R. Rubena 19320201 Der Irrsinn als Methode

R. Rubena: Der Irrsinn als Methode

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 3 (Anfang Februar 1932), S. 9, Nr. 4 (Mitte Februar 1932), S. 9 f.]

Nachstehend bringen wir den ersten Teil aus einem großen Artikel eines Parteigenossen, der sich mit den Ausführungen Thälmanns in der «Internationale» beschäftigt. In den nächsten Nummern bringen wir die weiteren Teile. Wir sind bereit, allen Parteigenossen, die mit der Politik der heutigen Parteiführung nicht einverstanden sind, im Rahmen der Möglichkeiten die Spalten unserer Zeitung zur Verfügung zu stellen.

Die Redaktion.

In den zwei Monaten, die seit der Veröffentlichung des Thälmannschen Artikels im November–Dezember-Heft der «Internationale», «Einige Fehler in unserer theoretischen und praktischen Arbeit» vergangen sind, haben sich die Gegensätze und Widersprüche nicht behoben, sie sind, im Gegenteil, größer und schärfer geworden, und die Verwirrung in den Kadern der Partei ist auf das Höchste gestiegen. Das hat seinen guten Grund, eben in den «theoretischen Ausführungen» Thälmanns, die der Höhepunkt des Unsinns und des Widerspruchs sind. Eine kritische Betrachtung beweist dies ganz deutlich.

Thälmann spricht von:

1. Schwächen im Kampf gegen die Sozialdemokratie und bei der Anwendung der Einheitsfronttaktik.

2. Fehler in der Anwendung der Losung Volksrevolution.

3. Schwächen im Kampf gegen den Nationalsozialismus.

4. Vereinzelte Abweichungen in den Fragen der Perspektive und des individuellen Terrors.

Die zu 4. von Gen. Thälmann gemachten Ausführungen werden in diesem Aufsatz nicht berücksichtigt.

Thälmann behauptet in seinem Artikel, dass es sich nicht um Fehler der Gesamtpartei oder des Programms handelt, sondern um Schwächen und Unklarheiten bei einzelnen Teilen der Partei, auf Grund unzureichender politischer Erziehung der einzelnen Genossen und Funktionäre.

Der Artikel beweist aber, dass es sich um Fehler der Gesamtpartei, um Fehler des Programms, um eine ganz falsche Einstellung der Partei zur Lage in Deutschland handelt.

Zu 1. Schwächen im Kampf gegen die Sozialdemokratie und bei der Anwendung der Einheitsfronttaktik.

Es haben sich, sagt Gen. Thälmann, Tendenzen einer liberalen Gegenüberstellung von Faschismus und bürgerlicher Demokratie, von Hitlerpartei und Sozialfaschismus in unseren Reihen gebildet. Er weiß sich eins mit den Beschlüssen des XI. Plenums, wenn er sagt (Seite 488): Eine solche Beeinflussung (zu der Ansicht, dass die Braun-Severing-Regierung doch ein kleineres Übel gegenüber einer Hitler-Goebbels-Regierung in Preußen sei) revolutionärer Arbeiter durch Reste sozialdemokratischen Denkens sind die schlimmste Gefahr für die Kommunistische Partei» (Sperrung von Thälmann).

Diese «Überreste sozialdemokratischen Denkens – schlimmste Gefahr für die Kommunistische Partei –» sind nicht nur in den Reihen einfacher Proletarier anzutreffen, mit ihnen ist auch behaftet – nun niemand anderer als Gen. Thälmann selbst. Das sagt er in demselben Artikel, nur auf einer anderen Seite. Er schreibt Seite 500: «Es muss uns gelingen, die defätistischen Stimmungen in der Arbeiterklasse gegenüber dem Faschismus, wie sie von den SPD-Führer gezüchtet wurden, restlos zu überwinden. Anderenfalls kann die Gefahr entstehen, dass die Bourgeoisie auf kaltem Wege zur offenen faschistischen Diktatur übergehen könnte, ohne den entschlossenen Widerstand des Proletariats bis zur höchsten Kampfform befürchten zu müssen.»

Wie verhält es sich nun, Gen. Thälmann? Was ist nun richtig?

Wir wollen die Antwort vorwegnehmen. Auf Seite 488 ist Gen. Thälmann in Übereinstimmung mit dem ZK, auf Seite 500 aber in Übereinstimmung mit dem deutschen Proletariat.

