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Leo Trotzki 19261101 Warum Opposition?

Leo Trotzki: Warum Opposition?

Rede auf der 22. Reichskonferenz der Kommunistischen Partei, 1. November 1926

[Nach Die Linke Opposition in der Sowjetunion. Band IV. Texte von 1926. Westberlin 1976, S. 288-321 und Sonntagsblatt der New Yorker Volkszeitung, 5. Dezember 1926, S. 4 und New Yorker Volkszeitung, 6., 7., 8., 9., 10. und 11. Dezember 1926, jeweils S. 3]

I

Genossen! Die Resolution beschuldigt die Opposition, darunter auch mich, der sozialdemokratischen Abweichung. Ich habe es versucht, nochmals jene Streitfragen durchzudenken, die uns, die Minderheit des ZK, von seiner Mehrheit in der letzten Periode trennen, d. h. in jener Periode, auf die sich der Name „Oppositionsblock" bezieht. Ich muss feststellen, dass die Streitfragen und unser Standpunkt in diesen Streitfragen keinen Stützpunkt für die Beschuldigung einer „sozialdemokratischen Abweichung" bieten.

Die Streitfragen.

Wir haben, Genossen, vor allem über die Frage gestritten, welche Gefahr uns in der gegenwärtigen Epoche, in der gegenwärtigen Periode droht: die Gefahr des Zurückbleibens unserer Staatsindustrie oder die Gefahr des Vorauseilens. Die Opposition – darunter auch meine Person – hat bewiesen, dass die reale Gefahr, die uns droht, im Zurückbleiben der Staatsindustrie hinter der gesamten volkswirtschaftlichen Entwicklung, besteht. Wir haben darauf hingewiesen, dass jene Politik, die auf dem Gebiete der Verteilung des Nationaleinkommens durchgeführt wurde, die Gefahr des weiteren Anwachsens der Disproportion in sich birgt. Das wurde aus irgendeinem Grunde „Pessimismus" genannt. Genossen, die Arithmetik kennt weder Pessimismus noch Optimismus. Die ökonomische Statistik kennt weder Optimismus noch Pessimismus, weder Kleinmut noch Kapitulation. Zahlen sind Zahlen. Wenn Sie die Kontrollziffern der Planwirtschaftskommission betrachten, dann sprechen diese Zahlen darüber, dass die Disproportion oder richtiger der, Mangel an Industriewaren, sich im vorigen Jahre durch die Summe von 380 Millionen-Rubel ausdrücken ließ, während diese Zahl in diesem Jahre 500 Millionen betragen wird, das heißt, die Disproportion ist nach den ursprünglichen Ziffern der Plankommission um 25 Prozent gestiegen. Genosse Rykow sagte in seinen Thesen, man könne hoffen (vorläufig nur hoffen), dass die Disproportion in diesem Jahre nicht anwachsen wird. Was gab aber zu dieser „Hoffnung" Anlass? Diese Hoffnung entspringt der Tatsache, dass die Ernte schlechter ausgefallen ist, als wir alle es erwartet haben. Ich könnte sagen, wenn ich den falschen Spuren unserer Kritiker folgen wollte, dass Genosse Rykow es in seinen Thesen begrüßt, dass die ungünstigen Verhältnisse bei der Einbringung der Ernte unsere nicht schlechte Ernte beeinträchtigt haben, da, wenn die Ernte größer gewesen wäre, sich unvermeidlich auch eine größere Disproportion herausgestellt hätte. (Zuruf des Genossen Rykow: „Ich habe eine andere Meinung.") Die Zahlen aber sprechen für sich. (Zuruf: „Warum haben Sie sich nicht zum Referat des Genossen Rykow zum Wort gemeldet?") Genosse Kamenew hat hier erklärt, warum wir das nicht getan haben. Darum, weil ich auf Grund dieses Spezialwirtschaftsreferats nichts in der Form von Zusatzanträgen oder Argumenten hätte hinzufügen können, was wir auf dem Aprilplenum dargelegt haben. Die Zusatzanträge und andere Vorschläge, die ich und andere Genossen auf dem Aprilplenum eingebracht haben, bleiben auch heute noch voll und ganz in Kraft. Die wirtschaftliche Erfahrung ist aber seit April augenscheinlich noch allzu klein, als dass wir im gegenwärtigen Stadium hoffen könnten, die in dieser Konferenz anwesenden Genossen zu überzeugen. Diese Streitigkeiten, die die Prüfung vor dem tatsächlichen Verlauf des Wirtschaftslebens noch nicht bestanden haben, aufzufrischen, würde bedeuten, die Atmosphäre unnütz zu verschärfen. Die gleichen Fragen werden für die Partei annehmbarer sein, wenn sie durch die neue Erfahrung ziffernmäßig überprüft werden können, da die objektive wirtschaftliche Erfahrung die Meinungsverschiedenheiten nicht danach entscheidet, ob die Ziffern optimistisch oder pessimistisch sind, sondern danach, ob sie richtig oder unrichtig sind. Ich glaube, dass unser Standpunkt über die Disproportion richtig war.

Wir haben über das Tempo der Industrialisierung gestritten, und ich befand mich unter jenen Genossen, die darauf hingewiesen haben, dass das gegenwärtige Tempo ungenügend ist, und dass gerade die ungenügende Geschwindigkeit des Tempos der Industrialisierung dem Prozess der Differenzierung des Dorfes eine außerordentliche Bedeutung verleiht. Es ist selbstverständlich noch nichts Katastrophales darin, dass der Kulak sein Haupt erhebt oder – das ist die Kehrseite der gleichen Frage – dass das Schwergewicht der Dorfarmut zurückgeht. Das sind schwerwiegende Erscheinungen der Übergangsperiode. Das sind krankhafte Erscheinungen. Selbstverständlich liegt darin kein Grund, zu „erschrecken". Man muss aber diese Erscheinungen richtig einschätzen. Und ich befand mich unter jenen Genossen, die behauptet haben, dass die Erscheinungen der Differenzierung des Dorfes sich gefährlich gestalten können, wenn die Industrie zurückbleibt, das heißt, wenn sich die Disproportion steigert. Wir sind verpflichtet, sagt die Opposition, die Disproportion in jedem Jahre zu verringern. Ich sehe darin nichts Sozialdemokratisches.

Wir haben darauf bestanden, dass die Differenzierung des Dorfes eine elastischere Steuerpolitik erfordert, gegenüber den verschiedenen Schichten des Dorfes, eine Verringerung der Steuern der ärmeren Mittelschichten der Bauernschaft und eine Vergrößerung der Steuerlast der wohlhabenderen Mittelschichten, einen energischeren Druck auf den Kulak, besonders was seinen Zusammenschluss mit dem Handelskapital anbelangt. Wir haben vorgeschlagen, 40 Prozent der Dorfarmut überhaupt von jeder Steuer zu befreien. Haben wir recht oder nicht? Ich glaube, wir haben recht; Sie glauben; dass wir nicht recht haben. Was es aber hier „Sozialdemokratisches" gibt, das ist mir ein Rätsel. (Heiterkeit.)

Wir sprachen darüber, dass das Wachstum der Differenzierung im Dorfe unter den Verhältnissen des Zurückbleibens der Industrie die Notwendigkeit mit sich bringt, doppelte Garantien auf politischem Gebiete zu haben, das heißt, dass wir uns keinesfalls mit der Erweiterung des Wahlrechts gegenüber dem Kulak, gegenüber den – wenn auch kleinen – Arbeitgebern und Ausbeutern abfinden können. Wir schlugen Alarm anlässlich der bekannten Wahlinspektionen, die das Wahlrecht des Kleinbürgertums erweitert haben. War das richtig oder nicht? Sie sagen, dass unser Alarm „übertrieben" war. Nun, nehmen wir an, dass dem so ist. Ich sehe aber hier nichts „Sozialdemokratisches".

Wir forderten, wir schlugen vor, den Kurs der landwirtschaftlichen Genossenschaften auf den „produktionsstarken Mittelbauern", unter welchem Namen gewöhnlich kein anderer als der Kulak auftritt, streng zu verurteilen. Wir schlugen vor, die Ausschwenkung der Kreditgenossenschaft nach der Seite der oberen Dorfschichten zu verurteilen. Ich verstehe nicht, Genossen, was es hier „Sozialdemokratisches" gibt.

In der Frage des Arbeitslohns gab es Meinungsverschiedenheiten. Ihrem Wesen nach laufen diese Differenzen darauf hinaus, dass wir der Ansicht waren und sind: im gegebenen Entwicklungsstadium unserer Industrie und unserer Wirtschaft, auf dem bereits erreichten Wirtschaftsniveau, darf die Frage des Arbeitslohns nicht mehr so gestellt werden, dass der Arbeiter zuerst die Arbeitsproduktivität erhöhen müsse, die dann zur Erhöhung des Arbeitslohns führen würde, sondern umgekehrt: die, wenn auch bescheidene Lohnerhöhung muss die Voraussetzung für die Erhöhung der Arbeitsproduktivität sein. (Zurufe: „Aus was für Mitteln?") Mag das richtig oder unrichtig sein, es enthält aber nichts „Sozialdemokratisches".

Wir haben die Ihnen bekannten Erscheinungen des innerparteilichen Lebens mit dem Wachstum des Bürokratismus in Zusammenhang gebracht. Ich glaube, dass es auch hier nichts „Sozialdemokratisches" gibt.

Wir wandten uns ferner gegen eine Überschätzung der ökonomischen Elemente der kapitalistischen Stabilisierung und gegen die Unterschätzung ihrer politischen Elemente. Wenn man zum Beispiel fragt: Worin besteht heute in England die ökonomische Stabilisierung?, dann stellt es sich heraus, dass diese Stabilisierung darin besteht, dass England zugrunde geht, dass es eine passive Handelsbilanz hat, dass sich der Außenhandelsumsatz verringert, dass die Produktion.zurückgeht. Das ist also die„ökonomische Stabilisierung" Englands. Woran hält sich aber das bürgerliche England? Nicht an Baldwin, nicht an Thomas, sondern an Purcell. Der Purcellismus ist das Pseudonym der gegenwärtigen „Stabilisierung" in England. Deshalb glauben wir, dass es grundfalsch ist, angesichts der Arbeitermassen, die den Generalstreik durchgeführt haben sich direkt oder indirekt mit Purcell zu solidarisieren. Deshalb haben wir die Auflösung des anglo-russischen Komitees gefordert. Ich sehe darin nichts „Sozialdemokratisches".

Wir haben auf einer neuen Revision der Statuten unserer Gewerkschaften bestanden, worüber ich im ZK Bericht erstattet habe, der Statuten, aus denen im vorigen Jahre das Wort „Profintern" gestrichen und durch „Internationale Gewerkschaftsvereinigung" ersetzt wurde, worunter man beim besten Willen nichts anderes als „Amsterdam" verstehen kann. Ich stelle mit Freude fest, dass diese Revision der vorjährigen Revision durchgeführt wurde, und dass die „Profintern" von Neuem in die Statuten unserer Gewerkschaften eingeführt wurde, was man begrüßen muss. Warum war aber unsere Unruhe darüber „sozialdemokratisch"? Das kann ich, Genossen, wirklich nicht verstehen.

Ich wollte – selbstverständlich nur in der kürzesten Form – die Hauptpunkte der in der letzten Zeit entstandenen Meinungsverschiedenheiten aufzählen. Unser Standpunkt in den betreffenden Fragen stützte sich darauf, dass wir jene Gefahren bemerkt haben, die der Klassenlinie der Partei und des Arbeiterstaats unter den Verhältnissen einer langwierigen Nep und in einer internationalen kapitalistischen Umgebung drohen können. Aus diesen Meinungsverschiedenheiten, aus dem Standpunkte, den wir bei diesen Meinungsverschiedenheiten verteidigt haben, kann man jedoch nicht einmal auf dem kompliziertesten logischen oder sogar scholastischen Wege eine „sozialdemokratische" Abweichung folgern.

Der Charakter unserer Revolution.

