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Leo Trotzki 19380320 Diskussionen mit Trotzki: I – Internationale Konferenz

Leo Trotzki: Diskussionen mit Trotzki: I – Internationale Konferenz

[Eigene Übersetzung nach Writings of Leon Trotsky (1937-38, S. 283-293]

Trotzki: Alle Sektionen hatten Diskussionen über die Ereignisse in Spanien, den chinesisch-japanischen Krieg, den Klassencharakter der UdSSR – und einige Sektionen hatten sogar ihre Spaltungen, wie die deutsche Sektion. Ihre Thesen sind in allen Sektionen bekannt und das gilt auch für die französischen Thesen. Jetzt geht es nur noch darum, den Text in Ordnung zu bringen.

Cannon: Es bleibt die Frage, den Text für die Konferenz vorzubereiten.

Trotzki: Wir haben hier den Programmentwurf vorbereitet – es ist möglich, ihn innerhalb von zwei oder drei Wochen fertig zu bekommen und ihn dann ins Englische und Französische zu übersetzen. Kann Ihre Grundsatzerklärung für die Internationale Konferenz verwendet werden?

Shachtman: Nein, es ist mehr die Erklärung einer nationalen Sektion.

Trotzki: Adolphe hat seinen Statutenentwurf verschickt. Die deutsche Sektion hat die Thesen über den Charakter der Vierten Internationale vorbereitet. Sie wurden vor drei Monaten an alle Sektionen verschickt und erscheinen jetzt in „Unser Wort“.

Shachtman: Wir haben „Unser Wort“ seit einigen Monaten nicht mehr erhalten.

Trotzki: Vielleicht, weil Sie während Ihres Aufenthalts in der Sozialistischen Partei Ihre internationalen Verbindungen verloren haben und sie noch nicht vollständig wiederherstellen konnten.

Sie hatten auch die Thesen von Diego Rivera. Der einzige Einwand gegen sie ist, dass sie für die Konferenz zu lang sind. Ich habe Ihren Vorschlag gelesen, dass ich angesichts der jüngsten Ereignisse über die Kriegsfrage schreibe. Ich nehme diesen Vorschlag bereitwillig an – um unsere Thesen im Lichte der jüngsten Ereignisse zu ergänzen und zu konkretisieren. Wir haben etwas Wichtiges zu tun. Es kann in den nächsten Tagen gemacht werden. Wir haben hier einen Entwurf, aber nicht genügend Personen, die aus dem Russischen übersetzen können.

Was aber fehlt, ist ein Programm von Übergangsforderungen und Slogans. Es ist notwendig, eine Zusammenfassung konkreter, präziser Forderungen zu erstellen, wie etwa die Kontrolle der Industrie durch die Arbeiter im Gegensatz zur Technokratie. Von Zeit zu Zeit wird es in der Zeitung erwähnt, aber nur nebenbei. Aber ich glaube, dass es einer der Slogans ist, der für die USA sehr wichtig ist.

Lundberg schreibt ein Buch über die sechzig Familien. Der „Annalist“ sagt, dass seine Statistiken übertrieben seien. Wir müssen die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses fordern – dass die Arbeiter das Recht haben, in die Buchhaltung zu schauen – als Voraussetzung für die Kontrolle der Arbeiter über die Industrie. Eine Reihe von Übergangsmaßnahmen, die dem Stadium des monopolistischen Kapitalismus und der Diktatur des Proletariats entsprechen, mit einem Abschnitt, der kolonialen und halbkolonialen Ländern entspricht. Wir haben ein solches Dokument vorbereitet. Es entspricht dem Teil des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels, den sie selbst für veraltet erklärten. Es ist nur teilweise veraltet, teilweise ist es sehr gut und soll durch unsere Konferenz ersetzt werden.

