkeit verbaut. Auch in Preußen gibt es Schwierigkeiten, weil die Professoren der medizinischen Fakultät solche Ernennungen zu verhindern bestrebt sind. Die Möglichkeit ist trotzdem vorhanden, aber die Kosten sind sehr hohe. Nach herrschender Verwaltungspraxis muss derjenige, der einen solchen Titel von Sachsen, Hessen, Weimar usw. erhalten hat, ein Gesuch an die zuständige Behörde richten, dass ihm die Annahme des Titels gestattet werde. Das ist zum Teil Formsache. Die Annahme wird gestattet, jedoch die Bedingung auferlegt, dass der Titel in einer Weise gebraucht wird, dass die nichtpreußische Herkunft ersichtlich ist, z. B. Großherzoglich sächsischer, Fürstlich lippescher Professor usw. Auch diese Bestimmung scheint ihren Ursprung in der medizinischen Fakultät zu haben. Die Professoren wünschen natürlich, dass ihr Titel nicht entwertet wird, und möchten natürlich am liebsten, dass andere als Universitätsdozenten den Titel überhaupt nicht erhalten.

Der von Preußen verliehene Titel, also ohne Zusatz, ist natürlich am wertvollsten, aber auch am teuersten. Ihre Personalien sind an maßgebender Stelle vorgelegt worden, weil, sich die Forderungen von Fall zu Fall anders stellen. Höher bei Ausländern als bei Inländern, höher bei Juden als bei Nichtjuden Man verlangt also in Ihrem Falle:

1. Sie müssen, damit das Dekorum gewahrt wird, noch eine gedruckte Abhandlung einreichen. Diese braucht nicht umfangreich zu sein, es ist nur Formsache. Zum Beispiel: Sie veröffentlichen einen Aufsatz in einer Fachzeitschrift und lassen davon Sonderabdrucke als Broschüre anfertigen oder direkt eine solche ad hoc geschriebene Broschüre drucken. Dies ist jedoch nur Formsache, damit man sich darauf berufen kann, Sie haben etwas Wissenschaftliches veröffentlicht.

2. An eine gewisse Stelle sind zu zahlen 40.000 Mark und 1500 Mark Vermittlungsspesen. Der Betrag verfällt nur dann, wenn Sie das amtliche Ernennungsdekret vom Kultusminister in der Hand haben. Sollte trotzdem, durch irgendeine Zufälligkeit, was nicht wahrscheinlich ist, die Ernennung scheitern, so haben Sie keinen Pfennig zu zahlen. Es ist also ein Bar- oder Zug-um-Zug-Geschäft. Das Nähere über die Einzahlung bei einem eingeweihten Notar wird erst mitgeteilt, sobald Ihr Entschluss vorliegt. Irgendein Risiko laufen Sie nicht. Die strengste Diskretion wird garantiert.

Mein Gewährsmann sagt, dass manche Ärzte in Berlin mit Freuden den Betrag zahlen würden, wenn sie den Professortitel erlangen. Wer irgendwie belastet ist und nicht eine ganz weiße Weste hat, kann es überhaupt auch für Geld nicht erreichen. Ohne sehr saubere Manschetten ist die Ernennung überhaupt nicht erreichbar.

Ich wusste, dass die preußischen Titel am höchsten im Kurse stehen, hatte mir aber die Sache viel billiger gedacht. Sie müssen nun selbst ermessen, ob Ihnen das Objekt nicht zu hoch erscheint, ob Sie das angelegte Kapital entsprechend verzinsen und rasch amortisieren können. Dass letzteres möglich ist, bezweifle ich ja schließlich nicht. Aber das ist ja Ihre Sache.

Mein Gewährsmann wünscht, dass Sie sich binnen acht Tagen entscheiden. Wenn Sie ablehnen, ist damit meine Mission erledigt. Ich bitte Sie aber unter allen Umständen um strengste Diskretion. Nicht etwa, dass Sie die Bemerkung irgendwo fallenlassen, dass soundso viel das und das kostet! Darauf muss ich mich verlassen können. Ich erwarte also Ihre gefällige Entscheidung bis zum 22. September und verbleibe mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener Dr. Ludwig3

Prüfen Sie in Ruhe und kühl rechnerisch die Angelegenheit. Ich sende den Brief „eingeschrieben", weil er nicht in unrechte Hände kommen darf.

Wer ist dieser Dr. Franz Ludwig? Wir schlagen das Lexikon „Wer ist's?" auf und lesen da unter anderem: Dr. Franz Ludwig. Geboren 3. November 1868 Schimsdorf bei Reichenberg i. Böhmen. Seit 1907 zweiter Hauptgeschäftsführer des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie, Volkswirtschaftler, Schriftsteller. Hauptgebiete: praktische Nationalökonomie, Finanzwissenschaften, Staats- und Verwaltungsrecht. Werke u. a.: Im Fliederbusch, Gedichte; Thüringer Waldvereinsliederbuch; Die Reichstagswahlen von 07 und die Sozialdemokratie; Kommunismus, Anarchismus, Sozialismus; Die Sozialdemokratie, eine republikanische Partei.

