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Leo Trotzki 19281111 Worin besteht die Differenz mit den DZ

Leo Trotzki: Worin besteht die Differenz mit den DZ

(Demokratische Zentralisten, Gruppe 15).

(Antwort auf den Brief eines verbannten Arbeiters. Mitglied der Gruppe der DZ)

[Nach Fahne des Kommunismus, 3. Jahrgang Nr. 4, 25. Januar 1929, S. 28-31]

[Vorbemerkung der Redaktion: Der nachstehende Brief des Gen. Trotzki an einen Arbeiter der Gruppe „Demokratischer Zentralismus“ (Gruppe der 15, Sapronow, Smirnow usw.) ist kurz nach dem Juli-Plenum geschrieben1, aber erst jetzt in unsere Hände gelangt. Wir geben ihn unserer Lesern zur Kenntnis, damit sie verfolgen können, wie die Stellung der russischen Opposition den der Sowjetunion gegebenen Verhältnissen angepasst wurde.

Kurz nach dem Juli-Plenum stand der Gen. Trotzki noch auf dem Standpunkt, dass mit tiefen Reformen innerhalb der WKP, allerdings mit Unterstützung der Gesamtarbeiterklasse, noch die WKP erobert und die Diktatur des Proletariats von der Stalinschen Entartung wiederhergestellt werden könnte. Der Artikel des Gen Trotzkis „Zur Lage in Russland", den wir in Nr. 1 der „Fahne des Kommunismus" veröffentlichten, der am 21. Oktober geschrieben ist, nennt das Stalin-Regime bereits „die umgekehrte Kerenski-Periode", stellt fest, dass ein „Sieg der Rechten direkt auf den thermidorianisch-bonapartistischen Weg", ein „Sieg der Zentristen jedoch im Zickzack auf den gleichen Weg führen würde. In diesem Artikel stellt Trotzki auf Grund der Entwicklung in Russland die Forderung der geheimen Abstimmung für die Arbeiterklasse.

Stalins Antwort auf diese Forderung ist eindeutig. Er bat ein Ausnahmegesetz gegen die russische Opposition erlassen. Während Menschewisten. Sozialrevolutionäre und selbst Weißgardisten in den Staatsinstitutionen sich breit machen, werden die Verhaftungs- und Verbannungsmaßnahmen legalisiert Dies schafft zweifelsohne eine neue Lage in Russland und wir zweifeln nicht, dass der Gen. Trotzki auch aus dieser veränderten Situation die entsprechenden Schlüsse ziehen wird. Der Leninbund erkennt den vollen Ernst der in Sowjetrussland neu geschaffenen Situation. Er wird in der kommenden Reichsausschuss- Sitzung eingehend Stellung nehmen.]

Werter Genosse Borodai!

Deinen Brief vom 12. X. aus Pinega habe ich erst fast nach einem Monat erhalten. Ich antworte sofort nach Erhalt dieses Briefes; denn die Fragen, die du von dem Standpunkt der DZ, zu deren Gruppe du gehörst, aufrollst, sind von größter Wichtigkeit. Du stellst mir sieben Fragen und verlangst „klare", „konkrete", keine „nebelhafte" Antworten. Ein sehr berechtigter Wunsch. Aber wir brauchen eine dialektische Konkretheit. d. h. eine, die die lebendige Dynamik der Entwicklung umfasst, und die nicht durch fertig gestempelte Antworten ersetzt werden kann, die auf den ersten Blick sehr „klar" erscheinen, aber in Wirklichkeit „inhaltslos und falsch sind". Du stellst mir rein formelle Fragen: ja, ja – nein, nein. Deine Fragen muss man auf marxistischen Boden stellen, um eine richtige Antwort auf sie zu geben.