Dann habe ich auch einen Thesenentwurf betreffend Demokratie. Der Kern von ihnen ist, dass Demokratie die aristokratischste Herrschaftsform ist – nur jene Länder sind in der Lage, die Demokratie zu bewahren, die Sklaven in der Welt haben, wie Großbritannien, dessen Bürger jeweils neun Sklaven haben; Frankreich, dessen Bürger jeweils anderthalb Sklaven haben; und die USA – die ich weiß nicht wie viele Sklaven haben, aber es ist fast die ganze Welt, beginnend mit Lateinamerika. Die ärmeren Länder wie Italien gaben ihre Demokratie auf.

Es ist eine Analyse der Demokratie angesichts neuer Ereignisse. Was ist eine Faschisierung der Demokratie? Die kleinbürgerlichen Demokraten gehen bankrott. Nur die Großen, die größten Räuber, die reichsten Sklavenhalter usw. bleiben Demokraten. Eine solche Formulierung der Frage ist besonders nützlich für die USA. Natürlich sind sie nicht zugunsten des Faschismus, sondern zugunsten der proletarischen Demokratie geschrieben. Selbst für das reichste Land wie die USA wird die Demokratie immer weniger durchführbar.

Ich glaube, das ist fast alles, was wir als Vorschläge für die Internationale Konferenz haben. Die anderen wichtigen Fragen, die brennenden Fragen des Klassencharakters der Sowjetunion, der chinesisch-japanische Krieg, die Frage Spaniens, sind bereits von allen Sektionen diskutiert worden. Wir sind auf die Konferenz gut vorbereitet.

Ich werde dann vorbereiten: (1) Übergangsforderungen; (2) die Frage der Demokratie; (3) Krieg; (4) Manifest zur Weltlage; entweder getrennt oder in Form einer grundlegenden Broschüre.

Cannon: Was ist mit einem programmatischen Manifest? Ich frage mich, ob wir nicht ein solches Dokument haben sollten?

Trotzki: Ja, es wäre sehr gut, eines zu haben. Es kann von Europa aus geschehen oder von hier aus. Es könnte von der Internationalen Konferenz selbst angenommen werden, oder es könnte vom Internationalen Sekretariat im Namen der Konferenz herausgegeben werden.

Cannon: Zur organisatorischen Seite der Frage – sollen wir diese Konferenz als provisorische Versammlung oder als eigentliche Gründung der Vierten Internationale betrachten? Die vorherrschende Meinung unter uns ist, dass wir tatsächlich die Vierte Internationale auf dieser Konferenz bilden würden. Wir denken, dass sich die Hauptelemente der Vierten Internationale inzwischen herauskristallisiert haben. Wir sollten unsere Verhandlungen und Manöver mit den Zentristen beenden und sie fortan als getrennte und fremde Gruppierungen behandeln.

Trotzki: Ich stimme absolut mit dem überein, was Genosse Cannon gesagt hat. Ich glaube, Sie werden auf Widerstand aus Belgien stoßen, vor allem von Vereecken. Für ihn besteht das Leben aus Diskussionen; sobald eine Entscheidung getroffen wird, ist es eine Katastrophe für ihn. Sie werden auch ein Element der Opposition von den französischen Genossen auf der Konferenz vorfinden. Ich weiß nichts von der Meinung der verschiedenen britischen Genossen, aber ich stimme völlig zu, dass es absolut naiv ist, es zu verschieben. Natürlich sind wir eine schwache Internationale, aber wir sind eine Internationale. Diese Internationale wird durch unsere eigene Aktion und nicht durch Manöver mit anderen Gruppen stark werden. Natürlich können wir andere Zwischengruppen anziehen, aber das wäre nebensächlich. Die allgemeine Linie ist unsere eigene Entwicklung. Wir haben für all diese Zwischenorganisationen einen Test in Spanien gemacht – die POUM war der wichtigste Teil des Londoner Büros und eben diese POUM erwies sich als die katastrophalste für die spanische Revolution. Ich glaube, dass unsere amerikanische Sektion ihre Position mit Energie verkünden sollte – wir haben keinen Grund, zu prahlen, dass wir stark seien, aber wir sind, was wir sind.

