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Leo Trotzki 19171101 Wir brauchen Frieden

Leo Trotzki: Wir brauchen Frieden

[„Arbeiter und Soldat" Nr. 3, 19. Oktober/1. November 1917. Ohne Unterschrift gedruckt. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Der Krieg ruiniert uns. Jeder neue Kriegstag bringt uns neue Wunden. Es gibt kein Brot, kein Brennholz, keine Kohle. Und jeden Tag wird es schlimmer. Die Stellung der Front ist unerträglich. Soldaten in den Schützengräben sind ohne Kleidung, ohne Schuhe, ohne Essen. Und sie sehen kein Ende des Krieges, sie sehen keinen Ausweg. Unter diesen Bedingungen sind die Reden von der Erhöhung der „Kampfeffizienz" der Armee leere und betrügerische Worte. Regierungsbeamte und ihre Nachbeter wiederholen diese Worte, um den erbärmlichen Bankrott ihrer Politik zu vertuschen. Und unsere Truppen gehen in den Gräben zugrunde und werden von Empörung und Verzweiflung erfasst. Die Frontdelegierten sagen, dass die Idee sich immer weiter verbreitet: „Wenn der Frieden nicht vor dem 1. November geschlossen ist, dann liegt es an den Soldaten, mit ihren eigenen Mitteln Frieden zu schließen".

Auf diesen Weg der Verzweiflung wird die erschöpfte Armee von der Politik der Regierung gedrängt, den Krieg in die Länge zu ziehen. Es gibt eine Grenze für menschliches Durchhaltevermögen. Es gibt eine Grenze für menschliches Leiden. Die Konterrevolutionäre – die Rodsjankos, Rjabuschinskis, Miljukows – versuchen absichtlich, die Armee völlig zu zerstören, in Hungerkämpfe zu treiben, um sie umso mehr in ihrem eigenen Blut zu ersäufen. Sie hoffen, mit dem Zerfall der revolutionären Armee ihre Macht zu festigen. Die Kompromissler (rechte Sozialrevolutionäre und Menschewiki) humpeln und stehen sinnlos hinter der Bourgeoisie und helfen ihr, die Armee und die Revolution zu zerstören.

Wir brauchen Frieden. Die jetzige Regierung ist nicht in der Lage, Frieden zu schenken. Das hat auch der Außenminister Tereschtschenko bei seiner Rede im Vorparlament gezeigt.1 Es ist notwendig, den Krieg im Bündnis mit den Imperialisten fortzusetzen, solange diese verbündeten Imperialisten es für notwendig halten, den Krieg fortzusetzen – so antwortete die Provisorische Regierung durch den Mund ihres Tereschtschenko dem Volk. Folglich wird die Frage des vierten Winterfeldzuges und des Blutes des russischen Soldaten immer noch von den Börsen von London und New York entschieden und nicht vom russischen Volk.

Die Kompromissler versprachen, den Beginn des Friedens zu beschleunigen, indem sie den Menschewisten Skobelew nach Paris zur Alliierten Konferenz schicken. Dort werde Skobelew die Alliierten davon überzeugen, ihre Raubpläne aufzugeben und den Deutschen einen demokratischen Frieden zu bieten. Skobelew war es jedoch noch nicht gelungen, Petrograd zu verlassen, da hatte er bereits eine Antwort erhalten. Die verbündete Bourgeoisie hat dieses ganze Unternehmen einfach verspottet. Alliierte Diplomaten wollen mit russischen Diplomaten und Generalen darüber sprechen, wie man den Krieg fortsetzen kann, und nicht, wie man Frieden schafft. Die russische Regierung erklärte sich einverstanden, Skobelew nach Paris zu schicken, aber unter der Eskorte der Kornilowisten Maklakow und General Russkij und verlangte, dass Skobelew mit ihnen zusammenarbeite. Jedem, der nicht blind ist, ist klar, dass man von dort keinen Frieden erwarten kann. Das Kompromisslertum mit alliierten Börsenmaklern und Diplomaten ist ebenso verhängnisvoll wie das Kompromisslertum mit der eigenen Bourgeoisie.

Wir brauchen Frieden. Gehen wir zu ihm auf direktem, d.h. revolutionärem Weg. Wir müssen uns direkt an die Völker, die Armeen wenden und ihnen sofort einen Waffenstillstand an allen Fronten anbieten.