Deshalb war es notwendig, von diesen tatsächlichen, faktischen, ernsten, durch die gegebene Etappe unserer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung erzeugten Meinungsverschiedenheiten weit in die Vergangenheit zurückzugehen und Differenzen in der Auffassung des „Charakters unserer Revolution" überhaupt – nicht der gegebenen Etappe unserer Revolution, nicht der gegebenen konkreten Aufgabe, sondern des Charakters der Revolution überhaupt oder, wie es in den Thesen geschrieben steht, der Revolution „an sich", „ihrem Wesen nach", zu konstruieren. Die Deutschen sagen in solchen Fallen „an und für sich". Das ist ein bekannter metaphysischer Ausdruck, der bedeutet, dass die Revolution außerhalb des realen Zusammenhangs mit der sie umgebenden Welt, außerhalb ihres gestrigen und morgigen Tages als irgendeine „Substanz" betrachtet wird, aus der alles hervorgeht. Nun, in dieser Frage über die „Substanz" erwies ich mich als schuldig Im neunten Jahre der Revolution, und zwar schuldig dessen, dass ich den sozialistischen Charakter unserer Revolution leugnete Nichts weniger und nichts mehr! Ich habe das, Genossen, zum ersten Mal aus dieser Resolution selbst erfahren. Wenn die Genossen schon aus irgendeinem Grunde als notwendig erachten, eine Resolution auf Zitate aus meinen Schriften aufzubauen – und der Hauptteil der Resolution, der die Theorie der Ursünde („Trotzkismus") in den Vordergrund rückt, stützt sich auf Zitate daraus, was ich in den Jahren 1917 bis 1922 geschrieben habe – dann müsste man wenigstens das Wesentliche dessen nehmen, was ich über den Charakter unserer Revolution geschrieben habe.

Ich muss mich entschuldigen, Genossen, es ist kein Vergnügen, anstatt über das Wesen der Frage zu sprechen, sich darauf zu berufen, wer und wo er etwas geschrieben hat. Hier aber, in der Resolution, in der Begründung der „sozialdemokratischen Abweichung", sind Zitate aus meinen Schriften angeführt, und ich bin gezwungen, die notwendige Auskunft zu erteilen. Im Auftrage der Partei habe ich im Jahre 19221 das Buch „Terrorismus und Kommunismus" gegen Kautsky geschrieben, gegen die Charakterisierung unserer Revolution durch Kautsky als eine nicht proletarische und nicht sozialistische Revolution. Dieses Buch wurde in einer großen Anzahl von Auflagen sowohl bei uns, als auch im Ausland durch die Komintern herausgegeben. Das Buch fand keinesfalls einen feindlichen Widerhall bei unseren nächsten Genossen, darunter auch bei Lenin. Dieses Buch wird in der Resolution nicht zitiert.

Im Jahre 1922 schrieb ich im Auftrag des Politbüros ein Buch unter dem Titel „Zwischen Imperialismus und Revolution". In diesem Buch habe ich auf Grund der besonderen Erfahrung Georgiens, in einer Polemik mit der internationalen Sozialdemokratie, die gegen uns wegen Georgien eine Hetze inszenierte, – die Hauptfragen der proletarischen Revolution, die das Recht hat, nicht nur kleinbürgerliche Vorurteile, sondern auch kleinbürgerliche Institutionen niederzureißen, von neuem untersucht.

Auf dem III. Kongress der Komintern habe ich im Auftrage des ZK ein Referat gehalten, dessen Wesen darauf hinauslief, dass wir in die Epoche eines unbeständigen Gleichgewichts eingetreten sind. Ich polemisierte gegen den Genossen Bucharin, der damals glaubte, dass wir bis zum Siege des Sozialismus in der ganzen Welt durch eine ununterbrochene Kette von Revolutionen und Krisen gehen werden, und dass es keine „Stabilisierung" geben wird und geben kann. Damals hat mich Genosse Bucharin einer rechten (vielleicht auch sozialdemokratischen?) Abweichung beschuldigt. Im vollen Einvernehmen mit Lenin habe ich auf dem III. Kongress die von mir formulierten Thesen verteidigt. Der Sinn der Thesen war derart, dass wir, trotz der Verlangsamung der Revolution, diese Etappe überwinden werden durch die Entfaltung der sozialistischen Elemente unserer Wirtschaft.

Auf dem IV. Weltkongress im Jahre 19232 erstattete ich im Auftrage des ZK nach Lenin den Bericht über die Nep. Was habe ich bewiesen? Ich habe bewiesen, dass die Nep nur, eine Veränderung der Formen und Methoden des sozialistischen Aufbaus bedeutet. Und nun, anstatt diese guten oder schlechten, aber grundlegenden Arbeiten zu nehmen, in denen ich im Auftrage der Partei vom Jahre 1920 bis 1923 den Charakter unserer Revolution definiert habe, nimmt man aus der gleichen Periode einzelne Zitatchen aus einem Vorwort und einem Nachwort heraus, keines länger als zwei drei Zeilen. Kein einziges dieser Zitate ist, wiederhole ich, aus grundlegenden Arbeiten entnommen. Auf diesen vier Zitatchen (1907 bis 1922) beruht die Beschuldigung, dass ich angeblich den sozialistischen Charakter unserer Revolution leugne. Und nachdem das Gebäude dieser Beschuldigung bereits aufgebaut ist, werden in den Kessel dieser Ursünde alle übrigen Sünden, sogar die Opposition von 1925, hineingeworfen. Die Forderung einer rascheren Industrialisierung und der Vorschlag der Erhöhung der Steuerlasten des Kulaken entspringen dann aus diesen vier Zitaten. (Zuruf: „Macht keine Fraktionen!")

Genossen, ich bedaure, dass ich eure Zeit in Anspruch nehmen muss, aber ich muss dennoch einige Zitate anführen – ich könnte Hunderte anführen – um das zu widerlegen, was mir die Resolution zuschreibt. Vor allem lenke ich eure Aufmerksamkeit darauf, dass alle vier Zitate, auf die die Theorie der Ursünde aufgebaut wurde, Schriften entnommen worden sind, die ich in der Zeit von 1917 bis 1922 schrieb. Alles, was danach kam, ist, als ob es der Wind weggefegt hätte. Es ist unbekannt, ob ich nachher unsere Revolution als eine sozialistische betrachtet habe oder nicht. Man nimmt heute, Ende 1926, um den heutigen Standpunkt der sogenannten Opposition in den Hauptfragen der Wirtschaft und der Politik festzustellen, Zitate aus meinen persönlichen Schriften von 1917 bis einschließlich 1922, und dabei, ich wiederhole, nichts aus meinen wesentlichen Arbeiten, sondern aus solchen Arbeiten, die ich aus irgendeinem ganz zufälligen Anlass schrieb. Ich kehre zu diesen Zitaten zurück, und ich werde auf jedes von ihnen antworten. Erlaubt mir aber zuerst, einige wesentlichere Zitate aus der gleichen Periode anzuführen.

Folgendes sagte ich z. B. auf der Konferenz des Moskauer Gewerkschaftsrates am 28. Oktober 1921 nach der Einführung der NEP:

Wir haben jetzt unsere Wirtschaftspolitik umgestaltet. In der Erwartung, einer langwierigen Entwicklung unserer Wirtschaft. Wir rechnen damit, dass sich die Revolution in Europa, wenn sie auch wächst und erstarkt, doch langsamer entwickelt, als wir es angenommen haben. Die Bourgeoisie hat sich als zäher erwiesen. Auch in unserem Lande, das nach wie vor vom Kapitalismus eingekreist ist, sind wir gezwungen, mit einem langsameren Übergang zum Sozialismus zu rechnen. Unsere Kräfte müssen wir auf die größten und auf die am besten ausgerüsteten Unternehmungen konzentrieren. Dabei lassen wir nicht außer acht, dass die Naturalsteuern im Dorfe und die Zunahme der verpachteten Unternehmungen eine Grundlage für die Entwicklung der Warenwirtschaft, für die Akkumulation des Kapitals und für die Herausbildung einer neuen Bourgeoisie schaffen. Daneben wird auf der engeren, aber festen Basis der Großindustrie die sozialistische Wirtschaft aufgebaut werden."

Im Moskauer Bezirk Sokolniki habe ich in einer Mitgliederversammlung der KPdSU am 10. November des gleichen Jahres gesagt: „Was haben wir jetzt? Wir haben jetzt den Prozess der sozialistischen Revolution – erstens auf dem Boden eines Staates, und zweitens auf dem Boden des sowohl in ökonomischer wie auch in kultureller Hinsicht rückständigsten Staates, der von allen Seiten von kapitalistischen Ländern umgeben ist."

Welche Schlussfolgerungen zog ich daraus? Habe ich vorgeschlagen zu kapitulieren? Ich habe folgendes vorgeschlagen:

Unsere Aufgabe besteht darin, dass der Sozialismus seine Vorzüge beweist. … Der Bauer wird jener Richter sein, der über die Vorteile oder Nachteile des sozialistischen Staates urteilen wird. Wir konkurrieren auf dem bäuerlichen Markte mit dem Kapitalismus … "

Auf welche Grundlagen kann sich heute unsere Überzeugung, dass wir siegen werden, stützen? Es gibt sehr viele Gründe, die uns dazu berechtigen. Sie liegen sowohl in der internationalen Lage als auch in der Entwicklung der Kommunistischen Partei; sowohl darin, dass wir die Macht vollständig in unseren Händen behalten, als auch darin, dass wir den freien Handel nur innerhalb jener Grenzen gestatten, in denen wir ihn notwendig finden."

Das wurde, Genossen, im Jahre 1921 und nicht im Jahre 1926 gesagt!

In meinem Referat auf dem IV. Weltkongress sagte ich (das war besonders gegen Otto Bauer gerichtet, mit dem man mich jetzt so unerwartet in eine Verwandtschaft bringen will):

Unser Hauptmittel im wirtschaftlichen Kampfe auf der Grundlage des Marktes ist die Staatsmacht. Nur reformistische Dummköpfe können die Bedeutung dieses Werkzeuges nicht begreifen. Die Bourgeoisie versteht das vorzüglich. Das beweist ihre ganze Geschichte.

Ein anderes Werkzeug in den Händen des Proletariats bilden: der Besitz der wichtigsten Produktivkräfte des Landes, der gesamte Wirtschaftsverkehr, der gesamte Bergbau, die überwiegende Mehrzahl der Unternehmungen der verarbeitenden Industrie befinden sich unter der unmittelbaren Wirtschaftsführung der Arbeiterklasse.

Der Arbeiterklasse gehört gleichfalls der Grund und Boden, und der Bauer gibt dafür jährlich Hunderte von Millionen Pud Getreide in der Form der Naturalsteuer.

In den Händen der Arbeitermacht befindet sich die Staatsgrenze: die ausländische Ware, überhaupt ausländisches Kapital kann nur innerhalb jenes Rahmens in das Land eingeführt werden, wie es der Arbeiterstaat als wünschenswert und zulässig anerkennt.

Das sind die Werkzeuge und Mittel des sozialistischen Aufbaus"

In einem Büchlein, das ich im Jahre 1923 unter dem Titel „Fragen des Alltags" herausgab, heißt es über das gleiche Thema: Was eigentlich hat die Arbeiterklasse durch den bisherigen Kampf erreicht und gesichert?

1. Die Diktatur des Proletariats (mit Hilfe des von der Kommunistischen Partei geleiteten Arbeiter- und Bauernstaats).

2. Die Rote Armee als materielle Stütze der Diktatur des Proletariats.

3. Die Nationalisierung der wichtigsten Produktionsmittel, ohne die die Diktatur des Proletariats eine leere Form ohne Inhalt wäre.

4. Das Monopol des Außenhandels, das eine notwendige Bedingung der sozialistischen Aufbauarbeit unter der kapitalistischen Einkreisung ist.

Diese vier Elemente, die unwiderruflich erobert sind, bilden den stählernen Rahmen unserer Arbeit. Dank diesem Rahmen wird jeder unserer wirtschaftlichen oder kulturellen Erfolge – wenn es ein wirklicher und nicht nur ein vermeintlicher Erfolg ist – notwendigerweise zu einem Bestandteil des sozialistischen Bauwerks."

Und weiter kommt eine noch klarere und schärfere Formulierung im gleichen Büchlein:

Je leichter – natürlich nur relativ – dem russischen Proletariat der revolutionäre Umsturz geworden ist, desto schwieriger wird ihm die sozialistische Aufbauarbeit. Dafür verleiht aber der von der Revolution geschmiedete Rahmen unseres neuen sozialen Lebens, der durch die vier Grundelemente charakterisiert wird (siehe Anfang des Kapitals), allen ehrlichen, eine vernünftige Richtung einschlagenden Bemühungen auf dem Gebiete der Wirtschaft und Kultur einen objektiv sozialistischen Charakter. Unter der bürgerlichen Gesellschaftsordnung bereicherte der Arbeiter, ohne es zu wollen und zu beabsichtigen, die Bourgeoisie um so mehr, je besser er arbeitete. Im Sowjetstaat leistet der gewissenhafte und gute Arbeiter, ohne daran zu denken und sich darum zu kümmern (wenn er ein parteiloser und unpolitischer Arbeiter ist), sozialistische Arbeit und vergrößert die Mittel der Arbeiterklasse. Darin besteht ja gerade der Sinn des Oktober-Umsturzes, Und in diesem Sinne hat die Neue ökonomische Politik keine Veränderung gebracht."