Cannon: Ich denke, in diesem Punkt müssen wir ein paar Erklärungen für einige der Genossen haben – vielleicht in Form von Artikeln oder Diskussionen. Einige Genossen haben die Taktik des Manövrierens und der Zugeständnisse an die Zentristen als eine permanente Politik angenommen, während wir denken, dass alle unsere Manöver mit den Zentristen inzwischen erschöpft sind. Wir hatten vor zwei, drei oder vier Jahren das Recht, organisatorische Maßnahmen zu verzögern, um die Manöver und Experimente mit diesen Leuten zu vollenden, aber nicht jetzt. Wir haben in unseren Diskussionen bemerkt, dass es einige Genossen gibt, die die Taktik auf unbestimmte Zeit fortsetzen wollen – einige Manöver, die im Voraus dem Untergang geweiht sind. Aus diesem Grund glaube ich, dass wir dies den Genossen erklären müssen.

Trotzki: Das London Büro ist für uns keine Arena für Aktionen oder Manövern – es ist nur ein Hindernis – ein versteinerter Zentrismus ohne Massen. Was für uns im politischen Bereich von Interesse ist, ist die KP, aber da geht es nicht um Manöver, sondern um einen entschiedenen Kampf.

Shachtman: Haben Sie weitere Neuigkeiten über Entwicklungen in der POUM in Bezug auf die Entstehung eines linken Flügels gehört?

Trotzki: Die Führer sind jetzt die Rechten – die schlimmsten Elemente der Maurin-Gruppe – und sie haben die Leute des Nin-Flügels beschuldigt, durch ihre zu revolutionäre Politik für die Katastrophe in Spanien verantwortlich zu sein.

Shachtman: Und in Holland?

Trotzki: Das ist der schwarze Fleck auf unserer politischen Landkarte. Es ist ein klassisches Beispiel für die Umwandlung einer sektiererischen Politik in eine opportunistische Politik, begleitet von einer Reihe von Niederlagen. Sie wissen, dass diese linken Gewerkschaften seit dreißig oder vierzig Jahren bestehen. Sie sind keine Improvisation des Stalinismus der dritten Periode; sie sind das Ergebnis von syndikalistischen Vorurteilen. Sneevliet wurde Sekretär dieser Organisation. Sie hatte auf ihrem Höhepunkt 25.000 Arbeiter und Staatsangestellte – halbe halbe. Aber Funktionen des Staates werden von den Gewerkschaften wahrgenommen. Sie werden vom Staat subventioniert. Auf diese Weise wurde die Bürokratie der Gewerkschaften vom Staat abhängig. Sneevliet und seine Freunde hatten einen Apparat, der nicht auf der Stärke der Gewerkschaften und der Partei beruhte, sondern auf der finanziellen Unterstützung des Staates.

Cannon: Eine direkte Subvention?

Trotzki: Ja. Es gibt den Gewerkschaften die Möglichkeit, ihren Apparat aufrechtzuerhalten. Wenn der Staatsminister diese finanzielle Unterstützung von diesen Gewerkschaften abzieht (und er drohte damit), ist das sofort eine totale Katastrophe. Colijn zeigte den linken Gewerkschaften lediglich einen drohenden Finger. Sofort haben alle Staatsangestellten sie zugunsten anderer Gewerkschaften verlassen, und jetzt hat Sneevliet nicht mehr 25.000 sondern ein Maximum von elf bis zwölftausend. Es war seine frühere radikale Position, besonders in der Kolonialfrage, die ihm Autorität unter den Arbeitern gab; er wurde verhaftet, und als er aus dem Gefängnis kam, wurde er Parlamentsabgeordneter. Damals haben wir in Frankreich mit ihm gesprochen und argumentiert, dass es ihm unmöglich sei, Gewerkschaftssekretär, halber Staatsangestellter und Mitglied einer revolutionären Partei zu bleiben. Er sagte mir, er sei einverstanden, aber er wolle nur Sekretär bleiben, um etwa 2.000 Mitglieder der Gewerkschaften für die revolutionäre Partei zu gewinnen. Ich sagte: Fein, wir werden sehen. Aber die Evolution war eine gegenteilige. Als er ins Parlament eintrat, warteten wir auf eine echte revolutionäre Rede – es war das erste Mal, dass die Vierte Internationale einen Parlamentsabgeordneten erlangte. Aber jede Rede war zweideutig. Gegenüber seinem Ministerpräsidenten Colijn war er sehr vornehm – absolut nicht-revolutionär. Er wird Ihnen tausend Gründe für seine Einstellung sagen, aber er wird den einen wahren Grund verbergen – seine Unterwürfigkeit gegenüber der Regierung, um finanzielle Unterstützung für seine Gewerkschaft zu behalten. Sehr demütigend, aber wahr. In dieser Situation kann er keine Kritik dulden. Wenn ein Mitglied ihn fragt: Warum hast du das in deiner Parlamentsrede nicht gesagt? – kann er nicht antworten. Er schließt jeden Kritiker aus. Um gegen uns – die Vierte Internationale – zu kämpfen, wandte er sich für revolutionäre Tarnung nach Spanien, und erklärte von der POUM: „Das ist meine Partei." Er ging mit 500 Gulden nach Spanien, um sie der POUM zu geben – alles wurde in der Zeitung fotografiert – er ging dorthin und unterstützte die POUM gegen uns.