1. Nachdem du eine Charakteristik des sozialen Bestandes der Partei und ihres Apparates gegeben hast, fragst du: „Hat sich die Partei gewandelt?" Das ist die erste Frage. Du verlangst eine „klare" und „konkrete" Antwort: ja, sie hat sich gewandelt. Indessen kann ich eine solche Antwort nicht geben, denn unsere heutige Partei ist, vom sozialen und Ideologischen Standpunkte aus gesehen, absolut nicht von einheitlicher Art. Innerhalb der Partei befinden sich Zellen, die sich ganz und gar gewandelt haben, es gibt gesunde Zellen, die sich aber noch nicht formiert haben, es gibt Zellen, die von der Umwandlung erst leicht angefressen sind usw., usw. Das Regime des Druckes von Seiten des Apparates, welcher den Druck der anderen Klassen auf das Proletariat wiedergibt, und der Niedergang der Aktivität des Proletariats selbst erschweren die tägliche Kontrolle über den Grad der Umwandlung der verschiedenen Schichten und Zellen der Partei und ihres Apparates außerordentlich. Aber die Kontrolle kann und wird durch Aktivität, im Besonderen durch eine aktive Einmischung in das innere Leben der Partei, durch eine unermüdliche Mobilisation ihrer lebendigen und lebensfähigen Elemente erreicht. Natürlich kann von einer solchen Einmischung keine Rede sein, wenn man davon ausgebt, dass die Partei als Ganzes sich gewandelt hat, dass die Partei eine Leiche sei. Bei einer solchen Einschätzung der Partei ist es unsinnig, sich an sie zu wenden, noch unsinniger ist es, darauf zu warten, dass sie in ihrem einen oder anderen Teil, d. h. vor allem in ihrem proletarischen Teil, dich anhören und verstehen wird. Den proletarischen Kern der Partei aber zu erobern, heißt die Partei erobern. Dieser proletarische Kern der Partei hält sich – und mit vollem Recht – weder für gestorben noch für umgewandelt. In unserer Politik halten wir uns an diesen proletarischen Kern. Unsere Aufgaben werden wir ihm auf Grund der Erfahrungen und der Tatsachen geduldig erklären. Auf die Verleumdung von Seiten des Apparates, als ob wir Verschwörungen anzetteln und eine zweite Partei gründen. Werden wir in jeder Zelle und in jeder Arbeiterversammlung sagen, dass das eine Luge sei. dass eine zweite Partei, unter Deckung der Zentristen von den Ustrjalowleuten im Apparat aufgebaut wird: Wir wollen jedoch die Leninsche Partei vom Ustrjalowismus und dem Halb-Ustrjalowismus reinigen. Hand in Hand mit ihrem proletarischen Kern, welcher, mit Unterstützung de. aktiven Elemente des gesamten Proletariats, die Partei noch erobern und die Revolution vom Untergang retten kann auf dem Wege einer tiefgehenden proletarischen Reform auf allen Gebieten.

2 „Ist die Umwandlung des Sowjetapparates und der Sowjetmacht eine Tatsache? – das Ist die zweite Frage“, schreibst du. Alles oben Gesagte bezieht sich auch auf diese Frage. Es ist unzweifelhaft, dass die Umwandlung des Sowjetapparates den gleichen Prozess im Parteiapparat in bedeutenden Maße überholt, aber entscheiden tut die Partei, das bedeutet jetzt der Parteiapparat. Die Frage kommt also auf dasselbe hinaus: ist der proletarische Kern der Partei fähig, mit Unterstützung der Arbeiterklasse, mit der Selbstherrlichkeit des des Parteiapparates, der mit dem Staatsapparat eng verbunden ist, fertig zu werden. Wer da im Voraus antwortet: unfähig, der spricht somit auch von der Notwendigkeit einer neuen Partei und von der Notwendigkeit einer neuen zweiten proletarischen Revolution. Es versteht sich von selbst, dass man absolut nicht behaupten kann, dass eine solche Perspektive unter allen Bedingungen ausgeschlossen ist; es geht hier jedoch nicht um geschichtliches Rätselraten, sondern darum, dass unter den jetzigen Bedingungen die Oktoberrevolution und die Diktatur des Proletariats nicht in die Hände der Feinde fällt, sondern aufgerichtet und gefestigt wird. Ist dieser Weg bis zuletzt versucht worden? Keineswegs. Die planmäßige Arbeit der Bolschewiken-Leninisten in der Mobilisierung des proletarischen Kerns auf der neuen historischen Etappe hat dem Wesen der Sache nach erst angefangen.