II

Zum Kapitalismus oder zum Sozialismus?

Ich könnte diesen Rattenkönig von Zitaten äußerst verlängern, da ich unsere Revolution nie anders charakterisiert habe und charakterisieren konnte. Ich beschränke mich aber nur noch auf jenes Buch, das Genosse Stalin zitiert hat („Kapitalismus oder Sozialismus?"). Dieses Buch ist zum ersten Male im Jahre 1925 erschienen und wurde ursprünglich als Feuilleton in der „Prawda" abgedruckt. Die Redaktion des Zentralorgans hat mir gegenüber kein einziges Mal erwähnt, dass es darin irgendeinen ketzerischen Gedanken über den Charakter unserer Revolution gebe. In diesem Jahre ist die zweite Auflage des Buches erschienen, das durch die Komintern auch in fremde Sprachen übersetzt wurde; ich hörte früher nicht, dass das Buch unsere ökonomische Entwicklung unrichtig darstelle. Genosse Stalin hat zwei bis drei willkürlich herausgegriffene Zeilen vorgelesen, um zu erklären, dass dies „unbestimmt formuliert" sei. Ich bin daher gezwungen, ein etwas, längeres Zitat vorzulesen, um zu beweisen, dass der betreffende Gedanke ganz bestimmt formuliert ist. Folgendes wird vor allem im Vorworte gesagt, das der Kritik an unseren bürgerlichen und sozialdemokratischen Kritikern, vor allem an Kautsky und an Otto Bauer, gewidmet ist. Es heißt hier:

Die Urteile (der Feinde über unsere Wirtschaft) erfolgen in zwei Richtungen: erstens sagen, sie, dass wir, indem wir die sozialistische Wirtschaft aufbauen, das Land ruinieren; zweitens aber heißt es über uns: indem wir die Produktivkräfte entwickeln, kämen wir in Wirklichkeit zum Kapitalismus.

Die erste Art der Kritik ist kennzeichnend für das Denken des Bürgertums. Die zweite Art der Kritik ist der Sozialdemokratie eigen, d. h. dem sozialistisch maskierten bürgerlichen Denken. Eine strenge Grenze zwischen beiden Arten der Kritik gibt es nicht, und häufig vertauschen die beiden gut nachbarlich untereinander das Rüstzeug dieser Argumente und merken es kaum, berauscht vom heiligen Kriege gegen die kommunistische Barbarei.

Das vorliegende Büchlein wird hoffentlich dem unvoreingenommenen Leser zeigen, dass beide schwindeln, sowohl die unverhüllten großen Bourgeois, wie die kleinen Spießbürger, die Sozialisten zu sein vorgeben. Sie lügen, wenn sie sagen, dass die Bolschewiki Russland ruiniert hätten. … Sie lügen wenn sie sagen, dass die Entwicklung der Produktivkräfte in der Richtung zum Kapitalismus geht: in Industrie, Transport- und Verkehrswesen, Handel, Finanz- und Kreditsystem verringert sich nicht etwa die Rolle der Staatswirtschaft, je mehr die Produktivkräfte wachsen, sondern sie nimmt im Gegenteil innerhalb der Gesamtwirtschaft des Landes zu. Das bezeugen Zahlen und Tatsachen unzweifelhaft.

Weit komplizierter steht es hierin in der Landwirtschaft. Für einen Marxisten kommt dies nicht unerwartet: der Übergang von der ,atomisierten' Einzelbauernwirtschaft zur sozialistischen Landbearbeitung ist nur denkbar nach Überwindung einer Reihe von Stufen in Technik, Wirtschaft und Kultur. Grundbedingung für diesen Übergang ist, dass die Macht in den Händen der Klasse bleibt, die die Gesellschaft zum Sozialismus führen will und die in immer höherem Maße fähig wird, die bäuerliche Bevölkerung vermittels der Staatsindustrie zu beeinflussen, indem sie die Technik der Landwirtschaft auf eine höhere Stufe hebt und damit die Voraussetzung für die Kollektivierung des Landbaues schafft.

Der, Resolutionsentwurf über die Opposition sagt, der Standpunkt Trotzkis stehe den Anschauungen Otto Bauers sehr nahe, der sagt, dass in Russland, wo das Proletariat nur eine kleine Minderheit der Nation darstellt, das Proletariat seine Herrschaft vorübergehend behaupten kann, dass es sie wieder verlieren muss, sobald die bäuerliche Masse der Nation kulturell reif genug wird, selbst die Herrschaft zu übernehmen."

Vor allem, Genossen, wie kann man denn annehmen, dass eine so faule Fragestellung jemandem von uns einfallen könnte? Was ist das für eine Formulierung: „sobald die bäuerliche Masse der Nation kulturell reif genug wird"? Was bedeutet das? Was ist unter „kulturell" zu verstehen? Eine selbständige bäuerliche Kultur gibt es unter den Verhältnissen des Kapitalismus nicht. Die Bauernschaft kann in kultureller Hinsicht entweder unter der Führung des Proletariats oder unter der Führung der Bourgeoisie heranreifen. Nur diese zwei Möglichkeiten der kulturellen Entwicklung der Bauernschaft sind vorhanden. Für einen Marxisten stellt der Gedanke, dass die „kulturell herangereifte" Bauernschaft, nachdem sie das Proletariat gestürzt habe, die Macht selbständig ergreifen könne, das gröbste, abgeschmackteste Vorurteil dar. Wir wissen aus der Erfahrung, der zwei Revolutionen in der Beleuchtung von Lenin sehr gut, dass die Bauernschaft, wenn sie mit dem Proletariat in Konflikt geriete und die proletarische Macht stürzte, nur eine Brücke – durch den Bonapartismus – für die Bourgeoisie darstellen würde. Ein selbständiger Bauernstaat auf Grund einer weder proletarischen, noch bürgerlichen Kultur ist unmöglich. Deshalb ist diese ganze Otto Bauersche Konstruktion die kläglichste kleinbürgerliche Abgeschmacktheit.

Man sagt, wir glaubten nicht an den Aufbau des Sozialismus. Und zugleich beschuldigt man uns dessen, dass wir nichts mehr oder nichts weniger predigen als die „Ausplünderung" der Bauernschaft (nicht des Kulak, sondern der Bauernschaft!).

Ich glaube, Genossen, dass dies überhaupt nicht Worte aus unserem Wörterbuche sind: gegenüber der Bauernschaft können die Kommunisten dem Arbeiterstaat nicht eine „Ausplünderung" vorschlagen, und es handelt sich doch gerade um die Bauernschaft. Wenn man vorschlägt, 40 Prozent der Dorfarmut von jeder Steuer zu befreien und diese Steuern dem Kulak aufzuerlegen, dann kann das richtig oder unrichtig sein, es kann aber keinesfalls eine Ausplünderung der Bauernschaft sein.Ich frage euch aber: Wenn wir nicht an den Aufbau des Sozialismus in unserem Lande glauben oder (besonders, wie das über mich gesagt wird) vorschlagen, die europäische Revolution passiv abzuwarten, dann erklärt mir, wozu würden wir dann vorschlagen, die Bauernschaft „auszuplündern". Zu welchem Zwecke eigentlich? Das ist unbegreiflich. Wir glauben, dass die Industrialisierung – die Grundlage des Sozialismus – allzu langsam vor schreitet, und dass dies eine Plage für die Bauernschaft ist. Wenn, sagen wir, die auf den Markt gelangende Menge der bäuerlichen Produktion um 20 Prozent höher ist als im vorigen Jahre – ich nehme die Zahlen nur bedingt an –, wenn aber die Getreideverkaufspreise um 18 Prozent gefallen und die Preise verschiedener Industrieprodukte um 16 Prozent gestiegen sind, wie dies auch der Fall war, dann kann die Bauernschaft davon weniger haben als bei einer schwächeren Ernte und bei niedrigeren Kleinhandelspreisen für die Industrieprodukte. Die Beschleunigung der Industrialisierung, insbesondere durch eine stärkere Besteuerung des Kulaken, wird eine größere Warenmenge ergeben, die die Kleinhandelspreise herabdrückt, und dies ist sowohl für die Arbeiter als auch für die Mehrheit der Bauernschaft vom Vorteil.

Es ist möglich, dass ihr damit nicht einverstanden seid. Niemand wird es aber leugnen, dass es sich hier um ein System von Anschauungen über die Entwicklung unserer Wirtschaft handelt. Wie könnt ihr uns aber sagen: „Ihr glaubt nicht an die Möglichkeit, der sozialistischen Entwicklung, ihr fordert aber, dass der Muschik ausgeplündert wird"? Wozu denn? Zu welchem Zwecke? Niemand kann das erklären. Es gibt Sachen, die man nicht erklären kann. Ich habe mich zum Beispiel des öfteren gefragt, warum die Sprengung des Anglo-Russischen Komitees einen Aufruf zum Austritt aus den Gewerkschaften bedeuten würde? Und warum bedeutet dann der Nichteintritt in die Amsterdamer Internationale keinen Aufruf an die Arbeiter, den Amsterdamer Gewerkschaften nicht beizutreten? (Zurufe: Man wird es Ihnen schon erklären!) Auf diese Frage nahe ich bisher keine Antwort bekommen und werde auch keine Antwort bekommen. (Zuruf: Sie werden schon eine Antwort bekommen!) Auch auf die Frage, wie man es zustande bringen kann, nicht an den sozialistischen Aufbau zu glauben und zugleich bestrebt zu sein, die Bauernschaft „auszuplündern", werde ich keine Antwort bekommen.

Indessen wird in meinem zuletzt zitierten Buche ausführlich davon gesprochen, dass die richtige Verteilung des Nationaleinkommens gerade deshalb wichtig ist, weil unsere wirtschaftliche Entwicklung in dem Kampfe zweier Tendenzen besteht: der sozialistischen und der kapitalistischen Tendenz.

Der Ausgang des Kampfes hängt vom Entwicklungstempo jeder dieser Tendenzen ab. Mit anderen Worten: Wenn die Staatsindustrie sich langsamer als die Landwirtschaft entwickeln würde, wenn diese mit wachsender Beschleunigung jene polar entgegengesetzten Gruppen: kapitalistische Farmer ,oben', Proletarier ;unten', abscheiden würde, – so würde ein solcher Prozess natürlich zur Restauration des Kapitalismus führen.

Aber unsere Feinde sollen nur versuchen, die Unvermeidlichkeit dieser Perspektive zu beweisen. Auch wenn sie weit geschickter ans Werk gehen, als der arme Kautsky (oder MacDonald), werden sie sich die Finger verbrennen. Ist nun aber die eben angedeutete Perspektive ausgeschlossen? Theoretisch ist sie es nicht. Wenn die herrschende Partei einen Fehler nach dem andern begehen würde, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, wenn sie dadurch das Wachstum der Industrie, die sich jetzt so vielversprechend entfaltet, bremsen würde, wenn sie die Kontrolle über den politischen und wirtschaftlichen Prozess im Dorfe aus der Hand geben würde, dann natürlich wäre die Sache des Sozialismus in unserem Lande verloren. Wir haben jedoch bei unserer Prognose durchaus nicht nötig, von derartigen Voraussetzungen auszugehen. Wie man die Macht verliert, wie man die Errungenschaften des Proletariats preisgibt, wie man für den Kapitalismus arbeitet, das haben Kautsky und seine Freunde das internationale Proletariat nach dem 9. November 1918 glänzend gelehrt. Dem braucht keiner etwas hinzuzufügen.

Unsere Aufgaben, unsere Ziele, unsere Methoden sind andere. Wir wollen zeigen, wie man die eroberte Macht behauptet und befestigt und wie die Form des proletarischen Staates mit dem ökonomischen Inhalt des Sozialismus zu erfüllen ist."

Der ganze Inhalt des Buches (Zurufe: „Über die Genossenschaften ist nichts drin!") – es wird auch über die Genossenschaften gesprochen – der ganze Inhalt des Buches ist dem Thema gewidmet, wie die Form des proletarischen Staates mit dem ökonomischen Inhalt des Sozialismus zu erfüllen ist. Man könnte sagen (man macht darauf auch Anspielungen): Ja, du hast geglaubt, dass wir zum Sozialismus gehen, solange der Wiederaufbauprozess dauerte, solange das Entwicklungstempo der Industrie jährlich 45 oder 35 Prozent betrug, jetzt aber sind wir zu einer Krise des Grundkapitals gelangt, und du bist nun angesichts der Schwierigkeiten der Erweiterung des Grundkapitals in eine sogenannte „Panik" verfallen.

