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Leo Trotzki 19171105 Der Petrograder Sowjet an die Front

Leo Trotzki: Der Petrograder Sowjet an die Front

[„Rabotschij Putj" Nr. 44, 24. Oktober/6. November 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925.]

Die Front gegen das Hinterland zu stellen ist die Hauptaufgabe unserer Feinde. Dieselben Kornilow- und Halbkornilow-Zeitungen, die unsere Schützengrabenbrüder als „Feiglinge" und „Verräter" bezeichnen, beschuldigt zur gleichen Zeit die Garnisonen des Hinterlandes, dass sie die „Feiglinge" nicht verstärken. Jetzt werden solche Vorwürfe gegen die Petrograder Garnison erhoben, die sich entschlossen hat, selbst zu prüfen, warum, wo und unter welchen Bedingungen sie bestimmte Abteilungen von Petrograd abziehen wollen.

Ist es unsere Garnison?

Erinnern wir uns an die jüngste Vergangenheit. Erinnern wir uns an die Tage vor der Kornilowiade. Am 25. August trat ein Assistent des Bezirkskommandanten, Hauptmann Kusmin, in der Soldatensektion auf und verlangte im Namen der Obersten Leitung den sofortigen Abzug von fünf Regimentern aus Petrograd in voller Mannschaftsstärke, und der Stab, so Kusmin selbst, bestimmte diejenigen Regimenter, die im Juli die Übertragung aller Macht an die Sowjets forderten. Diese Regimenter seien „konterrevolutionär", sagte Kusmin.

Der damalige Vorsitzende der Soldatensektion, Sawadje, sagte: „Kampfbefehle müssen ohne Frage und ohne Diskussion ausgeführt werden."

Senator Sokolow sagte: „Für uns besteht kein Zweifel, dass dieser Befehl rein militärisch ist, und wir können ihn nicht kritisieren. Dieser Befehl verfolgt nur Ziele der Verteidigung ... Befolgt alle militärischen Befehle ohne jegliches Überlegen oder Verzögerungen. Stellt militärische Befehle nicht in Frage.“

Trotz des Zögerns und der ängstlichen Ahnung des Unglücks entschied sich die Soldatensektion unter dem Druck von oben dann, ohne Diskussion den Befehl zu befolgen. Es war am 25. August. Der Stab begann, hastig die Regimenter abzuziehen, und am 27. August wurden Kornilows Ultimatum und sein Feldzug gegen die Hauptstadt bekannt. Dann begannen sie eilig, die gleichen Abteilungen, die Hauptmann Kusmin „konterrevolutionär" nannte, zur Rettung der Revolution zurückzubringen.

Lehren der Kornilowiade

Diese furchtbare politische Lehre ging nicht spurlos an der Petrograder Garnison und ihre Soldatensektion vorbei. Jedem Soldaten wurde klar, dass es unter dem Deckmantel von „Kampfbefehlen" möglich ist, rein politische konterrevolutionäre Maßnahmen durchzuführen.

Das Misstrauen der Front und des Hinterlandes gegenüber dem obersten Kommandostab ist bis zum Äußersten gestiegen. Und nicht nur zum Kommandostab, sondern auch zur Provisorischen Regierung.

Auf der Moskauer Staatsberatung Mitte August drohte Kerenski rebellische Soldaten und Arbeiter mit „Eisen und Blut" niederzumachen. Wenige Wochen später wussten alle, was diese Worte bedeuteten: Kerenski zog nach der Vereinbarung mit Kornilow ein drittes berittenes Korps nach Petrograd, um sich mit „Blut und Eisen" mit den revolutionären Arbeitern und Soldaten der Hauptstadt zu befassen. So wurden unter dem Deckmantel militärischer Befehle Vorbereitungen getroffen, die Revolution zu erwürgen.

Nachdem die Soldaten und Arbeiter den Kornilow-Aufstand in Asche verwandelt hatten, versprach die Regierung eine entscheidende Säuberung des Kommandostabes. Aber nichts dergleichen ist tatsächlich passiert. Sogar die bescheidensten Aktionen des Kriegsministers Werchowski verliefen im Sande. Die Kadetten waren fest in der Regierung verankert. Alliierte Botschaften mit ihnen. Die ganze Bourgeoisie unterstützte die alten Generale und konterrevolutionären Offiziere. Der unterwürfige Bourgeois Kerenski beließ sie alle auf ihren vorherigen Posten. Das Ergebnis dieser verräterischen Politik ist klar: ein doppeltes Misstrauen gegenüber dem Kommandostab und der Provisorischen Regierung.

Neue Gefahr

An der Front spricht man ständig von der aktiven Vorbereitung der neuen Kornilowiade. Der konterrevolutionäre Teil der Offiziere sammelt sich in einer Kampforganisation. Zwischen der Front und dem Hinterland befindet sich ein Kordon von „zuverlässigeren", d.h. rückständigeren, Militäreinheiten. An der Front kommt von oben eine ständige Verhetzung gegen das Hinterland. Kornilow und seine Komplizen sind in Bychow in fast vollständiger Freiheit, so dass sie jederzeit die Möglichkeit haben, eine neue konterrevolutionäre Verschwörung anzuführen.