Die POUM hatte 40.000 Mitglieder. Das ist gar nichts. Wenn Sie nur 10.000 Mitglieder haben – aber Mitglieder, die mit den Massen in Rebellion verbunden sind – dann können Sie eine Revolution gewinnen. Aber 40.000 Mitglieder von den Massen getrennt – das ist nichts. Aber Sneevliet, Vereecken, Serge entpuppten sich als Streikbrecher, im wahrsten Sinne des Wortes „Streikbrecher". Sie waren in dieser Situation in voller Solidarität mit der POUM gegen uns und die POUM erklärte: Wenn solche wichtigen Figuren gegen die offizielle Position der Vierten Internationale sind, dann ist es möglich, dass wir recht haben. Das stärkte die opportunistischen Tendenzen der POUM in der kritischsten Situation. Unsere amerikanischen Freunde haben die Pflicht, sie energisch anzuklagen, weil Spanien eine große historische Lektion war. Das Ergebnis der Politik Sneevliets ist, dass er von 25.000 Mitgliedern in den Gewerkschaften jetzt 11.000 hat und bei der Neuwahl sein Mandat verlor – er hatte nicht mehr 50.000 Stimmen, sondern weniger als 30.000; seine diplomatischen Reden waren von keinem Interesse für die Arbeiter.

Jetzt rennt er zum Londoner Büro. Wir können Sneevliet keine Zugeständnisse machen. Wir waren geduldig – es war keine Frage von zwei oder drei Wochen; es ist eine Frage von mindestens sechs Jahren – und wir waren alle sehr geduldig, zu geduldig. Jetzt müssen wir eine Bilanz ziehen, denn in der kritischsten Periode der spanischen Revolution erwies er sich als Streikbrecher – wir können ihm nicht verzeihen. Erinnern Sie sich, wie er während der letzten internationalen Konferenz gehandelt hat. Er kam, aber als Tourist. Er nahm an einer Sitzung teil; dann telegrafierte er an Schmidt, der die Arbeiterbewegung billigte und später verließ und innerhalb weniger Monate zur Bourgeoisie überging.

Cannon: Haben wir eine Gruppe in Holland?

Trotzki: Ja, wir haben eine von Sneevliet ausgeschlossene Gruppe und wir haben Sympathisanten in Sneevliets Partei. Wir glauben, dass die Haltung der Konferenz für die niederländische Partei entscheidend sein wird. Ihr muss verständlich gemacht werden, dass es kein Detail ist.

