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Leo Trotzki 19220519 Bericht und Schlusswort zur französischen Frage

Leo Trotzki: Bericht und Schlusswort zur französischen Frage

[Nach Bericht über die Tätigkeit des Präsidiums und der Exekutive der Kommunistischen Internationale für die Zeit vom 6. März bis 11. Juni 1922. Hamburg 1922, S. 58-63 und 65-67]

Unsere Kommission hatte den Auftrag, drei Schriftstücke auszuarbeiten: Eine Resolution über den Fall Fabre dann eine Deklaration über denselben Fall, d. h. über die Ausschließung Fabres, seines Blattes und derjenigen, die ihn unterstützen werden; ferner einen erläuternden Brief an das Zentralkomitee, der nicht zur Veröffentlichung bestimmt ist und der alle Fragen behandelt, die das Zentralkomitee unserer französischen Partei von der Kommunistischen Internationale trennen. In der Kommission war die französische Partei durch vier Genossen vertreten.

Die Resolution über die Ausschließung:

Man hat die Einwände gemacht, der Fall Fabre wäre nicht so wichtig, dass man deshalb ein „schweres Geschütz" auffahren lassen müsste Es entspreche nicht den wirklichen Verhältnissen in der französischen Partei, die Persönlichkeit Fabre in der Weise in den Vordergrund zu rücken. Die Kommission ist dennoch der Meinung, das der Schlag gegen Fabre und seine Gruppe richtig ist. Sein Blatt ist der Rendezvous-Ort all jener Elemente, die die Kommunistische Partei untergraben, sie verderben, ihr feindselig gesinnt sind, die sich aber in eine kommunistische Flagge hüllen. Dort erscheinen die Artikel Verdies, der gestern noch Mitglied unserer Partei war, darüber, dass die Kommunistische Internationale an gewissen geheimen Krankheiten gestorben sei; die Artikel Besnards und anderer anarchisierender syndikalisierender Kleinbürger, die völlig dem Kommunismus feindselig gegenüberstehen. Man findet unter den Mitarbeitern Fabres Verfeuille, das Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, der dort die Beschlüsse, die zusammen mit der französischen Delegation hier gefasst wurden, kritisiert, der das Märchen von dem geheimnisvollen Einfluss Souvarines auf die Exekutive dort verbreitet und das alles ohne einen Ordnungsruf seitens der Partei. Man liest keine Antwort in der „Humanité" oder in der „Internationale". Neulich übernahm Fabre auch die Verteidigung der Sozialrevolutionäre. Es ist ihm gleich, ob er nun Verfeuille, Verdier, Meric zu seinen Zwecken dienstbar macht, die Hauptsache ist, dass sie die Kommunistische Partei untergraben, verderben. Er ist ein Agent der Bourgeoisie in der Partei. Wir haben den mathematischen Punkt aufs Korn genommen, in dem sich alle dem Kommunismus feindlich gegenüberstehenden Richtungen treffen.

Der Schlag, den wir gegen ihn führten, trifft alle diese Elemente, die eine Koalition der Partei feindselig gestimmten Kräfte anstreben! Und wie ein Echo werden sie alle antworten: Hier sind wir: Deshalb besagt unser Beschluss, dass Fabre nur den Anfang bildet und dass alle Elemente, die ihn unterstützen werden, ebenfalls aus der Partei ausgeschlossen werden, sobald sie ein Lebenszeichen von sich geben. Sie werden das Lebenszeichen geben und sie werden von demselben Hieb getroffen.

Bei der Durchführung der Verpflichtungen, die die französische Delegation übernommen hat, hätte man erwartet, dass es in der Zukunft einen Block des Zentrums der Partei mit der Linken geben wird und dass die grundlegenden Prinzipien in der Presse erörtert werden. Dies geschah nicht. Die einzige Erläuterung erschien im Blatte Fabres und spricht von persönlichen Motiven oder Ukasen von Moskau.

Außer dem Beschluss über die Ausschließung Fabres wurde eine Erklärung der Exekutive, verfasst von unseren französischen Genossen, in erster Linie von unserem Genossen Sellier, durch die Kommission einstimmig angenommen.