Unter diesen Bedingungen wurde der Abzug der Petrograder Garnison gefordert. Konnte das auf blindes Vertrauen treffen? Wo ist die Garantie, dass unsere Garnison wirklich zu Kampfzwecken abgezogen wird, um unsere erschöpften Brüder an der Front zu ersetzen? Welche Abteilungen will die Regierung in die Hauptstadt führen? Wird die Regierung Petrograd von revolutionären Truppen befreien und ihre Position mit „Blut und Eisen" festigen? Nicht ohne Grund bezeichnete der Petrograder Sowjet die Kerenski-Konowalow-Regierung seit ihrer Bildung als „Regierung des Bürgerkrieges".

Revolutionäre Garantien erforderlich

Der Petrograder Sowjet entschied, ein Militärisches Revolutionskomitee zu gründen, d.h. seinen Stab. Das wäre nicht nötig, wenn wir eine Regierung hätten, die das Vertrauen der Soldaten, Arbeitern und Bauern genösse. Aber es ist nicht so. Wir glauben der Regierung nicht. Solange sie nicht ersetzt wird, müssen wir unsere eigenen Mittel nutzen, um die Befehle des Stabs zu überprüfen, eine direkte Verbindung mit der Front herzustellen, die Stärke und die Mittel der Konterrevolution herauszufinden, zu bestimmen, welcher Teil der Garnison in der Hauptstadt unbedingt notwendig ist, und Maßnahmen ergreifen, um die Arbeiter für die Verteidigung des revolutionären Petrograds zu bewaffnen. Dies sind die unmittelbaren Ziele des militärischen Revolutionskomitees. Hinter ihm steht einmütig die gesamte Petrograder Garnison. Keine Drohungen, keine Verleumdung werden uns in die Irre führen.

Brüder in den Schützengräber

Man verleumdet uns bei euch. Wer sind unsere Ankläger? Führer und Lakaien der Bourgeoisie. Aber es war die Bourgeoisie, die die Front verriet, so wie sie das Hinterland verriet. Sorgt die Bourgeoisie jetzt für die hungrige, erschöpfte Armee? Nein! Die Bourgeoisie fordert einen „Krieg bis zum Siege". Die Bourgeoisie hat die Wiederherstellung der Todesstrafe erreicht. Bürgerliche Zeitungen verleumden die Frontsoldaten ebenso wie die Soldaten des Hinterlandes. Diese schwarze Arbeit wird von den Kompromisslern unterstützt, die darauf aus sind, die Petrograder Garnison und den Sowjet mit aller Macht anzuschwärzen. Aber alle unsere Feinde werden nicht in der Lage sein, die Einheit von Front und Hinterland zu brechen.

Brüder in den Schützengräben! Die Petrograder Garnison ist mit all ihren Gedanken bei euch. In ihrem Bestand sind die meisten Ausgetauschte, die Monate und Jahre in den Schützengräben verbrachten, zwei- und dreimal verwundet wurden. Können sie ihre Gefährten im Schützengraben vergessen? Nein, sie haben immer wieder Nachschub geschickt, und sie sind wieder bereit, Ihren Platz einzunehmen, sobald sie davon überzeugt sind, dass es wirklich darum geht, müde, erschöpfte Abteilungen auszuwechseln.

Aber die Haupthilfe für die Front sieht die Petrograder Garnison zusammen mit den Petrograder Arbeitern im Kampf für den Frieden. Keine Verstärkung aus dem Hinterland wird die Front retten, wenn der Krieg Wochen und Monate andauert. Wir brauchen Frieden. Nur in einem unmittelbaren Waffenstillstand an allen Fronten liegt unser gemeinsames Heil. Der Krieg ruiniert uns. Die Bourgeoisie zieht den Krieg in die Länge, um das Volk völlig zu schwächen und dann wieder zu versklaven. Die Bourgeoisie ist bereit, den Deutschen sowohl Petrograd als auch die Baltische Flotte zu übergeben, um die Revolution zu zerschlagen. Dies wurde kürzlich offen von Rodsjanko, dem prominentesten Vertreter der Grundbesitzer und Kapitalisten, angekündigt. Petrograd kann nur durch ein sofortiges Angebot eines gerechten Friedens an alle Völker gerettet werden. Und dafür brauchen wir selbst eine wirklich Volksregierung, die vom Allrussischen Sowjetkongress der Soldaten- und Arbeiterdeputierten geschaffen wird.

Brüder in den Schützengräben! Der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten hat euch nicht vergessen. Glaubt nicht den bösartigen Verleumdungen unserer gemeinsamen Feinde. Wir sind bereit, alle unsere Kräfte in den Kampf für das sofortige Ende des verfluchten Gemetzels zu schicken. Unterstützt uns dabei. Schließt euch eng zusammen! Nieder mit den Konterrevolutionären, die den Krieg hinausziehen! Die Vereinigung von Front und Hinterland ist unbesiegbar. Ihr gemeinsamer Ansturm wird alle Feinde stürzen und dem Volk Macht, Frieden, Brot und Land geben.

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