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Karl Liebknecht 19140204 Sinnvolle Arbeit – wichtiger Bestandteil humanistischen Strafvollzugs

Karl Liebknecht: Sinnvolle Arbeit – wichtiger Bestandteil humanistischen Strafvollzugs

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Justizetat, 4. Februar 1914

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15,2. Bd., Berlin 1914, Sp. 1401-1406 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 38.48]

Meine Herren, dass die Gefängnisarbeit eine Notwendigkeit ist, und zwar einmal aus erziehlichen, sozialen Gründen, sodann aus Gründen der Humanität, darüber braucht man heute kein Wort mehr zu verlieren. Es ist bekannt, dass unter den Klagen über die Behandlung der Gefangenen in Russland die Klage die schwerste und leidenschaftlichste ist, dass man aus der Strafe der Zwangsarbeit die Arbeit entfernt und die Gefangenen zur grausamsten Qual verurteilt, indem man sie beschäftigungslos ihr Dasein hinbringen lässt. Ebenso wissen wir aus Russland, dass die Arbeiten, die zwecklos verrichtet werden, den Gefangenen eine schwere Qual bedeuten statt einer Ablenkung. Wenn man diese heutigen Vorgänge erwägt und die Erfahrungen der Vergangenheit der Kulturländer berücksichtigt, so kann heute kein Mensch in einem zivilisierten Staate daran denken wollen, die Gefängnisarbeit einzuschränken. Es handelt sich nur darum, sie angemessen zu gestalten.

Ich erkenne an, dass auf die freie Arbeit außerhalb der Gefängnisse Rücksicht genommen werden muss. Wiederholt habe ich die Zustimmung meiner Freunde dazu zum Ausdruck gebracht, dass bei der Gestaltung der Gefängnisarbeit auch gerade auf das Handwerk Rücksicht genommen werden soll. Ich habe allerdings auch in den Vordergrund meiner Betrachtungen gerückt, dass Rücksicht auf die Arbeiter genommen werden soll, nicht bloß auf die Unternehmer, und habe den besonderen Wunsch ausgesprochen, dass man in die Gefängnisbeiräte nicht nur Unternehmer, sondern auch Arbeiter einberufen möchte. Das ist aber nicht geschehen; und das ist ein großer Mangel. Ich möchte die Herren Vertreter der Regierung bitten, sich darüber zu äußern, warum diesem durchaus berechtigten Petitum bis heute nicht entsprochen worden ist. Die freien Arbeiter haben natürlich ein lebhaftes Interesse daran, dass ihnen durch Schleuderkonkurrenz, die mit der Gefangenenarbeit ohne Willen der Gefangenen auf Veranlassung der Behörde getrieben wird, nicht das Leben erschwert und ihr an und für sich schon schlechter Arbeitslohn gedrückt wird.

