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Demokratische Beratung

Die Demokratische Beratung, die die Provisorische Regierung einberief, weil der Kornilow-Aufstand eine Änderung im Wechselverhältnis der gesellschaftlichen Kräfte hervorgerufen hatte, und die den Zweck hatte, die soziale Grundlage, auf die sich die Regierung stützte, zu erweitern und die Lage der Regierung zu festigen, tagte in Petrograd im Alexandrinen-Theater vom 14./27. September bis zum 22. September/5. Oktober 1917. Den Selbstverwaltungsorganen der Städte, den Semstwos und Genossenschaften wurde eine verstärkte Vertretung zugestanden, während die Vertretung der Räte, der Armee-Organisationen, der Gewerkschaften und der Betriebsräte beschnitten wurde. Die Beratung wählte aus ihrer Mitte den „Provisorischen Rat der Republik" (das „Vorparlament), der, ergänzt durch Vertreter der Zensus-Bourgeoisie, bis zur Konstituierenden Versammlung, deren Einberufung immer wieder hinausgeschoben wurde, eine Repräsentativkörperschaft beratenden Charakters darstellen sollte.

Die bolschewistische Fraktion der Beratung arbeitete eine ausführliche politische Deklaration aus, die in der Sitzung des 18. September/1. Oktober verlesen wurde.

Die Demokratische Beratung, die im Lande keinerlei Autorität genoss, hat ihr Ziel der Festigung der Provisorischen Regierung und der Erweiterung ihrer Basis nicht erreicht. In seinen Briefen an das ZK schlug Lenin vor, das Alexandrinen-Theater zu umzingeln und die Demokratische Beratung auseinanderzujagen. „Die Demokratische Beratung vertritt nicht die Mehrheit des revolutionären Volkes," schrieb er, „sondern nur die kompromisslerischen, kleinbürgerlichen Oberschichten … Die kläglichen Schwankungen der Demokratischen Beratung müssen und werden die Geduld der Arbeiter Petrograds und Moskaus zum Reißen bringen". [Lenin, Sämtliche Werke, Band 21, Anm. 79]

Das gigantische Anwachsen des Einflusses der Bolschewiki nicht nur im Proletariat, sondern auch in der Armee und auf dem flachen Lande, die Eroberung einer ganzen Reihe von Arbeiter- und Soldatenräten, darunter auch des Petrograder und des Moskauer, durch die Bolschewiki verursachten in den Reihen des sozialrevolutionär-menschewistischen Blocks und in der Provisorischen Regierung äußerste Zerfahrenheit. Ihnen schwand der Boden unter den Füßen, sie verloren jedwede Stütze in den Massen. In dem Bestreben, ihre Position zu retten, griffen sie wiederum, wie im August (auf der Staatsberatung), zur Vereinigung aller „lebendigen Kräfte des Landes“, d. h, der städtischen und ländlichen Bourgeoisie, darunter auch des Kulakentums und der hinter ihnen stellenden Schichten des Kleinbürgertums, gegen die revolutionären Massen. Dem Zwecke dieser Vereinigung und der Schaffung einer Staatsmacht, die sich auf eine solche Vereinigung stützen würde, diente auch die Einberufung der Demokratischen Beratung. Dazu war es notwendig, die Stimme der Werktätigen zu fälschen, sie durch die Stimme des Kulaken, durch die des menschewistisch-sozialrevolutionären Genossenschaftlers und des mit Kornilow sympathisierenden bürgerlichen Intellektuellen zu ersetzen. Darum wurde auf dieser Beratung den städtischen Selbstverwaltungen, den provinziellen, ländlichen Selbstverwaltungen und den Genossenschaften eine verstärkte Vertretung zugebilligt, während die Vertretung der Räte, der Militärorganisationen, der Gewerkschaften und der Betriebsräte eingeschränkt wurde.