Ich kann nicht das ganze Kapitel: „Das Entwicklungstempo, seine materiellen Grenzen, seine Möglichkeiten" zitieren. Dort wird auf vier Elemente hingewiesen, die den Vorzug unseres Systems gegenüber dem Kapitalismus kennzeichnen, und es wird daraus folgende Schlussfolgerung gezogen:

Alles in allem werden diese vier Vorzüge – richtig benutzt, es uns ermöglichen, in den nächsten Jahren den Koeffizienten unseres Industriewachstums nicht nur auf das Doppelte der 6 Prozent der Vorkriegszeit zu steigern, sondern auf das Dreifache und vielleicht noch mehr."

Wenn ich nicht irre, wird der Koeffizient unseres industriellen Wachstums in diesem Jahre nach den Plänen 18 Prozent betragen. Allerdings gibt es da noch Wiederaufbauelemente. Jedenfalls ist jene sehr grobe statistische Prognose, die ich des Beispiels halber vor anderthalb Jahren aufgestellt habe, jenem faktischen Tempo, das wir in diesem Jahre haben, ziemlich nahegekommen.

III

Ist das Trotzkismus?

Sie fragen: Wodurch erklären sich nun jene fürchterlichen Zitate, die in der Resolution angeführt werden. Ich werde darauf antworten müssen. Vor allem aber wiederhole ich nochmals, dass von jenen grundlegenden Arbeiten, die ich über den Charakter der Revolution von 1917 bis 1922 geschrieben habe, kein einziges Wort zitiert wurde; über alles, was ich nach 1922, darunter auch, was ich im vorigen Jahre und was Ich in diesem Jahre geschrieben habe, wird überhaupt geschwiegen. Es wurden vier Zitate angeführt. Genosse Stalin hat sich mit ihnen in seinem Referat ausführlich beschäftigt, auch in der Resolution ist von ihnen die Rede, folglich werden Sie auch mir gestatten, mich mit ihnen zu beschäftigen.

Die Arbeiterbewegung siegt in der demokratischen Revolution. Die Bourgeoisie wird konterrevolutionär. Unter der Bauernschaft wird ihr wohlhabender Teil und auch ein beträchtlicher Teil der Mittelbauernschaft gleichfalls ,klüger', beruhigt sich und wendet sich nach der Seite der Konterrevolution hin, um dem Proletariat und der Dorfarmut die Macht aus den Händen zu schlagen … Der Kampf wäre fast hoffnungslos für das russische Proletariat allein, und seine Niederlage wäre unvermeidlich, … wenn dem russischen Proletariat das europäische sozialistische Proletariat nicht zur Hilfe eilen würde"

Ich fürchte, Genossen, dass, wenn jemand sagte, dass diese Zeilen ein böswilliges Produkt des Trotzkismus darstellen, viele Genossen daran glauben würden. Dieses Zitat stammt aber von Lenin. Im 5. Leninschen Sammelheft ist der Entwurf einer Broschüre, die Lenin Ende 1905 schreiben wollte, enthalten. Dort wird diese Perspektive geschildert: Die Arbeiter siegen In der demokratischen Revolution, der wohlhabende Teil der Bauernschaft und ein beträchtlicher Teil der Mittelbauernschaft wendet sich nach der Richtung der Konterrevolution hin. Übrigens ist dieses Zitat in der letzten Nummer des „Bolschewik" angeführt, und zwar auf Seite 68, leider mit einer groben Entstellung, obwohl es unter Anführungszeichen gebracht wurde: die Worte über den beträchtlichen Teil der Mittelbauernschaft sind einfach gestrichen. Ich fordere Sie auf, das 5. Leninsche Sammelheft, Seite 451, und die letzte Nummer des „Bolschewik" (Nr. 19/20), Seite 68, zu vergleichen.

Ich könnte aus den Werken Lenins Dutzende solcher Zitate anführen: Aus Band VI, Seite 398, aus Band IX, Seite 410, aus Band VII/I, Seite 192. (Ich habe keine Zeit, das hier vorzulesen, aber jeder, der will, kann es selbst nachprüfen.) Ich führe nur noch ein Zitat aus Band IX, Seite 415, an:

Die russische Revolution (es handelt sich um die demokratische Revolution) kann aus eigener Kraft ihre Errungenschaften nicht behaupten und nicht befestigen, … wenn im Westen kein sozialistischer Umsturz erfolgt. Ohne diese Voraussetzung ist eine Restauration unvermeidlich, sowohl bei der Kommunalisierung, als auch bei der Nationalisierung, als auch bei der Landteilung, da der kleine Landwirt bei allen Formen des Besitzes und des Eigentums eine Stütze der Restauration bilden wird. Nach dem vollen Siege der demokratischen Revolution wird sich der kleine Landwirt unvermeidlich gegen das Proletariat wenden." (Zuruf: Wir haben die Nep eingeführt!)

Führen wir nun jenes Zitat an, das ich im Jahre 1922 geschrieben habe, um zu charakterisieren, wie sich mein Standpunkt über die Revolution in der Epoche 1904/05 herausgebildet hat. Ich habe nicht die Absicht, Genossen, die Frage der Theorie der permanenten Revolution aufzurollen. Zu unseren jetzigen Streitigkeiten steht diese Theorie – sowohl das, was In ihr richtig war, als auch das, was in ihr unvollständig und falsch gewesen ist – in keinerlei Beziehung. Jedenfalls trägt für diese Theorie der permanenten Revolution, mit der man sich in der letzten Zeit so fleißig beschäftigt hat, weder die Opposition von 1925 noch die Opposition vom Jahre 1923 auch nur die geringste Verantwortung, und auch ich selbst betrachte diese Frage als eine Frage, die schon längst ad acta gelegt wurde.

Greifen wir aber nun auf das Zitat zurück, das in der Resolution angeführt wurde. (Ich schrieb das allerdings im Jahre 1922, aber vom Standpunkte der Jahre 1905/06.)

Nach der Machteroberung wird das Proletariat nicht nur mit allen Gruppierungen der Bourgeoisie, die es am Anfang seines revolutionären Kampfes unterstützt haben, sondern auch mit den breiten Massen des Bauerntums, mit dessen Hilfe es zur Macht gekommen war, feindlich zusammenstoßen."

Obwohl das im Jahre 1922 geschrieben wurde, so wird in Zukunftsform davon gesprochen, dass das Proletariat mit der Bourgeoisie usw. zusammenstoßen wird, da doch hier vorrevolutionäre Anschauungen geschildert werden. Ich frage: Hat sich die Prognose bestätigt, die Lenin im Jahre 1905/06 gegeben hat, dass die mittlere Bauernschaft zum bedeutenden Teile sich der Konterrevolution zuwenden wird? Ich behaupte, dass sie sich zum Teil bestätigt hat. (Zurufe: Zum Teil? Wann? Lärm.) Ja, unter der Führung der Partei, unter der Führung Lenins in erster Linie, wurde die Spaltung zwischen uns und der Bauernschaft mit Hilfe der neuen Wirtschaftspolitik überwunden. Das ist unbestreitbar. (Lärm.) Wenn jemand von Ihnen glaubt, Genossen, dass ich im Jahre 1926 die Bedeutung der neuen Wirtschaftspolitik nicht begreife, der irrt sich. Ich begreife die Bedeutung der neuen Wirtschaftspolitik im Jahre 1926 – vielleicht nicht so gut wie andere Genossen --, aber ich begreife sie immerhin. Ziehen Sie aber in Betracht, dass damals als es noch gar keine neue Wirtschaftspolitik gegeben hat, als es auch die Revolution von 1917 nicht gegeben hat, sondern wir erst ihre Entwicklungsperspektiven vorgezeichnet haben, zum Teil auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Revolutionen – auf Grund der großen französischen Revolution und der Revolution von 1848 –, dass damals alle Marxisten, Lenin nicht ausgeschlossen (ich habe Zitate angeführt), der Ansicht waren, dass nach der Vollendung der demokratischen Revolution und nach der Übergabe des Grund und Bodens an die Bauern das Proletariat auf den Widerstand nicht nur der großen, sondern auch eines bedeutenden Teiles der mittleren Bauernschaft stoßen wird, die eine gegnerische, ja sogar eine konterrevolutionäre Kraft darstellen werde.

Gab es bei uns „Anspielungen" darauf oder nicht? Jawohl, es gab Zeichen, und zwar nicht geringe Zeichen in diesem Sinne. Als zum Beispiel die Machno-Bewegung in der Ukraine den Weißgardisten geholfen hat, die Sowjetmacht hinwegzufegen, bedeutete dies, dass die Prognose Lenins richtig war. Der Antonow-Aufstand. der Aufstand in Sibirien, der Aufstand an der Wolga, der Aufstand im Ural, der Aufstand von Kronstadt, als die „Mittelbauern" der Sowjetmacht vermittels großer Schiffskanonen ihre Meinung mitgeteilt haben – bedeutete das etwa nicht, dass die Prognose Lenins sich in einem gewissen Entwicklungsstadium der Revolution als richtig erwiesen hat? (Zuruf des Genossen Mojsejenko: Und was haben Sie vorgeschlagen?) Ist es denn nicht klar, dass das Zitat aus meiner Schrift von 1922 über die Entzweiung zwischen uns und der Bauernschaft nichts anderes bedeutet als die Feststellung gerade dieser Tatsachen?

Die Spaltung zwischen uns und der Bauernschaft haben wir mit Hilfe der Nep überwunden. Aber gab es denn zwischen uns beim Übergang zur Nep Differenzen? Beim Übergang zur Nep gab es keine Differenzen. (Lärm.) Es gab Differenzen in der Gewerkschaftsfrage vor dem Übergang zur Nep, als die Partei einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Sackgasse suchte. Diese Differenzen hatten eine ernste Bedeutung. Aber in der Frage der Nep, als Lenin auf dem X. Parteitag die Plattform der Nep unterbreitete, haben wir voll und ganz für diese Plattform gestimmt. Und als auf Grund der neuen Wirtschaftspolitik die neue Gewerkschaftsresolution entstand – einige Monate nach dem X. Parteitag –, haben wir im ZK gleichfalls einstimmig für die Resolution gestimmt. Während der Zeit des Umschwunges – dieser Umschwung war kein geringer – haben jedoch die Bauern gesagt: „Wir sind für die Bolschewiki, aber gegen die Kommunisten." Was bedeutet das? Das bedeutete eine besondere russische Form der Abkehr des Mittelbauers im gegebenen Stadium von der proletarischen Revolution.

Man wirft mir vor, ich sei davon ausgegangen, dass es „hoffnungslos ist, zu denken, dass das revolutionäre Russland sich gegenüber einem konservativen Europa behaupten könnte“. Das habe ich im August 1917 geschrieben. Ich glaube, dass dies ganz richtig war. Haben wir uns denn gegenüber einem konservativen Europa behauptet? Denken wir an die Tatsachen. Im Augenblicke, da Deutschland mit der Entente den Friedensvertrag abgeschlossen hat, war die Gefahr besonders groß. Wenn in diesem Augenblick die deutsche Revolution nicht ausgebrochen wäre – die deutsche Revolution, die unvollendet geblieben ist, die von der Sozialdemokratie vergewaltigt wurde, die aber dennoch das alte Regime gestürzt, die alte Hohenzollern-Armee demoralisiert hat – wenn, ich wiederhole, Deutschland so geblieben wäre, wie es war, dann hätte man uns gestürzt. Es ist hier nicht zufällig gesagt worden: „gegenüber einem konservativen Europa"; nicht „gegenüber einem kapitalistischen Europa" überhaupt, sondern gegenüber einem konservativen Europa das seinen ganzen Apparat und vor allem die Armee aufrecht erhält. Ich frage Sie: Würden wir unter diesen Verhältnissen bestehen oder nicht? (Zuruf: Sprechen Sie denn zu Kindern?) Wenn wir dennoch leben, so nur, weil Europa nicht so geblieben ist, wie es war. Lenin schrieb doch darüber folgendes:

Wir leben nicht nur in einem Staate, sondern auch in einem System von Staaten, und das Bestehen der Sowjetrepublik neben imperialistischen Staaten ist auf die Dauer undenkbar. Letzten Endes wird entweder das eine oder das andere System siegen." Wann hat Lenin das gesagt? Am 18. März 1919, das heißt, zwei Jahre nach der Oktoberrevolution. Meine Worte aus dem Jahre 1917 bedeuteten, dass wir, wenn unsere Revolution Europa nicht von der Stelle rücken, es nicht erschüttern wird, verloren sind. Ist das nicht im wesentlichen das gleiche? Ich frage alle alten Genossen, die vor 1917 und im Jahre 1917 bereits politisch gedacht haben: Wie haben Sie sich die Revolution und ihre Folgen vorgestellt?