Die Art der Gefangenenarbeit hat auch bei der jetzigen Debatte eine Rolle gespielt, besonders die Frage, die uns früher schon beschäftigte, ob Handarbeit oder Maschinenarbeit. Auch der letzte Vorredner hat sein Befremden darüber ausgesprochen, dass in verschiedenen Strafanstalten Maschinen untergebracht seien. Ich habe schon früher meine Auffassung dahin ausgesprochen und wiederhole das hiermit, dass diese Klage eigentlich sehr kurzsichtig ist. Einmal ist anzunehmen, dass die große Mehrheit der Gefangenen, wenn sie wieder in das Leben hinaustritt, genötigt sein wird, in Fabriken an Maschinen sich zu beschäftigen. Die Maschinenarbeit ist heute so überwiegend, dass man durchaus mit dieser Regel zu rechnen hat. Wenn das der Fall ist und man der Strafvollstreckung einen resozialisierenden Zweck beimisst, wie das ja auch in der Justizverwaltung ebenso wie in der Verwaltung des Ministeriums des Innern geschieht, dann wird man es von dem Standpunkt aus, dass man die Gefangenen zur künftigen Gestaltung einer Existenz in der Freiheit besser befähigen will, auch nur begrüßen, wenn in den Gefängnissen eine solche Arbeit eingeführt wird, wie der Gefangene, wenn er wieder in das Leben hinaustritt, sie annähernd wird leisten müssen. Man wird es als durchaus unsozial und unzweckmäßig bezeichnen dürfen, wenn die Gefangenen an eine Arbeit gewöhnt werden, die draußen für sie gar keinen Wert hat.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Weiter aber möchte ich gerade vom Gesichtspunkt der Konkurrenz mit dem Handwerk das noch einmal unterstreichen, was ich früher schon gesagt habe: Dem Handwerk wird durch die Gefängnisarbeit Konkurrenz gemacht, gerade soweit diese handwerksmäßig betrieben wird. Wenn aber in den Gefängnissen fabrikartige Unternehmungen eingeführt werden, dann bedeutet das nur noch einen Tropfen in das Meer unserer Großindustrie, und das Handwerk, das sich mit der Konkurrenz der Großindustrie schon längst hat abfinden müssen und sich vielfach auch mit Erfolg bemüht hat, sich in eine besondere Sphäre zu retten, die von der Technik der Großindustrie noch nicht betroffen ist – das Handwerk wird darunter viel weniger leiden, als wenn man die Gefangenenarbeit dauernd zu handwerksmäßigem Charakter zwingt, wie das die Vertreter des Mittelstandes meines Erachtens kurzsichtigerweise wollen. Es ist gerade im Interesse des Handwerks sehr zu empfehlen, dass Maschinen angeschafft werden, und es wird auch in den Gefängnissen der Justizverwaltung in dieser Beziehung vorgegangen. Es war das ja eine der Differenzen zwischen dem Geheimrat Krohne, dessen außerordentlich anerkennenswerte, verdienstvolle Tätigkeit von uns stets gerühmt worden ist, und uns, dass wir die fabrikartige Arbeit der Gefangenen wünschten, während Herr Geheimrat Krohne aus sehr wohlerwogenen pädagogischen Gesichtspunkten der handwerksmäßigen Arbeit den Vorzug gab. In den Gefängnissen der Justizverwaltung hat man diesen Standpunkt des Herrn Geheimrat Krohne meines Erachtens zutreffend niemals vollinhaltlich gebilligt, und man kann wohl sagen, dass, wenn man Gefängnisse, wie zum Beispiel das Gefängnis in Tegel, besichtigt, mit seinen verschiedenartigen Betrieben, in denen ausgezeichnete Maschinen nach dem modernen Stand der Technik angewandt werden, man einen sehr befriedigenden Eindruck bekommt. Es ist da für die Arbeiter die Möglichkeit gegeben, sich ordentlich einzuarbeiten, und man hat mir gesagt, dass Leute, die bis dahin irgendeine unqualifizierte Arbeit geleistet hatten, in der Anstalt Tegel zu vollkommen ausgebildeten Setzern ausgebildet worden sind,

(„Hört! Hört!" rechts.)

und dass sie nach einer kleinen Schwierigkeit, die sie durchzumachen hatten, nachdem sie in die Freiheit zurückgekehrt, schließlich eine ganz auskömmliche Existenz gefunden haben, eine bessere Existenz, als sie hatten, bevor sie ihre Strafe angetreten hatten; eine zweifellos ausgezeichnete Wirkung gerade vom Gesichtspunkt des Allgemeinwohls, des Staatswohls. Wer ein ordentliches Auskommen findet, ist dem Staate viel weniger kriminell gefährlich als ein unglücklicher, heruntergekommener Mensch, der nichts mehr zu verlieren hat. Wir können also nur anerkennen, dass in dem Bemühen, die Arbeitsbetriebe in den Gefängnissen nach der modernen Technik zu gestalten, fortgeschritten worden ist; ich hoffe, dass weiter in dieser Richtung fortgeschritten wird.

