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Leo Trotzki 19171020 Deklaration der Fraktion der Bolschewiki im Vorparlament

Leo Trotzki: Deklaration der Fraktion der Bolschewiki im Vorparlament

(20. Oktober 1917)

[„Rabotschij Putj", Nr. 31, 21. (8.) Oktober 1917. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Wien-Berlin 1931, S. 608-610]

Die offiziell mitgeteilten Ziele der vom ZEK der Arbeiter- und Soldatendeputiertenräte einberufenen Demokratischen Beratung bestanden in der Beseitigung des unverantwortlichen persönlichen Regimes, das die Kornilowiade nährte, und in der Schaffung einer verantwortlichen Regierung, die imstande wäre, den Krieg zu liquidieren und die Einberufung der Konstituierenden Versammlung zur festgesetzten Frist zu garantieren.

Indessen führten die hinter dem Rücken der Demokratischen Beratung getroffenen Abmachungen des Herrn Kerenski, der Kadetten und der Führer der Sozialrevolutionäre und Menschewiki zu Ergebnissen, die den offiziell angegebenen Zielen direkt entgegengesetzt sind.

Es ist eine Regierung geschaffen worden, in der und um die herum die offenen und heimlichen Kornilowisten eine führende Rolle spielen. Die Unverantwortlichkeit dieser Regierung ist nunmehr formell verkündet und bekräftigt.

Der Rat der russischen Republik ist zur beratenden Institution erklärt worden; im achten Monat der Revolution hat sich die unverantwortliche Regierung in einer neuen Ausgabe der Bulyginschen Duma eine Deckung geschaffen.

Die Zensuselemente sind in einer Zahl in den provisorischen Rat eingezogen, zu der sie, wie alle Wahlen im Lande zeigen, keinerlei Berechtigung haben. Trotzdem bestand die Kadettenpartei auf der Unverantwortlichkeit der Regierung auch gegenüber diesem zugunsten der Zensusbourgeoisie verstümmelten Vorparlament, und hat diese Unverantwortlichkeit auch durchgesetzt.

Dieselbe Kadettenpartei, die bis gestern auf der Abhängigkeit der Provisorischen Regierung von der Duma des Herrn Rodsjanko bestand, hat die Unabhängigkeit der Provisorischen Regierung von dem Rat der Republik durchgesetzt.

In der Konstituierenden Versammlung werden die Zensuselemente in einer unvergleichlich weniger günstigen Lage sein als im Provisorischen Rat. Der Konstituierenden Versammlung muss die Regierung verantwortlich sein. Würden sich die Zensuselemente wirklich zum Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung in anderthalb Monaten vorbereiten, so hätten sie keinen Anlass, jetzt auf der Unverantwortlichkeit der Regierung zu bestehen. Der Kern der Sache ist, dass die bürgerlichen Klassen, die der Politik der Provisorischen Regierung die Richtung geben, sich die Sprengung der Konstituierenden Versammlung zum Ziel gesetzt haben. Das ist jetzt die grundlegende Aufgabe der Zensuselemente, der sie ihre ganze Außen- und Innenpolitik unterordnen.

Die Industrie-, Agrar- und Lebensmittelpolitik der Regierung und der besitzenden Klassen vertieft die natürliche, aus dem Krieg geborene Zerrüttung. Die Zensusklassen, die den Bauernaufstand provoziert haben, schreiten jetzt zu dessen Niederwerfung und nehmen unverhüllt ihren Kurs auf die „Knochenhand des Hungers", die die Revolution und in erster Linie die Konstituierende Versammlung erdrosseln soll.

Nicht weniger verbrecherisch ist die Außenpolitik der Bourgeoisie und ihrer Regierung.

Nach 40 Monaten Krieg droht der Hauptstadt eine tödliche Gefahr. Als Antwort darauf wird die Verlegung der Regierung nach Moskau geplant. Der Gedanke einer Auslieferung der revolutionären Hauptstadt an die deutschen Truppen ruft keinerlei Entrüstung der bürgerlichen Klassen hervor, sie nehmen das im Gegenteil auf als natürliches Kettenglied der Gesamtpolitik, die ihnen ihr konterrevolutionäres Komplott erleichtern soll.

Anstatt zu erkennen, dass die Rettung des Landes im Friedensschluss liegt, anstatt offen über die Köpfe aller imperialistischen Regierungen und Diplomatenkanzleien hinweg allen erschöpften Völkern ein sofortiges Friedensangebot zu machen und so die weitere Fortführung des Krieges praktisch unmöglich zu machen, zieht die Provisorische Regierung auf Befehl der Kadetten-Konterrevolutionäre und der verbündeten Imperialisten sinnlos, kraftlos und planlos den mörderischen Krieg hin, gibt damit immer neue hunderttausende Soldaten und Matrosen dem zwecklosen Untergang preis und bereitet die Übergabe Petrograds und die Erdrosselung der Revolution vor. Während die bolschewistischen Soldaten und Matrosen und mit ihnen die anderen Matrosen und Soldaten als Ergebnis fremder Fehler und Verbrechen sterben, setzt der sogenannte Oberste Befehlshaber seinen Zerstörungsfeldzug gegen die bolschewistische Presse fort (Verbot des „Molot" in Minsk).1

Die führenden Parteien des Provisorischen Rats dienen dieser ganzen Politik als freiwillige Deckung.

Wir, die Fraktion der Sozialdemokraten-Bolschewiki, erklären: mit dieser Regierung des Volksverrats und mit diesem Rat der konterrevolutionären Untätigkeit haben wir nichts gemein. Wir wollen keinen einzigen Tag lang weder direkt noch indirekt jene für das Volk todbringende Arbeit decken, die hinter den offiziellen Kulissen vor sich geht.

Die Revolution ist in Gefahr! Während die Truppen Wilhelms Petrograd bedrohen, rüstet die Regierung Kerenski-Konowalow zur Flucht aus Petrograd, um Moskau zum Bollwerk der Konterrevolution zu machen.

Wir rufen die Moskauer Arbeiter und Soldaten auf, wachsam zu sein!

Wir verlassen den Provisorischen Rat und rufen die Arbeiter, Soldaten und Bauern ganz Russlands auf, wachsam und mutig zu sein.

Petrograd ist in Gefahr! Die Revolution ist in Gefahr! Das Volk ist in Gefahr!

Die Regierung verdoppelt diese Gefahr. Die regierenden Parteien helfen ihr. Nur das Volk selbst kann sich und das Land retten. Wir appellieren an das Volk.

Alle Macht den Räten!

Den ganzen Boden dem Volk!

Es lebe der sofortige, ehrliche, demokratische Frieden! Es lebe die Konstituierende Versammlung!

1 Die Zeitung „Molot" wurde am 6. Oktober verboten. Die Druckerei, in der diese Zeitung gedruckt wurde, wurde requiriert. [Fußnote aus Trotzki, Sotschinenija, Band 3.1]

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