Was Vereecken anbelangt, als Sneevliet unsere Genossen ausschloss, stimmte Vereecken zu, weil sie innerhalb der Sneevliet-Partei eine fraktionelle Haltung entwickelt hätten. Die belgische Sektion hat auch eine niederländischsprachige Sektion, und die dortigen Genossen haben unsere Politik unterstützt, worauf Vereecken ihnen den Ausschluss androhte. Sie sind eine internationale Clique; sie kämpfen ständig gegen die Linie des IS. In gewissem Sinne ist Vereecken ein wertvoller Arbeiter, der der Bewegung sehr ergeben und sehr energisch ist, aber dieser Arbeiter hat alle schlechten Eigenschaften eines Intellektuellen.

Cannon: Was uns an den europäischen Gruppen nicht befriedigt, ist, dass sie eine Frage nie zu Ende bringen – sie bringen ihren Kampf niemals zum Abschluss. Die Hälfte unseres Erfolges in den USA beruht auf der Tatsache, dass wir mit Menschen, die nicht assimiliert werden können, einen Schlussstrich ziehen. Wir diskutieren mit ihnen nur bis dorthin; wenn sie mit der Organisation brechen, enden alle Beziehungen.

Die europäischen Genossen bringen ihre Diskussionen nicht zum Abschluss. Es scheint uns, dass sie sich zu leichtfertig spalten und sich zu schnell wieder vereinigen. Mit Leuten wie Vereecken haben wir die Politik verfolgt, nach gründlicher Diskussion zu einem endgültigen Ergebnis zu kommen. Wir können die Vierte Internationale nicht mit Fanatikern ständiger Diskussion aufbauen.

Ich denke, die Konferenz muss ihre politische Linie festlegen und allen sagen: Hier ist unser Programm und unsere Plattform. Mögen diejenigen, die bei uns sind, auf dieser Grundlage mitkommen. Mögen andere ihren eigenen Weg gehen.

Ich glaube, wir müssen die jungen Genossen in der belgischen und der französischen Sektion auffordern, auf einer solchen Position zu bestehen und alle Beziehungen zu denen, die die Konferenzentscheidungen ablehnen, zu beenden, egal wer sie sind. Auf der Konferenz selbst sollte eine Diskussion über die Frage der „Diskussion" stattfinden. Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht um der Diskussion willen diskutieren, sondern um zu einem Abschluss zu kommen und zu handeln. Es war uns zum Beispiel nie klar, wie Vereecken, nachdem er so leichtfertig mit der belgischen Sektion gebrochen und sich so leicht wiedervereint hatte, sofort politischer Sekretär werden konnte – der höchste Posten in der Partei. Es entsteht der Eindruck, dass man die Organisation ungestraft in Stücke reißen kann, sich dann vereinigt und von vorne beginnt, als wäre nichts geschehen. Das ist unserer Meinung nach eine hoffnungslose Politik. Die Genossen der Vierten Internationale müssen Mut haben, wenn ein Bruch gemacht wird, den Bruch definitiv zu machen.

In den USA betrachten wir einen Bruch mit der Organisation als Kapitalverbrechen. Wir fangen mit solchen Leuten nicht am nächsten Tag wieder an. Wir versuchen, den jungen Genossen diesen Geist einzupflanzen, damit sie verstehen, dass die Loyalität gegenüber der Organisation etwas Heiliges ist. Sie schätzen die Einheit der Organisation in höchstem Maße. Deshalb war unsere letzte Diskussion so erfolgreich – niemand drohte sich abzuspalten. Folglich konnte die Partei die größte Diskussionsfreiheit zulassen, ohne Angst davor zu haben, sich zu spalten oder die Diskussion für immer zu verlängern. Ich denke, das ist eine Sache, die die europäischen Genossen entwickeln müssen – die Vorstellung, dass die Vierte Internationale als eine bestimmte Organisation gebildet wird, der jedes Mitglied treu sein muss. Diejenigen, die leicht Spaltungen machen, müssen abgehackt und beiseite geworfen werden.

