Leo Trotzki 19371027 Zur Resolution des Internationalen Sekretariats

Leo Trotzki: Zur Resolution des Internationalen Sekretariats

[Nach Schriften 2.2, Hamburg 1990, S. 883-886, dort mit erläuternden Fußnoten.]

Liebe Genossen!

Mit großer Verzögerung schreibe ich Ihnen eine kurze Stellungnahme zu Ihrer Resolution über Japan und China. Die Verzögerung war der Annahme geschuldet, meine früheren Briefe zu diesem Thema dürften ausreichen. Inzwischen stelle ich fest, dass dem nicht so ist. Einige Genossen, die sich von ultralinken Überlegungen leiten lassen und zwischen Tschiang Kaischek und dem Mikado mehr oder weniger »neutral« bleiben möchten, versuchen sich nun auf eine zweite Verteidigungslinie zurückzuziehen, die sie in Ihrer Resolution zu finden glauben.

Ich habe gegen keinen einzelnen Abschnitt, ja nicht einmal gegen einen Satz Ihres Dokuments etwas einzuwenden. Für sich genommen, sind alle Feststellungen darin korrekt, doch die Gewichtung der einzelnen Teile erscheint mir nicht realistisch genug. Wir haben Krieg. Die erste Frage ist daher, ob unsere chinesischen Genossen, und mit ihnen auch alle anderen, diesen Krieg als ihren Krieg anerkennen oder als einen Krieg, der ihnen von der herrschenden Klasse aufgezwungen wurde, ablehnen sollen. Die Ultralinken versuchen der Beantwortung dieser Frage aus dem Weg zu gehen. Sie prangern zunächst einmal Tschiang Kaischek wegen seiner bisherigen und seiner zukünftigen Verbrechen an. Das ist eine vollkommen doktrinäre Herangehensweise, wie sie in New York (Oehleristen) oder in Brüssel möglich ist, nicht aber in China, und vor allem nicht in Shanghai. Tschiang Kaischek ist uns als Henker der Arbeiter zur Genüge bekannt. Und doch ist eben dieser Tschiang Kaischek nun gezwungen, einen Krieg zu führen, der unser Krieg ist. Unsere Genossen sollten in diesem Krieg an vorderster Stelle kämpfen. Politisch sollten sie Tschiang Kaischek nicht dafür kritisieren, dass er Krieg führt, sondern dafür, dass er ihn nicht wirkungsvoll genug führt, der bürgerlichen Klasse keine hohen Steuern auferlegt, die Arbeiter und Bauern nicht ausreichend bewaffnet usw.

Die wenigsten unserer Genossen in den verschiedenen Ländern wissen, dass die wichtigste Losung unserer chinesischen Sektion in der vergangenen Periode lautete: »Den Krieg gegen Japan vorbereiten.« Und das war richtig. Damit haben unsere chinesischen Genossen nun den großen Vorzug, die entschiedensten Befürworter des antijapanischen Kriegs und der militärischen Kampfbereitschaft gewesen zu sein. Sie müssen ihre politische Arbeit auf der gleichen Ebene fortsetzen. Ich glaube, wir können uns in dieser Hinsicht keinerlei Zugeständnisse an die Ultralinken erlauben, die – doch, doch – potentielle Sozialpatrioten sind. Insofern sie »jeden Krieg« abzulehnen gedenken, um ihre jungfräuliche »Neutralität« zu bewahren, bleiben sie passive Internationalisten. Doch wenn die Ereignisse diese Genossen zwingen, zwischen Krieg und Krieg zu unterscheiden, können sie leicht in den Sozialpatriotismus abgleiten.

Der chinesisch-japanische Krieg gibt uns ein klassisches Beispiel an die Hand, um unsere Kader auf den kommenden Weltkrieg vorzubereiten, so wie das wertvolle Beispiel der spanischen Revolution unsere Kader auf die kommende Weltrevolution vorbereitet. Hier stehen die imperialistischen Räuber in einem isolierten Kampf mit einem halbkolonialen Land, das sie in ein reines Kolonialland verwandeln wollen. Der japanische Arbeiter muss sagen: »Meine Ausbeuter haben mir diesen ungerechten Krieg aufgezwungen.« Der chinesische Arbeiter muss sagen: »Die japanischen Räuber haben meinem Volk diesen Krieg aufgezwungen. Es ist mein Krieg. Leider aber liegt die Führung des Kriegs in schlechten Händen. Wir müssen diesen Führern genauestens auf die Finger sehen und uns darauf vorbereiten, sie abzulösen.« Ein anderes Konzept kann unsere Agitation und Propaganda gar nicht haben.

Ich habe folgendes Argument gehört: »Die chinesische Armee ist eine bürgerliche Armee, wir aber können nur einer proletarischen Armee Unterstützung leisten.« In diesem Argument kommt in »militarisierter« Weise das mangelnde Verständnis für den Unterschied zwischen einem bürgerlichen (halb bürgerlichen, halb feudalen) Kolonialland und einem Land imperialistischer Sklavenhalter zum Ausdruck. Bürgerlich, wie die chinesische Armee ist, kann sie natürlich Arbeiterstreiks und Bauernrevolten im Interesse der besitzenden Klasse unterdrücken. In all diesen Fällen bekämpfen wir sie mit allen erdenklichen Mitteln. Im Krieg gegen Japan jedoch verteidigt eben diese Armee – wenn auch unzureichend, mit mangelndem Nachdruck usw. – das fortschrittliche nationale Interesse des chinesischen Volkes. Insofern unterstützen wir sie. Die chinesische Armee mit der japanischen Armee auf eine Stufe zu stellen, bedeutet ganz einfach, die Unterdrücker und die Unterdrückten, die Räuber und ihre Opfer auf eine Stufe zu stellen.