Man hat wiederholt darauf verwiesen, dass die Gefangenen keine vollwertigen Arbeiter sind. Richtig ist, dass ein großer Teil der Gefangenen den unqualifizierten Arbeitern, den sozial niedrigst-stehenden Schichten angehört. Daraus ergibt sich aber gerade, dass ein großer Teil der Gefangenen zu der im Allgemeinen als unqualifiziert zu bezeichnenden Maschinenarbeit am ehesten zu gebrauchen ist und dass daher der Ertrag und folglich auch der Lohn der Gefangenenarbeit am ehesten auf die Höhe der freien Arbeit gebracht werden kann. Wenn man auch von diesem Gesichtspunkt aus die moderne Technik ausnützt, so ist das insofern besonders wichtig, als ja die Frage der Lohnhöhe schließlich die Grundfrage der Gefangenenarbeitskonkurrenz bildet. Ich habe wiederholt gebeten, darauf hinzuwirken, dass die Gefangenenarbeit zu höheren Löhnen „verpachtet" wird, höhere Löhne für die Gefangenen eingesetzt werden. Es wurde geantwortet, es sei nicht möglich, höhere Löhne zu bekommen, weil es sich um unqualifizierte, minderwertige Arbeitskräfte handle. Wir haben jetzt gesehen, dass sich eine Steigerung der Löhne ermöglicht; das Resultat des vorliegenden Etats ist ein Beweis dafür. Meine Überzeugung ist, dass sich weiterhin eine Steigerung bewerkstelligen lässt, wenn man Maschinen in die Gefängnisse einführt. Ich zweifle nicht daran, dass die Bemerkung, die vorhin der Herr Minister machte, die Arbeit sei intensiver geworden, zu einem guten Teil mit auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Arbeit zweckmäßiger gestaltet ist.

Es gibt für die Gefangenen an und für sich gar nichts Angenehmeres, als arbeiten zu können; die Leute haben das Bedürfnis danach. Wenn ihnen eine Arbeit gegeben wird, die nur irgendwie ihrer Veranlagung, ihrem Verständnis und ihren Wünschen entspricht, dann werden die Arbeiter in den Gefängnissen geneigt sein, vielleicht fleißiger zu arbeiten als die Arbeiter draußen, und zwar weil die Arbeit für sie gleichzeitig das Hauptvergnügen, die Hauptablenkung ist, die sie in dem trostlosen Einerlei des Gefängnisses haben. Man kann aus dem Gefangenenarbeiter sehr viel Arbeit herausholen, ohne dass man ihn mit der Peitsche antreibt, wenn man ihm die Arbeit angenehm, abwechslungsreich gestaltet. Das ist das Hauptproblem, dessen Lösung man näher kommt, wenn man Betriebe so vielseitigen Charakters in einer einzigen Anstalt, wie zum Beispiel in Tegel, vereinigt, so dass man individualisieren und den Arbeiter an die Stelle setzen kann, an die er am besten passt. Wenn man alles das berücksichtigt, wird man bald zu einem Zustand kommen, wo die Klagen über Gefängnisarbeit aufhören werden.

Ich bin allerdings über einen der Auswege, die von der Regierung versucht worden sind, erstaunt, weil er mir ganz sinnlos erscheint. Man sagt: Wir suchen der Konkurrenz der freien Arbeit dadurch auszuweichen, dass wir nach Möglichkeit nur für Staatsbetriebe arbeiten lassen. Was will denn das heißen? Die Arbeit für Staatsbetriebe muss doch auch gemacht werden, und wenn sie nicht in Gefängnissen gemacht würde, müsste sie doch im freien Gewerbe, in der Industrie gemacht werden. Es wird also genauso sehr wie bei irgendwelchen anderen Arbeiten durch die Arbeit für die Staatsbetriebe an und für sich Arbeit verrichtet, die sonst von freien Arbeitern verrichtet werden müsste. Ich will mich damit keineswegs dagegen aussprechen, dass man auf die jetzige Weise verfährt und den Regiebetrieb dieses Charakters weiter ausbildet. Aber ich möchte nur vor der Illusion warnen, dass man dadurch der Konkurrenz der freien Arbeit ausweichen könnte.