Arme „Post", arme „Tägliche Rundschau". General v. Lindenau ist tot. Aber Dr. Franz Ludwig lebt und ist neben General v. Liebert der Hauptmatador des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie4

Armer Reichsverband! Wer hätte sich das träumen lassen, als vor wenigen Wochen dein Jubiläum gefeiert wurde und, preisend mit viel schönen Reden, die riesigen Verdienste des Reichsverbandes um die Aufrechterhaltung der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung besungen und beschwätzt wurden!

Armer Reichsverband! Dr. Franz Ludwig ist ja der Stärksten einer unter den Deinen! Seines Geistes Hauch weht durch die Schriften des Reichsverbands. Auf die gemeingefährliche, umstürzlerische Sozialdemokratie hat er jahrelang alle Hunde gehetzt. Wer immer es wagte, die verlogene und vergiftende Kampfesweise des Reichsverbandes aufzudecken, wurde von ihm rücksichtslos verfolgt. Nicht Worte genug wusste dieser Mann zu finden, die Niedertracht der Sozialdemokratie mit patriotischer Emphase zu brandmarken. Und nun entpuppt sich dieser Prophet und Künder der Herrlichkeit unserer heutigen Gesellschaftsordnung und des deutsch-preußischen Vaterlandes, dieser giftige Bekämpfer und Begeiferer der Freiheitsbestrebungen und der Ideale des kämpfenden Proletariats als ein ganz gewöhnlicher „Schieber" in Titelgeschäften.

Einst sang er Gedichte „Im Fliederbusch", heut macht er „die heiligsten Güter der Nation" zu Objekten von Bar- oder Zug-um-Zug-Geschäften. Er schreibt gegen den Anarchismus und wirkt voll Eifer an der Anarchisierung und Korruption der heutigen Staatsordnung. Er wütet gegen die antimonarchische Sozialdemokratie und unterwühlt als ein eifriger Maulwurf das monarchische System. Die Sozialdemokratie, die Erzfeindin des Christentums, so lügt er in tausend Flugblättern und verhöhnt durch die Tat zynisch die monarchische Grundlage des preußischen Staates.

Wahrhaftig – eine Stütze von Thron und Altar, bei der einem das Herz im Leibe lacht. Die „Finanzwissenschaften" hat er sicher gründlich studiert, dafür legt seine gänzlich voraussetzungslose Geschäftstüchtigkeit ein glänzendes Zeugnis ab. Dass sein „Hauptgebiet" die „praktische Nationalökonomie" ist, das heißt diejenige, die für ihn praktisch ist, dafür ist nunmehr auch der Beweis erbracht. Und von „staatswissenschaftlicher" Gründlichkeit zeugt sein Brief nicht minder, der ein ganzes System des preußischen Titelschachers zeichnet und die weite Ausbreitung des Sumpfes offenbart.

Und Dr. Franz Ludwig wird weiter zetern über die gott- und vaterlandslose und die antimonarchische Sozialdemokratie. Und mit ihm die vielen anderen Lindenaus und Ludwige des Reichs Verbandes und der kapitalistischen Korruption!

1 In der Quelle Faksimile der Handschrift. Die Red.

2 In der Quelle Faksimile der Handschrift. Die Red.

3 In der Quelle Faksimile der Handschrift. Die Red.

4 Reichsverband gegen die Sozialdemokratie – Eine nach dem sozialdemokratischen Wahlerfolg bei den Reichstagswahlen im Jahre 1903 im Mai 1904 gegründete Spezialorganisation des deutschen Monopolkapitals für den Kampf gegen die Sozialdemokratische Partei. Nach dem Wortlaut des Gründungsaufrufs stellte sich diese von den Arbeitern „Reichslügenverband" genannte Organisation die Aufgabe, „alle Deutschen ohne Unterschied des religiösen und politischen Bekenntnisses" zum Kampf gegen die Sozialdemokratie zusammenzuschließen. Finanziert wurde sie vornehmlich durch die Monopolkapitalisten an Rhein und Ruhr. An der Spitze dieser militaristischen, chauvinistischen und antidemokratischen Propagandaorganisation stand General Eduard von Liebert, der gleichzeitig Mitglied der Hauptleitung des Alldeutschen Verbandes und Vorstandsmitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft war und auch im Deutschen Flottenverein eine erhebliche Rolle spielte. Der Reichsverband bestand bis 1914.

Kommentare