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Leo Trotzki 19170922 Rede auf der Sitzung des Petrograder Sowjets zur Frage des Präsidiums

Leo Trotzki: Rede auf der Sitzung des Petrograder Sowjets zur Frage des Präsidiums

(9./22. September)1

[„Rabotschij Put" Nr. 8, 12./25. September 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 1. Москва-Ленинград, 1924]

(Genosse Trotzki betritt das Podium, fast die ganze Halle begrüßt ihn mit stürmischem, anhaltendem Applaus.)

Sie wollen, – sagt Genosse Trotzki, – die Frage des Präsidiums in eine prinzipielle, programmatische, taktische Frage verwandeln. Aber die erste Tagesfrage ist die große politische Frage – die Demokratische Konferenz. Das ganze Gesicht des Sowjets wird in der Diskussion über diese Frage zum Ausdruck kommen.

Aber jetzt wird uns ein Weg angeboten, die grundlegenden Fragen wesentlich zu lösen, indem die grundlegenden Fragen wie der Krieg, die Macht und so weiter durch die Frage der sieben Mitglieder des Präsidiums ersetzt werden. Doch was passiert? Die vom Sowjet angenommene Resolution fordert die sofortige Beschlagnahmung des Bodens. Und hier schlagen sie uns vor: Wer gegen diese Forderung ist, der soll für Tschcheïdse stimmen. (Stürmischer Beifall) Wer gegen die unmittelbare Veröffentlichung der Geheimverträge ist, der soll für das alte Präsidium stimmen. Das ist eine grobe, vereinfachte Art, grundlegende Fragen zu lösen – eine solche Aussage ist vor allem für das alte Präsidium beleidigend.

Wenn die Resolution des Sowjets eine Krise verursacht, dann ist dies eine Krise vor allem des Exekutivkomitees und nicht des Präsidiums.

Der Redner besteht darauf, ein Koalitionspräsidium zusammenzustellen.

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Genosse Trotzki redet erneut.2 „Wir – sagt er – waren zutiefst davon überzeugt, dass nachdem Kerenski die Ansichten des Sowjets zu keinem einzigen wichtigen Thema erfragt hatte, obwohl er im Namen des Sowjets in die Regierung ging; nachdem er die Todesstrafe für Soldaten eingeführt und nicht einmal die Frage gestellt hat: Was wird die Soldatensektion dazu sagen? – nach Kerenskis allzu bestimmter Haltung gegenüber dem Sowjet waren wir überzeugt, dass er nicht mehr im Petrograder Sowjet sei. (Lauter Beifall) Aber es stellt sich heraus, dass wir falsch lagen und zwischen Tschcheïdse und Sawadje der Schatten Kerenskis schwebt. Genossen, wenn Sie aufgefordert werden, die politische Linie des Präsidiums zu billigen, so denken Sie daran, vergessen Sie nicht, dass Sie aufgefordert werden, die Politik Kerenskis selbst zu unterstützen (Stürmischer Applaus).

1 Die Frage des Präsidiums entstand im Zusammenhang damit, dass der Petrograder Sowjet in seiner Sitzung vom 1. September eine bolschewistische Resolution angenommen hatte. Das menschewistisch-sozialrevolutionäre Präsidium beschloss zurückzutreten. Dies wurde auf der Sitzung des Exekutivkomitees am 5. September bekannt. Als Reaktion auf den Vorschlag der Bolschewiki für die Wiederwahl des Präsidiums kündigte Dan die Entscheidung des alten Präsidiums zum Rücktritt an. Die Frage wurde ins Plenum des Sowjets gebracht. Eine Erklärung der bolschewistischen Fraktion wurde von Kamenew abgegeben, der vorschlug, ein Koalitionspräsidium auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts zu wählen. Die Antwort wurde vom Menschewisten Bogdanow gegeben, der im Gegensatz dazu die Frage nach der Zusammensetzung des Präsidiums mit der politischen Linie des Rates grundsätzlich verknüpfte. Trotzki erwiderte ihm. Angesichts der Tatsache, dass die Rede sehr gedrängt und unklar dargestellt ist, fragten wir L. D. Trotzki, der folgendes antwortete:

Das Wesen unseres Manövers war folgendes: Die Sozialrevolutionäre und Menschewiki präsentierten ihre Liste für das Präsidium ohne die Bolschewiki und gegen die Bolschewiki. Wir hätten ein rein bolschewistisches Präsidium vorschlagen können, aber wir befürchteten, dass wir mit einem solchen Ansatz in der Minderheit sein würden. Dann haben wir beschlossen, einen Vorschlag eines Koalitionspräsidiums zu unterbreiten, auf der Grundlage der proportionalen Vertretung, wobei wir nicht ohne Grund darauf setzten, dass wir auf diese Weise das schwankende Zentrum auf die Seite unserer Liste ziehen würden. Zur Verteidigung dieser Liste wurde die Rede gehalten.“

Das Manöver war bekanntlich ein Erfolg, und das bolschewistische Präsidium stand an der Spitze des Sowjets.

2 Die zweite Rede des Genossen Trotzki wurde dadurch verursacht, dass Zereteli in der Debatte versehentlich erwähnte, dass Kerenski weiterhin Mitglied des Präsidiums des Petrograder Sowjets sei und dass die Abwesenheit seines Namens von der Liste der Präsidentenmitglieder, die zurückgetreten waren, nur auf die Abreise Kerenskis aus Petrograd zurückzuführen sei. Diese polemische Episode hatte einen großen Einfluss auf das Wahlergebnis.

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