Der Brief, in dem wir uns mit dem Zentralkomitee auseinandersetzen und ihm den einzuschlagenden Weg und die übernehmende Verantwortung bezeichnen, ist nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Wir zeigen darin die drei Richtungen, die im Zentralkomitee bestehen. Sie sind nicht genau bestimmt besonders die Richtung des Zentrums, die sich sehr häufig durch ihre Abwesenheit kundgibt, wie zum Beispiel heute unser werter Genosse Rappoport, der auch dieser Richtung angehört. Was wir wollen, ist das brüderliche freundschaftliche Einvernehmen zwischen diesem Zentrum, das so notwendig für die französische Arbeiterbewegung ist, das durch unsere Genossen Frossard Cachin verkörpert wird, und der Linken, verkörpert durch jene Elemente die die Führer des Komitees der 3. Internationale in Frankreich waren. Wir wollen ihre wahrhaft organische, sogar chemische Verbindung herbeiführen Das wird die gesündeste Entwicklung der Partei bewirken, ohne große Erschütterungen und ohne große Spaltungen. Und wenn Fabre einige Elemente mit sich zieht, werden wir uns nur beglückwünschen können, der große Block der Partei wird heil und gesund bleiben. Dieses Ziel wollten wir bisher mit allen unseren Auseinandersetzungen, Briefen und Resolutionen erreichen.

Das Resultat war, dass man immer zu einem formellen Einvernehmen gelangte. Die Resolutionen, mit der einzigen Ausnahme der Einheitsfront, wurden immer fast einstimmig angenommen. Und man sieht in Frankreich dennoch, dass die Rechte, die im „Journal du Peuple", sogar in der „Internationale", ja sogar in der „Humanité", diese Resolutionen mit größter Heftigkeit gegen uns auslegt. Die Antwort des Zentrums bleibt immer aus Schließlich erscheint verspätet der linke Flügel, und so gewinnt man den Eindruck einer Renaissance der Fraktionen innerhalb der Kommunistischen Partei.

Wie Sie wissen, haben wir die Demission der vier Genossen vom Zentralkomitee, wenn auch freundschaftlich, aber immerhin missbilligt. Wir erklärten im Namen der Internationale: Keine Fraktionen in der Kommunistischen Partei Frankreichs. Was wir wollen, ist die Vereinigung des Zentrums mit der Linken. Wenn aber dieser Block nicht verwirklicht ist (und er ist nicht verwirklicht worden, weil, wie es scheint, der gute Wille hierfür fehlte), dann ist natürlich die Grundlage einer Wiedergeburt einer linken Fraktion gegeben. Das ist die Gefahr, die jetzt die Zukunft der Partei bedroht. Die wichtigste Frage, die Frage der Gewerkschaften. Die Beziehungen zwischen der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften: das ist die Frage der ganzen Arbeiterklasse, der französischen Revolution. Der Marseiller Kongress hat in seiner Resolution auf diesem Gebiet eine neue Ära versprochen. Die erweiterte Exekutive in Moskau hat mit voller Zustimmung unserer französischen Genossen eine These verfasst, die noch präziser ist, als jene des Marseiller Kongresses. Die Genossen sagten: Warten Sie ein wenig, wir werden jetzt entschlossener auf diesem Wege vorwärts schreiten.

Wir sehen das Gegenteil. In der alten Gewerkschaft (CGT) konnte man noch die Arbeit der Kommunisten wahrnehmen, seitdem aber die Spaltung eine vollendete Tatsache ist sieht man in der gewerkschaftlichen Bewegung die kommunistische Partei nicht mehr. Man sieht nur die anarchisierenden Syndikalisten und die reinen Anarchisten, die erklären, die Gewerkschaft habe mit der Partei nichts gemein, die Kommunistische Internationale sei gänzlich kompromittiert und der revolutionäre Syndikalismus sei vollkommen genüge. Andrerseits sehen wir, dass Daniel Renoult und Frossard diese Richtung akzeptieren und sanktionieren. Renoult schreibt z. B. in der „Humanité" vom 13. April, dass sich die Partei bei der Kundgebung vom 1. Mai den Absichten der Vereinigten Gewerkschaften (CGT) ohne Vorbehalt fügen wird. Und Frossard sagt, das wäre nichts anderes, als die Fortsetzung der geschickten und voraussehenden Politik Jaurès', die wir jetzt fortführen.

