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Karl Liebknecht 19160417 Die U-Boot-Frage – eine Kriegszielfrage

Karl Liebknecht: Die U-Boot-Frage – eine Kriegszielfrage

Rede im Deutschen Reichstag in der zweiten Lesung des Marineetats1

7. April 1916

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 307, Berlin 1916, S. 927-929 und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 573-580]

Meine Herren, der Herr Staatssekretär von Capelle ist unter Umständen in sein Amt eingetreten, die den Anschein erwecken könnten, als ob mit ihm ein neues System in die Marineverwaltung eingezogen sei, als ob es sich um die im Sinne einer gemilderten Kriegführung, im Sinne einer stärkeren Friedensneigung von einem Teile der Regierung geführte Politik handle, die er vertrete im Gegensatz zu dem aus dem Amt gedrängten Staatssekretär von Tirpitz.

Meine Herren, in der Tat waren die Kämpfe, die sich um die Entlassung, um das Ausscheiden des Herrn von Tirpitz aus dem Amte entspannen, außerordentlich heftig, so dass sie, wie ja von bürgerlicher Seite mit etwas saurer Miene erklärt wurde, den „Burgfrieden" sehr bedenklich in Gefahr brachten – den „Burgfrieden" nämlich unter den bürgerlichen Parteien –, Kämpfe, die, wie ausgeführt wurde, dazu führen mussten und dazu geführt haben, das Vertrauen in unsere Kriegführung zu unterbinden.

(Rufe rechts: „Das waren ja vertrauliche Ausführungen!")

Das ist nicht wahr, das ist auch im Plenum geäußert worden!

(Rufe rechts: „Nein!")

In der Tat waren die Kämpfe, die hinter den Kulissen stattgefunden haben, von großem Interesse, aber sie waren doch anders zu charakterisieren, als man vielfach meinte.

Meine Herren, es handelte sich scheinbar um einen Konflikt in der U-Boot-Frage, es handelte sich scheinbar darum, dass der Herr Staatssekretär von Capelle den rücksichtslosen U-Boot-Krieg nicht führen wollte, während der Herr Staatssekretär von Tirpitz den rücksichtslosen U-Boot-Krieg führen wollte. Nun, wir wissen – und das haben die Verhandlungen von gestern und vorgestern deutlich genug ergeben –: Es besteht in der Tat ein solcher Gegensatz nicht, es besteht auch auf Seiten der gegenwärtigen Marineverwaltung und der sämtlichen für die Kriegführung in Frage kommenden Stellen die rücksichtslose Entschlossenheit zur rücksichtslosen Anwendung auch der U-Boot-Waffe, unter der einzigen Voraussetzung nur, dass der Zweck, der mit der Anwendung der Waffe angestrebt wird, auch erreicht werden kann.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Paasche: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, die U-Boot-Frage ist auf Grund eines Beschlusses des Hauses zum Abschluss gekommen. Ich möchte Sie bitten, auf diese Frage hier nicht weiter einzugehen

(„Bravo!")

Liebknecht: Meine Herren, der Herr Berichterstatter ist auf die U-Boot-Frage eingegangen. Der Herr Berichterstatter hat die Verhandlungen – – –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Ich wiederhole meine Bitte, die ich eben ausgebrochen habe. Sie haben ja eine Fülle von anderem Material, das Sie hier noch vortragen können.

(Heiterkeit.)

Liebknecht: Jedenfalls müssen die Gründe erörtert werden dürfen, die zu dem Amtswechsel im Reichsmarineamt geführt haben.

(Widerspruch. – Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, die Herren Staatssekretäre werden nicht durch den Reichstag, sondern durch Seine Majestät den Kaiser unter Gegenzeichnung des Herrn Reichskanzlers berufen. Wir haben nicht darüber zu entscheiden, welche Gründe für den Wechsel in den hohen Staatsämtern vorlagen.

(Zuruf links.)