Die von dir gewünschte Antwort auf deine Frage über die Umwandlung der Sowjetmacht: „ja, sie hat sich gewandelt", enthält gar keine Klarheit, eröffnet keinerlei Perspektive. Es geht hier um einen sich entwickelnden, sich widersprechenden Prozess, welcher nach der einen oder anderen Seite erst entschieden werden kann durch den Kampf der lebendigen Kräfte, wobei unsere Teilnahme an diesem Kampf nicht gerade die kleinste Bedeutung für den Ausgang haben wird.

3. „Besitzen wir, die jetzige Lage des Landes und der Partei als Ganzes genommen, eine Diktatur der Arbeiterklasse? Und wer besitzt die Hegemonie in der Partei und im Lande? –Das ist die dritte Frage". – fragst du weiter.

Aus den vorhergehenden Antworten ist es klar zu ersehen, dass auch diese Frage von dir falsch gestellt ist, nicht dialektisch, sondern scholastisch. Gerade Bucharin hat diese Frage mehr als ein Dutzend Mal in der Form einer scholastischen Alternative vor uns gestellt: entweder wir haben den Thermidor, dann seid ihr, Opposition, keine Optimisten, sondern Pessimisten, oder ihr seid wirklich Optimisten, dann erkennt an, dass vom Thermidor keine Rede sein kann, dass das mir Geschwätz ist. Ihr, Genossen, lasst euch hierbei ganz und gar von der Falle der Bucharinschen Scholastik einfangen. Mit ihm zusammen wollt ihr „klare", d.h. vollendete soziale Tatsachen haben: die sich widersprechenden Prozesse der Entwicklung jedoch erscheinen euch „nebelhaft". Was haben wir in Wirklichkeit? Wir haben einen weit vorgerückten Prozess der Doppelherrschaft im Lande. Ist die Macht in die Hände der Bourgeoisie übergegangen? Es versteht sich von selbst, dass sie es nicht ist. Ist die Macht den Händen des Proletariats entfallen? Gewissermaßen, im bedeutenden Maße; aber noch nicht im entscheidenden Maße. Hieraus erklärt sich auch der ungeheuerliche Druck des bürokratischen Apparates, der zwischen den Klassen laviert. Aber der Apparat hängt durch den Parteiapparat von der Partei ab, d. h. von ihrem proletarischen Kern. Unter der Bedingung der Aktivität des letzteren, seiner richtigen Orientierung und der richtigen Leitung. Und das eben ist unsere Aufgabe.

Der Zustand der sich entwickelnden Doppelherrschaft ist seinem eigenen Wesen nach unbeständig und muss sich früher oder später nach der einen oder anderen Seite hin entscheiden. Aber so wie die Dinge heute liegen, könnte die Bourgeoisie nur am dem Wege der konterrevolutionären Erschütterungen die Macht ergreifen. Das Proletariat jedoch kann die gesamte Macht wieder erlangen, die Bürokratie sich unterwerfen auf dem Wege der Partei- und Sowjetreformen. Das ist die Grundcharakteristik der jetzigen Lage.

Wie mir berichtet wird, haben eure Charkowschen Gesinnungsgenossen sich an die Arbeiter mit einem Aufruf gewandt, der auf dem falschen Gedanken, dass die Oktoberrevolution und die Diktatur des Proletariats liquidiert sind, aufgebaut ist. Dieser Aufruf, dem Wesen nach falsch, hat der Opposition den größten Schaden zugefügt. Ein solches Auftreten ist entschieden und unerbittlich zu verurteilen. Das sind – abenteuerliche Husarenstücke, aber keine marxistische Revolution.