Die Überzeugung der Proletarier, dass die Regierung Brüning-Braun gegenüber dem Faschismus das kleinere Übel sei, ist der Anker der Revolution. Es ist gerade umgekehrt, als das ZK erklärt: Solange das Proletariat diesen Unterschied erkennt, ist es noch nicht demoralisiert; solange will es kämpfen. Das weiß das Monopolkapital und darum hat es den letzten Schritt zum Faschismus noch nicht getan. Noch fürchtet die Bourgeoisie diesen Kampf, wenn wir aber den Führern der KPD noch lange Zeit geben, die Widerstandskraft des Proletariats zu unterhöhlen, wenn es erst sagt: schlimmer kann es nicht werden, dann ist es für immer zu spät.

Man muss die Führer der SPD entlarven! Das deutsche Proletariat, soweit es nicht bereits die Verräterrolle der Reformisten erkannt hat und sich der Partei der Revolution, der Kommunistischen, angeschlossen hat, sagt: «unsere Führer geben deshalb den Lohnkürzungen, deshalb der Beschränkung der Gewerkschaftsrechte nach, unterstützen deshalb die Notverordnungen Brünings, weil sie unter dem Druck des Faschismus stehen und die in Regierung und Wirtschaft verankerten Positionen der Arbeiterbewegung gegen den Nationalismus verteidigen wollen». Wenn wir also den Kampf gegen Faschismus auf die Tagesordnung setzen und nichts anderes als dies, dann entlarven wir die Reformisten. Dann ist dem Faschismus der Weg zur Macht abgeschnitten. Dann ist es vorbei gleichzeitig mit dem Faschismus und dem Reformismus.

Aber es ist interessant, festzustellen, wie sich Thälmann diese «Etappen» vorstellt. Er schreibt auf Seite 492:

«Ohne im Kampf gegen die Sozialdemokratie zu siegen, können wir nicht den Faschismus schlagen, d. h. gegen die mit faschistischen Methoden ausgeübte Diktatur der Bourgeoisie erfolgreich kämpfen Ohne im Kampf mit der SPD entscheidend durchzubrechen, können wir auch unmöglich die Aufgaben meistern, in die Massenbasis des Zentrums entscheidend einzudringen und die andere Stütze der Diktatur der Bourgeoisie neben der SPD, die Hitlerpartei, deren Massenbasis vor allem die Mittelschichten abgeben, erfolgreich zu berennen und zu schlagen.»

Zeit haben wir also! Der «Revolutionär» Thälmann ist also fest davon überzeugt, dass wir in Deutschland in einem geordneten Staatswesen leben. Sein Glaube an Severing und Grzesinski ist einfach rührend.

Der Führer der KPD sagt: «Die Faschisten können überhaupt nur geschlagen werden, wenn man… die Massen der Arbeiter von den SPD-Führer loslöst». Das ist richtig, aber das geschieht im Kampf gegen den Faschismus. Der Kampf gegen den Faschismus ist nicht «in allererster Linie Kampf gegen die SPD», er ist auf allen Linien ein Kampf um die SPD-Arbeiter. Die Taktik der Kommunisten muss heißen: Einheitsfront zum Kampf gegen den Faschismus und nicht: Rote Einheitsfront für die Diktatur des Proletariats. Damit gewinnen wir nicht die Arbeiter der SPD und der Gewerkschaften. Man kann keine Etappe überspringen.

(Fortsetzung in der nächsten Nummer)

Wir setzen in dieser Nummer den kritischen Artikel, den uns ein Genosse zu den Ausführungen Ernst Thälmanns im November-Dezember-Heft der «Internationale» schickte, fort.

Was wollte die KPD mit der Parole der Volksrevolution?

Die Wirtschaftskrise hat alle Klassen der deutschen Nation in Bewegung gebracht. Die alten bürgerlichen Parteien ertranken in der Flut des Radikalismus. Diese ewige Form der politischen Aktivität der Bauern und des Kleinbürgertums, dies Randalieren, hat es den Sterndeutern der KPD angetan. Das war die Musik ihrer Sphäre! Sie hofften, den Radikalismus dieser Gesellschaftsschichten für die proletarische Revolution gewinnen zu können. Aber es ist doch notwendig, zu erkennen, was in diesem Radikalismus steckt. Hat er demokratische Parolen wie Aufteilung des Bodens, Gewerbefreiheit, allgemeines Wahlrecht, wie dies in Russland, in China und in Spanien der Fall, so muss das revolutionäre Proletariat sich selbstverständlich an die Spitze dieser Bewegung stellen und diese Parolen aufnehmen.