Liebknecht: Meine Herren, ich spreche natürlich nicht über Gründe, die mir ja ganz unbekannt sind,

(Heiterkeit.)

die irgendeine Instanz, die die formelle Entscheidung zu treffen hatte, vielleicht gehegt haben mag. Ich spreche von den politischen Gründen, die das ganze deutsche Volk und die ganze Welt auf das stärkste interessieren und die auch in der Presse erörtert sind. Die Gründe eines solchen Amtswechsels sind bisher im Reichstag stets diskutiert worden. Es ist noch niemals für unzulässig gehalten worden, auf die politischen Hintergründe und Untergründe etwaiger Amts- und Systemwechsel einzugehen.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Ich habe gar nichts dagegen, dass Sie von den politischen Gründen eines Systemwechsels sprechen. Dagegen habe ich mich nicht gewandt; aber Sie sagten: Ich will die Gründe erörtern, warum die Entlassung des Staatssekretärs von Tirpitz erfolgte. Das ist etwas anderes.

Liebknecht: Der Herr Staatssekretär von Capelle ist, wie es schien, über die U-Boot-Frage in sein gegenwärtiges Amt gelangt. In der Tat handelt es sich um etwas vollständig anderes. Es handelt sich um eine Frage des Kriegsziels, die hier ausgefochten worden ist und, wie es zunächst schien, ausgefochten ist zuungunsten des Herrn Staatssekretärs von Tirpitz. Meine Herren, es war von außerordentlichem Interesse, das Spiel zu beobachten, das sich hier hinter den Kulissen und auch vor den Kulissen abgespielt hat. Meine Herren, es war ein Kampf zwischen der Kriegszielrichtung Berlin-Bagdad und der Kriegszielrichtung gegen England, die die deutsche „Seegeltung", schärfstes Zugreifen auf Belgien, Französisch-Lothringen, Calais, den Kanal und weit ausgedehnte Annexionen im Osten fordert und in der sich die verschiedensten Interessen von Industrie, Reederei, Handel, Großlandwirtschaft und innerpolitische Interessen treffen. Gegensätze im Kriegsziel liegen ja seit dem Kriegsbeginn vor. Es sind verschiedene Kapitalistenkategorien, die ihre widersprechenden, natürlich auch zum Teil übereinstimmenden Interessen in diesen Kriegszielen zu verwirklichen suchen. Meine Herren, nachdem der Krieg inszeniert worden war unter der Parole: Gegen den Zarismus, wurde die Regie alsbald auf das Kriegsziel nach dem Westen, speziell gegen England, eingestellt.

(Zwischenrufe: „Zur Sache!" – Unruhe.)

Meine Herren, darum handelt es sich.

(Fortdauernde Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Sie haben eben gesagt: nachdem der Krieg inszeniert worden war mit dem und dem Ziele. Das ist eine schwere Beleidigung der Regierung. Ich rufe Sie deswegen zur Ordnung!

(„Bravo!")

Ich muss Sie weiter bitten, über Kriegsziele bei diesem Titel nicht ausführlich zu sprechen. Sie haben im Allgemeinen natürlich das Recht einer Kritik bei der allgemeinen Diskussion über das Gehalt des Staatssekretärs, aber Sie dürfen nicht hier eine allgemeine Diskussion über unsere Kriegs- und Friedensziele beginnen, die durch die jüngsten Verhandlungen des Hauses bereits abgeschlossen ist.

Liebknecht: Meine Herren, nachdem so das Kriegsziel nach dem Westen „verschoben" war oder vielmehr enthüllt war –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Sie bleiben bei dem Kriegsziel, nachdem ich Sie wiederholt gebeten hatte, das nicht zu tun. Warum erschweren Sie mir denn die Leitung der Geschäfte? Ich rufe Sie zur Sache!

Liebknecht: Meine Herren, es bleibt mir nichts übrig, als diese Frage in kurzen Zügen zu erörtern,

(Große Unruhe.)

wenn ich die Gegensätze, die Strömungen in der Regierung erörtern will, die bei dem Amtswechsel des Herrn Staatssekretärs hineingespielt haben. – Meine Herren, der Kampf, wie ihn die „Deutsche Tageszeitung" rücksichtslos geführt hat,

(Lachen.)

geführt hat für den Staatssekretär von Tirpitz, die Art, wie im preußischen Abgeordnetenhause dieser Kampf zunächst im Januar aufgenommen wurde, die Art, wie hier im Reichstag bei der „Baralong"-Debatte2 vom 15. Januar die Geschäfte derer besorgt wurden, die hinter dem Herrn Staatssekretär von Tirpitz standen – mit dem Plan einer Verschärfung der kriegerischen Haltung gegen England –, meine Herren, die Vorgänge, die sich dann im preußischen Abgeordnetenhaus im März, unmittelbar vor dem Amtswechsel, abspielten, all das wirft das interessanteste Licht auf gewisse Gegensätze innerhalb der Regierung,

(Rufe: „Zur Sache!")

auf gewisse Gegensätze innerhalb der verschiedenen Kapitalistenkreise.