Ich habe auch Argumente wie das folgende gehört: »Mit unserer Unterstützung für diesen Krieg gegen den japanischen Imperialismus unter der Führung Tschiang Kaischeks tun wir dem britischen und amerikanischen Imperialismus einen Gefallen und machen uns womöglich zu deren Werkzeug.« Hier steht der Ultraradikalismus wieder einmal dem revolutionären Handeln im Weg.

Ein Beispiel: In einer Fabrik greift der Werkschutz die Arbeiter an, wobei er einige von ihnen verwundet und tötet. Die Arbeiter sind so empört, dass sich selbst die Gewerkschaftsbonzen genötigt sehen, einen Streik auszurufen. Da tritt mit warnend erhobenem Zeigefinger unser Ultralinker auf. »Wir sollten lieber nicht streiken«, sagt er, »nicht nur, weil die Gewerkschaftsführer Bonzen sind, die uns keine endgültige Befreiung bringen können, sondern auch, weil wir mit unserem Streik dem Konkurrenzunternehmen einen Gefallen tun und uns dadurch zum Werkzeug eines anderen Ausbeuters machen.«

Im Falle eines Streiks können solche Argumente bei den Arbeitern nur auf Empörung stoßen. Doch auf die gewaltigen Dimensionen eines Kriegs übertragen, ist eine solche Haltung noch unvergleichlich empörender und krimineller. Die Befreiung kann Tschiang Kaischek China nicht bringen, so viel steht fest; doch er versucht, der weiteren Versklavung Chinas Einhalt zu gebieten, und das ist ein kleiner Schritt hin zur weiteren Befreiung. Zu diesem kleinen Schritt tragen wir mit all unserer Kraft bei.

Bei genauerem Hinsehen trifft es nicht zu, dass wir Großbritannien »helfen«. Ein Volk, das sich mit der Waffe in der Hand gegen einen Räuber zu wehren weiß, wird morgen auch den anderen zu vertreiben wissen. Eine revolutionäre Partei, die das begreift und sich bewusst und beherzt an die Spitze eines Volkes stellt, das einen Rest an Unabhängigkeit verteidigt – nur eine solche Partei wird die Arbeiter im Krieg und nach Kriegsende mobilisieren können, um der nationalen Bourgeoisie die Macht zu entreißen.

Die Lage im Fernen Osten, ich wiederhole es, ist von so klassischer Eindeutigkeit, dass man sich immer wieder fragen muss, wie und warum unsere führenden belgischen Genossen in dem kritischen Augenblick, als ein wirklicher Krieg ausbrach, auf die Idee kommen konnten, meine schlichte Erklärung gegenüber der Presse – »Wir stehen voll und ganz auf der Seite Chinas, ohne von unserem Programm abzugehen« – mit einem Fragezeichen zu versehen. Unsere ganze bisherige Arbeit zur Kriegsfrage von 1914 an zielte darauf ab, wenigstens unsere führenden Genossen in die Lage zu versetzen, jeder neuen Kriegssituation ohne Scheuklappen zu begegnen. Doch leider erleben wir nun, dass einige unserer belgischen Genossen bei Ausbruch eines Konflikts von größter Klarheit und Eindeutigkeit über kein anderes Propagandainstrument verfügen als das Fragezeichen.

In einem meiner früheren Briefe habe ich erläutert, dass besagte Presseerklärung (vom 30. Juli 1937), in der ich die Pflicht der chinesischen Arbeiter betone, aktiv am Krieg teilzunehmen, in dieser Form auch im Hinblick auf die besondere Situation unserer chinesischen Genossen geboten war. Es war klar, dass die mit Tschiang Kaischek liierten stalinistischen Henker versuchen würden, die chinesischen Bolschewiki als »Agenten Japans« zu verleumden. Das ist nun geschehen. Die GPU-Agenten in China haben dem New Yorker GPU-Organ (Daily Worker) eine Meldung geschickt, in der ein neuer Schauprozess, diesmal auf chinesischem Boden, angekündigt wird. Echter Internationalismus besteht nicht darin, bei jeder Gelegenheit stereotype Phrasen wiederzukäuen, sondern darin, über die besonderen Bedingungen und Probleme jeder unserer Sektionen nachzudenken, um ihr die Arbeit zu erleichtern. In Anbetracht der außerordentlich schwierigen Lage, in der sich die chinesischen Bolschewiki befinden, stellen die unbegreiflichen Fragezeichen unserer belgischen Zeitung einen sehr schweren Fehler dar.

Deshalb können wir in dieser Frage den Ultralinken, Zentristen, Zweiflern und Haarspaltern nicht das geringste Zugeständnis machen. Der Kampf um diese Frage sollte bis zum Ende ausgefochten werden.

Mit den besten Grüßen

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