Beschluss des Gouvernementsgerichts vom 19161026

Beschluss des Gouvernementsgerichts vom 26. Oktober 1916

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 245-247]

Beglaubigte Abschrift

Königl. Gouvernementsgericht

der Residenz Berlin

J.-Nr. III. 126146/1289

Berlin, den 26. Oktober 1916

In der Strafsache wider den Armierungssoldaten Karl Liebknecht vom Armierungsbataillon Nr. 118 ergeht zum Antrage des Angeklagten vom 1. September 1916 auf Berichtigung des Tatbestandes des oberkriegsgerichtlichen Urteils der Bescheid: der Antrag wird abgelehnt.

Gegen das oberkriegsgerichtliche Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, worauf das Kommandanturgericht ersucht wurde, ihn nach § 404 MStGO1 zu vernehmen. Er verlangte jedoch, vorerst den Tatbestand des Urteils zu berichtigen. Das Gouvernementsgericht traf hierauf Entscheidung dahin, dass eine solche Berichtigung gesetzlich nicht vorgesehen sei, und wiederholte jenes Ersuchen. Auf protokollarische Eröffnung seitens des Kommandanturgerichts erklärte jedoch der Angeklagte, sich nicht eher vernehmen zu lassen, als bis die von ihm beantragte Berichtigung des Tatbestandes erfolgt sei. Hierauf wurden die Akten dem Herrn Präsidenten des Reichsmilitärgerichts überreicht. Gleiches geschah mit dem Antrage des Angeklagten vom 1. September 1916.

Seitens des Reichsmilitärgerichts, I. Senat, ist am 20. Oktober 1916 folgender Beschluss ergangen:

1. Eine Vernehmung des Angeklagten nach § 404 MStGO findet nicht statt.

2. Zur Bescheidung des Antrages des Angeklagten vom 1. September 1916 auf Berichtigung des Tatbestandes des oberkriegsgerichtlichen Urteils ist das Reichsmilitärgericht nicht zuständig."

Zu 2. mit folgender Begründung:

Auf den unterm 1. September 1916 an das Gouvernementsgericht gerichteten Antrag des Angeklagten auf Berichtigung des Tatbestandes des oberkriegsgerichtlichen Urteils ist bis jetzt ein Bescheid nicht ergangen. Da aus der Vorlage der Akten an das Reichsmilitärgericht ohne Erledigung dieses Antrages gefolgert werden kann, dass das Gouvernementsgericht zur Bescheidung des Antrages das Reichsmilitärgericht für zuständig erachtet, so wurde die obige Entscheidung getroffen. Denn zur Bescheidung des Antrages ist allein das Gouvernementsgericht zuständig."

Es war, wie geschehen, Bescheid ergehen zu lassen.

Eine Berichtigung des Tatbestandes des oberkriegsgerichtlichen Urteils ist gesetzlich nicht vorgesehen. Dies ist dem Angeklagten vom Kommandanturgericht bereits eröffnet. Ein solches Berichtigungsverfahren entbehrt in einem nach den Vorschriften der Militärstrafgerichtsordnung sich regelnden Strafprozesse der gesetzlichen Unterlage.

Der Tatbestand ist auch richtig.

Die Anführung Blatt 25: „Der Angeklagte hat die Vorschubleistung der feindlichen Macht als Wirkung seines Handelns vorausgesehen", gibt der Überzeugung Ausdruck, welche das erkennende Gericht gewonnen hat, und bildet überhaupt nicht einen Teil des „Tatbestandes". Sie ist lediglich eine Schlussfolgerung, die das Gericht gezogen hat. Die Anführung enthält somit keine „Vergewaltigung" des wirklichen Sachverhaltes.

Die weitere Anführung Blatt 26: „Zumal der Angeklagte vor dem Oberkriegsgericht angegeben hat, er habe es weit von sich gewiesen, selbst im feindlichen Auslande in derselben Weise, wie er es im Deutschen Reiche getan hat, gegen die dortigen Regierungen zu wirken. Er hat in der Hauptverhandlung erklärt, ehe er so etwas laut werden lasse, sich lieber die Zunge auszureißen", steht in keinem Widerspruch mit dem, was der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen des erkennenden Gerichts in der Hauptverhandlung an- und ausgeführt hat.

Nach seiner jetzigen Angabe ist, was er bemerkt hat: „Wollte die deutsche Opposition ihren Einfluss aufbieten, im ,feindlichen' Auslande die Friedensbewegung voranzutreiben und so den ,feindlichen' Regierungen das Leben sauer machen helfen, zugleich aber in Deutschland Ruhe und Fügsamkeit predigen und betätigen – so wäre die deutsche Regierung wohl zufrieden. Mit solch hinterhältigen Plänen – im Auslande mit dem Kalbe der Opposition, im Inlande mit dem Kalbe der Durchhalte–,Genossen' zu pflügen – trug sie sich im Frühjahr 1915. Dergleichen wagte mir im Felde ein preußischer Offizier anzudeuten. Ich habe es als eine Infamie weit von mir gewiesen. Und ich würde mir lieber die Zunge ausreißen und die Hände abhacken als eine solche heimtückische Politik zu Nutz und Frommen des deutschen Imperialismus zu betreiben."

Diese Anführung widerspricht nicht der vorerwähnten von dem erkennenden Gerichte im oberkriegsgerichtlichen Urteile festgestellten Auslassung des Angeklagten. Sie ist auch unerheblich.

Der an sich schon unzulässige Antrag ist somit auch unbegründet.

Der Gerichtsherr gez. v. Kessel

Militärhilfsrichter gez. Zeitschel

Die Richtigkeit der Abschrift beglaubigt:

gez. Zeitschel

Militärhilfsrichter

1 Nach § 404 der Militärstrafgerichtsordnung war der Angeklagte, wenn er gegen ein Urteil Revision eingelegt, jedoch binnen einer Woche nach dessen Verkündung keinen begründeten Revisionsantrag eingereicht hatte, über seinen Antrag und die Begründung zu Protokoll zu vernehmen. Die Red.

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