(Rufe: „Zur Sache!")

Meine Herren, es war im Januar bekannt, dass eine Denkschrift über die bewaffneten englischen Handelsschiffe erscheinen solle. Diese Denkschrift wurde längere Zeit zurückgehalten, sehr zur Unzufriedenheit derer um den Grafen Reventlow. Sie wurde zurückgehalten. Man erblickte in der erstrebten Veröffentlichung dieser Denkschrift ein Bekenntnis der Regierung zum verschärften Kampfe gegen England, zur Verschärfung des U-Boot-Krieges. Meine Herren, damals, als diese Denkschrift in Aussicht stand, aber noch nicht publiziert war, damals, als man wusste, dass hinter den Kulissen gewisse Gegensätze vorhanden waren, die die Veröffentlichung der Denkschrift verhindern könnten, unternahm, wie der Reichstag seine „Baralong"-Aktion, so die Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses ihren bekannten ersten Vorstoß.

(Rufe: „Zur Sache!")

Meine Herren, es handelte sich dabei um eine Aktion für den Staatssekretär von Tirpitz und dieser Vorstoß wurde unternommen mit dem vollen Vorbedacht, dass er sich in schroffer Weise gegen eine andere Stelle unserer Reichsleitung richte. Dass man dieses letztere bemäntelte und leugnete – –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, das gehört nicht mehr zur Sache. Was das preußische Abgeordnetenhaus getan hat und aus welchen Beweggründen, das haben wir hier beim Etat des Reichsmarineamts nicht zu erörtern.

(„Bravo!")

Liebknecht: Meine Herren, Tatsache ist, dass auf diesen Druck des preußischen Abgeordnetenhauses – –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, Sie kommen immer wieder auf dasselbe zurück!

Liebknecht: Meine Herren, es ist nicht möglich, dass Sie die wichtigsten politischen Fragen hier aus der Debatte ausschalten.

(Unruhe.)

Es ist einfach notwendig, dass man hier darüber redet, weil sie tief in das Lebensinteresse des deutschen Volkes einschneiden.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, ich habe Sie aufgefordert, bei der Sache zu bleiben; ich rufe Sie jetzt offiziell zur Sache!

Liebknecht: Meine Herren, ich habe wahrlich zur Sache geredet und stelle fest, dass es mir unmöglich gemacht wird, hier zur Sache zu sprechen. Aber, meine Herren, ich werde doch wohl nicht gehindert werden, die Denkschrift über die bewaffneten britischen Handelsschiffe zur Sprache zu bringen, die Denkschrift vom 8. Februar dieses Jahres, von der ich eben gesprochen habe. Diese Denkschrift, für die natürlich die Marineverwaltung die Verantwortung trägt, bedarf einer genauen Beleuchtung. Meine Herren, sie ist in einer Weise zusammengestellt und abgefasst, dass sie bei jedem, der sie nicht sorgfältig betrachtet und die Anlagen sorgfältig durchsieht, eine schwere Irreführung bewirken muss. In der Denkschrift soll der Nachweis geführt werden, dass die englischen Handelsschiffe bewaffnet seien zu dem Zwecke und mit dem amtlichen Auftrag, angriffsweise gegen die deutschen U-Boote vorzugehen.

(Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, ich habe vorhin schon gesagt: Die Frage der U-Boote ist beim Etat des Auswärtigen Amtes respektive des Reichskanzlers erledigt, ebenso wie die nicht amtlich erschienene Denkschrift, von der Sie immer sprechen. Ich kann es nicht zulassen, dass Sie dieses Thema weiter fortführen.

Liebknecht: Ich spreche nicht von einer nicht erschienenen Denkschrift.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Ich habe darüber zu urteilen, ob Sie bei der Sache bleiben oder nicht. Ich rufe Sie zum zweiten Male zur Sache und mache Sie auf die Folgen aufmerksam!

(„Bravo!")