Zum Unglück für die Marxisten des ZK trifft das aber in Deutschland nicht zu. Hier ist der kleinbürgerliche und bäuerliche Radikalismus ausgesprochen reaktionär (Parole: Diktator!) und kann auch nicht anders als reaktionär sein, denn die Volksschichten, die er erfasst hat, fristen ihr Dasein in bereits auf nationalem Boden überholten, zum Untergang verurteilten Wirtschaftsformen. Der Radikalismus dieser Klassen muss sich daher gegen das Proletariat richten, deshalb haben ihn ja die Junker und die Trusts aufgekauft und daher haben wir ja den Faschismus. Trusts und Junker konnten dies sehr leicht tun, denn bei allen Gegensätzen zum Kleinbürger und zum Bauern haben sie mit ihnen ein gemeinsames Interesse, das gerade aus der Rückständigkeit ihrer Wirtschaftsform herkommt, nämlich die nationalen Schranken der Weltwirtschaft. Auf diesem Boden erklären sie jeden nationalen Kraftmeier zum Helden und Führer. Da ist ihnen alles egal.

Die Agitation der Kommunisten gegen den Nationalsozialismus kann nur auf der Klassenlinie liegen, um die proletarischen Elemente, die Landarbeiter und die Angestellten, aus dem Faschismus herauszuziehen. Die Losungen «Volksrevolution» und «Nationales Befreiungsprogrnmm» sind daher völlig falsch.

3. Schwächen im Kampf gegen den Nationalsozialismus.

Es ist ganz unvorstellbar töricht, charakterlos und opportunistisch! Aber es ist wahr. Ausgerechnet mit diesem nationalen Befreiungsprogramm soll die KPD in den Kampf gegen den Nationalsozialismus! Der Führer Thälmann verlangt es auf Seite 500 seines Artikels. Dort kann man es lesen. «Wir müssen den Massen zeigen, dass die Nationalsozialisten auch in der Frage des nationalen Befreiungskampfes jenseits der Barrikade stehen und Todfeinde dieses Kampfes sind. Diese Frage ist ein entscheidender Teil unseres Massenkampfes gegen den Nationalsozialismus und gehört mit zu den wichtigsten Fragen unserer gesamten Politik.»

Falsch, unleninistisch und opportunistisch! Verwischen der Klassenfronten um der Spießbürger willen! Deutschland ist ein imperialistischer Räuberstaat, aufgebaut auf Klassenelend und Klassenunterdrückung, Ausbeutung und Arbeitslosigkeit, auf Exportdumping und Kapitalausfuhr. Dies Deutschland soll sterben damit wir leben können! Was soll uns ein nationales Befreiungsprogramm?

Es gibt ja keine klareren, schärferen Fronten als die zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus. Weltwirtschaft – Nationale Wirtschaft, Internationale – Drittes Reich, Völkerversöhnung – Völkerhass, Großbetrieb – Stände, Fortschritt – Reaktion, Klasse – Nation. Revolution – Weltkrieg, Kommunistisches Manifest – Boxheimer Dokument, Kultur – Finsternis. Was soll nun die einzige Parole der nationalen Befreiung, die alles in einem Meer von Phrasen, Unverstand und Widersprüchen ersäuft? Hier ist, noch einmal, der Widerspruch Thälmanns selber! Auf Seite 500 oben: «Die Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung entscheidet… der revolutionäre Klassenkampf des Proletariats». Auf derselben Seite 500, etwas weiter unten: «Das Freiheitsprogramm ist ein entscheidender Teil unseres Massenkampfes gegen den Nationalsozialismus». Eine Frage, Genosse Thälmann: Ist nun auch wieder der nationale Freiheitskampf ein Synonym für den revolutionären Klassenkampf des Proletariats? Und ist das leninistisch?

Woher stammt dieser Irrsinn? Aus Versailles und Young! Keinen Pfennig Reparationen, das ist nach Ansicht der Alarmpropheten unseres ZK rrradikal und rrrevolutionär. Ohne Zweifel: äußerst radikal! Aber revolutionär? Wir werden gleich sehen. Vor kurzem ging die Nachricht durch die Zeitungen, dass aus Anlass der Februarverhandlungen über die Reparationen die Brüning-Regierung Fühlung mit Hitler genommen habe, und «Die Rote Fahne» schrieb: «Einheitsfront von Hitler bis Severing in den Fragen der Reparationen». Das ist nicht wahr. Diese Einheitsfront in der Frage der Reparationen reicht nicht von Hitler bis Severing, sondern, von Hitler bis Thälmann.

