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Friedrich Engels 18691119 Brief an Karl Marx

Friedrich Engels: Brief an Karl Marx

in London

[Nach Marx Engels Werke, Band 32, Berlin 1965, S. 395-400]

Manchester, 19. Nov. 69

Lieber Mohr,

Ich hoffe, Eccarius wird den Potter zwingen, die Sache noch nachträglich aufzunehmen, grade wegen der Land and Labour League.

Ich glaube, ein Zusatz wegen der Amnestien im übrigen Europa würde die Resolution nur schwächen, da man außer Russland (welches, alleinstehend, sehr gut wäre) auch Preußen wegen der Welfenverschwörungsverurteilten ausnehmen müsste. Dagegen würde ich an der Sprache noch etwas feilen: Alinea1 2 würde ich vor den victims2 noch: imprisoned3 oder so was zusetzen, damit gleich auf den ersten Blick ganz evident4 ist, wer gemeint wird.

Alinea 3 fragt sich, ob man von the teeth of a position5 sprechen kann, und statt Steps in6 würde ich sagen turns round7.

Alinea 4. With regard to8 statt with reference to9 scheint mir direkter.

Lizzie hat Dir sofort ein vote of thanks10 für die Resolution passiert und ärgert sich, am Dienstag nicht dabei sein zu können.

Mit dem Holyoake ist die Geschichte fatal. Der Kerl ist ein reiner go-between11 zwischen den radikalen Bourgeois und den Arbeitern. Die Frage ist die: Ist die Komposition des General Council derart, dass ein swamping12 durch solches Pack zu befürchten ist, oder nicht? Nehmt Ihr H, so kann noch mancher kommen und wird es, sobald die Geschichte wichtiger wird. Und werden die Zeiten bewegter, so werden diese Herren sicher auch die Sitzungen besuchen und die Leitung in die Hand zu bekommen suchen. Und meines Wissens hat Herr H für die Arbeiterklasse, als solche, nie das Allergeringste getan. A priori sprechen alle Gründe gegen seine Aufnahme, aber wenn durch Verwerfung Spaltungen in den Council kämen, während seine Zulassung an der Konstitution des General Council praktisch vielleicht nur wenig änderte, eh bien!13 Trotzdem kann ich mir einen Arbeiter-Council nicht gut denken mit diesem Burschen drin.

Dem Wilh hatte ich schon vor Empfang Deines Gestrigen £5 mit ein paar kühlen Zeilen geschickt. Der Mensch ist wirklich zu unverschämt. Erst insultiert er mich auf jede Weise, und dann soll ich ihn noch geistig und materiell unterstützen, ihm Artikel für sein Blättchen schicken, das er mir, ohne ein Wort zu sagen, aufhört zuzuschicken. Wenn Du ihm schreibst, so wirst Du mir einen Gefallen tun, ihm zu verstehen zu geben, wenn er Artikel von mir wolle, so solle er gefälligst direkt an mich schreiben. Des Herrn Wilhelm Schuhputzer, das fehlte noch! Die Briefe inliegend zurück.

Besten Dank für die irischen Pamphlets und Reports, die 2 für M und Sch werde ich abgeben.

Wann war der Reclus in London? Und wie steht's mit der französischen Übersetzung Deines Buchs? Ich höre, seit ich wieder hier bin, kein Wort davon.

Nun zu Carey.14

Mir scheint die ganze Streitfrage die eigentliche Ökonomie gar nicht direkt zu berühren. Ric sagt, Rent ist der Überschuß des Ertrags ergiebigerer Grundstücke über den der am wenigsten ergiebigen. Ganz dasselbe sagt Carey auch.

Fortsetzung folgt per II. Post!

Dein

F.E.