4. Mein „Nachwort" zu dem Julisieg der Rechten über das Zentrum zitierend, fragst du: „Stellst du voll und ganz zwischen Anführungszeichen den „linken Kurs" und den „Ruck", welche mit allen Kräften und allen Methoden zu unterstützen du einstmals vorgeschlagen hast? Das ist die vierte Frage." Hier ist eine direkte Unwahrheit. Über den linken Kurs habe ich niemals und nirgends gesprochen. Ich habe vom „Ruck" und „linken Zickzack" gesprochen, und habe diesen Begriff dem linken Kurs, d. h. der konsequenten proletarischen Linie gegenübergestellt. Ich habe niemals und nirgends vorgeschlagen , den angeblichen linken Kurs der Zentrist zu unterstützen und habe auch nirgends und niemals versprochen, ihn zu unterstützen. Aber ich habe vorgeschlagen und versprochen, mit allen Mitteln zu unterstützen jeden wirklichen, noch so kleinen Schritt der Zentristen nach links, ohne dabei auf einen Augenblick mit der Kritik und der Entlarvung des Zentrismus aufzuhören, welches das hauptsächlichste Hindernis bei der Erweckung der Aktivität des proletarischen Kerns der Partei ist. Mein „Nachwort“ ist auch ein Entlarvungsakt der Kapitulation der Zentristen vor den Rechten auf dem Juliplenum. Aber ich war war nicht der Meinung und bin es auch nicht, dass das Juliplenum die Geschichte der Parteientwicklung und im Besonderen die Geschichte des Kampfes der Zentristen mit den Rechten beendet. Augenblicklich sind wir Zeugen einer neuen zentristischen Kampagne gegen die Rechten. Wir müssen selbstverständlich Teilnehmer dieser Kampagne werden. Die ganze Heuchelei und Doppelzüngigkeit, die treubrüchige Halbheit des Apparats im Kampfe Stalins gegen die Rechten durchschauen wir, natürlich, ganz. Aber hinter diesem Kampfe sehen wir tiefgehende Klassenkräfte, welche danach streben, sich einen Weg durch die Partei und ihren Apparat zu bahnen. Die treibende Kraft des rechten Hügels ist der neue Eigentümer, der den Zusammenhang mit dem Weltkapital sucht: unsere Rechten sind noch schüchtern und zögern noch, weil sie sich noch nicht entscheiden können, in aller Öffentlichkeit dieses Pferd zu besteigen. Die Stütze der Zentristen ist der Partei-, Gewerkschafts- und sonstiger Apparatmensch, welcher es dem, wie es wolle, doch von der Arbeitermasse abhängt und ist augenscheinlich gezwungen, in der letzten Zelt immer mehr mit der Masse zu rechnen: darauf entstand die „Selbstkritik“, der „Kampf gegen die Rechten". Somit wird der Kampf der Zentristen gegen die Rechten eine sehr wichtige Etappe der Erweckung und Belebung der Partei und der Arbeiterklasse sein. Wir wären Dummköpfe, wenn wir den jetzigen offiziellen Ausgang des Kampfes gegen die Rechten für bare Münze nehmen würden. Aber wir würden auch kleinliche Scholastiker und überkluge Sektierer sein, wenn wir nicht verstehen würden, dass Hunderttausende von Arbeiter-Parteigenossen an diesen Ausgang glauben, wenn nicht auf 100 Proz., so auf 50 oder 25 Proz. Sie sind ja noch nicht mit uns. Vergesst das nicht, lasst euch nicht von sektiererischen Kleinigkeiten umnebeln. Der Zentrismus hält sich nicht nur durch den Druck des Apparates, sondern auch durch das Vertrauen oder das halbe Vertrauen eines gewissen Teiles der Arbeiter-Parteigenossen. Diese die Zentristen unterstützenden Arbeiter werden viel eher auf den Kampf gegen die Rechten eingehen, als sie es beim Kampf gegen die Opposition getan haben, wozu man sie an den Haaren hat herbeiziehen müssen. Ein ernster und gescheiter Oppositioneller wird auf jeder Arbeiterversammlung sagen: „Man ruft euch zum Kampf gegen die Rechten, eine prachtvolle Sache. Wir haben dazu schon lange aufgerufen. Und wenn ihr gedenkt, ernstlich gegen die Rechten zu kämpfen, so könnt ihr auf uns voll und ganz rechnen. Wir werden keine Streikbrecher sein, im Gegenteil, wir werden in den ersten Reihen stehen. Aber lasst uns wirklich kämpfen. Herunter mit den Masken! Man muss die Führer der Rechten laut nennen, ihre Taten aufzählen usw." Mit einem Wort, der Oppositionelle wird den proletarischen Kern der Partei nach bolschewistischer Art vorwärtstreiben und ihm nicht den Rücken kehren unter dem Vorwand, dass die Partei sich gewandelt hat.

