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bx 19010609 Zweiter Parteitag der Sozialdemokratie Posens (Auszug)

bx: Zweiter Parteitag der Sozialdemokratie Posens (Auszug)

[Volkswacht (Breslau), 12. Jahrgang, Nr. 134 (Mittwoch 12. Juni 1901), S. 2, Sp.1-3, hier Sp. 2 f., verglichen mit der Wiedergabe in Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 2014, S. 325 f.]


bx. Bromberg, 9. Juni.

[…] Die Sitzung wird auf 2 Stunden vertagt. Nach der Mittagspause nimmt das Wort zum Referat „Agitation und Organisation“

Dr. Rosa Luxemburg-Berlin: Aus den Berichten der Delegierten ging hervor, dass das wirksamste Mittel zur Agitation Versammlungen sind, deren Notwendigkeit für die praktische Arbeit jeder einsehen muss. Zwar sind von den einzelnen Delegierten ziemlich trübe Verhältnisse geschildert worden; beachtet man aber die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich der Agitation entgegenstellen, dann ist doch ein gewisser Erfolg nicht zu verkennen. Allein durch den Mangel von Versammlungslokalen fast in der ganzen Provinz, dann durch die Gegenagitation der Geistlichkeit sind große Hemmnisse geschaffen. Sind diese Schwierigkeiten hinweggeräumt, dann wird, dann muss unsere gute Sache wie überall zum Siege gelangen. In Bromberg, wo die Verhältnisse günstiger liegen, hatten wir auch Erfolge. Allein, wo wir bei den Wahlen die ausschlaggebende Partei sind, muss [sic!] die bürgerlichen Klassen unsere Macht fühlen lassen. –

Aus den bisherigen minimalen Erfolgen dürfen wir aber keine Entmutigung, sondern neuen Mut und frische Tatkraft schöpfen. Wir haben ein Feld in Posen zu beackern, das fruchtbar zu werden verspricht. Deswegen ist auch die Lösung einer äußerst wichtigen Frage notwendig, die Frage der gemischtsprachigen Bevölkerung. Das wunderbare System der Germanisation, das unsere Regierung benutzt, hat keinen anderen Erfolg, als den Hass der einzelnen Bevölkerungsklassen zu verschlimmern. Vom sozialdemokratischen Standpunkt müssen wir dieses System bekämpfen, und die Erfahrung hat gelehrt, dass die verfolgten Polen einzig und allein bei uns Schutz finden. Wir verdienen deswegen die Angriffe der „Polnisch-sozialdemokratischen Partei" nicht. Als sich im Jahre 1890 die erste Gruppe dieser Partei bildete, da waren die deutschen Genossen für weitgehendste Unterstützung. Auf Kosten unserer Partei wurde ein polnisches Blatt gegründet, selbstverständlich in der Voraussetzung, dass wir gemeinsam auf dem Boden der internationalen Sozialdemokratie arbeiten würden. 1893 verlangten die polnischen Genossen eine selbständige Organisation. Auch dem wurde stattgegeben, wiederum in der Voraussetzung, dass diese Organisation im selben Verhältnisse zur deutschen Sozialdemokratie stehen solle, wie etwa die badische Landesorganisation zu ihr. Nach und nach zeigten sich aber die Anzeichen, dass die Absonderung nicht um der besseren Agitation willen geschehen sei, sondern deswegen, weil die Anschauungen beider Organisationen grundverschieden voneinander seien. Ich habe schon 1896 in verschiedenen Schriften gezeigt, dass es nicht die Aufgabe der Sozialdemokratie sein könne, selbständige Staaten zu errichten, wir können es nicht als Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung. Es ist gleichgültig für uns, welcher Nation der Arbeiter angehört, er ist für uns kein Pole, sondern Proletarier. Wenn er in Wahrung seiner Sprache kämpft, dann tritt die Sozialdemokratie für ihn ein, nicht etwa die bürgerlichen Polen. Die Mitglieder der Reichstagsfraktion dieser Polen sind nichts anderes als Lakaien derselben Regierung, die sie bekämpfen, denn sie stimmen für Militärlasten und für Brotwucher gegen die Interessen des polnischen Volkes. Die Polen hatten also keinen Grund, sich außerhalb des Rahmens der deutschen Partei zu stellen. Wo innerhalb der PPS solche Widersprüche bestehen wie einerseits durch die angebliche praktische Arbeit und andererseits durch die Utopie der Wiederaufrichtung Polens, da kann eine ersprießliche Tätigkeit nicht möglich sein. Auf ihrem letzten Parteitage in Berlin hat die PPS das Tischtuch zwischen sich und der deutschen Partei zerschnitten. Die Partei hat gegen uns Agitation der schlimmsten Art geführt. Bloß die eine Tatsache, dass sie bei der Reichstagswahl in Posen gegen uns gearbeitet haben, und damit für die Partei der Brotwucherer, hätte überall in der Partei den Ausschluss zur Folge gehabt. Wir erhofften aber in Posen stets, eine Einigung zu erzielen, wir täuschten uns aber stets, denn nicht mit einer sozialistischen, sondern mit einer nationalistischen Partei haben wir es zu tun. Nur in der Emigration hatte die PPS einige Erfolge, aber nicht in Polen selbst. Von nun an werden wir Polen und Deutsche zusammenarbeiten auf dem gemeinsamen Boden des Erfurter Programms. Die Polnisch-sozialistische Partei existiert für uns nicht mehr, wir werden sie nicht mehr als Sozialdemokraten betrachten.

Von diesem Standpunkte ausgehend, müssen wir nunmehr nicht nur in Posen, sondern auch in Oberschlesien und Westfalen arbeiten. Einige polnisch sprechende Genossen, die in diesen Gegenden agitieren müssen, sind notwendig. Schwer ist diese Agitation nicht, denn dasselbe Material, das in Posen gebraucht wird, ist auch in den anderen Gegenden mit polnischer Bevölkerung notwendig. Wir brauchen eine Zentralkommission der polnischen Sozialdemokraten, die gemeinsam mit den Agitationskommissionen in Posen und Oberschlesien auf dem Boden der deutschen Sozialdemokratie steht.

Wir brauchen ferner eine polnische Zeitung, da unsere polnischen Genossen augenblicklich jedes gedruckte Wort entbehren müssen. – Gehen wir auch infolge der Krisis einer schweren Zeit entgegen, so müssen wir doch bedenken, dass das, was auf ökonomischem Gebiete verlorengeht, auf politischem wieder eingebracht wird, und darum vorwärts im Kampf!" (Beifall.)

Der Vorsitzende verliest Begrüßungstelegramme von drei Genossen aus Hannover, dem Genossen Janieszewski-Berlin und den Posener Genossen.

Koczorowski-Posen wendet sich in heftiger Weise gegen die schmutzige Agitation der Nationalpolen bei der letzten Reichstagswahl.

Schütz-Breslau will gleichfalls die „Nationalisten“ nicht anerkennen. Ihre Anschauungen seien nicht die von Sozialdemokraten.

Die übrigen Redner sprechen im Sinne der Referentin. Die bereits wiedergegebene Resolution wird einstimmig angenommen.

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