Thälmann behandelt den Volksentscheid in seinem Artikel nicht. Er gehört, nach ihm, nicht zu den Fehlern unserer theoretischen und praktischen Arbeit.

Die Frage des Volksentscheids ist von Trotzki in seiner Schrift: «Gegen den Nationalkommunismus» so meisterhaft behandelt worden, dass wir hier nur wiederholen könnten. Daher wollen wir uns darauf beschränken, die mehr als eigenartige Stellungnahme zu beleuchten, die zu diesem seinem Volksentscheid Thälmann selber in seinem Dezemberartikel in der «Internationale» hat. Sie zeigt mit unwiderleglicher Klarheit, «mit aller Schärfe», um einen Lieblingsausdruck Thälmanns zu gebrauchen, die ausweglose Sackgasse, in die das ZK hineingerannt ist.

Genosse Thälmann wendet sich, mit Recht, gegen die Erziehung zur Passivität der Massen gegenüber dem Faschismus und zitiert als Beweis dafür, dass Strömungen dieser Art in der KPD vorhanden sind, folgenden Auszug aus dem Artikel eines Genossen im Septemberheft des «Propagandist»: «Eine sozialdemokratische Koalitionsregierung, der ein kampfunfähiges, zersplittertes, verwirrtes Proletariat gegenüberstände, wäre ein tausendmal größeres Übel als eine offene faschistische Diktatur, der ein klassenbewusstes, kampfentschlossenes, in seiner Masse geeintes Proletariat gegenübertritt.» – «Hier zeigt sich», sagt Thälmann (Seite 499), «eine völlig falsche Einschätzung des Faschismus und dessen, was eine faschistische Diktatur in der Praxis bedeutet.»

Das ist Licht in der Finsternis! Wie aber kann man diese richtige Analyse der Lage geben und gleichzeitig, in demselben Artikel, Hitlerpartei und Sozialfaschismus gleichsetzen und eintreten für den roten Volksentscheid? Wie ist das möglich? Ach, es ist ja dies noch lange nicht der Höhepunkt des Unbegreiflichen! Man urteile selbst nach folgenden Zitaten aus dem Artikel Thälmanns.

Seite 487: «War es nicht der Ausfluss einer solchen unzulässigen Gegenüberstellung (von Hitlerpartei und Sozialfaschismus), wenn wir in der Frage des Roten Volksentscheids gegen die Preußenregierung bei einigen, wenn auch nur vereinzelten Funktionären der Partei Hemmungen hatten…?» |

Seite 492: «Ohne im Kampf gegen die Sozialdemokratie zu siegen, können wir nicht den Faschismus schlagen, das heißt, die mit faschistischen Methoden ausgeübte Diktator der Bourgeoisie erfolgreich bekämpfen.»

Seite 500: «…Andernfalls kann die Gefahr entstehen, dass die Bourgeoisie auf kaltem Wege zur faschistischen Diktatur übergehen könnte, ohne den entschlossenen revolutionären Widerstand des Proletariats bis zu den höchsten Kampfformen befürchten zu müssen.»

Das heißt zusammengefasst: Bei Gelingen des Volksentscheids hätten wir die offene faschistische Diktatur in den Sattel gehoben, dieselbe Diktatur, gegen die wir die höchsten Kampfformen des Proletariats, den Bürgerkrieg, eröffnen müssen; wir wären aber in diesem Bürgerkrieg vernichtet worden, denn wir können erst erfolgreich gegen die mit faschistischen Methoden ausgeübte Diktatur kämpfen, wenn wir im Kampf gegen die Sozialdemokratie gesiegt haben.

Das ist die Ansicht Thälmanns. Sie heißt kurz und knapp: Der Sieg des Roten Volksentscheids hätte das Proletariat ans Messer geliefert. Derselbe Thälmann, der diese Ansicht bestätigt, verteidigt heute noch diesen selben Volksentscheid!!

Und nun lesen wir auf Seite 483: «Abweichungen von der Linie der Kommunistischen Internationale sind in der Kommunistischen Partei Deutschlands heute, auf Grund ihrer reichen revolutionären Erfahrungen, kaum mehr möglich.»

Die Dummheit ist gemeingefährlich, Genossen! Vergessen wir das nicht! Weil Trotzki den Volksentscheid bekämpfte, weil er ihn ein Verbrechen nannte, das das deutsche. Proletariat seinem bestellten Henker überliefert, deswegen nennt Thälmann den Genossen Trotzki einen Soldschreiber der Bourgeoisie.

Es ist genug!

R. Rubena

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