Trotzki: Ich unterschreibe jedes Wort, das Genosse Cannon sagte. Ich möchte nur hinzufügen, dass die Situation in der belgischen Partei in der Hinsicht kompliziert war, dass sie Mitglieder der Sozialistischen Partei ohne revolutionäre Erziehung enthielt. Wir haben Dauge, einen jungen Genossen, der sehr aktiv ist, aber im Geiste der Vereecken-Partei geschult wurde, ohne irgendeinen Geist revolutionärer Disziplin. Dann ist da noch Lesoil – ein ausgezeichneter Genosse, der völlig in seinem lokalen Wirkungsbereich versunken ist. Es war eine schwierige Situation.

Das war auch der Grund, warum Vereecken in dieser Situation wieder nationaler Sekretär werden konnte. Das Unglück war, dass die Genossen aus der SP, sobald sie sich von ihr trennten, sofort Anhänger unabhängiger Gewerkschaften wurden. Es war der größte Schlag für die neue Partei. Ich habe mit Dauge in dieser Frage einen Briefwechsel geführt – es war während unseres Aufenthalts in Norwegen, und die Polizei hat diesen Briefwechsel bekommen, ihn veröffentlicht und uns machiavellistische Pläne vorgeworfen; es machte die Situation schwieriger. Vereecken interessiert sich nicht für die Gewerkschaftsfrage – nur für die Diskussion darüber. Dauge war für unabhängige Gewerkschaften. Jetzt hat er ein bisschen gelernt, aber inzwischen war es eine Katastrophe für die Partei. Lesoil war grundsätzlich gegen diese Einstellung, unterstützte aber in der Praxis Dauge.

Ich glaube, dass die Trennung von Sneevliet vollständig ist und dass er nicht auf der Konferenz erscheinen wird. Er antwortete nicht auf meinen letzten Brief, in dem ich erklärte, dass er, wenn er mit der Vierten Internationale usw. sein möchte, trotz allem antworten sollte und wir tun werden, was wir können, usw.

Was Vereecken angeht, sollte er von einer verantwortungsvollsten Partei ernstlich gewarnt werden. Er wird auf der Konferenz erscheinen und kritisieren, aber ich halte es für notwendig, eine scharfe, persönliche Warnung zu geben, die alle seine Fehler aufzählt. Er sollte gewarnt werden, dass unsere Geduld zu Ende ist. Er ist kein kleiner Junge; Er ist vierzig. Er ist Taxifahrer, arbeitet acht Stunden, dann ist er sehr aktiv, schreibt Artikel, hält Reden etc.; aber er ist sehr gefährlich für die Partei.

Cannon: Welche Fortschritte hat die französische Sektion in diesem Jahr gemacht?

Trotzki: Sie haben in diesem Jahr keine großen Fortschritte verzeichnet – es war ein Jahr der Volksfront-Illusionen und nur die mutigsten Elemente konnten sich unserer Partei nähern. Auf der anderen Seite erzeugte diese Situation einige sektiererische Tendenzen. Einige Elemente suchen nicht in der objektiven Lage nach einer Erklärung für die Stagnation und die zu langsame Entwicklung – der großen Welle der Volksfront –, sondern in der Unzulänglichkeit unserer Slogans, nämlich dass wir die Verteidigung der Sowjetunion im Kriegsfall als unser Ziel betrachten. Das ist die Tendenz von Craipeau, ein sehr gutes und ehrliches Element, aber dogmatisch und mit einem scholastischen Geist. In vielen Fragen stimmen seine Ansichten mit denen Vereeckens überein, aber er ist disziplinierter in seiner Haltung, Einflüssen zugänglicher usw.

Die Lage in unserer Internationale ist trotz der scharfen Diskussion über die russische Frage nicht schlecht. Ich glaube, das Problem besteht darin, ihre Haltung gegenüber den Gewerkschaften zu überprüfen, zu kontrollieren und zu klären. Die Gewerkschaften in Frankreich wurden in den letzten Jahren zu mächtigen Organisationen. Sie hatten eine Million in zwei Organisationen. Dann fusionierten sie. Jetzt haben sie fünf Millionen in der vereinigten Organisation; Die Führung befindet sich mehr oder weniger in den Händen der Stalinisten und sie decken sich mit der Unterstützung der Volksfront. Aber jetzt gilt es, sich auf die bevorstehende Krise in der Volksfront vorzubereiten. Ein Bruch zwischen SP und KP hat bereits begonnen. Dies sollte unserer französischen Sektion Auftrieb geben. Sie haben die richtigen Prinzipien, aber die amerikanischen Genossen können bei ihrer praktischen Arbeit helfen.

