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Rosa Luxemburg 19010228 Brief an Robert Seidel

Rosa Luxemburg: Brief an Robert Seidel

[Nach Rosa Luxemburg, Briefe, Band 1, Berlin 1982, S. 513 f.]

[Friedenau, Ende Februar 1901]

Lieber Freund!

Ich war bis vor kurzem über die Ohren in der Arbeit vergraben, konnte deshalb Ihre und Mathildens liebe Zeilen nicht eher beantworten.

Bei Fischer war ich. Anfangs drehte er sich hin und her, bedauerte, dass Sie nicht einen Monat früher mit dem Vorschlag gekommen seien, da die Maibroschüre bereits bei Adolf Braun (Nürnberg) bestellt sei. Ich habe ihm aber begreiflich gemacht, dass Ihr Schriftchen jener Broschüre keine Konkurrenz machen würde, weil es viel kürzer und ganz anders sei, wie die Broschüre des abgeschmackten und talentlosen Braun sicher sein würde. Schließlich ging er darauf ein und wird Ihnen baldigst schreiben.

Ich hoffe also, Ihren Wunsch diesmal erfüllt zu sehen. Ich rate Ihnen, seine Bedingungen anzunehmen, es kommt ja nur auf den Anfang an. Später können Sie ihm ja wieder durch mich etwas in Verlag geben – etwas Neues vielleicht. Und Fischers Verlag ist viel rühriger als der Dietzsche. – Als ich ihn frug, weshalb Ihre Gedichte so wenig vertrieben werden, sagte er, das sei eine allgemeine Erscheinung in Deutschland, dass die Arbeiter sehr wenig Gedichte kaufen. Ich glaube, er hat recht. Ich habe selbst bemerkt, dass der Sinn für Poesie, Lieder etc. in der Schweiz viel entwickelter ist als in Deutschland.

Was mich anbetrifft, so schreibe ich jetzt nur für die »Neue Zeit«, ich könnte also nur hier direkt oder indirekt für Ihre Gedichte mich verwenden. Nun stellt es sich aber heraus, dass Dietz prinzipiell nicht leidet, dass man in der »Neuen Zeit« lobende Erwähnungen oder sogar Besprechungen von Sachen bringt, die in seinem eigenen Verlag erschienen sind. Mit Ihren Gedichten ist dies ja aber der Fall, und so kann ich vorläufig nichts tun. Was sich in der Tagespresse tun lässt, will ich sehen. An meinem guten Willen brauchen Sie nicht zu zweifeln.

Es freut mich sehr, dass Ihr vom 1. April höher und sonniger wohnt. Der lieben Mathilde wird das wohltun, und ich hoffe sie wieder guter Dinge zu sehen, wenn ich hinkomme. Vorläufig in Eile seid mir herzlichst gegrüßt.

Eure stets Rosa L.

»Grossi« lässt Euch herzlich grüßen und nimmt sich vor, im Sommer nach der Rückkehr nach Zürich alle seine Schändlichkeiten wiedergutzumachen.

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