Die Demokratische Beratung tagte vom 14./27. September bis zum 22. September/5. Oktober in Petrograd. Die sehr bunt zusammengesetzte Tagung sprach sich nach langen Schwankungen und wiederholten Abstimmungen für eine Koalitionsregierung, aber ohne Beteiligung der Kadetten aus. Aber auch diese rein formelle Einschränkung wurde von der Provisorischen Regierung und den sie unterstützenden Menschewiki und Sozialrevolutionären nicht beachtet. Nach der Demokratischen Beratung bildete Kerenski ein Kabinett, an welchem Moskauer Industrielle und führende Mitglieder der Kadettenpartei teilnahmen, wobei er die Ausrede gebrauchte, dass die Kadetten nicht als Vertreter ihrer Partei, sondern nur als Einzelpersonen der Regierung angehören. Die Demokratische Beratung setzte aus ihrer Mitte einen „Provisorischen Rat der Republik“ (das sogenannte „Vorparlament“) ein. Diese Körperschaft wurde durch die Vertreter der Zensus-Bourgeoisie ergänzt und sollte bis zur Einberufung der Konstituierenden Versammlung, die immer wieder hinausgeschoben wurde, ein stets kompromissbereites Vertretungsorgan darstellen.

Die bolschewistische Fraktion der Demokratischen Beratung arbeitete eine ausführliche politische Deklaration aus, die in der Sitzung vom 18. September/1. Oktober verlesen wurde. Der wesentliche Inhalt dieser Deklaration, die mit den Direktiven Lenins übereinstimmte, bestand in einer rückhaltlosen Kritik der Politik der rein bürgerlichen und der Koalitionsregierungen, die im Verlaufe der sechs Monate der Revolution am Ruder gewesen waren, in einer Entlarvung der verräterischen Rolle des sozialrevolutionär-menschewistischen Blocks in allen Etappen der Revolution und in einer Charakteristik der Koalitionsregierung als „Regierung der Gewalt und der Unterdrückung der unteren Schichten durch die oberen“. In der Deklaration hieß es, dass nur eine Regierungsmacht, „die sich unmittelbar auf das Proletariat und die armen Bauern stützt“, imstande sein wird, das Land aus der katastrophalen Lage herauszuführen. „Genug der Schwankungen! Genug der Politik der Zweideutigkeiten, die die Führer der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki bisher getrieben haben. Genug der Verschleppungen! Genug der Worte, die letzte Stunde der Entscheidung ist gekommen“ – hieß es in der Deklaration. Die Aufgaben der neuen revolutionären Regierungsmacht, hieß es dann weiter, müsse sein: die Abschaffung des Privateigentums an Grund und Roden, die Einführung der Arbeiterkontrolle über Produktion und Verteilung, der sofortige Vorschlag eines allgemeinen demokratischen Friedens an die Völker aller kriegführenden Staaten, die Nichtigkeitserklärung der Geheimverträge, die Sicherung des Selbstbestimmungsrechtes der in Russland lebenden Nationen, die Abschaffung der Todesstrafe an der Front, die Einstellung aller Verfolgungen der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen, die allgemeine Bewaffnung der Arbeiter und die Organisierung einer Roten Garde, die Einführung des Achtstundentages usw. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 71]

