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Ukraine und Brest-Litowsk

Die Beziehung zwischen der Sowjetdelegation und der Delegation der Ukrainischen Volksrepublik kann nur nach einem Blick in die Ereignissen in der Ukraine verstanden werden. Der revolutionäre Kampf, der sich in der Ukraine wie in ganz Russland zwischen Februar und Oktober und auch in der Folgezeit abspielte, wurde durch den nationalen Kampf verkompliziert. Nationalistische – sowohl bürgerliche als auch pseudosozialistische – ukrainische Parteien nahmen während der gesamten Zeit zwischen Februar und Oktober eine zwiespältige Position zwischen den Bolschewiki und den Parteien der Provisorischen Regierung ein und konzentrierten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Fragen der ukrainischen Selbstbestimmung. Um dieses Problem zu lösen, wurde von Vertretern aller nationalistischen ukrainischen Organisationen die sogenannte Zentralrada gebildet. Ohne im politischen Kampf in der Ukraine irgendeine Rolle zu spielen, kümmerte sich die Zentralrada nur um die Fragen des nationalen Lebens und verhandelte in dieser Angelegenheit mit der Provisorischen Regierung. Die Rada wich dem politischen Kampf äußerlich aus, bereitete jedoch die Machtergreifung vor, schuf nationale Truppen und bereitete Kommissare vor, so dass sie sie zum Zeitpunkt des Sturzes der Kerenski-Regierung an die Stelle der Kommissare der Provisorischen Regierung stellte. Unter Ausnutzung des Kampfes zwischen den Truppen der Provisorischen Regierung und den bolschewistischen Einheiten zur Zeit der Oktoberrevolution besetzte der Zentralrada mit ihren Truppen in Kiew alle Wachen in der Stadt und Regierungsbüros und bildete eilig eine Regierung – das Generalsekretariat. Sofort wurden alle verantwortlichen Posten von den Agenten der Rada besetzt, Truppen wurden nach Kiew gebracht, vor Ort wurden Kerenskis Kommissare durch die Kommissare der Zentralrada ersetzt. Die Sowjets wurden in den Hintergrund geschoben, ihre Funktionen wurden zu „lokalen Aufgaben" erklärt, und Verhandlungen mit der Regierung des Don und Kuban und mit der Kaledin-Regierung begannen, um ein Bündnis gegen die Bolschewiki zu schließen. Die Entwaffnung von Sowjettruppen begannen. Es wurde die bevorstehende Einberufung der Konstituierenden Versammlung der Ukraine bekannt gegeben. Als diese ganze Politik der Rada klar war, hatten einige Sowjets die Idee, den Allukrainischen Sowjetkongress einzuberufen, der die Frage der Sowjetmacht in der Ukraine aufwerfen würde. Der Kongress wurde für den 19. Dezember angesetzt. Er trat rechtzeitig zusammen, aber es war zu spät. Drei Tage vor der Eröffnung des Kongresses wurde eine Gruppe aktiver Arbeiter des Kiewer Sowjets verhaftet; Agenten der Rada besetzten mit der Unterstützung ihrer Truppen die Räumlichkeiten der Mandatskommission mit Siegeln und Formularen und begann, Mandate an ihre Anhänger zu erteilen. Als die Bolschewiki während des Kongresses mit einem Protest auftraten, durften sie nicht sprechen. Die bolschewistische Fraktion zog aus und organisierte ein Sondertreffen.

In derselben Zeit erklärte der Rat der Volkskommissare der Rada den Krieg. Dieser Umstand ermöglichte es der Rada, unter dem Vorwand, die „Moskowiter“ zu bekämpfen, die Sowjets zu zerstreuen, die Bolschewiki zu verhaften und zu vernichten.

In diesem Moment begannen die Verhandlungen mit den Deutschen. Zur gleichen Zeit ging der Bürgerkrieg in der Ukraine bereits weiter.

Der abgespaltene Teil des Kiewer Kongresses beschloss, sich mit dem Sowjetkongress des Donezk-Krivoj-Rog-Bezirks zu vereinigen und das ZEK der Ukraine zu wählen. Zur gleichen Zeit war das Dorf unzufrieden mit der Politik der Zentralrada, und dessen Stimmung übertrug sich auf die ukrainischen Truppen, unter denen ein Zerfall begann.