Alle Völker hungern nach Frieden und sind vom Hass auf die Bourgeoisie durchdrungen, die den Krieg verschleppt. Ein direkter und offener Vorschlag für einen ehrlichen demokratischen Frieden wird jetzt in den Schützengräben und im Hinterland in allen Ländern auf ein mächtiges Echo treffen.

Revolutionäre Arbeiter, verzweifelte Soldaten und Matrosen, Krüppel, Witwen, hungernde Mütter hungernder Kinder – das sind unsere wahren Verbündeten in allen Ländern.

Der deutsche Kaiser, bedeckt mit dem Blut von Millionen, will seine Truppen nach Petrograd vorrücken lassen. Wir fordern die Hilfe der deutschen Arbeiter, Soldaten, Matrosen und Bauern gegen den Kaiser, die sich nicht weniger nach Frieden sehnen als wir. Wir werden zu ihnen sagen: „Im Namen des russischen Volkes bieten wir euch einen sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten: Nieder mit dem Winterfeldzug, Nieder mit dem verdammten Krieg!"

Wer sollte ein solches Angebot machen? Eine revolutionäre Macht, eine echte revolutionäre Regierung, die sich auf Armee, Flotte, Proletariat und Bauernschaft stützt – auf den Allrussischen Sowjet der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten.

Eine solche Regierung würde über die Köpfe der verbündeten und feindlichen Diplomaten hinweg direkt an die deutschen Truppen appellieren. Sie würde die deutschen Schützengräben mit Millionen von Appellen auf Deutsch füllen, wo man sagen würde: „Die russische Regierung bietet euch im Namen des freien russischen Volkes einen sofortigen Frieden". Unsere Piloten würden diese Appelle auf deutschem Boden verteilen. Der Telegraf würde sie überall hin in die Welt tragen. „Völker Europas, die russische revolutionäre Macht lädt euch alle ein, im Namen eines ehrlichen Friedens sofort die Waffen niederzulegen".

Ein solcher Appell würde eine starke Antwort finden. Der Ruf: „Lang lebe ein sofortiger Waffenstillstand!" – würde die gesamte Bevölkerung Europas erfassen. Keine europäische Regierung könnte den Krieg gegen einen unwiderstehlichen Volksdruck fortsetzen.

Nur so kann Frieden erreicht werden: von Volk zu Volk. Der Allrussische Sowjetkongress der Arbeiter- und Soldatendeputierten muss diesen Weg gehen.

1 Diese Deklarationsrede wurde von Tereschtschenko in der Sitzung am 16. Oktober gehalten. Eine würdige Zurückweisung seiner alten Schimpferei über die Vereinigung mit den Verbündeten und die Notwendigkeit, den deutschen Imperialismus zu zerstören, wurde in der Zeitung des Petrograder Sowjets „Arbeiter und Soldat" in einem Artikel mit dem Titel „Die Antwort der Regierung auf die Schützengräben" gegeben:

Der Außenminister Tereschtschenko hielt im Vorparlament eine große Rede über Krieg und Frieden. Was sagte der schweigsamste unserer Minister der Armee und dem Volk?

Erstens sind wir eng mit unseren Verbündeten verbunden (nicht den Völkern, sondern ihren Regierungen).

Zweitens sollte die Demokratie nicht über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit sprechen, einen Winterfeldzug durchzuführen; die alliierten Regierungen sollten entscheiden.

Drittens war die Offensive vom 18. Juni eine wohltätige und glückliche Angelegenheit (Tereschtschenko schwieg über die Folgen der Offensive).

Viertens ist es nicht wahr, dass sich die verbündeten Regierungen nicht um uns kümmern. „Wir haben bestimmte Aussagen unserer Verbündeten" ... Aussagen. Und Taten? Und das Verhalten der englischen Flotte? Und die Verhandlungen des englischen Königs mit dem verbannten Konterrevolutionär Gurko? Der Minister hat darüber nichts gesagt.

Fünftens ist der Auftrag Skobelews schlecht, dieser Auftrag missfällt den Verbündeten und russischen Diplomaten, und „auf der Verbündetenkonferenz müssen wir in einer Sprache sprechen“.

Und das ist alles? Alles. Wo sind die Auswege? Der Glaube an die Alliierten und an Tereschtschenko. Wann wird der Frieden kommen? Wenn die Alliierten es erlauben. Dies ist die Antwort der Provisorischen Regierung auf die Schützengräben in der Friedensfrage.“

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