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Leo Trotzki 19281110 Brief an Rafail

Leo Trotzki: Brief an Rafail

[Rundbrief Nr. 46, eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der französischen Übersetzung, dort unter dem Titel „Notre Voie reste celle de la Réforme“, Unser Weg bleibt der der Reform]

Werter Freund, es ist sehr gut, dass Sie sich uns, wie Sie schreiben, „um 1200 Pferde-Werst" genähert haben und sich aktiv an unserer internen Ausarbeitung beteiligt haben.

Anscheinend besteht zwischen uns und Ihnen in allen wichtigen Fragen Solidarität. Sie schreiben, in dem Dokument „Wie weiter?" sei die Rede von „der Unvermeidlichkeit des Sieges des rechten Kurses". Jetzt habe ich keine Zeit, mir das ganze Dokument anzusehen. Aber dem Wesen nach konnte ein solcher Gedanke in keinem Fall in ihm enthalten sein. Dies ist entweder ein Missverständnis in der Formulierung, oder ein direkter Fehler des Abschreibenden oder schließlich eine Fälschung. Sie haben völlig Recht, dass das Juli-Plenum nicht der letzte Punkt in der Entwicklung der Partei als Ganzes und insbesondere im Verhältnis zwischen den Rechten und den Zentristen war. Ich habe mehr als einmal darüber geschrieben, insbesondere in meinem großen Brief vom 21. Oktober, der am 23. Oktober nach Jenissejsk geschickt wurde und, wie ich hoffe, zu Ihnen kam. Jetzt ist die Kampagne gegen die Rechten trotz ihres bürokratischen Maskerade-Charakters ein überzeugender Beweis dafür, dass die Geschichte bei den Entscheidungen des Juli-Plenums nicht stehen geblieben ist. Wie die aktuellen „einstimmigen" Verurteilungen der rechten Abweichung bedeutet dies keineswegs die Beseitigung oder auch nur die Schwächung der thermidorianischen Gefahr. Alles ist in Bewegung, der Hauptkampf steht noch bevor, sein mögliches Ergebnis hängt nicht zuletzt von uns ab.

Sie werfen die Frage nach dem sozialen und Klasseninhalt der Rechten und der Zentristen auf. An diese Frage gehen viele Genossen, wie man an den Briefen erkennen kann, aus verschiedenen Blickwinkeln1 heran. In einem ausführlicheren Brief, mit dem ich mich derzeit beschäftige, wird gerade der Beleuchtung der zweiten Frage ein wichtiger Platz eingeräumt. Bei der Annäherung daran darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich nicht um abgeschlossene und verknöcherte2 politischen Gebilde handelt, sondern um Prozesse der Gärung und Differenzierung innerhalb der durch die Einheit der proletarischen Vergangenheit gebundenen Partei. Daher die Unmöglichkeit, starre und unbewegliche Klassendefinitionen vorzunehmen. Wenn wir von Abgleiten sprechen, bedeutet das auch, dass sich der Kopf bereits an einer Stelle und der Schwanz noch an einer anderen befindet. Die Klassentiefe des Abgleitens bestimmen kann nur das Handeln, d.h. unsere aktive Widerstand gegen das Abgleiten und die Ergebnisse, die wir auf diesem Weg erreichen werden. Aber darüber ausführlich im nächsten Brief.

Dass unser Weg der Weg der Reform bleibt, ist absolut unbestreitbar. Alle unsere Dokumente an den Kongress sprechen darüber absolut kategorisch. Die Teilung in Alte und Junge ist nicht gut, da haben Sie natürlich völlig Recht. Ihre Frage im Zusammenhang mit dem Oktober-Jubiläum entfällt, da ich Ihren Brief erst nach dem Jubiläum erhalten habe: er brauchte etwa vierzig Tage. Prachtvoll klingt die offizielle Formulierung: „Auf jede Weise die Anstrengungen verstärken, um die Splitter, Bruchstücke usw. der endgültig besiegten Opposition zu bekämpfen." Hey, hey, besser kann man nicht sprechen. Uglanow sagte jedoch auf der September-Plenartagung des Zentralkomitees: „Die Opposition war zäh…" Diese Phrase wurde aus dem offiziellen Bericht gestrichen. Bürokratische Fetischisten glaubten ernsthaft, dass man mit dem Marxismus mit Repressionen und Verleumdungen Schluss machen könne. Nein, mein Herr, mein Liebling, Sie haben sich verrechnet. Der Nasenstüber, den die Geschichte für sie bereithält, kann sich verzögern, aber er kommt noch und – mögen sie ihre eigenen Nasen schützen. Andere Themen möchte ich hier nicht behandeln, denn ich hoffe, wie gesagt, dass Sie meinen Brief vom 21. Oktober bereits erhalten haben.

Der Briefwechsel trat jedoch wieder in ein Krisenstadium ein. Ob es sich nun um einen Zufall handelt oder um eine planmäßige Abzäunung des verstärkten Kampfes mit den oben genannten Splittern, Resten und Bruchstücken, wird die nahe Zukunft zeigen. Ich füge eine Kopie meines Briefes an Genossen Rakowski bei.

310. November 1928, Alma-Ata

L. Trotzki

1 In der französischen Übersetzung fehlt: „aus verschiedenen Blickwinkeln“

2 In der französischen Übersetzung: „strukturierte“

3 Der Schluss fehlt in der französischen Übersetzung

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