Im Januar umfasste die Bewegung die gesamte Ukraine, die bolschewistischen Truppen umzingelten Kiew und nahmen es nach einer zehntägigen hartnäckigen Schlacht ein (25. Januar).

Es ist klar, dass unter solchen Umständen die Position der Delegation des Generalsekretariats in Brest nicht angenehm war. Als die Sowjettruppen die Oberhand erlangten und einen Punkt nach dem anderen eroberten, gab die ukrainische Delegation nacheinander alle anfänglichen Friedensbedingungen auf, die sie Deutschland und Österreich-Ungarn vorgelegt hatte. Zu Beginn der Gespräche lud die Sowjetdelegation die Ukrainer ein, im Einklang und gemeinsam gegen die Deutschen aufzutreten.1 Sie stimmten zu, wurden dann aber untreu und begannen getrennte Verhandlungen mit den Deutschen, in der Hoffnung, sie gegen die Bolschewiki einzusetzen. Die niederträchtige Rolle der ukrainischen Delegation, die vom Genosse Trotzki in seinen Reden dieser Zeit wiederholt angesprochen wurde ist auch Czernin nicht entgangen, der in seinen Memoiren die Haltung, Politik und Absichten der Ukrainer wie folgt charakterisiert:

Die Ukrainer stechen stark von den russischen Delegierten ab. Bedeutend weniger revolutionär, haben sie ungleich mehr Interesse für ihr eigenes Land und weniger Interesse für den allgemeinen Sozialismus. Sie interessieren sich eigentlich nicht für Russland, sondern ausschließlich für die Ukraine, und ihr ganzes Bestreben geht dahin, sich so rasch wie möglich selbständig zu machen.Offenbar hatten die sehr intelligenten ukrainischen Delegierten die Absicht, uns als Sprungbrett zu benutzen, von welchem sie sich auf die Bolschewiki stürzen wollten. Ihre Tendenz ging dahin, wir möchten ihre Selbständigkeit anerkennen, dann wären sie mit diesem fait accompli vor die Bolschewiken getreten und hätten dieselben gezwungen, sie als gleichwertige Kompaziszenten hinzunehmen.“ (Aufzeichnung vom 6. Januar 1918 [Ottokar Czernin, Im Weltkriege, Berlin und Wien 1919, S. 315 f.])

Auf der anderen Seite war es für die Vierbundmächte auch äußerst wichtig, sich mit der Ukraine zu einigen, um die Ernährungslage in Deutschland und Österreich-Ungarn zu verbessern, wo es vor Ort zu Unruhen kam. „Der Friede mit der Ukraine ist unter dem Druck der ausbrechenden Hungersnot zustande gekommen", sagte Czernin am 11. Februar [a.a.O., S. 338].

Ohne die Ukraine war Hunger unvermeidlich", sagt Ludendorff in seinen Memoiren. Natürlich haben die Deutschen in dieser Lage beschlossen, die Gespräche mit der Sowjetdelegation vorübergehend zu unterbrechen und den Friedensschluss mit der Ukraine zu beschleunigen.

Am 4. Februar kamen Kühlmann und Czernin in Berlin an. Grundlage für die Verhandlungen mit den Ukrainern war die Verpflichtung, eine große Menge an Lebensmitteln für Deutschland und Österreich zu liefern. Im Gegenzug erhielt die ukrainische Delegation das Versprechen, eine autonome ukrainische Region in Ostgalizien zu bilden.

Beide Seiten hatten es eilig zu verhandeln, was am 8. Februar abgeschlossen wurde.

Kurz darauf wurde die Zentralrada, die die Deutschen zum Kampf gegen die Bolschewiki aufrief, von den Deutschen auseinander gejagt. [Trotzki, Sotschinenija 17.1]

1 Parallel zu den allgemeinen Verhandlungen fanden private Gespräche zwischen der sowjetischen und der ukrainischen Delegation statt, die aufgrund der verräterischen Politik der Ukrainer zu nichts führten. Die Protokolle der Verhandlungen mit den Ukrainern konnten nicht gefunden werden.

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