Wenn ich versuche, mich daran zu erinnern, so kann ich keine andere Formulierung finden als ungefähr folgende:

Wir glaubten: entweder wird uns die internationale Revolution zu Hilfe eilen, und dann ist unser Sieg vollkommen gesichert, oder wir werden unsere bescheidene revolutionäre Arbeit im Bewusstsein leisten, dass wir im Falle einer Niederlage immerhin der Sache der Revolution dienen werden und unsere Erfahrung den anderen Revolutionen zum Nutzen gereichen wird. Es war uns klar, dass der Sieg der proletarischen Revolution ohne die Unterstützung der internationalen, der Weltrevolution unmöglich ist. Schon vor der Revolution, aber auch nach ihr, glaubten wir: Jetzt oder wenigstens sehr bald wird die Revolution in den übrigen kapitalistisch höher entwickelteren Ländern ausbrechen, oder, im entgegengesetzten Falle, müssen wir zugrunde gehen."

So haben wir uns das Schicksal der Revolution vorgestellt. Wer sagte das? (Zuruf des Genossen Mojsejenko: Lenin! – Zuruf: Und was sagte er etwas später?)

Lenin sagte das im Jahre 1921, und mein Zitat ist aus dem Jahre 1917 genommen. Ich habe also das Recht, mich auf jene Worte zu berufen, die Lenin im Jahre 1921 gesagt hat. (Zuruf: Und was sagte Lenin später?) Später habe auch ich etwas anderes gesagt. (Heiterkeit.) Schon vor der Revolution, aber auch nach ihr, glaubten wir:

Jetzt oder wenigstens sehr bald wird die Revolution in den übrigen kapitalistisch höher entwickelteren Ländern ausbrechen, oder, im entgegengesetzten Falle, müssen wir zugrunde gehen." Trotzdem haben wir alles aufgeboten, um das Sowjetsystem um jeden Preis zu bewahren, da wir wussten, dass wir nicht für uns, sondern auch für die internationale Revolution arbeiten. Wir wussten dies, wir haben diese Überzeugung vor der Oktoberrevolution ebenso ausgesprochen wie auch unmittelbar nach der und auch zur Zeit des Abschlusses des Brest-Litowsker Friedens. Und das war, im Allgemeinen gesprochen, richtig. Ferner spricht das Zitat darüber, dass der Weg kompilierter, zickzackartiger geworden ist, dass aber im Wesentlichen unsere Prognose richtig war. Zur Nep, wiederhole ich, sind wir solidarisch übergegangen, ohne irgendwelche Differenzen. (Zuruf des Genossen Mojsejenko: Um nicht zugrunde zu gehen!)

Richtig, gerade deshalb, um nicht zugrunde zu gehen.

Genossen, ich bitte Sie, meine Redezeit zu verlängern. Ich will über die Theorie des Sozialismus in einem Lande sprechen. Ich bitte, geben Sie mir noch eine halbe Stunde. (Lärm.)

Genossen, in der Frage des Verhältnisses zwischen Proletariat und Bauernschaft …

Der Vorsitzende: Bitte, warten Sie, wir beschließen. Es gibt drei Vorschläge: der eine Vorschlag, bei dem alten Beschluss über die Redezeit zu bleiben; der zweite Vorschlag für die Verlängerung um eine halbe Stunde; der dritte Vorschlag für die Verlängerung um eine Viertelstunde. (Die Abstimmung ergibt eine Mehrheit für die Verlängerung um eine halbe Stunde.)

IV

Das Verhältnis zur Bauernschaft.

Im nächsten Zitat, das angeführt wurde, wird mir folgendes vorgeworfen: Während Lenin gesagt hätte: „zehn bis zwanzig Jahre richtiges Verhältnis zur Bauernschaft, und der Sieg im Weltmaßstabe ist gesichert", sei der Trotzkismus umgekehrt davon ausgegangen, dass das Proletariat mit der Bauernschaft bis zum Siege der Weltrevolution in keinem richtigen Verhältnis stehen könne. Ich frage vor allem, was bedeutet dieses Zitat? Lenin spricht von zehn bis zwanzig Jahren richtigem Verhältnis zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft. Das bedeutet, dass Lenin sagt: In zehn bis zwanzig Jahren werden wir keinen Sozialismus aufbauen. Warum? Weil wir unter Sozialismus eine solche Ordnung verstehen müssen, in der es weder Proletariat noch Bauernschaft gibt, in der es keine Klassen gibt. Der Sozialismus beseitigt den Gegensatz zwischen Stadt und Land. Folglich wird hier eine Perspektive auf zwanzig Jahre aufgestellt, in deren Verlaufe wir eine politische Linie befolgen müssen, die ein richtiges Verhältnis zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft mit sich bringt.

Es wird aber ferner gesagt, der Trotzkismus sei der Ansicht, dass es bis zum Siege der Weltrevolution kein richtiges Verhältnis zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft geben könne. Ich stellte also angeblich ein Gesetz auf, wonach man bis zum Siege der Weltrevolution nach Möglichkeit ein unrichtiges Verhältnis zwischen dem Proletariat und der Arbeiterklasse schaffen müsse. (Heiterkeit.) Augenscheinlich wollte man hier nicht diesen Gedanken zum Ausdruck bringen, da dieser Gedanke überhaupt keinen Sinn hat.

Was war die Nep? Die Nep war der Übergang auf ein neues Geleise gerade im Interesse der Herstellung eines richtigen Verhältnisses zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft. Hatten wir in dieser Frage Differenzen? Nein, wir hatten keine Differenzen. Wir streiten jetzt über eile Besteuerung des Kulaken, über die Formen und Methoden der Verbindung des Proletariats mit der Dorfarmut. Worum handelt es sich hier? Es handelt sich hier darum, wie man ein richtiges Verhältnis mit der Bauernschaft herstellen kann. Sie können diese oder jene Vorschläge, die wir machen, für unrichtig halten, der ganze ideologische Kampf geht aber jetzt gerade darum, welches Verhältnis im gegenwärtigen Entwicklungsstadium das richtigste ist.

Hatten wir im Verlaufe des Jahres 1917 Differenzen in der Bauernfrage? Nein. Wir legten das Bauerndekret, das „sozialrevolutionäre" Bauerndekret, einstimmig unserer Plattform zugrunde. Das Dekret über den Grund und Boden, das Lenin verfasst hat, wurde von uns einstimmig angenommen und rief in unserem Kreise gar keine Differenzen hervor. Hat die Politik der „Entkulakisierung" zu irgendwelchen Differenzen Anlass gegeben? Nein, es gab darüber keine Differenzen. (Zuruf: Und Brest?) Hat der Kampf um die Eroberung des Mittelbauers, den Lenin eröffnet hat, zu Meinungsverschiedenheiten geführt? Nein, das war nicht der Fall. Hat das Parteiprogramm, das unser Verhältnis zur Bauernschaft bestimmt, zu Differenzen geführt? Nein, es hat zu keinen Differenzen geführt. Ich sage nicht, dass es überhaupt keine Differenzen gegeben habe, aber ich behaupte, dass. wenn es auch in einzelnen – wohl auch sehr großen Fragen – Meinungsverschiedenheiten gegeben hat, in der Hauptlinie der Parteipolitik gegenüber der Bauernschaft keine Meinungsverschiedenheiten vorhanden waren.

Ja, im Jahre 1919 waren Gerüchte über Differenzen in dieser Frage in Umlauf. Was schrieb Lenin darüber? Erinnern wir uns daran. Ich habe damals dem Bauer Gulow, der mich gefragt hat: „Was für Meinungsverschiedenheiten bestehen zwischen dir und Iljitsch?", sowohl in der „Prawda" als auch in den „Iswestija" in einem Artikel geantwortet. Und über diese Frage schrieb Lenin – das wurde gleichfalls in den „Iswestija" und in der „Prawda", und zwar im Februar 1919, veröffentlicht:

In den Iswestija' vom 2. Februar 1919 wurde der Brief eines Bauern namens Gulow veröffentlicht, der die Frage des Verhältnisses unserer Arbeiter- und Bauernregierung zu den Mittelbauern aufrollt und erzählt, dass Gerüchte im Umlauf sind, nach denen zwischen Lenin und Trotzki keine Harmonie bestehe, nach denen es angeblich zwischen ihnen große Meinungsverschiedenheiten gebe, und zwar gerade In der Frage des Mittelbauers. Genosse Trotzki hat bereits in seinem .Brief an die Mittelbauern“ in den Iswestija' vom 7. Februar geantwortet. Genosse Trotzki sagt in diesem Briefe, dass die Gerüchte über Differenzen zwischen mir und ihm die ungeheuerlichsten und gewissenlosesten Lügen darstellen, die die Gutsbesitzer und Kapitalisten oder ihre freiwilligen und unfreiwilligen Helfershelfer verbreiten. Ich bestätige meinerseits vollkommen die Erklärung des Genossen Trotzki. Es gibt zwischen uns keine Differenzen, und bezüglich der Mittelbauern gibt es nicht nur zwischen mir und Trotzki, sondern überhaupt in der Kommunistischen Partei, deren Mitglieder wir beide sind, gar keine Differenzen. Genosse Trotzki hat in seinem Briefe ausführlich und klar dargelegt, warum die Kommunistische Partei und die jetzige Arbeiter- und Bauernregierung, die durch die Sowjets gewählt wurde und deren Mitglieder dieser Partei angehören, die Mittelbauern nicht als ihre Feinde betrachten. Ich unterschreibe mit beiden Händen das, was Genosse Trotzki gesagt hat."

Das war vor der Nep. Sodann kam der Übergang zur Nep. Ich wiederhole nochmals, dass es bei dem Übergang zur Nep keine Differenzen gab, Über die Frage des Überganges zur Nep erstattete ich einen Bericht dem IV. Weltkongress, wo ich gegen Otto Bauer polemisiert habe. Später schrieb ich darüber folgendes:

Die Nep wird von der Bourgeoisie und von den Menschewiki als ein notwendiger (aber selbstverständlich „ungenügender") Schritt auf dem Wege der Entfesselung der Produktivkräfte betrachtet. Die menschewistischen Theoretiker, sowohl kautskyanischer als Otto Bauerscher Abart, haben die Nep gerade als die Morgendämmerung der kapitalistischen Restauration in Russland begrüßt. Sie fügten hinzu: ,Entweder wird die Nep die bolschewistische Diktatur sprengen (günstiger Ausgang), oder die bolschewistische Diktatur wird die Nep sprengen (trauriger Ausgang).'

In meinem ganzen Referate auf dem IV. Kongress habe ich bewiesen, dass die Nep die bolschewistische Diktatur nicht sprengen wird, dass aber die bolschewistische Diktatur unter den Verhältnissen der Nep das Übergewicht der sozialistischen Wirtschaftselemente über die kapitalistischen sichern wird.

Lenin über den Sozialismus in einem Lande.

Es wird mir ein Zitat vorgeworfen – und hier komme ich unmittelbar zur Frage der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande – das folgendermaßen lautet:

Die Widersprüche in der Stellung der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande mit einer erdrückenden Mehrheit bäuerlicher Bevölkerung können nur im internationalen Maßstabe, nur auf der Arena der proletarischen Weltrevolution gelöst werden."

Das wurde im Jahre 1922 gesagt. Und dann steht in der Anklageresolution folgendes:

Die Konferenz stellt fest, dass solche Anschauungen des Genossen Trotzki und seiner Gesinnungsgenossen in der Grundfrage des Charakters und der Perspektive unserer Revolution mit den Anschauungen unserer Partei, mit dem Leninismus nichts gemein haben."

Nun, wenn man noch gesagt hätte, dass ein Nuanceunterschied vorhanden ist – ich finde das wohl auch heute nicht, oder, dass hier keine genaue Formulierung vorliegt (auch dies sehe ich nicht) –, aber es wird hier ganz grob gesagt: diese Anschauungen „haben nichts gemein mit den Anschauungen unserer Partei, mit dem Leninismus".

Vor allem führe ich ein Zitat an, das in naher Beziehung zum Leninismus steht:

Der volle Sieg der sozialistischen Revolution ist in einem Lande undenkbar und fordert die aktivste Zusammenarbeit wenigstens einiger vorgeschrittener Länder, zu denen wir Russland nicht zählen können."

