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Franz Mehring 19100810 Brief an die „Leipziger Volkszeitung”

Franz Mehring: Brief an die „Leipziger Volkszeitung”

[Leipziger Volkszeitung, Nr. 185, 12. August 1910, 3. Beilage]

[Im Anschluss an den Artikel der Genossin Luxemburg: Der Kampf gegen Reliquien, in der Dienstagsnummer der Volkszeitung schickte man uns folgenden Brief aus Steglitz, den wir hiermit abdrucken:]

Steglitz-Berlin, 10. August 1910

An

die Redaktion der Leipziger Volkszeitung

Leipzig

In Ihrer Nummer vom gestrigen Tage veröffentlichen Sie eine Polemik der Genossin Luxemburg gegen einen von mir verfassten Leitartikel der Neuen Zeit, die von der Redaktion der Neuen Zeit zurückgewiesen worden ist. Ich bin formell dafür nicht verantwortlich, mache aber keinen Hehl daraus, dass ich, wenn mir die Entscheidung zugestanden hätte, ebenso gehandelt haben würde.

Bei dem hohen Wert, den ich auf die Ansicht der Genossin Luxemburg lege, hatte ich mich gegen einen schweren Vorwurf, den sie meiner Tätigkeit für die Neue Zeit macht, rechtfertigen zu sollen geglaubt. Wenn sie mich nun zur Strafe für diese Verwegenheit mit einer Flut jener blendenden Geistesblitze überschüttet, in denen sie unbestritten Meisterin ist, so würde die Redaktion der Neuen Zeit, soweit ich sie kenne, dafür wohl unter andren Umständen, schon aus ästhetischem Wohlgefallen an diesem anmutigen Kätzchenspiel, einen bescheidenen Platz übrig gehabt haben. In der gegenwärtigen Zeit jedoch, wo die Genossin Luxemburg den immerhin beschränkten Raum einer Wochenschrift in einem Maße beansprucht und auch eingeräumt erhalten hat, die objektiv die ärgsten Ungerechtigkeiten gegen andere Mitarbeiter wird — innerhalb zweier Monate hat sie über 54 Druckseiten zur Polemik gegen die Redaktion verfügen können — so hat diese Redaktion, wie ich annehme, schließlich doch eine Grenze ziehen müssen, wo die Klärung sachlicher Streitfragen aufhört und nur die Befriedigung rein persönlicher Empfindungen ins Spiel kommt.

Sollte ich auch nur rein persönlichen Empfindungen gehorchen, so würde ich bei meiner Verehrung für die Genossin Luxemburg mir daran genügen lassen, ihre Freude darüber, dass sie durch den Abdruck ihrer Polemik in der Leipziger Volkszeitung nun doch ihr Ziel erreicht hat, aus treuem Freundesherzen zu teilen. Aber da es den Leipziger, soweit ich sie aus vergangenen Tagen kenne auch um ein Urteil in der Sache zu tu sein wird, so muss ich schon ersuchen, den beiliegenden Artikel, auf den sich die Polemik der Genossin Luxemburg bezieht, wörtlich abzudrucken, ebenso wie diese Zeilen.

F. Mehring

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