5. „Ist es noch möglich, bezüglich der Stalinisten die Illusion zu hegen, dass sie fähig sind, die Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen? Das ist die fünfte Frage". Auch die fünfte Frage ist genau so falsch gestellt, wie die ersten vier. Bezüglich der Zentristen Illusionen zu hegen, bedeutet, dass man selbst zum Zentrismus abgleitet. Aber die Augen schließen vor den Massenprozessen, welche die Zentristen nach links stoßen können, bedeutet sich in eine sektiererische Hülle einschließen. Die Frage bedeutet doch nicht, ob Stalin und Molotow fähig sind, auf den Weg der proletarischen Politik zurückzukehren. Selbständig sind sie nicht fähig es zu tun. Das haben sie bewiesen. Aber es geht hier nicht um das Erraten des zukünftigen Schicksals der einzelnen Mitglieder des Stalinschen Stabes. Hier sind verschiedene „Überraschungen" möglich. Ist doch der ehemalige Führer der DZ, Ossinski, ein äußerster Rechter geworden. Aber nicht dieses interessiert uns. Richtig wäre die Frage folgendermaßen: „Sind die dutzende und hunderttausende von Arbeiter-Partei- und Jugendgenossen, welche jetzt die Stalinisten aktiv, halb aktiv und passiv unterstützen, fähig, sich aufzurichten, sich zusammenzuschweißen, um die Interessen der Revolution und der Arbeiterklasse zu verteidigen? Hierauf antworte ich: Ja, sie sind dazu fähig. Sie werden dazu auch morgen und übermorgen fähig sein, wenn wir es verstehen werden, richtig an sie heranzutreten, wenn wir ihnen zeigen werden, dass wir uns ihnen nicht als einem Leichnam gegenüber stellen, wenn wir nach bolschewistischer Art jeden ihrer Schritte oder Halbschritte in der Richtung zu uns unterstützen, wenn wir dabei keinerlei „Illusionen" hegen, sondern sie unerbittlich entlarven werden. Jetzt muss man es tun, während des Kampfes gegen die Rechten.

6. Nachdem du den 6. Kongress charakterisiert und einige Erscheinungen innerhalb der Partei vermerkt hast, schreibst du „Ist dieses Ganze nicht der Thermidor mit der trockenen Guillotine." Das ist die sechste Frage.

Diese Frage ist konkret genug weiter oben beantwortet worden. Noch einmal: Glaubt nicht, dass die Bucharinsche Scholastik im umgekehrten Sinne den Marxismus bedeutet

