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Wladimir I. Lenin 19011100 Vorwort zur Broschüre „Dokumente der ,Einigungs'-Konferenz"

Wladimir I. Lenin: Vorwort zur Broschüre „Dokumente der ,Einigungs'-Konferenz"

[Geschrieben im November 1901 Zum ersten Mal veröffentlicht im Dezember 1901 in der von der „Liga" herausgegebenen Broschüre. Nach Sämtliche Werke, Band 4.2, Wien-Berlin 1929, S. 86-89]

In Nr. 9 der „Iskra" (Oktober 1901) wurde schon von dem missglückten Versuch erzählt, die Auslandsabteilung der Organisation „Sarja und Iskra", die revolutionäre Organisation „Sozialdemokrat" und den „Auslandsbund der russischen Sozialdemokraten" miteinander zu vereinigen. Damit alle russischen Sozialdemokraten sich ein selbständiges Urteil darüber bilden können, aus welchen Gründen die Versuche der Vereinigung im Auslande gescheitert sind, haben wir beschlossen, die Protokolle der „Einigungskonferenz" zu veröffentlichen. Leider hat der vom „Auslandsbund" gewählte Sekretär der Konferenz es abgelehnt, sich an der Ausarbeitung der Konferenzprotokolle zu beteiligen (wie aus seinem weiter unten mitgeteilten Antwortschreiben auf die Einladung der Sekretäre der beiden anderen Organisationen hervorgeht).

Diese Weigerung ist um so seltsamer, als der „Auslandsbund" jetzt selbst eine Schilderung der „Einigungskonferenz" veröffentlicht hat („Zwei Konferenzen", Genf 1901). Der „Auslandsbund" wollte also zwar die russischen Genossen von den Ergebnissen der Konferenz in Kenntnis setzen, wünschte aber nicht, dass sie auch die Debatten der Konferenz kennenlernen*. Wir überlassen es den Lesern, selbst über die möglichen und wahrscheinlichen Ursachen eines solchen ablehnenden Verhaltens zu urteilen.

Nachdem der „Auslandsbund" seine Mitarbeit verweigert hatte, haben wir unsererseits es für unangebracht gehalten, eine nicht von allen Sekretären verfasste Darstellung der Debatten zu geben, und daher sind wir gezwungen, uns auf die Veröffentlichung aller dem Büro der Konferenz eingereichten Dokumente und Erklärungen zu beschränken. Die Vorsitzenden und Sekretäre aller drei Organisationen waren Mitglieder des Konferenzbüros, und alle Erklärungen gelangten an das Büro nicht anders als in schriftlicher Form, so dass die Objektivität der aus Dokumenten und Erklärungen zusammengestellten Darstellung der Konferenz keinem Zweifel unterliegen kann.

Andererseits ist die Herausgabe aller dem Büro eingereichten Dokumente und Erklärungen jetzt um so notwendiger, als der „Auslandsbund" seinen merkwürdigen Verzicht auf die Mitarbeit an der Anfertigung der Protokolle durch eine noch merkwürdigere Methode der Berichterstattung gekrönt hat. So hat der „Auslandsbund" die von dem Vertreter der „Iskra" (Frei) im Konferenzbüro im Namen der Auslandsabteilung der „Iskra" und der Organisation „Sozialdemokrat" eingebrachte Anfrage nicht vollständig angeführt, dagegen aber bringt er die dem Büro nicht eingereichte und auf der Konferenz nicht einmal verlesene Antwort, die nur vom „Auslandsbund" „ausgearbeitet" worden war („Zwei Konferenzen", S. 26). Der „Auslandsbund" irrt, wenn er behauptet, die „Anfrage" sei zurückgezogen worden. Die Anfrage bestand aus zwei Fragen, die Frei im Namen der beiden Organisationen dem „Auslandsbunde" vorlegte. Keine von diesen Fragen wurde zurückgenommen, es wurde nur die Form der Fragen geändert, und zwar so, dass die Fragen in eine Resolution verwandelt wurden, über die abgestimmt werden konnte (anstatt „Erkennt der ,Auslandsbund' im Prinzip die Resolution der Junikonferenz an?", wurde gesagt: „Alle drei Organisationen erkennen im Prinzip die Resolution der Junikonferenz an" usw.). Der „Auslandsbund" hat auch die im Büro eingebrachte Erklärung der Gruppe „Borjba" nicht angeführt.

