Franz Mehring 19120726 Das Junge Deutschland

Franz Mehring: Das Junge Deutschland

26. Juli 1912

[Die Neue Zeit, 30. Jg. 1911/12, Zweiter Band, S. 633-636. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 331-346-350]

H. H. Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang. Ergebnisse und Studien. Leipzig 1911, F. A. Brockhaus. 704 Seiten.

Dem Jungen Deutschland, einer Gruppe deutscher Schriftsteller, die nach der französischen Julirevolution unter dem Einfluss Börnes und Heines einen großen Ruf genoss, hat sich neuerdings die literarhistorische Forschung in einem Umfang zugewandt, der in einigem Missverhältnis zu der historischen Bedeutung der Erscheinung selbst steht. Das ist immerhin anzuerkennen, da das Junge Deutschland bei Treitschke und ähnlichen patriotischen Historikern allzu schlecht fortgekommen war, aber man überspannt den Bogen nun wieder, indem man allzu viel Wesens von diesen Schriftstellern macht, deren keiner – mit der einzigen Ausnahme Gutzkows, über den wir uns zu seinem hundertsten Geburtstag ausführlicher an dieser Stelle verbreitet haben1 – über ein bescheidenes Mittelmaß hinausragt und mancher noch tief darunter bleibt.

Das Junge Deutschland war als solches keine literarische, sondern eine polizeiliche Schöpfung, freilich eine polizeiliche Schöpfung wider Willen. Nach dem berüchtigten Beschluss des Bundestags vom 10. Dezember 1835, der die Geburtsurkunde des Jungen Deutschlands darstellt, gehörten zu ihm Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mündt. Allerdings war das Kind schon vor der offiziellen Taufe in das polizeiliche Standesregister eingetragen worden: durch eine preußische Ministerialverfügung vom 14. November 1835.2 Sie lässt aber den Namen Heines noch aus dem Spiel, der in der Tat nicht hineingehörte. Heines Sünden waren schon viel älteren Datums, und seine Schriften standen längst auf allen polizeilichen Proskriptionslisten. Der tatsächliche Anlass zur Hetze gegen das Junge Deutschland war die Absicht Gutzkows und Wienbargs, eine große literarische Zeitschrift zu gründen. Wolfgang Menzel, der sich bis dahin als Gesinnungsgenosse Börnes und Heines aufgespielt hatte, befürchtete davon eine gefährliche Konkurrenz für sein Stuttgarter Literaturblatt; aus den erbärmlichsten Motiven schlug er den Lärm der Narren und Schufte über die gefährdeten Heiligtümer der Nation und fand damit – natürlich – geneigtes Gehör bei der preußischen Regierung.

Es ist das Verdienst des Herrn Houben, aus den preußischen und anderen Archiven den wirklichen Zusammenhang der Dinge klargestellt zu haben. Nach der üblichen Tradition der Heiligen Allianz musste die preußische Regierung die unsauberen Dienste apportieren, mit denen sich selbst die russischen und die österreichischen Gewalthaber nicht beflecken mochten. Metternich besaß oder heuchelte ein gewisses Maß literarischer Bildung, und so suggerierte er durch seine Berliner Helfershelfer dem Tölpel von preußischem König die Gemeingefährlichkeit der paar jungen Schriftsteller, die nach der Pariser Julirevolution in übrigens sehr schüchterner Weise die Wege Börnes und Heines zu betreten versuchten. Die preußische Ministerialverfügung vom 14. November 1835, die die Gutzkow, Wienbarg, Laube und Mündt als Schriftsteller aus der Reihe der Lebenden strich, indem sie die Zensoren anwies, keiner neuen Schrift dieser Autoren das Imprimatur zu erteilen und weder eine Ankündigung noch eine Kritik noch überhaupt eine Erwähnung ihrer früheren Schriften zuzulassen, war echt königliches Gewächs. Sie ging selbst dem berüchtigten Polizeiminister v. Rochow, dem Erfinder des „beschränkten Untertanenverstandes", in dessen Abwesenheit sie erlassen worden war, wider den Strich, doch als er sie zu mildern versuchte, bezog er von seinem König und Herrn eine allerhöchste Nase.

Auch im Bundestag stieß der königlich preußische Aberwitz auf einen gewissen Widerstand, freilich weniger aus politischen oder gar moralischen als aus partikularistischen Gründen; Bayern und Württemberg spielten die sozusagen liberalen Schwerenöter. Es reichte aber nicht weiter, als dass die Brutalität ein wenig mit dem Mantel der Konfusion bedeckt wurde; staatsrechtliche Flohknacker konnten darüber streiten, ob der Beschluss des Bundestags nicht vielmehr eine Verwarnung der jungdeutschen Schriftsteller als ein Verbot der jungdeutschen Schriftstellerei sei. Tatsächlich lief die Sache auf dasselbe, nämlich auf das Verbot hinaus, und es ist abermals ein Verdienst des Herrn Houben, den beschönigenden Redensarten der Treitschke und Konsorten, als sei der Beschluss des Bundestags ein Hieb in die Luft gewesen und habe den Schriftstellern, die er treffen sollte, eher genutzt als geschadet, indem er Reklame für sie machte, ein gründliches Ende bereitet [zu haben].