Die Einberufung der Demokratischen Beratung wurde auf einer Sitzung des ZEK am 31. August beschlossen. Anfangs für den 12. September einberufen, wurde sie später auf den 14. verschoben. Die Notwendigkeit dafür war darauf zurückzuführen, dass die Kerenski-Regierung nach der „Staatsberatung" in Moskau noch mehr in der Luft hing. Die Hauptaufgabe, die von der Mehrheit des ZEK festgelegt wurde, war, einen Segen für die „verantwortliche" Regierung zu bekommen. Die Zusammensetzung der Beratung wurde im Voraus durch den Beschluss der ZEK vorgegeben, der lautete: „alle Kräfte des Landes zu sammeln, um seine Verteidigung zu organisieren, bei seiner inneren Struktur zu helfen und ihr entscheidendes Wort über die Bedingungen zu sagen, die die Existenz einer starken revolutionären Regierung sichern.“ Um die Mehrheit der Unterstützer der Koalition in der Beratung zu sichern, gab das ZEK dem kleinbürgerlichen Zemgor [Vereinigtes Komitee der Union der Semstwos und der Union der Städte] und den Genossenschaften eine riesige Anzahl von Plätzen. Die Hauptgruppen der Teilnehmer waren die folgenden: Sowjets der Arbeiterdeputierten – 230 Vertreter, Bauernsowjets – 230, Semstwos und Städte – 500 Gewerkschaften – 100, Genossenschaften – 150 usw. Die Demokratische Beratung kam sofort in eine zweideutige Stellung, weil die provisorische Regierung es ablehnte, sie als eine „Staats"beratung anzuerkennen und beschloss, nicht als Regierung daran teilnehmen. Die gesamte Bourgeoisie und die rechten „sozialistischen" Gruppen begannen eine wahnsinnige Kampagne gegen die Demokratische Beratung. Das Zentralkomitee der Kadettenpartei zum Beispiel betrachtete die Teilnahme der Mitglieder ihrer Partei als unerwünscht. Bürgerliche Zeitungen kritisierten die Demokratische Beratung als privates und nutzloses Unternehmen. KerenskisWolja Naroda" und Potressows „Djen" schlossen sich dem bürgerlichen Chor an und sagten, dass die Demokratische Beratung als gesetzgebende Körperschaft keine Kompetenzen habe. Das Hauptproblem, das durch die Beratung gelöst werden musste, war die Frage der Koalition. Die Liber-Dan-Mehrheit suchte die Billigung der Beratung dafür. Die Frage der Koalition stand im Mittelpunkt des Kampfes der Parteien vor der Beratung. Wie schwer sich Zereteli und Co. taten, zeigt die Abstimmung im ZEK selbst, wo die Koalition nur 119 gegen 101 Stimmen bekam (ironischerweise war die einzige Enthaltung ... V. Tschernow), sogar mit Bogdanows Änderung für eine Koalition ohne die Kadetten, die die ganze Resolution praktisch bedeutungslos machte. Bei der Beratung waren die Unterstützer der Koalition weit davon entfernt, Sieger zu werden. Eine solch „zuverlässige" Kurie wie die Städte, ergab fast die Hälfte Gegner der Koalition, bei den Bauernsowjets gab es 40% Gegner der Koalition. Nur Semstwos und Genossenschaften blieben treu. Aber die Gewerkschaften und zwei Drittel der Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten entpuppten sich als Gegner von Zereteli und Co … Am symptomatischsten waren die Tatsache, dass selbst die Menschewiki-Fraktion ihre Führer in dieser Angelegenheit korrigierte und die Koalition mit einer unbedeutenden Mehrheit ablehnte. Wenn die Beratung zunächst den Koalitionsverfechtern 766 gegen 688 Stimmen gab (38 Enthaltungen), brachten die späteren Änderungen des Charakters der Koalition die Beratung in eine echte Sackgasse. Nach der Verabschiedung der Entschließung zur Koalition schluckte der „Sumpf" den Köder der Linken, der den Ausschluss der Kadetten aus der Koalition vorschlug, d.h. im Wesentlichen die Resolution annullierte. Trotzdem wurde der Änderungsantrag mit 595 Stimmen gegen 483 Stimmen bei 72 Stimmenthaltungen angenommen. Nachdem sie noch zwei oder drei Tage zu diesem Thema geschwitzt hatten, nahmen Zereteli und Co. die Frage der Koalition von der Tagesordnung. So war das Treffen völlig bankrott und enthüllte völlig das schändliche Schwanken der kleinbürgerlichen Demokratie. Das von der Konferenz geschaffene Vorparlament (Rat der Republik), obwohl er als das Organ betrachtet wurde, dem die Regierung rechenschaftspflichtig wäre, blieb so nur auf Papier. Die Regierung wurde gebildet und arbeitete in formaler Unabhängigkeit vom Rat der Republik. [Trotzki, Sotschinenija, 3.1]

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