Liebknecht: Ich spreche von der erschienenen Denkschrift. Ich spreche von der Denkschrift vom 8. Februar dieses Jahres, Herr Präsident.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Auch diese Denkschrift ist bei der U-Boot-Debatte ausführlich erörtert worden,

(„Sehr richtig!")

und dazu hat der Reichstag Stellung genommen. Dessen werden Sie sich entsinnen, da das vor wenigen Tagen erst geschehen ist.

Liebknecht: Zu dieser Denkschrift ist keine Stellung genommen worden, sondern nur im Allgemeinen zu der U-Boot-Frage.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, es scheint, Sie wollen mich zwingen, das Haus zu fragen, ob es meiner Auffassung oder Ihrer Auffassung folgen will, ob Sie zur Sache sprechen oder nicht. Ich bitte Sie nochmals, bei der Sache zu bleiben!

Liebknecht: Es wird mir durch diese Handhabung der Geschäftsordnung tatsächlich unmöglich gemacht – –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, ich verbitte mir jede Kritik meiner Geschäftsführung!

Liebknecht: Ich bin dadurch verhindert, das politisch Wesentliche, was ich hier auszuführen habe, zu sagen.

(Heiterkeit.)

Vizepräsident: Sie hören doch, dass das Haus, nachdem es diese Frage ausführlich erörtert hat, nicht Neigung hat, noch einmal dieselbe Erörterung aus Ihrem Munde wiederholt zu hören.

(Sehr richtig!)3

Liebknecht: Ich bin mundtot gemacht worden bei der ersten Lesung des Etats, bei der zweiten Lesung des Etats des Herrn Reichskanzlers, wo alle großen politischen Fragen zusammenhängend hätten erörtert werden können; es entspricht der Gepflogenheit und der Geschäftsordnung, dass beim Marineetat eine allgemeine Debatte der mit der Marineverwaltung zusammenhängenden Fragen stattfindet -

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, darin sind Sie im Irrtum. Sie haben vorhin indirekt selber anerkannt, dass Sie über eine Sache sprechen, bei der Ihnen schon einmal das Wort entzogen worden ist. Die Sachen sind erledigt.

Nun fahren Sie fort in der Diskussion, aber bleiben Sie bei der Sache!

Liebknecht: Ich verwahre mich dagegen, dass ich irgendwie zugegeben hätte, etwas ausgeführt zu haben, was bereits erledigt wäre und nicht hätte ausgeführt werden dürfen.

(Heiterkeit.)

Der Herr Präsident hat die Geschäftsordnung in rücksichtsloser Handhabung – –

(Erregte Zurufe. – Andauernde Unruhe.)

Vizepräsident: Ich frage nunmehr, nachdem ich den Herrn Abgeordneten mehrmals zur Sache gerufen und ihn auf die Folgen aufmerksam gemacht habe, das Haus, ob es weiter diese Erörterung und diese Kritik der präsidialen Geschäftsführung dulden will.

Ich bitte die Herren, die dem Herrn Abgeordneten Dr. Liebknecht das Wort weiter belassen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben.

(Geschieht.)

Das ist die Minderheit. Der Abgeordnete Dr. Liebknecht hat nicht mehr das Wort.

(„Bravo!")

Liebknecht: Meine Herren, schämen Sie sich vor der russischen Duma!

(Erregte Zurufe. Glocke.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, ich rufe Sie zur Ordnung wegen dieser unerhörten Kritik!

(Lebhaftes „Bravo!")4

1 Zu dieser Debatte hatte Karl Liebknecht am 5. April 1916 dem Reichstagsbüro eine Anfrage eingereicht. Sie betraf die Denkschrift über die Behandlung bewaffneter Kauffahrteischiffe vom 8. Februar 1916. Die Anfrage wurde abgewiesen. Siehe S. 586-588.

2 Am 19. August 1915 versenkte der britische Hilfskreuzer „Baralong" ein deutsches U-Boot. Entgegen dem herrschenden Kriegsrecht wurde dabei die schilfbrüchige Besatzung getötet.

3Fehlt in den „Reden und Schriften“

4 Am 8. April 1916 sprach Karl Liebknecht im Deutschen Reichstag in der Fortsetzung der zweiten Lesung des Reichshaushaltsetats für 1916 zum Etat für das Reichsschatzamt. Diese Ausführungen wurden auch im Politischen Brief der Spartakusgruppe vom 22. April 1916 veröffentlicht.

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