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Leo Trotzki 19281110 Brief an Christian G. Rakowski

Leo Trotzki: Brief an Christian G. Rakowski

[Rundbrief Nr. 45, eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der französischen Übersetzung, dort unter dem Titel „La Crise au Sommet“, Die Krise an der Spitze]

Lieber Freund, ich habe dir seit sehr langer Zeit nicht geschrieben, denn natürlich kannte ich deine Adresse nicht, denn ich war mir sicher, dass du Astrachan schon lange verlassen hättest. Aber wie sich herausstellt, entwickelte sich die Sache nicht so: Es gibt immer zusätzliche Gemeinheiten, die man nicht erwartet, obwohl es den Anschein hat, dass wir, ich und du, den Meister dieser Dinge, der direkt für sie verantwortlich ist, ausreichend kennen. Wirklich klassischen Charakter hat die Antwort des Stellvertreters von Kaganowitsch, Samsonow, an Alexandra Georgiewna, dass Sie nicht in Kislowodsk behandelt werden können: „So beschloss der Kongress der Komintern, Sie haben wahrscheinlich seine Resolution gelesen." Ich verstehe die formale Seite der Sache nicht. Schließlich bist du nach der Linie des ZK gegangen, warum haben sie es zu Jagoda oder Trilisser befördert? Übrigens versichert Balabolkin nach rechts und links, dass Jagoda und Trilisser zu seiner Fraktion gehören.

Alles, was du über die Malariaanfälle bei dir berichtet, deckt sich weitgehend mit den gleichen Anfällen bei mir. Die wesentlichen Symptome sind die gleichen, plus akute Kopfschmerzen in Form von aufeinanderfolgenden Stößen. Juli, August waren sehr schlecht für mich. Die Chininbehandlung half. Der September war viel besser. Im Oktober fingen die Anfälle wieder an. Nochmals eine Chininbehandlung. Es wurde besser. Ich begab mich sogar auf die Jagd, wo ich anderthalb Wochen verbrachte. Zur Zeit der Jagd fühlte ich mich sehr gut, genau wie in den ersten Tagen nach der Rückkehr. Aber jetzt haben schon drei Tage1 die Anfälle wieder angefangen, gestern war ein sehr harter Tag. Ich schluckte wieder Chinin. Auch bei Natalia Iwanowna haben die Anfälle wieder in vollem Maße angefangen, und bei ihr werden sie oft von Temperatur bis zu 37,5 begleitet.

Dir wurde wahrscheinlich mitgeteilt, wie Jaroslawski bei einem Treffen erklärte, wir [also sie] hätten angeblich bereits beschlossen, ihn in den Kaukasus zu versetzen, aber aufgrund der Forderungen und Proteste die Entscheidung geändert. Ich habe damals eine Kopie deines Briefes an den Genossen Walentinow erhalten und wollte dir meine Bewunderung für diesen Brief telegraphieren, wusste aber nicht an welche Adresse. Es wurde sofort in einer beträchtlichen Anzahl von Kopien abgeschrieben und an eine Reihe von Freunden verschickt. Es ist sehr kränkend, dass bürokratische Dienste dir viel Zeit wegnehmen …

Der Kampf mit der rechten Abweichung2 wird im Geiste des Konstruktivismus inszeniert3. Direkt Meyerholds Inszenierung. Alle kämpfen einstimmig und einträchtig, völlig und ganz gegen einen gewissen Bösewicht RA4 (rechte Abweichung), dessen Adresse jedoch niemandem bekannt ist. Mit der rechten Abweichung kämpft man genauso heftig und sogar noch entschiedener als mit der Opposition. So sagt zumindest ein täglicher „Anschlag“5 in der Prawda, deren Redakteur der Leiter des Sechsten Kongresses, Kolja Balabolkin, ist. Wunder über Wunder. Diese konstruktivistische Maskerade offenbart jedoch bedeutendere Prozesse. Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass die Angelegenheit diesmal viel weiter gehen wird, als es der Meister der konstruktivistischen Erklärung möchte. Allerdings werde ich in ein paar Tagen ausführlicher darüber schreiben. … Es ist merkwürdig, dass zur gleichen Zeit, in der offiziell völlige Einstimmigkeit im Politbüro verkündet wird, Kolja die Welt heimlich darüber informiert, dass die Meinungsverschiedenheiten mit der Opposition im Vergleich zu den Meinungsverschiedenheiten, die die Troika vom Meister trennen, vernachlässigbar waren, und dass sie eine Diskussion nur deshalb nicht eröffnen, weil sie sofort einen „Schusswechsel"-6Charakter annehmen würde: wir (Kolja und seine Gleichgesinnten) müssten sagen: „Das ist der Mann, der das Land in die Hungersnot geführt hat", und der müsste sagen: „Das sind die Verteidiger des Kulaken und Nepmänner.“ All dies wird berichtet, wenn nicht wörtlich, dann fast wörtlich, auf jeden Fall ziemlich zuverlässig. Über Koljas Intrigen mit den zwei Musketieren spricht man in Moskau ganz offen. Die Musketiere enthalten sich jedoch der Stimme und erhoffen dafür Förderung vom Meister.

10. November 1928

L. Trotzki

1 In der französischen Übersetzung: „nach drei Tagen“

2 In der französischen Übersetzung: „unter den Rechten“

3 In der französischen Übersetzung: „nahm eine konspirative Wendung“

4 In der französischen Übersetzung: „IK“. Im Original PU, was einfach die Abkürzung von prawij uklon (=rechte Abweichung) ist.

5 In der französischen Übersetzung: „tägliche Meldungen“

6 In der französischen Übersetzung: „,tödlichen'“

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