Wir sehen also, dass in der Frage der Gewerkschaften ein großer Schritt nach rückwärts getan wurde in der Aktion. Man wagt es nicht, vor die Arbeiterklasse mit der kommunistischen Flagge hinzutreten, man verbirgt sich hinter dem Syndikalismus. Auch in der Theorie wurde ein großer Schritt nach rückwärts getan. Man spricht nicht mehr über die Thesen des Kommunismus, man deckt sich mit den Traditionen Jaurès, mit dem Jaurèsismus einer Tradition, die nicht mehr die unsere ist. Wir kennen die Bedeutung, die Persönlichkeit und das große historische Genie Jaurès Wir kennen aber auch seine Schwächen. Seine Vorstellung in der Gewerkschaftsbewegung war eine durchaus demokratisch-parlamentarische und keine revolutionäre; und wenn man diese Tradition in der französischen Bewegung fortsetzt, bedeutet dies den Tod der Kommunistischen Partei Frankreichs.

In der Frage der Einheitsfront ist in Frankreich alles gegen die Einheitsfront mobilisiert. Diese Frage ist von großer Bedeutung, aber wie Genosse Sinowjew am Anfang sagte, ist sie bloß eine Etappe des großen Kampfes zur Eroberung der Massen. Es handelt sich darum, die Massen zu erobern und nicht um die Einheitsfront. Die große Frage der Eroberung der Massen ist die einzige große Frage von Bedeutung. Die Formen jedoch die sie heute oder morgen annimmt, sind Dinge zweiten Ranges. Dennoch behandeln die französischen Genossen sie so, als wäre sie eine grundlegende Frage. Daniel Renoult schrieb einen Artikel, betitelt: Gegen die Entwaffnung der Revolution, dass die Einheitsfront ein Eitergeschwür ist, das aufbrechen muss. Er will die Partei vor der durch uns beantragten „Entwaffnung der Revolution" retten, vergisst aber mit Bloch, mit Meric, und mit den übrigen tolstoianischen und christianischen Pazifisten zu polemisieren, die die tatsächliche Entwaffnung der Revolution beantragen. Die Tatsache, dass man die sekundäre Frage erörtert, statt eine radikale und gründliche Reinigung der Partei vorzunehmen, bewegt uns dazu, unserer französischen Partei zuzurufen: „Genossen, lasst die Erörterungen über die Einheitsfront, 1. weil für die Internationale diese Frage bereits abgeschlossen ist, 2. weil Ihr noch nicht das Instrument geschaffen habt mit dem Ihr diese Frage anschneiden könntet. Ihr habt Eure Partei nicht zu einer Organisation gemacht, die fähig wäre, die Beschlüsse, die Ihr fasst zu verwirklichen.

Je mehr man die Artikel Renoults und anderer liest, umso mehr gewinnt man den Eindruck, dass die Frage der Einheitsfront, man in Frankreich sie behandelt, lediglich als Sicherheitsventil dient. Man lässt das revolutionäre Gefühl der Arbeiter der Partei, die ein gewisses Unbehagen empfinden und begreifen, dass es irgendetwas zu reparieren gibt, durch dieses Sicherheitsventil des Kampfes gegen die Einheitsfront verdampfen.

Tschitscherin hat als Mitglied unserer Partei, entsprechend den Anordnungen des Zentralkomitees, trotzdem dass wir keine Pazifisten sind, die Abrüstung beantragt. Die ganze Welt hat unsere Politik natürlich begriffen und ihr Beifall gezollt. Sie sahen, dass wir Barthou entlarven. Bei den Berliner Beratungen haben die Genossen Radek und Frossard dieselbe Frage an die sogenannten Pazifisten gestellt, wie Tschitscherin in Genua den Vertretern sämtlicher bürgerlichen Staaten sie stellte. Durch das Stellen dieser Frage in Berlin kann man die Pazifisten des Sozialismus entlarven.