Sie hatten zwei weitere Vorfälle, die die Organisation beschädigten – ein Mitglied des Nationalkomitees fälschte Geld – ich weiß nicht, ob es die Partei wohlhabend machen sollte oder aus persönlichen Gründen. Natürlich wurde er ausgeschlossen und die Partei zeigte, dass es nicht unter ihrer Leitung getan wurde. Aber es war ein großer Schlag. Der zweite Vorfall war der von zwei jungen Genossen, Fred Zeller und Corvin. Zeller kam mit einem Mandat der Jungsozialisten zu uns nach Norwegen. Ich sagte ihm: „Jetzt sind Sie im Zentrum des Angriffs der Stalinisten, Sie müssen vorsichtig sein." Sofort schrieb er eine Postkarte an einen Stalinisten und sagte: „Nieder mit Stalin!" Es wurde in der stalinistischen Presse wiedergegeben. Dann schrieb er mir, dass er eine Lektion gelernt habe und vorsichtiger mit den Stalinisten sei. Aber er geriet in einer zwielichtigen Intrige in die Fänge der Stalinisten, und auch der andere junge Genosse, und beide wurden ausgeschlossen. Sie waren Führer der Jugendbewegung und es war ein Schlag für die Bewegung.

Ich glaube, wir sollten unsere Jugend in den USA warnen. Wir haben neue Elemente – hingebungsvoll, aber nicht erfahren. Sie wissen nicht, was die Stalinisten tun können, um sie zu provozieren. Schräge Vorschläge kommen von verschiedenen Seiten. Es ist möglich, dass Sie einen jungen revolutionären Arbeiter oder Studenten finden, der mit echten Faschisten zu tun hat (sie können gleichzeitig von der Gestapo und der GPU sein), und diese Intrigen können für unsere Organisation, für den revolutionären Internationalismus absolut fatal sein.

R .: Was ist mit Indochina? Haben wir dort nicht eine starke Sektion?

Trotzki: Ja, es ist eine sehr gute Sektion. Der Anführer ist im Gefängnis. Sie hatten eine große Wochenzeitung und ich glaube, die Organisation wurde von unserem französischen sozialistischen Kolonialminister für illegal erklärt – ich glaube, die Zeitung auch – ich weiß nicht, ob sie jetzt regelmäßig herauskommt – ich habe sie seit zwei Monaten nicht mehr gesehen.

Shachtman: Ja, sie kommt heraus – ich habe Exemplare gesehen.

Cannon: Und Molinier?

Trotzki: Molinier veröffentlicht ein theoretisches Organ. Er erklärt, dass er grundsätzlich mit uns sei, aber dass unsere Organisationspolitik schlecht sei und er eine bessere habe. Seine Organisation ist vom Hass auf unsere Organisation durchdrungen. Es ist sehr gut möglich, dass Sie objektiv gezwungen sind, dieser Frage nachzugehen und dass Vereecken ihn auf der Konferenz verteidigen wird. Molinier sollte draußen bleiben, aber die anderen, seine Mitglieder, können aufgenommen werden, wenn sie sich einzeln bewerben und wenn er draußen bleibt. Er ist ein Element, das sehr nützlich sein kann, aber nur wenn wir eine große Organisation haben. In einer Organisation wie der unseren sind seine Leute nur Zerrütter. Sie können ihm vorschlagen, in die USA zu kommen und ihm freundliche persönliche Beziehungen versprechen und nach einem Jahr wird man sehen.