Im Grunde sind derartige Beschönigungsversuche nichts weniger als schmeichelhaft für die Metternich und Konsorten, indem sie unterstellen, dass die Dummheit der damaligen Gewalthaber so groß gewesen sei wie ihre Perfidie. So verbohrt waren diese Leute bei alledem aber doch nicht, um sich, sozusagen aus reiner Gutmütigkeit, mit einem Beschluss zu besudeln, von dem selbst ein Rochow erkannte, dass er ein Brand- und Schandmal für ihren Ruf sei. Mit Recht sagt Houben: „Mochten auch manche Verbote bald in Vergessenheit geraten oder zurückgenommen werden, die Unsicherheit, die durch die Masse der Verfügungen in den Buchhandel gebracht wurde, war die schlimmste Feindin. Soviel Bücher, soviel Spezialverfügungen multipliziert mit der Zahl der deutschen Bundesstaaten – wer war imstande, das noch zu überleben? Lieber wies man all diese bedenkliche Literatur, die einmal in irgendeinem Polizeirapport gestanden hatte, kurzweg zurück, und Autor und Verleger hatten das Nachsehen." Nicht ganz so zweifelsfrei ist, was Herr Houben über die verhängnisvollen Wirkungen des Verbots auf die gemaßregelten Schriftsteller selbst sagt.

Gewiss gehört die Behauptung, dass geistige Bewegungen nicht gewaltsam abgewürgt werden können, zu den landläufigen Trivialitäten des Liberalismus. Aber es ist eine ebenso unzulässige Verallgemeinerung, polizeilichen Tücken allemal eine verhängnisvolle Wirkung auf die von ihnen Betroffenen zuzuschreiben. Es kommt eben immer auf die besonderen Umstände an, und die waren bei den jungdeutschen Schriftstellern keineswegs gleich. Gutzkow, der eine würdige Haltung gegenüber dem Verbot des Bundestags beobachtete, hat es schließlich trotz aller polizeilichen Schikanen zu was gebracht, im Leben wie in der Literatur. Wienbarg hatte, als das Verbot des Bundestags erging, trotz seiner Jugend schon die Zeit des produktiven Schaffens hinter sich; er hat noch einige dreißig Jahre gelebt, bis er 1872 im Irrenhaus starb, aber nichts Nennenswertes mehr geleistet, woran er jedoch nicht durch polizeiliche Bedrängnis gehindert worden ist. Laube und Mündt aber machten sehr schnell ihren Frieden mit der preußischen Regierung; Laube brachte es sogar fertig, als verfolgter Demagoge und hochverdächtiger Schriftsteller das Wohlwollen des Ministers v. Rochow in dem Maße zu erwerben, dass ihn dieser als polizeilichen Schnüffler an die französische Grenze sandte.3 Noch ärger trieb es Schlesier, der zwar vom Bundestag nicht mit verfemt, aber von Heine als eine Zierde dieses Jungen Deutschlands gefeiert worden war; er ließ spornstreichs seinen Intimus Laube im Stiche und ist schließlich als preußisches Reptil verschollen.

Will man diesen Schriftstellern dennoch gerecht werden, so muss man erwägen, dass sie in ihrer Art und soweit es in dem damaligen Deutschland möglich war, die Forderungen der bürgerlichen Klassen zu vertreten suchten, aber an diesen Klassen keinen festen und sicheren Halt fanden, kein Wort der Anerkennung für ihre Treue und kein Wort des Fluches für ihren Verrat. Der deutsche Philister hat den biederen Laube, trotz dessen Umfalls nach dem Beschluss des Bundestags und trotz dessen elender Schmähschrift auf die Frankfurter Nationalversammlung, immer für ein großes Freiheitslicht gehalten, während dem armen Gutzkow die gehässigen Anfeindungen des literarischen und politischen Spießertums viel mehr das Herz gebrochen haben als alles, was ihm an polizeilicher Nichtswürdigkeit widerfahren ist.

Insofern waren die jungdeutschen Schriftsteller die Opfer ihrer Zeit, und man darf unter diesem Gesichtspunkt ihre Halbheiten, Schwachheiten und Torheiten nicht zu scharf beurteilen. Aber man soll sie auch nicht überschätzen und von einem „jungdeutschen Sturm und Drang" reden, wie Herr Houben tut, indem er einen umfangreichen Band mit tausend und abertausend biographischen Kinkerlitzchen aus den Lebensläufen namentlich Laubes, Mündts und Schlesiers füllt. Was sollen diese weitläufigen Untersuchungen über die ephemeren Mitarbeiter, die irgendeine ephemere Zeitschrift des jugendlichen Laube gehabt hat. Da ist des Guten entschieden zu viel getan, ebenso wie mit der Unmasse von Briefen, die aus den Kreisen der jungdeutschen Schriftsteller mitgeteilt werden. Herr Houben tut sich auf seinen Sammeleifer etwas zugute, und es mag schon eine Leistung sein, viele Tausende dieser Briefe, die sich in unheimlicher Fülle erhalten zu haben scheinen, gewissenhaft durchzustudieren. Aber das Durchstudieren der großen und der kleinen Welt kommt dabei gar zu kurz. Es ist kein Schwimmen im großen Strome der geistigen Entwicklung, sondern ein mühsames Rudern auf einem trägen Nebenflüsslein, das sich zwischen reizlosen Ufern hinschleicht, bis es endlich in einen Sumpf versickert.