Vor der ganzen Arbeiterklasse ist das ein Schauspiel von ungeheurer Bedeutung. Im Zentralkomitee der französischen Partei begreift man es nicht. Man will es nicht begreifen. Die Pazifisten in der Kommunistischen Partei Frankreichs sind dafür, dass man Barthou entlarve, wollen aber nicht, dass man sie selbst in der Partei entlarve. Die Frage der Einheitsfront erscheint ihnen deshalb als „Entwaffnung der Revolution", weil man dadurch sie selbst, die Pazifisten in der Partei, entwaffnet.

Was die Organisationsfragen anbetrifft, werden die Gewerkschaften von einer Koterie von Syndikalisten und Anarchisten geführt; sie sind bloß eine Koterie weil sie kein Programm, keine Organisation, keine Statuten und keine Kontrolle haben. Was unsere Partei anbetrifft, sagt sie dazu: Das ist nicht meine Sache, das ist nicht mein Gebiet. und überlässt dieses Gebiet frei für die politischen Konkurrenten. Diese Konkurrenten sind die syndikalistisch-revolutionären und anarchistischen Elemente, die geschickt genug sind in diesen Kreisen zu manövrieren und den in Frankreich sehr verbreiteten Wunsch nach Autonomie ausnützen.

Auch in der Partei konstatieren wir Symptome ähnlicher Sorte Da ist der Sekretär der Seine-Föderation, des mächtigsten Verbandes unserer Partei, George Pioch. Er schrieb einen „Moralischen Bericht", dessen Text hier vorliegt. In dem Bericht stehen Sachen wie: „Der Kommunismus ist die organisierte und friedliche Form der Liebe" Das ganze ist in diesem Sinne gehalten. Man könnte noch viele Zitate anführen. Und dieser Bericht wurde im Monat Mai unterbreitet, erörtert und angenommen. Gegen diesen Bericht traten mit einer Deklaration eine Reihe von Genossen wie Marte Bigot, Dunois, Ker, Loriot, Treint, Rosmer, Tommasi, VailIant-Couturier, auf blieben aber in der Minorität. So ist die Lage in der Seineföderation. Und Genosse Frossard schreibt an die Seineföderation einen Brief, in dem er, statt offen für die oben genannten Genossen einzutreten, von den Verdiensten George Piochs redet. Wir müssen in dieser Frage uns vollkommen an die Seite der Genossen Bigot, Dunois, Ker usw. stellen, selbst auf die Gefahr hin dass dies die Anfänge einer Fraktion, sogar die Gefahr einer Spaltung bedeute. Diese Gefahr lässt sich nur durch den notwendigen und heilsamen Block des Zentrums mit der Linken vermeiden.

Demgegenüber spricht Raul Verfeuille ein bisschen diskret, aber sehr deutlich über eine Neugruppierung in der französischen Bewegung Er deutet an eine „organisatorische Verbindung mit Longuet" Das zeigt klar die Lage in Frankreich. Es gibt zwei Möglichkeiten von Blockbildung: entweder das Zentrum mit der Linken oder das Zentrum mit der Rechten, letztere bereits mit den Longuetisten verbündet. In der „Humanité“ oder in der „Internationale“ findet man während dieser Vorbereitungsarbeit nirgends die Konzeption der Internationale, dagegen ununterbrochen Angriffe gegen die Einheitsfront.

Und wenn Genosse Rosmer es wagt, zwei oder drei Artikel zu schreiben, fragt Viktor Maric: Mit welchem Rechte schreibt, kritisiert, zensuriert Rosmer, der weder Redakteur noch Leiter noch Führer ist; woher nimmt er das Recht,

Wir verlangten in unserem Briefe, dass die erbitterte Polemik, gegen die Internationale und gegen ihre Beschlüsse eingestellt werde. Man antwortete: Wir nahmen die Einheitsfront aus Gründen der Disziplin an. Aus Gründer, der Disziplin annehmen, das bedeutet: in der „Humanité“ jeden Tag erbittert angreifen. Und wenn man Frossard nach Berlin entsendet, so geschieht dies „ausnahmsweise". In der Regel also greift man die Internationale an, ausnahmsweise führt man aber ihren Beschluss durch. Und das nennt man Disziplin der Aktion.