Ich weise in diesem Zusammenhang, wie bereits in früheren Jahren, auf den Titel 19 des Kapitels 74 hin. Es ist dort eine Remuneration vorgesehen für die an der Leitung oder Beaufsichtigung des Arbeitsbetriebs unmittelbar beteiligten mittleren und unteren Gefängnisbeamten aus dem Arbeitsverdienste der Gefangenen; sie beträgt diesmal 179.000 Mark. Ich bin überzeugt, dass das Gros unserer unteren Gefängnisbeamten tüchtige und brave Leute sind; ich kenne viel zu viel von ihnen, als dass ich ein ungünstiges Urteil über sie fällen möchte. Aber es dürfte doch wohl nicht zu verkennen sein, dass in einer derartigen Gewinnbeteiligung der Gefängnisbeamten an dem Arbeitsverdienst die Gefahr zu erblicken ist, dass sie in vielleicht unangemessener und unzweckmäßiger Weise auf die doch recht hilflosen Gefangenen bei der Arbeit einwirken, und man soll eine solche Versuchung auszuschalten suchen, selbst wenn man das beste Vertrauen zu dem Charakter der Personen hat, an die diese Versuchung herantritt. Ich glaube also, es wird sehr empfehlenswert sein, wenn dieser Posten verschwindet, hier und aus dem Etat des Ministeriums des Innern.

Schon im vergangenen Jahre habe ich, in Anknüpfung an die Schrift eines früheren Gefängnisbeamten Schieweck, darauf hingewiesen, dass man den Gefangenen aus dem Arbeitsverdienst mehr geben müsse, als man gegenwärtig gibt. Ich habe damals gesagt, es sei nicht am Platze, über die unmittelbarsten Kosten hinaus, die der Gefängnisverwaltung aus der Arbeit selbst entstehen, den Gefangenen Spesen anzurechnen, und es sei angemessen, den Arbeitsverdienst den Gefangenen voll anzurechnen. Das ist mir natürlich klar, dass die Kosten der Strafvollstreckung insgesamt bei weitem höher sind als der Ertrag der Gefängnisarbeit. Aber so dürfen wir doch nicht rechnen. Die Strafvollstreckung kann man doch nicht gewissermaßen als einen Schaden ansehen, der dem Staat durch die Gefangenen zugefügt wird und für den die Gefangenen nun schadensersatzpflichtig sind, so dass sie mit ihrer Arbeit dafür aufzukommen haben. Das ist ein ganz falscher Gesichtspunkt. Unsere Rechtspflege und auch unsere Strafvollstreckung sind Akte der Staatshoheit, sie sollen Einrichtungen im allgemeinen Interesse sein. Und wenn man den Ursachen der Verbrechen und Vergehen nachgeht, dann weiß doch heute jedes Kind, dass das Verbrechen zum allerwesentlichsten Teil eine soziale Krankheitserscheinung ist und dass es deshalb hieße auf eine Ungerechtigkeit eine zweite Ungerechtigkeit türmen, wenn man die im Wesentlichen durch Schuld der Gesellschaft schuldig Gewordenen nun noch schadensersatzpflichtig für die Kosten der Strafvollstreckung in dem Sinne einer solchen Kalkulation machte. Das ist also ganz unangebracht.