Von einem „Sturm und Drang" kann da wirklich nicht gesprochen werden. Man könnte sogar das Junge Deutschland aus der Geschichte der deutschen Literatur streichen, ohne ihren roten Faden zu verletzen: mit Ausnahme Gutzkows, der übrigens selbst das Junge Deutschland stets als eine polizeiliche Phantasmagorie denunziert hat und niemals etwas mit den Laube und Konsorten zu schaffen haben wollte. Gerade dadurch, dass die jungdeutschen Schriftsteller in der Heimat blieben, wurden sie heimatlos. In den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war das bittere Wort Dantons für Deutschland eine nüchterne Wahrheit: die Platen, Börne und Heine, die Herwegh und Freiligrath, die Marx und Engels nahmen das Vaterland mit an ihren Schuhsohlen fort.

Einen Anknüpfungspunkt bot freilich auch das damalige Deutschland den jungdeutschen Schriftstellern; nämlich die Philosophie Hegels, aber das zu begreifen ging weit über ihren geistigen Horizont, obgleich sie alle mit dieser Philosophie bekannt waren. Auch hier erwies sich Gutzkow als der Ehrlichste, indem er gestand, so schwere Waffen nicht führen zu können; Schlesier, der gegen Hegel schreiben wollte, hörte wenigstens auf den Rat Varnhagens: „Das finde ich äußerst bedenklich, und ich fürchte, dass bei solchen Unternehmen zehnfache Täuschungen stattfinden. Gegen Mächte dürfen nur Mächte auftreten"; Mündt aber, der als schlechter Unterhaltungsschriftsteller endete, ein minder begabter Schleppenträger seiner späteren Gattin Klara Mühlbach – Houben nennt sie unhöflich, aber nicht unzutreffend einen „Papierdrachen von gewaltigen Dimensionen" –, bildete sich in der Tat ein, Hegel, wie übrigens auch Heine, „überwunden" zu haben. Dafür wurde er in dem Organ der Hegelianer gebührend abgestraft; es wurde den Jungdeutschen ganz treffend vorgehalten, dass sie „die Lückenhaftigkeit ihres Denkens durch eine Weichlichkeit der Empfindung" auszufüllen suchten, und auch Houben erkennt ehrlich an, dass Mündt und Genossen der schweren geistigen Arbeit, die das Verständnis Hegels voraussetzte, nicht gewachsen gewesen seien.

Nicht die Jungdeutschen haben die deutsche Literatur von der romantischen Seuche geheilt, sondern die Junghegelianer. Hinter diesen waren die Regierungen denn auch ganz anders her als hinter den Jungdeutschen. Sie wurden noch schonungslos gehetzt, als zwischen den Jungdeutschen und den Regierungen längst holder Friede und süße Eintracht bestand. Und es will uns als keine Schmeichelei für die deutsche Literaturgeschichte erscheinen, dass sie sich so ausgiebig mit den Jungdeutschen beschäftigt, während die französische Literaturgeschichte den Junghegelianern eingehendes Interesse zuwendet; von Feuerbach, Stirner, Strauß sind in den letzten Jahren treffliche französische Biographien erschienen.4

Schließlich mag noch ein kleiner Beitrag zur Parteigeschichte aus Herrn Houbens umfangreicher Schrift erwähnt sein. Danach hat Draeger, ein anderer Forscher, der über das Junge Deutschland geschrieben hat, in einem Buche über Mündt aus den Wiener Archiven festgestellt, dass Adalbert v. Bornstedt ein Spitzel oder, wie es damals hieß, ein „Konfident" Metternichs gewesen sei. Bornstedt gab im Jahre 1847 die „Deutsche-Brüsseler-Zeitung" heraus, an der auch Marx und Engels mitarbeiteten, faute de mieux [in Ermanglung von etwas Besserem] und mit sehr kritischen Vorbehalten gegen den Herausgeber, ähnlich wie vorher an dem Pariser „Vorwärts!". Übrigens irrt Herr Houben, wenn er in Bornstedt auch den Herausgeber des „Vorwärts!" erblickt, es war vielmehr Börnstein, der allerdings auch ein sehr unsicherer Kantonist war.

1 Siehe den Artikel „Karl Gutzkow" (24. März 1911)

2 Mehring irrt, wenn er das Junge Deutschland so absolut als polizeiliche Schöpfung bezeichnet und nicht den schon vorher vorhandenen Zusammenhang berücksichtigt.

3 Obwohl sich Gutzkow zweifelsohne aus den Reihen der Jungdeutschen etwas heraushebt, ist er im Ganzen gesehen von Mehring doch überschätzt worden.

4 Siehe dazu den Artikel „Zwischen zwei Fronten", (12. Dezember 1904)

Kommentare