Zuguterletzt müssen wir auf die Tatsache zurückkommen, dass man immer sagt: die Internationale ist falsch unterrichtet! Wir haben nur Bruchstücke von Artikeln, wir haben nur durch die wohlbekannte diabolische Persönlichkeit bearbeitete Zitate. Demgegenüber steht fest, dass wir al es im Beisein unserer französischen Genossen erledigen. Auf dem Kongress wurden die Resolutionen, mit der einzigen Ausnahme der Einheitsfront, stets im Einvernehmen mit unseren französischen Genossen angenommen. Man schuf in Frankreich die Legende von der unfehlbaren Internationale, die aber falsch informiert und schlecht beraten ist.

In der Kommunistischen Partei gibt es Elemente verschiedener Herkunft. Es gibt da vorzügliche Elemente, die die 2. Internationale durchgemacht haben, die eine politische Erziehung, eine gewisse politische Erfahrung haben was der Arbeiterbewegung sehr nottut. Es sind auch jüngere Elemente Organisateure, Führer, Propagandisten da, die diese Fähigkeiten, diese Erfahrung nicht besitzen. Die Internationale handelte sehr richtig wenn sie alles aufgeboten hat, um die bereits gereiften, durch die 2. Internationale erzogenen Elemente in der neuen kommunistischen Partei zu behalten versuchte. Dies war der Fall mit Serrati in Italien, bei Levi in Deutschland, bei Smeral in der Tschechoslowakei. Die Resultate waren verschieden. In Italien erfolgte die Spaltung, aus der unsere Partei als Minderheit hervorging; in Deutschland ist Levi mit einer kleinen Gruppe Intellektueller ausgetreten und die Kommunistische Partei ist nach der Spaltung die Mehrheit der alten Partei geblieben; in der Tschechoslowakei haben wir Smeral und jene Elemente die ihm ideologisch am nächsten stehen, der kommunistischen Bewegung erhalten, und ich glaube mit großem Nutzen für die kommunistische Bewegung in der Tschechoslowakei. Wir sehen also, dass die Gefahr beseht, dass die Spaltung in dem einen oder anderen Lande sich in falscher Richtung vollziehen kann und in eine Richtung geht, die trotz unseres festen Willens zur Isolierung des linken Flügels führt.

In Frankreich ist es unser höchstes Interesse, die Vereinigung zustande zu bringen, den Block zwischen dem Zentrum, d. h. der Richtung Cachin, Renoult, Sellier; und dem linken Flügel.

Man sagt, dass dieser oder jener Genosse von der Linken manchmal ungeschickte Reden gehalten hat. Wenn das wahr ist, so ist es sehr bedauerlich. Alles in allem aber ist die Linke von dem Willen erfüllt, den Kommunismus, die Kommunistische Internationale zu vertreten. Das ist eine Tatsache. Und wenn die Linke Fehler macht, wird die Internationale sie schon kontrollieren, und die Linke wird sich immer unterwerfen.

Dem Zentrum gegenüber haben wir immer vorsichtig gehandelt, und ich könnte Beispiele für die wahrhaft brüderlichen und freundschaftlichen Anstrengungen anführen, die wir gemacht haben, um unser Ziel zu erreichen, ohne jemanden zu kränken und ohne scharfe Methoden anzuwenden.

Die Einheit des Zentrums mit der Rechten gegen die Linke wäre der Tod des französischen Kommunismus. Die Einheit des Zentrums mit der Linken, das ist die Zukunft des französischen Kommunismus. Das muss jetzt offen verkündigt werden, nicht in diskreter Weise. .

Wir haben es bisher in diskreter Weise getan, wir haben nichts erreicht. Heute muss energischer gesprochen werden. Wenn wir unseren Brief in etwas stärkerer Tonart geschrieben haben, als dies früher der Fall war, geschah dies, weil wir die Lage in Frankreich für sehr ernst, sehr kritisch halten.