Das habe nicht ich gesagt, sondern das hat ein Größerer als ich gesagt, das hat Lenin am 8. November 1918 gesagt. Nicht vor der Oktoberrevolution, sondern am 8. November 1918, ein Jahr nach der Machteroberung. Wenn er nur das gesagt hätte, dann könnten wir natürlich darauf alles, was nur beliebt, aufbauen, indem wir einen Satz aus dem Zusammenhange gerissen haben. (Zuruf: Das hat er über den endgültigen Sieg gesagt!) Nein, entschuldigen Sie, er hat gesagt: „fordert die aktivste Zusammenarbeit". Man kann hier nicht von der Hauptfrage auf die „Intervention" ablenken, da hier klar gesagt wird, dass der Sieg des Sozialismus eine Zusammenarbeit, – nicht nur einen Schutz gegen die Intervention – sondern die Zusammenarbeit „wenigstens einiger vorgeschrittener Länder, zu denen wir Russland nicht zählen können", erfordert. (Zurufe: „Und was folgt daraus?") Das ist nicht das einzige Zitat, das besagt, dass es sich nicht nur um die Intervention handelt Und daraus folgt vorläufig die Tatsache, dass jener Standpunkt, den ich zum Ausdruck brachte dass die inneren Widersprüche, die aus der Rückständigkeit des Landes folgen, ihre Lösung in der internationalen Revolution finden müssen, nicht mein Eigentum war, und dass auch Lenin, und dabei noch unvergleichlich schärfer und kategorischer, die gleichen Ansichten geäußert hatte.

Man sagt uns, dies sei richtig gewesen für die Epoche, in der das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung der kapitalistischen Länder angeblich noch nicht bekannt war, das heißt für die Epoche vor dem Imperialismus. Ich kann mich damit nicht ausführlich beschäftigen. Ich muss aber leider sagen, dass Genosse Stalin hier den größten theoretischen und historischen Irrtum begangen hat. Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus, ist älter als der Imperialismus. Der Kapitalismus entwickelt sich äußerst ungleichmäßig auch heute in den verschiedenen Ländern. Aber im 19. Jahrhundert war diese Ungleichmäßigkeit größer als im 20. Damals war England der Beherrscher der Welt, an Japan dagegen erinnert sich die vorletzte Generation als einen eng verschlossenen feudalen Kastenstaat. Zur gleichen Zeit, als das Leibeigenschaftsrecht bei uns gefallen ist, begann sich Japan der kapitalistischen Zivilisation anzupassen. China schlief aber noch in seinem tiefsten Schlafe, usw. usw. In dieser Periode war die Ungleichmäßigkeit der kapitalistischen Entwicklung schärfer, tiefer. Marx und Engels kannten diese Ungleichmäßigkeit nicht schlechter als wir. Gerade, weil das Finanzkapital die elastischste Form des Kapitals ist, entwickelt der Imperialismus stärkere „nivellierende" Tendenzen als der vorimperialistische Kapitalismus. Eine gewaltige Ungleichmäßigkeit in der Entwicklung besteht auch heute noch, das ist unbestreitbar. Wenn man aber sagt, dass im 19. Jahrhundert, vor dem Imperialismus, der Kapitalismus sich gleichmäßiger entwickelt habe und deshalb die Theorie des Sozialismus in einem Lande damals unrichtig gewesen sei, heute aber, da der Imperialismus die Heterogenität der Entwicklung vergrößert habe, die Theorie des Sozialismus in einem Lande richtig sei, so widerspricht das der gesamten historischen Erfahrung, so stellt das, die Tatsachen auf den Kopf. Nein, das geht nicht, man muss andere, ernstere Argumente suchen.

V

Genosse Stalin schrieb:

Wer die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem einzelnen Lande leugnet, der muss auch die Berechtigung der Oktoberrevolution leugnen.“ (Stalin, Probleme des Leninismus, Seite 215.)

Wir hörten aber von Lenin im Jahre 1918, dass für den Aufbau des Sozialismus die direkte Zusammenarbeit einiger vorgeschrittener Länder notwendig ist, „zu denen wir Russland nicht zählen können". Und dennoch hat Lenin die „Berechtigung" der Oktoberrevolution nicht geleugnet. Folgendes sagte er darüber im Jahre 1918:

Ich weiß, dass es spitzfindige Leute gibt (das wurde gegen die Kautskyaner, gegen die Suchanow-Anhänger geschrieben), die sich sehr klug halten und die sich sogar Sozialisten nennen; die behaupten, dass man die Macht nicht hätte ergreifen sollen, solange die Revolution in allen Ländern nicht ausgebrochen ist. Sie ahnen es nicht, dass sie durch solche Reden von der Revolution abweichen und auf die Seite der Bourgeoisie übergehen. Warten, bis die werktätigen Klassen die Revolution im internationalen Maßstabe vollbringen, heißt, dass alle in Erwartung erstarren, so lange warten, bis man erfriert. Das ist ein Unsinn …"

Entschuldigen Sie, es steht aber weiter hier folgendes:

Das ist ein Unsinn. Die Schwierigkeit der Revolution ist allen bekannt. Denn endgültig siegen kann man nur im Weltmaßstabe und nur durch die gemeinsamen Anstrengungen der Arbeiter aller Länder." (Lenin, Band 15, Seite 287, geschrieben am 14. Mai 1918.)

Lenin hat trotzdem die „Berechtigung" der Oktoberrevolution nicht geleugnet.

Und weiter. Im Jahre 1921 – nicht im Jahre 1914. sondern im Jahre 1921, sagt er:

In den Ländern des entwickelten Kapitalismus ist eine in Jahrzehnten geschaffene Klasse der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter vorhanden. Nur in solchen Ländern, wo diese Klasse genügend entwickelt ist, ist der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus möglich."

Es handelt sich hier nicht um die Intervention, sondern um das Niveau der ökonomischen Entwicklung und der Entwicklung der Klassenverhältnisse des Landes.

Wir haben in einer ganzen Reihe von Arbeiten, in allen unseren Äußerungen in der gesamten Presse betont, dass dies in Russland nicht der Fall ist, dass in Russland die Industriearbeiter in der Minderheit sind, und dass die Überwiegende Mehrheit aus kleinen Landwirten besteht. Die soziale Revolution in einem solchen Lande kann nur unter zwei Bedingungen einen endgültigen Erfolg haben: erstens unter der Bedingung, dass sie rechtzeitig durch die soziale Revolution in einem oder in mehreren vorgeschrittenen Ländern unterstützt wäre …

Die andere Bedingung ist die Verständigung zwischen dem Proletariat und der Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung …

Wir wissen, dass nur die Verständigung mit der Bauernschaft die sozialistische Revolution in Russland retten kann, solange die Revolution in anderen Ländern nicht ausgebrochen ist. Und so offen muss man in allen Versammlungen, in der ganzen Presse sprechen." (Lenin, Rede auf dem X. Parteitag der RKP im Jahre 1921.)

Lenin hat also die Frage nicht so gestellt, dass die Verständigung des Proletariats mit der Bauernschaft genügt und wir dann den Sozialismus aufbauen können, unabhängig davon, was das Schicksal des Weltproletariats sein wird. Nein, das ist nur eine Bedingung. Die andere Bedingung ist die Unterstützung durch die Revolution in anderen Ländern. Er verbindet diese beiden Bedingungen miteinander, die für uns besonders notwendig sind, da wir in einem rückständigen Lande leben.

Ich sagte endlich, dass „ein wirklicher Aufstieg der sozialistischen Wirtschaft in Russland nur nach dem Siege des Proletariats in den wichtigsten Ländern Europas möglich wird". Das wird mir vorgeworfen. Augenscheinlich haben wir, Genossen, ein wenig vergessen, gewisse Ausdrücke richtig zu gebrauchen. Was verstehen wir unter „sozialistischer Wirtschaft" im wirklichen Sinne des Wortes? Natürlich haben wir große Erfolge, auf die wir alle stolz sind, und die ich bestrebt war, in der erwähnten Broschüre „Sozialismus oder Kapitalismus" den ausländischen Genossen zu schildern. Den Umfang dieser Erfolge müssen wir aber nüchtern einschätzen. In den Thesen des Genossen Rykow heißt es, dass wir uns dem Vorkriegsniveau nähern. Nun, auch das ist nicht genau gesagt. Ist denn die Bevölkerung gleich groß wie in der Vorkriegszeit? Nein, sie ist heute größer. Und der durchschnittliche Verbrauch von Industriewaren pro Person ist bedeutend niedriger als im Jahre 1913. Nach einer Bemerkung des Obersten Volkswirtschaftsrats werden wir in dieser Hinsicht das Vorkriegsniveau erst im Jahre 1930 erreichen. Und übrigens, was ist das Niveau von 1913? .Das ist das Niveau des Elends, der Rückständigkeit, der Barbarei. Wenn wir von einer sozialistischen Wirtschaft und von einem wirklichen Aufstieg der sozialistischen Wirtschaft sprechen, so bedeutet das: kein Gegensatz zwischen Stadt und Land, allgemeine Zufriedenheit, Wohlstand, Kultur. Das verstehen wir unter wirklichem Aufstieg der sozialistischen Wirtschaft. Und davon sind wir noch entsetzlich weit entfernt. Wir haben verwahrloste Kinder, wir haben Arbeitslose, das Dorf scheidet jährlich 3 Millionen überschüssige Arbeitskräfte aus sich aus, wirft ungefähr eine halbe Million Menschen jährlich in die Stadt, und die Industrie wird nicht mehr als 100.000 in einem Jahr in sich aufnehmen. Wir können auf die erreichten Erfolge stolz sein, aber die historische Perspektive dürfen wir nicht verdrehen. Das ist noch kein wirklicher Aufstieg der wirklichen sozialistischen Gesellschaft, das sind erst die ersten ernsten Schritte auf jener langen Brücke, die den Kapitalismus mit dem Sozialismus verbindet. Ist denn das ein und dasselbe? Keinesfalls. In jenem Zitat das man mir vorwirft, habe ich absolut recht.

Lenin sagte im Jahre 1922:

..Wir haben aber selbst das Fundament der sozialistischen Ökonomik nicht vollständig ausgebaut, das können die uns feindlichen Kräfte des absterbenden Kapitalismus noch zurücknehmen. Man muss das klar erkennen und offen zugestehen, da es nichts Gefährlicheres gibt als Illusionen und Schwindelgefühle, besonders auf großer Höhe. Und es gibt nichts ,Entsetzliches', nichts, was auch zur geringsten Verzweiflung Anlass geben könnte, in der Anerkennung dieser bitteren Wahrheit, da wir jene Binsenwahrheit des Marxismus, dass für den Sieg des Sozialismus gemeinsame Anstrengungen der Arbeiter einiger fortgeschrittener Länder notwendig sind, immer verkündet und wiederholt haben." (Lenin, Gesammelte Werke, russisch. Band XX/2, Seite .487).

Es handelt sich hier also nicht um die Intervention, sondern um die gemeinsamen Anstrengungen einiger fortgeschrittener Länder zum Aufbau des Sozialismus. Oder schrieb das Lenin etwa vor der Epoche des Imperialismus, als das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung noch nicht bekannt war? Nein, er schrieb das im Jahre 1922.

Allerdings gibt es ein einziges Zitat, und zwar in dem Artikel über die Genossenschaften, ein einziges Zitat, das man versucht, allem, was Lenin gesagt hat, gegenüberzustellen … (Zuruf: „Zufällig!") Nicht zufällig, keineswegs, ich stimme dem vollkommen zu, man muss nur diese Sätze richtig verstehen. Er sagt:

In der Tat, alle großen Produktionsmittel sind im Besitz des Staates, die Staatsmacht ist in den Händen des Proletariats; Bündnis dieses Proletariats mit den vielen Millionen kleiner und kleinster Bauern, Sicherung der Führung dieses Proletariats gegenüber der Bauernschaft usw., Ist denn das nicht alles, was man braucht, damit man aus den Genossenschaften, allein aus den Genossenschaften, die wir früher stiefmütterlich als krämerisch behandelt haben, und die wir in gewisser Hinsicht auch jetzt unter der NEP so zu behandeln berechtigt sind, ist das nicht alles, was notwendig ist, um eine vollständige sozialistische Gesellschaft aufzubauen? Das ist noch nicht der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft, aber es ist alles, was zu diesem Aufbau notwendig und ausreichend ist." (Zuruf: „Sie lesen allzu schnell." Heiterkeit.) Dann geben Sie mir, Genossen, noch einige Minuten. (Heiterkeit. Zuruf: „Richtig!") Richtig? Ich bin damit einverstanden. (Zuruf: „Das ist gerade, was wir brauchen.")