Was also Rent ist, darüber sind sie einig. Nur, wie und wodurch Rent entsteht, wird gestritten. Nun ist Ricardos Beschreibung des Hergangs, wodurch Rent entsteht (Carey, p.104), ebenso unhistorisch wie alle dergl. Geschichtsklitterungen der Ökonomen und wie Careys eigene große Robinsonade von Adam und Eva p. 96 ff. Bei den alten Ökonomen inkl. Ricardo ist dies noch gewissermaßen zu entschuldigen, sie wollen gar keine historischen Kenntnisse haben, sie sind ebenso ungeschichtlich in ihrer ganzen Anschauung wie die übrigen Aufklärer des 18. Jahrhunderts, bei denen solche angeblich historische Exkurse ja immer nur facon de parler15 sind, um sich die Entstehung von diesem und jenem in rationeller Weise vorstellen zu können, und wobei die Urmenschen immer grade so denken und handeln, als wären sie Aufklärer des 18. Jahrhunderts. Wenn aber Carey, der eine eigene geschichtliche Theorie entwickeln will, uns da Adam und Eva als Yankee-Hinterwäldler vorführt, so kann er nicht verlangen, dass man ihm das glaubt, er hat solche Entschuldigung nicht.

Die ganze Streitfrage wäre Null, wenn nicht Ric in seiner Naivetät das ergiebigere Land schlechthin als „fertile"16 bezeichnet hätte. The most fertile and most favorably situated land17 wird nach R zuerst bebaut. Ganz wie ein denkender Bürger eines seit Jahrhunderten bebauten Landes sich die Sache vorstellen muss. Nun klammert sich der C an das „fertile" an und schiebt dem R unter, er habe behauptet, die an sich ertragfähigsten Landstriche seien zuerst in Bebauung genommen, und sagt: Nein, im Gegenteil, die an sich fruchtbarsten (das Tal des Amazonas, das Gangesdelta, Tropisch-Afrika, Borneo und Neuguinea usw.) sind sogar jetzt noch nicht bebaut, die ersten Ansiedler nehmen immer die sich selbst drainierenden, also auf Höhen und an Abhängen gelegenen Striche zuerst in Kultur, weil sie nicht anders können, diese aber sind von Natur die ärmeren. Und wenn Ric sagt: Fertile and the most favorably situated, so sagt er dasselbe, ohne zu merken, dass er sich loosely18 ausdrückt und dass man in diese beiden durch and verbundenen Qualifikationen einen Widerspruch legen kann. Wenn aber Carey p. 138 eine Zeichnung gibt und behauptet, R setze seine ersten Ansiedler ins Tal, während C sie auf die Höhen (in der Zeichnung auf nackte Felsspitzen und unpraktikable Abhänge von 45 Grad) setzt, so lügt er dem R dies einfach an.19

Careys historische Exempel, soweit sie sich auf Amerika beziehn, sind das einzig Brauchbare im Buch. Als Yankee hat er den Prozess der Settlements20 selbst durchmachen und von Anfang an verfolgen können, und da weiß er also Bescheid. Trotzdem ist auch da sicher viel Unkritisches dazwischen, das erst zu sichten wäre. Sowie er aber nach Europa kommt, geht die Konstruktion und die Blamage an. Und dass C auch in Amerika nicht unbefangen, darauf deutet der Eifer, mit dem er die Wertlosigkeit, ja die negative Wertqualität (dass das Land gewissermaßen minus 10 Dollars pro acre wert ist) des unbebauten Bodens nachzuweisen sucht und die Aufopferung der Gesellschaften preist, die zu ihrem eigenen sicheren Ruin wüstes Land für die Menschheit nutzbar machen. Wenn das im Land der kolossalen Landjobberei erzählt wird, so macht das einen komischen Eindruck. Hier übrigens wird das Prärieland nirgends erwähnt, und auch sonst wird darüber sehr leise hinweggegangen. Die ganze Geschichte von der negativen Wertqualität des wüsten Bodens und alle seine Rechnungsnachweise wird übrigens von Amerika selbst am besten widerlegt. Wäre dem so, so müsste Amerika nicht nur das ärmste Land sein, sondern relativ mit jedem Jahr ärmer werden, weil immer mehr Arbeit auf diesen wertlosen Boden weggeworfen wird.

Was nun seine Definition von Rent angeht: the amount received as rent is interest upon the value of labor expended, minus the difference between the productive power (the rent-paying land) and that of the newer soils which can be brought into activity by the application of the same labour that has been there given to the work21 – p. 165, 16622 –, so mag das hier und da innerhalb gewisser Grenzen seine Richtigkeit haben, namentlich in Amerika. Aber im besten Falle ist Rent doch ein so kompliziertes Ding, wozu soviel andere Umstände beitragen, dass dies selbst in diesen Fällen nur ceteris paribus23, nur von 2 nebeneinanderliegenden Grundstücken gelten kann. Daß in der Rent auch interest for the value of labor expended24 liegt, wusste Ricardo so gut wie er. Wenn Carey das Land als solches für schlimmer als wertlos erklärt, so muss Rent natürlich interest upon the value of labor expended sein oder aber, wie p. 139 es heißt, Diebstahl. Den Übergang vom Diebstahl auf den Zins bleibt uns der C freilich schuldig.