Schlusswort:

Die sehr interessante Rede des Genossen Sellier trachtete die gegenwärtige Lage der Dinge in Frankreich zu erklären. Marx sagte einst, dass es sich nicht bloß darum handelt, die Welt zu erklären, sondern auch darum, sie zu ändern. Dies trifft vollkommen auf diese Lage zu. Die Meinung, dass die Linke auch keine andere Politik treiben könnte als das Zentrum, ist etwas fatalistisch, und besagt, dass die Politik des gegenwärtigen Zentralkomitees das Maximum kommunistischen Wollens und kommunistischer Aktivität darstellt. Das ist aber nicht der Fall. Was wir eben dem Zentralkomitee vorwerfen, ist seine Passivität, sein Fatalismus. Die Entwicklung wird nicht nur durch eine molekularische Arbeit der inneren Kräfte der Partei bewirkt, sondern auch durch Krisen, durch Erschütterungen, in denen in hohem Maße von, dem Willen von 3, 4, 5 Mitgliedern abhängt, die Zukunft der letzteren auf Jahre hinaus zu bestimmen. In einem solchen Moment, wo die Wahl zwischen 2 oder 3 Richtungen getroffen werden muss, gewinnt das Zentralkomitee, die Männer, die durch das Proletariat in der Vergangenheit an die Spitze der Partei gestellt wurden, bedeutende Wichtigkeit. Dieser Augenblick ist für die französische Partei eben da. Da genügt es nicht, Erklärungen zu geben. Da ist eine Taktik, eine Stellungnahme, eine politische Richtung notwendig. Es wurde uns gesagt: Man darf nicht die Partei mathematisch in eine Rechte, in ein Zentrum und in eine Linke einteilen. Das stimmt bis zu einem gewissen Grade. Es bestehen natürlich verschiedene Schattierungen. Wenn wir jedoch diese Schattierungen einer politischen Beurteilung unterziehen, finden wir, dass sie sich um drei Punkte gruppieren. Augenblicklich gibt es ein Zentrum, in dem Fall Pioch von Frossard vertreten, eine Rechte und eine Linke. Was die höfliche Verabschiedung Piochs bei seiner Demission anbetrifft, müssen wir darauf hinweisen, dass die Höflichkeit in Frankreich eine starke und gefährliche politische Macht ist. Für die Bourgeoisie ist die Höflichkeit das Mittel, mit dessen Hilfe sie die aus der Masse hervorgehenden revolutionären Elemente einlullt. Es ist typisch die Höflichkeit des Parlamentes, wo gute Arbeiter, die hineinkamen, um den Schmerz, den Hass der Arbeiterklasse gegen ihre Unterdrücker kundzugeben, durch die im Laufe der Sitzung herausgebildete Höflichkeit jedoch eingelullt, man könnte sagen, gelähmt wurden.

In dem Falle Pioch war es die Linke, die die Richtung der Internationale vertrat, und sie vertrat sie in vorzüglicher Weise. Die Aufgabe des Genossen Frossard wäre gewesen, statt ihm Höflichkeiten zu sagen, seine Politik zu billigen oder zu missbilligen, und das tat er nicht. Durch unseren Brief wollen wir es erzwingen, dass die Genossen ihre Meinung endlich sagen. Bisher schwiegen sie, wie unser Genosse. Rappoport, der sich der Teilnahme an der Sitzung enthält. Man sagt, Pioch hat nicht nur Dummheiten gesprochen. Darin liegt eben die Gefahr. Wenn Pioch nur Blödsinn sprechen würde, bestände keine Möglichkeit, ihm eine Stelle anzuvertrauen. Er ist aber beredt, spricht in vielen Versammlungen, hat die Flagge der Partei über sich, die Arbeiter gewöhnen sich daran, ihn als Vertreter der Partei anzusehen. Und in dem Augenblick, da er sich.über Fragen von Leben und Tod zu äußern haben wird, wird er seine Autorität dazu gebrauchen, die Arbeiter auf Abwege zu führen.

Die Behauptung, dass die Rechte nur die Angriffe abwehrt, scheint nicht stichhaltig zu sein. Das Zentrum der Partei hat die „Humanité" und die „Internationale" in seinen Händen und für die Linke, ja selbst für die Kommunistische Internationale ist es eine schwierige Sache, mit ihren Gedanken in die Spalten der „Humanité" einzudringen. Gegen die Bourgeoisie, gegen den Militarismus kämpft die „Humanité" gut, aber in den Fragen, die durch den Werdegang der Partei hervorgerufen worden sind, schweigt sie, und die Antwort erteilt die Rechte. Weder Cachin noch Frossard äußerten sich über die Hauptfragen. Verfeuille ist es, der sich äußert. Er nützt die Autorität aus, die er den Artikeln Cachins dadurch verdankt, dass er derselben Partei angehört wie Cachin. Wenn sich Cachin über das Verhalten Verfeuilles, über das Verhalten Piochs nicht äußert, überlässt er das Feld der Rechten, und wir müssen gegen das Zentrum die Anklage erheben, dass es durch seine Art, sich in den dringendsten Fragen Enthaltsamkeit aufzuerlegen, das Feld der Rechten überlässt. —