Worum handelt es sich hier? Welche Elemente werden hier aufgezählt? Es werden hier aufgezählt erstens der Besitz der Produktionsmittel, zweitens die Macht des Proletariats, drittens das Bündnis zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft, viertens die Führung der Bauernschaft durch das Proletariat und fünftens die Genossenschaften. Das sind jene Elemente, die Lenin hier aufzählt. Ich frage Sie: glaubt denn jemand von Ihnen, dass man den Sozialismus in einem einzelnen Lande isoliert aufbauen kann? Könnte etwa in Bulgarien allein das Proletariat, wenn es die Bauernschaft hinter sich führt, die Macht ergreift, und die Genossenschaften ausbaut (Lärm), den Sozialismus aufbauen? Nein, das wäre unmöglich. Folglich sind außer diesen Elementen noch verschiedene andere Elemente notwendig: die geographische Lage, Naturreichtümer, Technik, Kultur. Lenin zählt hier die Bedingungen der Staatsmacht, die Eigentumsverhältnisse und die organisatorischen Formen der Genossenschaften auf. Nichts anderes. Und er sägt, dass wir um den Sozialismus aufzubauen, den Bauern nicht proletarisieren müssen, dass wir keine neuen Revolutionen brauchen, sondern, dass wir mit der Macht in der Hand, im Bündnis mit der Bauernschaft, mit Hilfe der Genossenschaften, dass wir mit Hilfe dieser staatlich-gesellschaftlichen Formen und Methoden die Aufgabe zu Ende führen können.

Aber, Genossen, wir kennen auch eine andere Definition, die Lenin vom Sozialismus gegeben hat. Nach dieser Definition, ist Sozialismus gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung. Wird denn die Elektrifizierung durch dieses von mir vorgelesene Zitat aufgehoben? Nein, sie wird nicht aufgehoben. Alles übrige, was Lenin über den Aufbau des Sozialismus sagt, – und ich habe oben klare Formulierungen angeführt , wird durch dieses Zitat ergänzt, aber nicht aufgehoben. Denn wir müssen um die Elektrifizierung nicht in einem luftleeren Raum, sondern unter bestimmten Verhältnissen, unter den Verhältnissen des Weltmarktes, der Weltwirtschaft kämpfen, die eine sehr handgreifliche Tatsache ist. Die Weltwirtschaft ist keine theoretische Verallgemeinerung, das ist eine bestimmte und mächtige Realität, deren Gesetze auf uns drücken, wovon uns jedes Jahr unserer.Entwicklung überzeugt.

VI

Die neue Theorie.

Bevor ich darüber ausführlich spreche, gestatte ich mir, an Folgendes zu erinnern: Bevor einige Genossen auf Grund einer einseitigen Auslegung des Zitats aus dem Artikel Lenins über die Genossenschaften eine ganz neue Theorie, und zwar meiner Ansicht nach eine äußerst unrichtige Theorie, geschaffen haben, standen sie auf einem ganz anderen Standpunkt. Genosse Stalin sagte im Jahre 1924 etwas ganz anderes als heute. Auf dem XIV. Parteitage wurde darauf hingewiesen, aber das Zitat ist deshalb nicht verschwunden, sondern blieb voll und ganz auch im Jahre 1926 bestehen.

Lesen wir, was da steht:

Kann man den endgültigen Sieg des Sozialismus in einem einzelnen Lande erreichen ohne die gemeinsamen Anstrengungen der Proletarier mehrerer fortgeschrittener Länder? Nein, das kann man nicht. Zum Sturz der Bourgeoisie genügt die Anstrengung eines einzelnen Landes – das zeigt die Geschichte unserer Revolution. Zum endgültigen Sieg des Sozialismus, zur Organisierung der sozialistischen Produktion genügen die Anstrengungen eines einzelnen Landes, zumal eines Bauernlandes wie Russland, nicht – dazu sind die Anstrengungen der Proletarier einiger fortgeschrittener Länder notwendig." („Die Grundlagen des Leninismus", April 1924.)

Das schrieb Stalin im Jahre 1924, mich aber zitiert die Resolution nur bis zum Jahre 1922. (Heiterkeit.) Ja, das wurde im Jahre 1924 gesagt: Zur Organisierung der sozialistischen Wirtschaft –. nicht zum Schutze vor der Intervention nicht als Garantie gegen die Restauration, nein, nein und nein, sondern „zur Organisierung der sozialistischen Produktion" genügen die Anstrengungen eines einzelnen Landes, zumal eines solchen Bauernlandes wie Russland, nicht. Genosse Stalin hat diesen Standpunkt aufgegeben. Das ist natürlich sein Recht.

Im Buche „Probleme des Leninismus" sagt er:

Worin besteht der Mangel dieser Formulierung?

Ihr Mangel besteht darin, dass sie zwei verschiedene Fragen zu einer Frage zusammenzieht: die Frage der Möglichkeit des Aufbaues des Sozialismus mit den eigenen Kräften eines einzelnen Landes – worauf eine bejahend Antwort gegeben werden muss: und die Frage, ob sich ein Land, wo die Diktatur des Proletariats aufgerichtet ist, für vollständig gesichert gegen eine Intervention und folglich gesichert gegen eine Restauration der alten Ordnung betrachten darf, ohne dass in einer Reihe anderer Länder eine siegreiche Revolution stattfände – worauf eine verneinende Antwort gegeben werden muss." (Stalin, „Probleme des Leninismus", Seite 44, 1926).

Entschuldigen Sie, im ersten Zitat, aus dem Jahre 1924, finden wir die zwei Fragen nicht durcheinander gemischt, dort handelt es sich nicht um die Intervention, sondern es handelt sich dort ganz klar um die Unmöglichkeit der vollständigen Organisierung der vollständigen sozialistischen Produktion, durch die alleinigen Kräfte eines solchen Bauernlandes wie Russland.

Und wahrhaftig, Genossen, lässt sich denn die Frage wirklich allein auf die Intervention zurückführen? Kann man sich denn die Sache nicht so vorstellen, dass wir hier in diesem Hause den Sozialismus bauen und die Feinde, die vor dem Hause stehen, uns die Fensterscheiben einwerfen? Die Frage ist nicht so einfach. Die Intervention ist ein Krieg, und der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, Politik ist aber angewandte Ökonomie. Es handelt sich folglich um das ökonomische Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den kapitalistischen Ländern im vollen Umfange. Dieses Verhältnis erschöpft sich nicht durch jene einzige Form, die man Intervention nennt. Es hat einen viel kontinuierlicheren und tieferen Charakter. Genosse Bucharin sagt direkt, dass die einzige Gefahr in der Intervention bestehe, dass, wenn keine Intervention käme,

wir den Sozialismus sogar auf dieser elenden technischen Basis bauen können (bauen können wir, das ist richtig. L. T.), dass dieses Wachstum des Sozialismus wohl viel langsamer sein wird, dass wir im Schneckenschritt vorwärts schreiten werden, wir werden aber den Sozialismus dennoch bauen und wir werden ihn aufbauen." (Auf dem XIV. Parteitag). Dass wir den Sozialismus bauen, das ist richtig. Dass wir ihn Hand in Hand mit dem Weltproletariat aufbauen werden, das ist unbestreitbar (Heiterkeit). Ich glaube, dass es nicht richtig ist, auf einer kommunistischen Parteikonferenz zu lachen, wenn man vom Aufbau des Sozialismus Hand in Hand mit dem Weltproletariat spricht. (Heiterkeit. Zurufe: „Nur keine Demagogie! Damit kann man uns nicht fangen".) Ich sage aber, dass wir den Sozialismus im Schneckenschritt niemals aufbauen werden, da uns der Weltmarkt immer strenger kontrolliert. (Zuruf: „Sie haben Angst gekriegt.") Wie stellt sich Genosse Bucharin diesen Aufbau vor? In seinem letzten Artikel in der Zeitschrift „Bolschewik" (man muss sagen, dass dieser Artikel das scholastischste Werk aus Bucharins Feder ist) (Heiterkeit) sagt er:

»Es handelt sich darum, ob wir an dem Sozialismus bauen und ihn aufbauen können, wenn wir von den internationalen Fragen abstrahieren."

Hören Sie: „Ob wir an dem Sozialismus bauen und ihn aufbauen können, wenn wir von den internationalen Fragen abstrahieren." Wenn wir „abstrahieren", dann können wir wohl, aber wir können nicht abstrahieren. Darin liegt die ganze Sache (Heiterkeit).

Man kann im Januar nackt auf den Straßen Moskaus herumspazieren, wenn man vom Wetter und von der Miliz „abstrahiert" (Heiterkeit). Ich fürchte aber, dass weder das Wetter noch die Miliz sich von Ihnen abstrahieren werden, wenn Sie diesen Versuch machen. (Heiterkeit).

Wir wiederholen nochmals: es handelt sich um die inneren Kräfte und nicht um die mit dem Ausland verbundenen Gefahren. Es handelt sich folglich um den Charakter unserer Revolution." (Bucharin, in der Nr. 19/20 des „Bolschewik".)

Der Charakter unserer Revolution, unabhängig von den internationalen Verhältnissen! Seit wann besteht dieser selbstgenügsame Charakter? Ich behaupte, dass unsere Revolution, so wie wir sie kennen, nicht auf der Welt wäre, wenn es nicht zwei internationale Voraussetzungen gäbe: erstens das Finanzkapital, das unsere wirtschaftliche Entwicklung in seiner Raubgier befruchtet hat, und zweitens den Marxismus, die theoretische Quintessenz der internationalen Arbeiterbewegung, die unseren proletarischen Kampf befruchtet hat. Nun also, das bedeutet, dass die Revolution vor dem Jahre 1917 im Wege der Kreuzung großer Weltkräfte vorbereitet wurde. Aus dieser Kreuzung ist durch den Weltkrieg die Oktoberrevolution entstanden, und nun sagt man uns: „Abstrahieren wir" von der internationalen Situation, und wir werden den Sozialismus in unserem Hause bauen. Das ist eine metaphysische Denkweise. Man kann von der Weltwirtschaft nicht abstrahieren.

Was ist die Ausfuhr? Eine innere oder eine internationale Angelegenheit? Man muss im Inland die der Ausfuhr dienenden Produkte beschaffen, – also eine innere Angelegenheit. Man muss sie aber nach dem Ausland ausführen , also eine internationale Angelegenheit. Und was ist die Einfuhr? Die Einfuhr ist eine internationale Angelegenheit! Man muss die Waren im Ausland kaufen; man muss sie aber nach dem Inland einführen, also – eine innere Angelegenheit. (Heiterkeit.) Also schon an dem Beispiel der Einfuhr und der Ausfuhr kracht die ganze Theorie des Genossen Bucharin, der vorschlägt, von der internationalen Situation zu „abstrahieren", sofort in allen Fugen. Der Erfolg des sozialistischen Aufbaues hängt vom Tempo ab, und das Tempo unserer wirtschaftlichen Entwicklung wird jetzt unmittelbarer und schärfer als je durch die Rohmaterial- und Maschineneinfuhr bestimmt. Natürlich kann man von dem Mangel an Auslandsvaluta „abstrahieren" und mehr Baumwolle und Maschinen bestellen. Das kann man aber nur einmal machen. Das zweite mal wird man dieses „Abstrahieren" nicht wiederholen können. (Heiterkeit.) Unsere ganze Aufbauarbeit ist international bedingt.

VII

Wenn man mich fragt, ab unser Staat proletarisch ist, dann muss ich sagen; dass diese Frage nicht angebracht ist. Wenn sie nicht nach zwei – aus einem unkorrigierten Stenogramm willkürlich herausgerissenen – Worten urteilen. wollen, sondern danach, was ich darüber in Dutzenden und Hunderten von Artikeln und Reden geschrieben und gesagt habe – und nur so dürfen wir einander beurteilen –, wenn wir einander nicht bei einem unkorrigierten Satze einfangen, sondern unseren Standpunkt gegenseitig nach seinem Wesen beurteilen wollen, dann müssen Sie, ohne zu zögern, anerkennen, dass ich mit Ihnen zusammen unsern Staat als einen proletarischen Staat betrachte. Auf die Frage, ob dieser Staat einen sozialistischen Aufbau betreibt, habe ich bereits durch mehrere Zitate geantwortet. Wenn Sie fragen, ob es innerhalb des Landes genügende Kräfte und Mittel gibt, um den Aufbau des Sozialismus in 30 oder 50 Jahren, unabhängig davon, was in der ganzen Welt vor sich gehen wird, zu Ende führen zu können, dann sage ich, dass die Fragestellung selbst von Grund auf unrichtig ist. Wir haben genügende Kräfte, um den sozialistischen Aufbau zu fördern und dadurch dem internationalen revolutionären Proletariat zu helfen, das keineswegs weniger Aussicht darauf hat. die Macht in 10, 20, 30 Jahren zu erobern, als wir den Sozialismus aufzubauen; keineswegs geringere, sondern größere Aussichten.

Ich frage Sie, Genossen, – und das ist die Grundachse der ganzen Frage , was wird in Europa vor sich gehen, so lange wir an dem Sozialismus bauen werden? Sie sagen: Wir werden den Sozialismus in unserem Lande aufbauen, unabhängig davon, was während dieser Zeit in der ganzen Welt vor sich gehen wird. Nun gut.