7. Hast du persönlich die Absicht“, – fragst du mich – „die Genossen, die der Gruppe der 15 angehören, mit dem schönen Wort „ehrliche Revolutionäre“ zu benennen und zu gleicher Zeit dich von ihnen abzusondern? Ist es nicht an der Zeit die Streitigkeiten zu beenden? Ist es nicht an der Zeit über die Konsolidierung der Kräfte der bolschewistischen Garde nachzudenken. Das ist die siebente und letzte Frage.“ Leider ist diese Frage nicht ganz richtig von dir gestellt. Nicht ich habe mich von den DZ abgesondert, sondern die Gruppe der DZ, die zu der allgemeinen Opposition gehörte, hat sich von uns abgesondert. Auf diesem Boden ist auch die weitere Spaltung in der Gruppe der DZ selbst vor sich gegangen. Das ist die Vergangenheit. Nehmen wir das letzte Stadium, als die verbannten Oppositionellen in einen ernsten Meinungstausch eintraten, und als Resultat haben wir eine Reihe von verantwortlichen Dokumenten ausgearbeitet, die 99 Prozent der Opposition um sieh gesammelt haben: auch hier haben die Vertreter der DZ, die nichts Wesentliches beigetragen haben, sich von uns abgesondert, indem sie noch päpstlicher waren als der Papst, d. h. als Safarow, und hierauf fragst du mich, ob ich die Absicht habe, mich auch weiterhin von den DZ „abzusondern“? Nein, an diese Frage tretet ihr vom falschen Ende heran. Ihr stellt die Lage so dar, als ob in der Vergangenheit die Sinowjews, Kamenews, Pjatakows die Einigung gehindert haben. Auch hier irrt ihr euch. Aus euren Worten kann man die Schlussfolgerung ziehen, als ob wir, die Opposition von 1923 für die Einigung mit den Sinowjew-Leuten waren, aber die Gruppe der DZ dagegen. Im Gegenteil. Wir waren viel vorsichtiger in dieser Frage und viel hartnäckiger in Bezug auf die Garantien. Die Initiative zur Einigung ging von den DZ aus. Die ersten Beratungen mit den Sinowjew-Leuten fanden unter dem Vorsitz des Genossen Sapronow statt. Ich sage das absolut nicht als Vorwurf. Denn der Block war notwendig und war ein Schritt vorwärts. Aber „man darf den gestrigen Tag nicht verkrüppeln". Nachdem sich die Gruppe der DZ von der Opposition abgegrenzt hatte, war Sinowjew die ganze Zeit für eine Einigung mit den DZ, warf die Frage wohl einige dutzend Male auf, und ich trat gegen die Einigung auf. Was sagte ich dabei? Wir brauchen die Einigung, aber eine dauernde und ernsthafte Einigung. Wenn jedoch schon beim ersten Stoß die Gruppe der DZ sich von uns abgespalten hat. so braucht man sich nicht zu beeilen, neue Einheitskränzchen aufzutun, sondern man sollte sich Zeit lassen, die Politik zu kontrollieren, um dann entweder die Spaltung zu vertiefen oder neue Bedingungen vorzubereiten für eine echte, ernsthafte, dauerhafte Einigung. Ich glaube, dass die Erfahrung der Jahre 1927/1928 gezeigt haben muss, wie unsinnig die Verdächtigungen und Beschimpfungen von Seiten der Führer der DZ an die Adresse der Opposition von 1923 waren. Ich meine, im Besonderen, dass die prinzipiellen Dokumente, die von uns an den 6. Kongress adressiert waren, die Einigung der Reihen fördern wird. Das ist auch bei einer Reihe von Genossen der DZ eingetroffen. Aber die anerkannten Führer eurer Gruppe haben alles getan, was sie konnten, um nicht nur die Differenzen zuzuspitzen, sondern auch um das Verhältnis zu uns durch und durch zu vergiften. Ich persönlich verhalte mich ziemlich ruhig zu den Schreiben W. Smirnows. Aber ich habe in der letzten Zeit dutzende von Briefen erhalten, die beweisen, wie empört die Genossen sind über den Charakter der Smirnowschen Schreiben, die so lauten, als ob sie speziell dazu berechtigt sind, die Annäherung zu hintertreiben und unter allen Umständen ihr eigenes Kirchlein und ihren eigenen Pastor zu behalten.

Aber auch abgesehen davon, wer sich von wem abgesondert hat, wer ehrlich die Einigung will, und wer seine eigene Gemeinde bilden will, bleibt immer noch die Frage über die ideellen Grundlagen der Einigung bestehen.