Mir scheint die Entstehung der Rente in verschiedenen Ländern und selbst in einem und demselben Lande durchaus nicht der einfache Prozess zu sein, unter dem sowohl Ric wie C ihn sich vorstellen. Bei Ric ist das, wie gesagt, entschuldbar, es ist die Geschichte vom Fischer und vom Jäger auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Es ist eben kein ökonomisches Dogma, aber C will aus seiner Theorie darüber eins machen und es für die Welt als solches beweisen, wozu freilich ganz andere historische Studien gehören als die des Herrn Carey. Es mag sogar Lokalitäten gegeben haben, wo Rent auf Ricardische, und andere, wo sie auf Careysche Weise entstanden ist, noch andere, wo ganz andere Entstehungsweisen vorgekommen sind. Man kann dem Carey auch noch bemerken, dass da, wo das Fieber, und zwar obendrein das tropische Fieber, in Rechnung kommt, die Ökonomie so ziemlich aufhört. Es sei denn, dass er seine Populationstheorie dahin versteht: mit der Zunahme der Bevölkerung werden die Überschüssigen gezwungen, die fruchtbarsten, d.h. ungesundesten Landstriche in Arbeit zu nehmen, und dabei reüssieren sie entweder oder sie verrecken, womit er dann die Harmonie zwischen sich und Malthus glücklich hergestellt hätte.

In Nordeuropa ist die Rent weder ricardisch noch careyisch entstanden, sondern einfach aus Feudallasten, die später von der freien Konkurrenz in ihr richtiges ökonomisches Niveau gebracht wurden. In Italien wieder anders, vide25 Rom. Herauszurechnen, wieviel von der Rent in alten Kulturländern eigentliche ursprüngliche Rent und wieviel Zins für dreingesteckte Arbeit ist, ist unmöglich, weil in jedem Fall verschieden. Zudem ganz gleichgültig, sobald bewiesen ist, dass Rent, auch ohne Arbeit ins Land zu stecken, wachsen kann. Der Großvater des Sir Humphrey de Trafford in Old Trafford bei Manchester hatte den Puckel so voll Schulden, dass er nicht wusste, wo aus noch ein. Sein Enkel hat, nach Abzahlung aller Schulden, ein Einkommen von £ 40.000 pro Jahr. Rechnen wir nun davon ca. £ 10.000 ab, die auf Bauplätze kommen, so bleiben £30.000 jährlicher Wert des Ackerbauestate26, der vor 80 Jahren vielleicht £ 2000 einbrachte. Wenn ferner £ 3000 als Zins auf hineingesteckte Arbeit und Kapital gerechnet werden, was viel ist, bleibt eine Zunahme von £ 25.000 oder das Fünffache des früheren Werts inkl. der Improvements27. Und alles das, nicht weil Arbeit hineingesteckt, sondern Arbeit in etwas anderes, nebenan, gesteckt, weil der Estate dicht an eine Stadt wie Manchester grenzt und Milch, Butter und Gartenfrüchte dort gut bezahlt werden. Ebenso im Großen. Von dem Augenblick an, wo England ein Korn und Vieh einführendes Land wurde, und früher schon, war die Dichtigkeit der Bevölkerung ein Faktor in der Bestimmung resp. Steigerung der Rent, ganz unabhängig von der in England im Ganzen und Großen in das Land gesteckten Arbeit. Ricardo, mit seinen most favourably situated lands, schließt noch die Rücksicht auf die Beziehung zum Markt ein, Carey ignoriert sie. Und wenn er dann sagen würde: das Land selbst hat nur einen negativen, aber die Lage hat einen positiven Wert, so hätte er damit doch anerkannt, was er leugnet, dass Land, eben weil es monopolisierbar ist, einen von der angelegten Arbeit unabhängigen Wert hat oder haben kann. Aber über diesen Punkt ist C mausstill.