Was die deutsche Sektion betrifft – es geht eher darum, ihre Zeitung zu organisieren. Natürlich hat sie als Emigrantenbewegung keine Massenbasis. Sie hat Unser Wort, das regelmäßig erscheint. Die deutschen Sektionen der Schweiz, Österreichs und der Tschechoslowakei haben ein theoretisches Monatsorgan, Der Einzige Weg, geschaffen. Die deutsche Sektion ist nicht vertreten, Walter Held beteiligt sich daran. Ich habe ihm geschrieben und gefragt, warum die Sektion nicht mitmacht, und ich warte auf eine Antwort. Das Beste wäre, das Organ in eines für alle deutschsprachigen Genossen zu verwandeln, und das halte ich für machbar. Wir haben sehr gute Genossen, Johre und Fischer. Johre ist ein sehr guter Marxist. In der Emigration sind die Dinge sehr schlecht. Er ist verbittert – deshalb hat er sich geweigert, ein theoretisches Monatsorgan für die ganze Sektion zu publizieren – aber das ist notwendig. Die Genossen sind theoretisch sehr gut geschult. Adolphe zum Beispiel war vor ein paar Jahren ziemlich grün, aber jetzt ist er ein geschulter Marxist. Er schreibt sehr gut in drei Sprachen und kennt sechs weitere Sprachen. Aber das Unglück ist, dass Sneevliet, Vereecken und jetzt Serge es ablehnen, die Autorität des IS anzuerkennen – weil es aus jungen Leuten besteht und ihre Politik tausendmal besser sei.

Cannon: Und Maslow-Fischer?

Trotzki: Das sind Maslow-Fischer. In allen Fragen, die eine Diskussion auslösen – Russland, Spanien, China –, sind sie gegen unsere Linie. Sie haben eine Zeitung und sie unterzeichnen ihre Artikel mit „Buntari" – Aufständische. Sie sind immer Aufständische; Es ist eine andere Mentalität, die sie haben.

Serge ist ein ausgezeichneter Dichter, ein Literat. Er schreibt sehr gut und hat eine lange anarchistische Vergangenheit. Er blieb jahrelang in stalinistischen Gefängnissen in Russland. Er war mutig und ehrlich und kapitulierte nicht, was eine sehr gute Eigenschaft ist. Aber er verfolgte die Entwicklung der Vierten Internationale nicht. Er kam mit einigen sehr vagen Ideen – mit der Phantasie eines Dichters – um die ganze Welt zu umarmen: die POUM, die Anarchisten, uns. Ich erhielt einen persönlichen Brief von ihm, der sich auf Sedow bezog, und darin erwähnte er, dass er trotz der Differenzen von zweitrangigem Charakter etc. usw. bei uns sei. Nur sind sie nicht von zweitrangigem Charakter. Es wäre sehr gut, wenn unsere amerikanischen Freunde die Initiative ergreifen würden, ihm zu raten, nicht in die Politik zu gehen. Ich werde auch versuchen, ihm zu schreiben – es ist eine sehr heikle Angelegenheit –, dass ich ihn für einen der besten Revolutionäre und einen der besten Schriftsteller halte, aber für keinen Politiker.

Rosmer ist sehr freundlich zu uns. Er war mit Sneevliet verbunden, aber er ist jetzt unzufrieden mit ihm. Ich glaube nicht, dass er sich aktiv an der Bewegung beteiligen wird, aber seine moralische Autorität kann uns sehr nützlich sein.

Es ist sehr schwer für unsere französischen Genossen, sie leben in finanzieller Not – es ist kein Vergleich zu unseren reichen Yankees. Ein Ein-Dollar-Schein – dreißig Francs – ist im IS ein Vermögen.

Cannon: Wir haben fünfzig Dollar geschickt; wir haben eine regelmäßige monatliche Zahlung an das IS.

Trotzki: Oh, das ist sehr, sehr gut. Und sie sind sehr sparsam.

Es ist notwendig, ein Untersekretariat in New York zu haben, mit der Perspektive, dass das Untersekretariat das wirkliche Sekretariat werden kann. Wir kennen das Schicksal Europas nicht, wenn der Faschismus weiter voranschreitet. Wenn dies der Fall ist, wird Amerika der einzige Ort sein, und ein Untersekretariat ist notwendig.

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