Man muss vielmehr, wenn man nicht unbillig und unsozial denken will, so verfahren, wie ich mir darzulegen gestattet habe. Eine solche Behandlung des Arbeitsverdienstes ist notwendig, besonders, wenn man verhindern will, dass die Strafvollstreckung und damit die ganze Justiz in einen Circulus vitiosus gerät, sich immer mehr hinein verstrickt; denn wenn es richtig ist, dass die Mehrzahl der Verbrechen und Vergehen eine soziale Erscheinung ist, wenn es richtig ist, was auch der Herr Minister vorhin anerkannt hat, dass ein großer Prozentsatz der Gefangenen körperlich und geistig geschwächte Menschen sind, das heißt sozial geschwächte Personen, dann ist es doch auch klar, dass, wenn man diese Personen demnächst ins Leben hinaus schickt, ohne dass sie einen materiellen Rückhalt haben, man sie geradezu wiederum auf die Bahn des Verbrechens weist.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

So gebiert die Strafvollstreckung die starke Anreizung, die starke Versuchung zu erneuten Verbrechen, sie ist eine der Hauptursachen für die Rückfälle. Und all die Bemühungen des Vereins zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene und ähnliche sonst sehr wertvolle und sehr begrüßenswerte Unternehmungen sind dagegen zwecklos, nicht einmal ein Tropfen auf einen heißen Stein. Wer einigermaßen in der Praxis unserer Strafvollstreckung steht, und wenn auch nur in dem Sinne, wie man als Anwalt darin steht, der weiß, wie es geradezu in bei weitem den meisten Fällen unmöglich ist, die Leute, die aus dem Gefängnis herauskommen, wenn sie so durch ihre Vorstrafen stigmatisiert sind, später ordentlich unterzubringen, und welche große Gefahren und Versuchungen an sie herantreten trotz der Bemühungen des Vereins zur Besserung der Strafgefangenen. Es ist deshalb das einzig richtige, wenn man dafür sorgt, dass die Leute im Gefängnis, wenn sie tüchtig arbeiten und fleißig sind, etwas Geld ansammeln können. Es mag ja schließlich eine gewisse Garantie in der Art der Anlegung dieses Geldes für nötig gehalten werden, man braucht ja dem Gefangenen nicht das ganze Geld auf einmal zu geben, man kann eine Kontrolle ausüben. Ich will in dieser Beziehung den Gedankengängen entgegenkommen, die bei Ihnen zu Hause sind. Aber man wird nur, wenn man so eine materielle Unterlage für das künftige Fortkommen des Gefangenen schafft, die Versuchung verringern können, die durch das Hinausstoßen in die freie Konkurrenz der freien Arbeit notwendig herbeigeführt wird.

Und noch ein anderes ist zu beachten, worauf ja auch Schieweck hinweist und was ich im vergangenen Jahre auch erörtert habe: nämlich die Lage der Familien der Strafgefangenen. Die Familien der Strafgefangenen sind nicht bestraft, und doch sind sie diejenigen – das hebt Schieweck mit Recht hervor, und das weiß jeder –, die schließlich unter der Strafe am meisten leiden. Der Gefangene ist ja immerhin vorläufig versorgt; er wird nicht verhungern. Aber der Familie kann das Böseste passieren; die Frau kann in die Arme der Prostitution getrieben werden, die Kinder verwahrlosen; solche Fälle sind sehr häufig. Daher ist es ganz besonders notwendig, dass man sein Augenmerk auf die Fürsorge für die Familien der in den Gefängnissen befindlichen minderbemittelten Leute lenkt. Diese Fürsorge lassen sich ja nun – das weiß ich, das werden Sie mir entgegenhalten – allerhand Wohltätigkeitsvereine angelegen sein. Natürlich, es gibt auch Armenpflege und all das. Das ist aber alles weiße Salbe. Das richtige hierbei ist, auch entsprechend dem Vorschlage des Gefängnispraktikers Schieweck, dass man dem Arbeiter, der im Gefängnisse sitzt, dem Gefangenen, der, wenn ich mich einmal plump ausdrücken soll, durch seine Tat eine schwere Schuld gerade auch seiner Familie gegenüber auf sich geladen hat, die Möglichkeit gibt, diese Schuld an seiner Familie dadurch zu sühnen, dass man ihm, indem man seine Beschäftigung auch für ihn möglichst lohnend gestaltet, ermöglicht, Geld an seine Frau und seine Kinder hinaus zu schicken,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

damit sie nicht darben und verkommen.