Ebenso gleichgültig ist es, ob in Kulturländern die ins Land gesteckte Arbeit sich regelmäßig bezahlt oder nicht. Ich habe vor mehr als 20 Jahren einmal die Behauptung aufgestellt, dass in der jetzigen Gesellschaft kein Produktionsinstrument, was 60-100 Jahre dauern kann, existiert, keine Fabrik, kein Gebäude pp., das am Ende seiner Existenz seine Produktionskosten gedeckt hat.28 Ich glaube auch noch, dass, eins ins andere, dies seine vollkommene Richtigkeit hat. Und wenn C und ich beide recht haben, so beweist das nichts weder über die Rate des Profits noch über die Entstehung der Rente, sondern bloß, dass die Bourgeoisproduktion, selbst nach ihrem eigenen Maßstab gemessen, faul ist.

Mit diesen random Glossen29 über C wirst Du wohl genug haben. Sie laufen sehr durcheinander, da ich keine Auszüge gemacht habe. Was die historisch-materialistisch-naturwissenschaftliche Verbrämung betrifft, so ist ihr ganzer Wert = dem der beiden Bäume, des Baums des Lebens und des der Erkenntnis, die er zwar nicht für seinen Adam und Eva, die in den Hinterwäldern schanzen müssen, aber doch für ihre Nachkommen in sein paradiesisches Werk gepflanzt hat. Die Unwissenheit und Liederlichkeit ist hier nur mit der Unverschämtheit zu vergleichen, die ihm gestattet, solches Zeug zu debütieren.

Die übrigen Kapitel zu lesen, wirst Du nicht von mir verlangen. Es ist der reinste Kohl, und die Donatschnitzer nicht mehr so dick gesäet drin. Ich schick Dir das Buch, sobald ich in die Stadt gehe, hier ist kein Postschalter groß genug, um es hineinzuwerfen. Montag oder Dienstag.

Das Blatt von Wilh ist wirklich schändlich. Von dem freigemeindlichen Pfaffengeschwätz will ich noch nicht einmal reden30, aber alle Nachrichten über ihre Vereine usw. sind immer 8-14 Tage alt, eh sie gedruckt werden. Schw hält am 9. eine Versammlung in Leipzig und sendet Triumphtelegramme, die am 10. im „Social-Demokrat" stehen. Am 12. steht im „Social-Demokrat", dass Liebknecht vom Bankier Frankel 1000 Taler erhalte. Bis zum 17. keine Antwort!! Und für solche Dummheit und Bummelei sollen wir die Verantwortlichkeit übernehmen.

Tussy erhält dieser Tage einen Brief.

Mit besten Grüßen.

Dein

F. E.

1 Absatz

2 Opfern

3 eingekerkerten

4 deutlich

5 trotz einer Stellung

6 auftritt

7 sich umwendet

8 In Hinsicht auf

9 mit Bezug auf

10 Dankesvotum

11 Schwankender

12 Überschwemmen

13 nun gut!

14 H. C. Carey, „Principles of Social Science", Philadelphia 1868-1869.

15 Ausdrucksweisen

16 „fruchtbar"

17 Der fruchtbarste und bestgelegene Boden

18 ungenau

19 David Ricardo, „On the principles of political economy, and taxation." Third edition, London 1821.

20 Ansiedlungen.

21 die als Grundrente erhaltene Summe ist der Zins von dem Wert der ausgegebenen Arbeit, minus der Differenz zwischen der Produktivkraft (des Rente zahlenden Bodens) und der des neuen Bodens, der jetzt durch die Anwendung derselben Arbeit in Tätigkeit gesetzt werden kann, die dort auf das Werk verwendet wurde

22 die Seitenzahlen in fremder Handschrift am Rande vermerkt

23 unter sonst gleichen Umständen

24 Zins für den Wert der ausgegebenen Arbeit

25 siehe

26 Ackerbaugutes

27 Verbesserungen

29Randglossen

30 Im „Volksstaat" vom 10. (Beilage), 13., 17. und 20. November 1869 war der Vortrag „Vom Rechte das mit uns geboren" von G. S. Schäfer, Prediger einer freireligiösen Gemeinde, gedruckt worden.

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