Die persönlichen Missverhältnisse kennen wir selbst. Man ist auch bei uns menschlich. Die persönlichen Angelegenheiten müssen sich jedoch in einer gewissen politischen Bahn entwickeln. Man muss zunächst diese politische Bahn feststellen, denn bei allen Richtungen, die sich politisch nicht klar äußern, erlangen die persönlichen Angelegenheiten eine vorherrschende Bedeutung.

Was die Rolle der Tradition in den Gewerkschaften anbetrifft:- Die Bedeutung dieser Traditionen anerkennen oder sich vor ihnen andächtig verbeugen, sind zwei durchaus verschiedene Dinge. Man findet in der „Humanité" Resolutionen, Artikel von Syndikalisten, die gegen uns gerichtet sind und ohne Kommentar veröffentlicht werden. Warum antwortet die Partei nicht? Um die Syndikalisten nicht zu verletzen? Das ist doch aber die beste Art, ihre Vorurteile, die Überbleibsel der Vergangenheit aufrecht zu erhalten und ihren Einfluss auf die Arbeiterbewegung sicherzustellen.

Wenn man die Ausschließung der dazu reifen Elemente immer verschiebt, so riskieren wir, sie bis zum Augenblick der Revolution zu verschieben. Es besteht die Gefahr, dass man bis zu diesem Augenblick Autoritäten, Berühmtheiten unterstützt, die sich im entscheidenden Moment gegen uns wenden. Im entscheidenden Augenblick wird dieser Umstand dem Feind als offene Türe dienen.

Man spricht auch von unseren Regierungsfehlern. Meric, Verfeuille argumentieren gerne damit, dass wir Bolschewiken selbst zugeben, viele Regierungsfehler begangen zu haben und können dementsprechend auch bei dem Eingreifen in die Politik der Internationale Fehler begehen.

Es gibt aber verschiedene Fehler.

Unsere Regierungsfehler sind die Fehler der ersten proletarischen Regierung. Es ist kein Beispiel vorhanden, das uns lehren würde, sie zu vermeiden. Eben deshalb verkünden wir aber, dass es Fehler sind, damit die Arbeiter in Frankreich, in Deutschland, überall sie erfahren und aus ihnen lernen. Die Fehler aber, die jetzt in der französischen Partei begangen werden, sind nicht neue Fehler. Sie sind bekannt, sehr bekannt. Sie sind schon registriert, katalogisiert, und wir beantragen nur Heilmittel gegen diese wohlbekannten Fehler.

Es ist richtig, dass der Brief nicht die Frage der Einheitsfront genügend analysiert. Wir glaubten die Streitfragen behandeln zu müssen. Die Frage der Einheitsfront ist dagegen bereits entschieden, die Taktik wird jetzt durchgeführt. Daher ist in dem Briefe von der Frage der Einheitsfront nur nebenbei die Rede. Man kann der Ansicht der Genossin Leiciague vollkommen zustimmen, dass ein zweiter Brief verfasst werden müsse, ein Schriftstück, das die auf dem Gebiete der Einheitsfront gemachten Erfahrungen analysiert, jene internationalen Erfahrungen, die die richtige Interpretierung möglich machen, die die in Frankreich gegebene falsche Interpretierung korrigieren. Man kann dem Briefe hinzufügen, dass die Einheitsfront in einem künftigen Briefe behandelt wird.

Es stimmt, dass die Ausschließung Fabres nicht alle Fragen löst. Sie stellt aber Fragen, auf die die Arbeiter klare Antwort verlangen, und diese Antwort wird erst gegeben sein, wenn die Massen der Partei einen vollkommen klaren Begriff, eine klare Vorstellung über die Lage erhalten haben.

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