Wie viel Zeit brauchen wir zum Aufbau des Sozialismus? Lenin meinte, dass wir in 20 Jahren den Sozialismus angesichts der Rückständigkeit unseres Bauernlandes nicht aufbauen werden, und auch in 30 Jahren werden wir ihn nicht aufbauen. Nehmen wir 30 bis 50 Jahre als Minimum an. Ich frage Sie: Was wird während dieser Zeit in Europa vor sich gehen?

Ich kann doch nicht eine Prognose für unser Land ansehen, ohne eine Prognose für Europa aufzustellen. Da kann es einige Varianten geben. Wenn Sie sagen, dass das europäische Proletariat in 30 bis 50 Jahren die Macht natürlich erobern wird dann gibt es auch keine Frage mehr. Denn wenn das europäische Proletariat die Macht in den nächsten 10, 20. 30 Jahren erobern wird, dann ist die Position des Sozialismus bei uns und im internationalen Maßstabe gesichert. Sie glauben aber augenscheinlich, dass man von einer Perspektive ausgehen müsse, nach der das europäische Proletariat die Macht nicht erobern wird? Wozu denn sonst Ihre ganze Prognose? Ich frage also, was in dieser Zeit in Europa vor sich gehen wird. Da sind, rein theoretisch gesprochen, drei Varianten möglich. Entweder wird Europa, wie jetzt, um das Vorkriegsniveau herum schwanken, das Proletariat und die Bourgeoisie werden hin und her schwanken und einander das Gleichgewicht halten. Wir nennen aber dieses „Gleichgewicht" deshalb unbeständig, weil es eben unbeständig ist. Diese Lage kann nicht 20, 30, 40 Jahre lang dauern. Sie muss entweder nach der einen oder nach der anderen Seite entschieden werden.

Glauben Sie, dass der Kapitalismus ein neues dynamisches Gleichgewicht finden wird? Glauben Sie. dass der europäische Kapitalismus sich eine neue Periode des Aufstieges, eine neue, erweiterte Reproduktion jenes Prozesses sichern kann, der vor dem imperialistischen Kriege vor sich ging? Wenn Sie glauben, dass dies möglich ist (ich aber glaube, dass der Kapitalismus keine solche Aussichten hat), wenn man dies theoretisch auch nur einen Augenblick zulässt, so würde das bedeuten, dass der Kapitalismus im europäischen und im Weltmaßstabe seine historische Mission noch nicht erfüllt hat, dass der heutige Kapitalismus nicht ein imperialistischer, verfaulender Kapitalismus ist, sondern ein sich entwickelnder Kapitalismus, der die Wirtschaft und die Kultur höher entwickelt. Das aber würde bedeuten, dass wir allzu früh gekommen sind.

Der Vorsitzende: Genosse Trotzki hat die ihm gewährte Zeit reichlich erschöpft. Er hat mehr als 1½ Stunden gesprochen. Er bittet noch um 5 Minuten. Ich lasse abstimmen. Wer ist dafür? Wer ist dagegen? Wird eine Neuabstimmung gefordert?

Genosse Trotzki: Ich bitte um eine Neuabstimmung.

Der Vorsitzende: Wer ist dafür, dass dem Genossen Trotzki noch 5 Minuten gegeben werden? Wer ist dagegen? Die Mehrheit Ist dagegen.

Genosse Trotzki: Ich wollte während dieser 5 Minute: noch kurze zusammenfassende Schlussfolgerungen ziehen.

Der Vorsitzende: Ich lasse noch einmal abstimmen. Wer ist dafür, dass die Redezeit des Genossen Trotzki um 5 Minuten verlängert wird? Der erhebe die Delegiertenkarte. Wer ist dagegen? Die Mehrheit ist dafür. Es ist besser, die Redezeit im 5 Minuten zu verlängern, als 5 Minuten lang die Stimmen zu zählen. Genosse Trotzki hat das Wort.

Genosse Trotzki: Wenn man davon ausgeht, dass der europäische Kapitalismus während der nächsten 30 bis 50 Jahre, die uns notwendig sind, um den Sozialismus aufzubauen, sich aufwärts entwickeln werde, dann muss man zur Schlussfolgerung gelangen, dass wir entweder erwürgt oder zerschlagen werden, da der aufsteigende Kapitalismus außer allem übrigen auch über eine entsprechende Kriegstechnik verfügen wird. Außerdem wissen wir, dass ein mächtig aufsteigender Kapitalismus mit Hilfe der Arbeiteraristokratie die Massen in den Krieg führen kann. Diese dunkle Perspektive ist meiner Ansicht nach in Anbetracht der gesamten Weltwirtschaftslage ausgeschlossen. Jedenfalls können wir die Perspektive des Sozialismus in unserem Lande nicht darauf aufbauen.

Es bleibt dann die zweite Perspektive übrig: ein verfallender und verfaulender Kapitalismus. Das ist aber gerade jene Basis, auf der das europäische Proletariat langsam aber sicher die Kunst erlernt, die Revolution zu machen.

Kann man sich denn vorstellen, dass der europäische Kapitalismus 30 bis 50 Jahre lang seinen Fäulnisprozess fortsetzen, das Proletariat aber unfähig sein wird, die Revolution zu vollbringen? Ich frage, warum ich diese Voraussetzung annehmen sollte, die man nicht anders nennen kann als die Voraussetzung eines unbegründeten schwarzen Pessimismus in Bezug auf das europäische Proletariat und zugleich einen kritiklosen Optimismus in Bezug auf den Aufbau des Sozialismus durch die isolierten Kräfte unseres Landes hegen sollte? In welchem Sinne ist es die theoretische oder politische Pflicht eines Kommunisten, die Voraussetzung anzunehmen, dass das europäische Proletariat die Macht in 40 bis 50 Jahren nicht erobern wird? (Wenn er sie erobern wird, dann entfällt dadurch auch die Streitfrage.) Ich behaupte, dass ich keinen theoretischen oder politischen Grund dafür sehe, zu glauben, dass wir den Sozialismus mit der Bauernschaft zusammen leichter aufbauen werden, als das europäische Proletariat die Macht erobern wird.

Nein. Die größeren Chancen hat hier das europäische Proletariat. Und wenn dem so ist, dann frage ich: Warum werden diese zwei Elemente einander gegenübergestellt und nicht wie die „zwei Bedingungen" Lenins miteinander verknüpft? Warum wird die theoretische Anerkennung des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande gefordert? Woher entsprang diese Perspektive? Warum wurde diese Frage bis zum Jahre 1925 von niemandem in den Vordergrund gerückt? (Zuruf: „Es wurde getan!"). Es ist nicht wahr, niemand hat es getan. Auch Genosse Stalin hat im Jahre 1924 geschrieben, dass die Anstrengungen eines Bauernlandes nicht dazu genügen, um den Sozialismus aufzubauen. Und ich glaube auch heute, dass der Sieg des Sozialismus in unserem Lande nur zusammen mit der siegreichen Revolution des europäischen Proletariats möglich ist. Das bedeutet nicht, dass unser Aufbau nicht sozialistisch sei, oder dass wir den Aufbau nicht mit aller Energie vorwärtstreiben können und müssen. Ebenso wie der deutsche Arbeiter sich zur Eroberung der Macht vorbereitet, bereiten wir die Elemente des künftigen Sozialismus vor, und jener Erfolg, den wir auf diesem Wege erzielen, erleichtert den Kampf des deutschen Proletariats um die Macht ebenso, wie sein Kampf unsere sozialistischen Erfolge erleichtert. Das ist die einzig richtige internationale Perspektive für unseren sozialistischen Aufbau.

Schlussfolgerungen

Ich wiederhole zum Schluss das, was ich auf dem Plenum des ZK gesagt habe: Würden wir nicht glauben, dass unser Staat ein proletarischer Staat ist, wenn auch mit bürokratischer Verzerrung, d. h. ein solcher Staat, den man der Arbeiterklasse entgegen manchen unrichtigen bürokratischen Anschauungen noch viel näher bringen muss; würden wir nicht glauben, dass unser Aufbau sozialistisch ist; würden wir nicht glauben, dass es in unserem Lande genügend Mittel dazu gibt, um die sozialistische Wirtschaft vorwärts zu bringen; würden wir nicht von unserem vollständigen und endgültigen Siege überzeugt sein: dann hätten wir selbstverständlich keinen Platz in den Reihen einer kommunistischen Partei.

Die Opposition kann und muss man nach diesen zwei Kriterien einschätzen: entweder kann sie die eine Linie oder die andere Linie haben. Wer glaubt, dass unser Staat kein proletarischer Staat, dass unser Aufbau kein sozialistischer Aufbau sei, der muss das Proletariat gegen den betreffenden Staat führen, der muss eine andere Partei gründen.

Wer aber glaubt, dass unser Staat ein proletarischer Staat ist, aber mit bürokratischen Verzerrungen, unter dem Drucke des kleinbürgerlichen Elementes und der kapitalistischen Einkreisung; wenn man glaubt, dass unser Aufbau ein sozialistischer ist, dass aber unsere Wirtschaftspolitik die notwendige Neuverteilung der nationalen Mittel nicht genügend sichert, der muss mit Parteimitteln und auf dem Parteiwege gegen das kämpfen, was man als unrichtig betrachtet, was man als fehlerhaft und gefährlich ansieht, indem man aber für die gesamte Politik der Partei und des Arbeiterstaates die volle Verantwortung trägt. (Der Vorsitzende klingelt.) Ich bin gleich zu Ende. Noch anderthalb Minuten.

Es ist unbestreitbar, dass für den innerparteilichen Kampf der letzten Periode die äußerste Schärfe seiner Formen, die fraktionelle Führung charakteristisch ist. Es ist unbestreitbar, dass diese fraktionelle Zuspitzung des Kampfes durch die Opposition – ganz gleich, durch welche Voraussetzungen sie hervorgerufen wurde , von bedeutenden Teilen der Parteimitgliedschaft in dem Sinne aufgefasst werden konnte – und das war auch der Fall , dass die Meinungsverschiedenheiten so weit gegangen sind, dass eine gemeinsame Arbeit unmöglich ist. d. h. dass sie zur Spaltung führen können. Das bedeutet ein offenes Missverhältnis zwischen den Mitteln und den Zielen, d. h. zwischen jenen Zielen, für die die Opposition kämpfen wollte, und jenen Mitteln, die sie aus diesem oder jenem Grunde angewendet hat. Gerade deshalb haben wir dieses Mittel – den Fraktionskampf – als fehlerhaft anerkannt und nicht aus Erwägungen des heutigen Tages (Zuruf: „Die Kräfte reichten nicht aus. Ihr habt eine Niederlage erlitten!"), sondern auf Grund der Berücksichtigungen der gesamten innerparteilichen Lage. Der Zweck und der Sinn der Erklärung vom 16. Oktober war es, die Verteidigung jener Anschauungen, die wir vertreten, in den Rahmen der gemeinsamen Arbeit und der solidarischen Verantwortlichkeit für die gemeinsame Politik der Partei einzufügen.

Worin liegt, Genossen, die objektive Gefahr der Resolution über die sozialdemokratische Abweichung? Die Gefahr liegt darin, dass sie uns solche Anschauungen zuschreibt, aus denen notwendigerweise nicht nur eine Fraktionspolitik, sondern auch eine Politik zweier Parteien entspringt.

Diese Resolution hat die objektive Tendenz, sowohl die Erklärung vom 16. Oktober, als auch die Mitteilung des ZK in ein Stück Papier zu verwandeln, das mit Genugtuung … (Zuruf: „Ist das eine Drohung?") Nein Genossen, das ist keine Drohung. Ich denke am wenigsten daran, von einer Drohung zu sprechen. (Zuruf: „Und wozu denn dies wieder?") Sie werden es sofort hören. Es sind nur noch einige Worte.

Die Annahme dieser Resolution ist unserer Überzeugung nach schädlich, aber, soweit ich die Stimmung der Genossen der sogenannten Opposition, vor allem der führenden Genossen beurteilen kann, wird uns die Annahme dieser Resolution von der Linie des 16. Oktober nicht abbringen. Wir nehmen die uns aufgezwungenen Anschauungen nicht an. Wir haben nicht die Absicht, die Differenzen künstlich zu vergrößern oder zu verschärfen, um dadurch einen Rückfall in den Fraktionskampf vorzubereiten. Im Gegenteil, jeder von uns wird, ohne die vorhandenen Meinungsverschiedenheiten zu verkleinern, alle Kräfte aufbieten, um diese Differenzen in den Rahmen der kontinuierlichen Arbeit und der gemeinsamen Verantwortlichkeit für die Parteipolitik einzufügen.

1Tatsächlich 1920

2Tatsächlich 1922

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