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Leo Trotzki 19170815 Brief an den Justizminister

Leo Trotzki: Brief an den Justizminister1

[„Nowaja Schisn" Nr. 90, 2. August 1917, eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 1. Москва-Ленинград, 1924]

Bürger Minister!

Zusätzlich zu meinem Schreiben, das an die Provisorische Regierung als Ganzes gerichtet ist, halte ich es für notwendig, Ihre besondere Aufmerksamkeit auf die beispiellose Tätigkeit zu lenken, die der Herr Staatsanwalt des Petrograder Gerichtshofs jetzt als Generalstaatsanwalt entwickelt hat.

Ich behaupte in vollem Bewusstsein aller Verantwortung, die aus meinen Aussagen folgt:

1. Der Herr Staatsanwalt hat keinen Schatten eines Beweises für Beziehungen meinerseits, direkt oder indirekt, mit dem deutschen Imperialismus und kann keinen haben. Im Gegenteil, wenn der Herr Staatsanwalt auch nur die oberflächlichsten Erkundigungen über mich eingeholt hätte, müsste er einfach wissen, dass ich die ganze Zeit einen kompromisslosen Kampf gegen den deutschen Imperialismus, ebenso wie gegen jeden anderen geführt habe.

2. Ohne jegliche Beweise verbreitet der Herr Staatsanwalt in jeder möglichen Weise seine monströse Anschuldigung in der Presse und zwingt die Bevölkerung zu denken, dass er wirklich belastende Beweise gegen mich habe. Dieser Herr Staatsanwalt verfolgt klar und offensichtlich politische Ziele.

3. Die Verlegung von uns und besonders von mir in die Peter-und-Paul-Festung, die mir an sich absolut gleichgültig ist, hat zweifellos das gleiche Ziel: das Vertrauen des Herrn Staatsanwalts in seiner Position zu betonen, die außenstehenden Zweifler zu erschrecken, und dient daher den Zielen der gleichen Agitation. Indessen gibt es keine „Zuversicht" beim Herrn Staatsanwalt und kann es keine geben.

4. Unter den Bedingungen der tragischen Ereignisse an der Front ist das Verhalten des Herrn Staatsanwalts besonders unheilverkündend, und als Folge dieser vergifteten Demagogie, die mit der direkten Unterstützung des Herrn Staatsanwalts um unsere Namen in der Presse geführt wird, werden sich unweigerlich in den Köpfen der Herren Organisatoren die ungeheuerlichsten Anschuldigungen entwickeln ... Der Fall Dreyfus, der Fall Beilis sind nichts im Vergleich zu dem bewussten Versuch des moralischen Mordes an einer Anzahl politischer Persönlichkeiten, der nun unter dem Zeichen der republikanischen Justiz stattfindet. Ihre maßgebliche Intervention ist erforderlich, Bürger Minister! Es ist erforderlich, die Arbeit des Herrn Staatsanwalt sofort zu überprüfen!

L. Trotzki

1 „Nowaja Schisn" veröffentlichte diesen Brief, mit der folgenden Erklärung:

In diesem Zusammenhang sagte der Justizminister Sarudny unserem Mitarbeiter: L. Trotzki hat sich an die falsche Adresse gewandt. Der Fall wird von Ermittlungsbehörden behandelt, die vom Justizminister unabhängig sind. Die Handlungen der Ermittlungsbehörden können nur beim Amtsgericht angefochten werden. Ich bin überrascht, dass L. Trotzki, ein alter Revolutionär, verlangt, dass der Justizminister Druck auf die Ermittlungsbehörden ausübt. Haben die Revolutionäre nicht immer für die völlige Unabhängigkeit des Gerichts vom Druck des Justizministers gekämpft? Ich habe immer Respekt gegenüber dem Gericht gehabt. Und deshalb darf ich, da ich Justizminister geworden bin, in keinem Fall irgendwelche Einmischung in die Handlungen der Justiz- und Ermittlungsbehörden zulassen.“

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