Das sind keineswegs Hirngespinste, was ich Ihnen da vortrage; das sind Dinge, die sich meiner Ansicht nach durchaus durchführen lassen. Es wird gegenwärtig den Gefangenen in den Gefängnissen der Justizverwaltung – ich glaube – ein Viertel ihres Arbeitsverdienstes zugeschrieben. Es müsste meiner Ansicht nach viel weiter gegangen werden. Die Gefängnisverwaltung könnte überdies, indem sie entsprechend den wiederholt erörterten Gesichtspunkten die Gefängnisarbeit einträglicher gestaltet, einen größeren Arbeitsverdienst in die Hände der Gefangenen und auch in die Hände der Familien der Gefangenen bringen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Strafvollstreckung soll doch schließlich nicht dazu da sein, den unsozialen Charakter des Verbrechers, wenn ich mich der Terminologie des Geheimrats Krohne bedienen soll, zu verewigen und darüber hinaus noch schwere Gefahren für die Gesellschaft zu schaffen durch die wirtschaftliche Schädigung und moralische Gefährdung der Angehörigen der Gefangenen, die, wie gesagt, durch die Strafvollstreckung oft viel mehr getroffen werden als die Gefangenen selbst.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich glaube, dass die modernen Auffassungen über den Zweck des Strafvollzuges geeignet sind, unsere Gefängnisverwaltungen in ungefähr eben die Richtung zu drängen, die mir vorschwebt. Man kann es meiner Ansicht nach wohl begrüßen, dass sich in der preußischen Gefängnisverwaltung im Allgemeinen – wenigstens soweit es sich um die Verwaltung der großen Gefängnisse handelt – ein moderner Geist einzubürgern im Begriff ist.

Das gilt von der Justizverwaltung wie vom Ministerium des Innern. Ich bin an und für sich ein Gegner des Dualismus. Aber wenn der Dualismus eine Art Konkurrenz hinsichtlich der Modernisierung, der modernen Reformen herbeiführt, dann kann man ihn schließlich nur begrüßen. Durch die Tatsache, dass in der Gefängnisverwaltung des Ministeriums des Innern ein von uns allen hoch verehrter Herr lange Zeit tätig gewesen ist, der ja nun einen, wie wir alle hoffen dürfen, ebenbürtigen Nachfolger gefunden hat, wird, wie ich fest überzeugt bin, dieser Antrieb zu einer sozialen Ausgestaltung unserer Strafvollstreckung sicherlich nicht vermindert werden; und ich habe die lebhafte Hoffnung und Überzeugung, dass man auch bei der Gefängnisverwaltung des Justizministeriums, wenn man an Beispiele wie das Gefängnis in Tegel denkt, nur erfreuliche Fortschritte in derselben Richtung wird beobachten können. Dieser Dualismus, wie er sich gegenwärtig gestaltet hat, ist also meiner Ansicht nach gegenwärtig ein Übel nur in rein organisatorischer Beziehung, während er in Bezug auf die Gefängnisreform im modernen Sinn den Charakter eines Stimulanzmittels hat.

Meine Herren, ich habe über die Strafvollstreckung manche lebhaften Beschwerden, die ich mir aber für einen späteren Titel vorbehalte, da wir uns ja bei diesem Titel nur mit der Gefängnisarbeit beschäftigen wollten. Selbstverständlich werden wir dem Antrage der Fortschrittlichen Volkspartei1 zustimmen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 „Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, dem Hause der Abgeordneten eine Denkschrift vorzulegen, welche über den jetzigen Stand der Gefängnisarbeit, insbesondere über Umfang und Art der Beschäftigung von Gefangenen, über die dafür gezahlten Löhne und über die Tätigkeit der für die einzelnen Provinzen eingesetzten Beiräte Aufschluss gibt. Berlin, den 3. Februar 1914." Der Antrag wurde angenommen.

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