Hierüber schreibt mir der Genosse Rafail am 28. September: „Unsere Freunde aus der Gruppe der 15 haben eine wütende Kampagne im Besonderen gegen dich geführt und es ergab sich eine rührende Idylle in dieser Frage zwischen dem Leitartikel des „Bolschewik" Nr. 16 und W. M. Smimow und anderen Genossen der Gruppe der 15". Der größte Fehler dieser Genossen ist die Überschätzung der formellen Beschlüsse und der Kombinationen der Spitze im besonderen der Beschlüsse des Juli-Plenums: Vor lauter Bäumen sehen sie den Wald nicht. Natürlich spiegeln diese Beschlüsse für ein bestimmtes Stadium das Kräfteverhältnis wider. Aber man kann in keinem Falle damit rechnen, dass sie den Ausgang des Kampfes bestimmen, eines Kampfes, der weitergeht und noch lange weitergehen wird. Nicht eines der Probleme, die die Krise hervorgerufen haben, ist gelöst worden. Die Widersprüche haben sich zugespitzt. Das musste selbst der offizielle Leitartikel der „Prawda“ vom 18. November anerkennen. Trotz des „Stahlhammers“, der jeden Tag einen „Espenkeil“ in die Opposition einschlägt (zum wievielten Mal?), lebt die Opposition, und sie will erst recht leben. Sie besitzt kampferprobte Kader, und was für Kader! In dieser Zeit Schlussfolgerungen zu ziehen, die den Schlussfolgerungen der „Gruppe der 15“ analog sind, ist falsch und außerordentlich schädlich. Diese Schlussfolgerungen schaffen eine demobilisierende Stimmung, statt die Arbeiterklasse und den proletarischen Kern der Partei zu organisieren. Die Position der „15“ ist eine passive, denn, wenn die Arbeiterklasse und seine Avantgarde die Positionen und Eroberungen schon ohne Kampf abgegeben haben, worauf rechnen dann die Genossen aus „15". Zur Wiederbelebung eines „Leichnams" organisiert man die Massen nicht, und für einen neuen Kampf bei dem Zustand der Arbeiterklasse, wie sie ihn sich vorstellen, sind die Fristen viel zu lang, und das wird unweigerlich zu der Position Schljapnikows führen." Ich denke, dass der Genosse Rafail mit dieser Charakteristik vollkommen recht hat.

Du schreibst, dass die Arbeiterklasse nebelhafte Halbheiten und diplomatische Wendungen nicht liebt. Ganz richtig. Und aus diesem Grunde musst ihr endlich das Fazit ziehen. Wenn die Partei ein Leichnam ist, – dann muss man an neuer Stelle eine neue Partei gründen und offen zu der Arbeiterklasse davon sprechen. Wenn der Thermidor vollendet und die Diktatur des Proletariats liquidiert ist, dann muss man das Banner der zweiten proletarischen Revolution aufrollen. So würden wir auftreten, wenn der Weg der Reformen, für den wir sind, sich als aussichtslos erwiesen hat. Leider sitzen die DZ bis an den Ohren in nebelhafter Halbheit und diplomatischen Wendungen. Sie kritisieren sehr „links" unseren Weg der Reformen, – welcher, wie wir hoffen, gezeigt hat, dass er absolut nicht den Weg der Stalinschen Legalität bedeutet, – aber sie zeigen der Arbeitermasse auch keinen anderen Weg. Sie begnügen sich mit sektiererischem Gebrumm an unsere Adresse und rechnen abwartend auf eine elementare Bewegung. Wenn diese Linie sich gefestigt hätte, würde sie nicht nur eure Gruppe zerstören, welche nicht wenige gute und treue Revolutionäre enthält, sondern sie wurde, wie jedes Sektierertum und Abenteurertum, den rechts-zentristischen Tendenzen den besten Dienst erweisen, d. h. letzten Endes der bürgerlichen Restauration. Und darum, werter Genosse, muss man sich, ehe man sich vereinigt, und ich bin mit ganzer Seele für die Einigung, – auf der Grundlage einer deutlichen und prinzipiellen politischen Linie ideell abgrenzen. Das ist eine alte und gute bolschewistische Regel.

Mit kommunistischem Gruß,

L . Trotzki.

1Louis Sinclairs Trotzki-Bibliografie nennt den 11. November als Datum. Da im Text ein Prawda-Artikel vom 18. November zitiert wird, ist das wohl noch zu früh. Auf jeden Fall ist die Ansicht der „Fahne des Kommunismus“, dass der Brief vor dem Artikel vom 21. Oktober geschrieben sei, und ihr Versuch, eine „Anpassung“ der „Stellung der russischen Opposition“ zwischen beiden Texten zu konstruieren, verfehlt. Hier zeigen sich die Differenzen zwischen Trotzki und der Mehrheit des Leninbunds, die wenige Monate später in der Frage der chinesisch-sowjetischen Konflikts eskalierten.

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