Der „Auslandsbund" verschweigt nicht nur den Inhalt, sondern erwähnt nicht einmal die Rede, die eines der Mitglieder der Gruppe „Borjba" nach den vom „Auslandsbund" eingebrachten Abänderungsanträgen zu den Juniresolutionen gehalten hat**. In dieser Rede wandte sich dieses Mitglied der Gruppe „Borjba", das auch an der Junikonferenz teilgenommen hatte, gegen die Abänderungsanträge des „Auslandsbundes". Dagegen veröffentlichte der „Auslandsbund" die „Begründung" zu den Abänderungsanträgen, die B. Kritschewski in seiner Rede auf dem Kongress darlegte, die aber dem Büro nicht vorgelegen hatten. Mit einem Wort, der „Auslandsbund" lehnte unseren Vorschlag, eine gemeinsame Darstellung aller Debatten zu verfassen, ab und zog es vor, nur das darzulegen, was er für sich für günstig hielt, und einiges selbst von dem zu verschweigen, was im Büro eingebracht worden war.

Wir beabsichtigen nicht, diesem Beispiel zu folgen. Wir beschränken uns auf die Wiedergabe aller im Büro eingelaufenen Erklärungen und Dokumente und auf den bloßen Hinweis, in welchem Sinne sich die Redner aller auf der Konferenz anwesenden Organisationen geäußert haben. Mögen die Leser dann schon selbst darüber urteilen, ob die Aufsätze in Nr. 10 des „Rabotscheje Djelo" und die Abänderungsanträge des „Auslandsbundes" die prinzipielle Grundlage der Vereinbarung verletzt haben, die von der Junikonferenz ausgearbeitet worden war. Ebenso lassen wir selbstverständlich auch alle bösen Worte unbeantwortet, mit denen die Broschüre des „Auslandsbundes" in solchem Übermaß geschmückt ist. Es werden uns sogar „Verleumdungen" vorgeworfen, es wird uns vorgeworfen, die Konferenz, weil wir sie verließen, „gesprengt" zu haben. Eine solche Beschuldigung kann nur ein Lächeln hervorrufen: drei Organisationen sind zusammengekommen, um die Frage ihrer Vereinigung zu erörtern; zwei Organisationen überzeugten sich davon, dass sie sich mit der dritten nicht vereinigen können. Natürlicherweise blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Meinung auseinanderzusetzen und die Konferenz zu verlassen. Das als „Sprengen" der Konferenz bezeichnen und die Ansicht, der „Auslandsbund" habe keine festen Grundsätze, als eine Verleumdung hinstellen – das können nur Leute, die eben darum zürnen, weil sie im Unrecht sind.

Was unsere Stellung zu den Streitfragen der russischen Sozialdemokratie anbelangt, so ziehen wir es vor, sie mit einer objektiven Darstellung der Konferenz nicht zu verwechseln. Außer den Aufsätzen, die in der „Iskra" und der „Sarja" veröffentlicht worden sind und noch veröffentlicht werden sollen, wird in kurzer Zeit eine in Vorbereitung befindliche Broschüre erscheinen, die speziell den wunden Fragen unserer Bewegung gewidmet ist.

* Laut der Geschäftsordnung der Konferenz musste diese selbst die Protokolle bestätigen, und zwar musste jede Sitzung mit der Bestätigung der Protokolle der vorhergegangenen Sitzung beginnen. Als aber am zweiten Konferenztage der Vorsitzende gleich zu Beginn der Sitzung den Vorschlag machte, die Protokolle der beiden Sitzungen des ersten Tages zu bestätigen, erklärten alle drei Sekretäre einstimmig, dass sie die Protokolle nicht vorlegen könnten. Das Protokoll der Debatte war, da kein Stenograph zugegen war, absolut ungenügend. Es ist daher begreiflich, dass, wenn die Sekretäre in der Nacht zwischen dem ersten und dem zweiten Tage der Konferenz kein Protokoll anfertigen konnten, am Abend des zweiten Tages, als wir die Konferenz verließen, von der Anfertigung eines Protokolls keine Rede mehr sein konnte. Alle wussten sehr gut, dass die Protokolle nicht fertig waren. Folglich ist auch die Entrüstung des „Auslandsbundes" darüber, dass unser Vorsitzender, „ohne die Bestätigung der Konferenzprotokolle abzuwarten", „desertiert" sei (Broschüre „Zwei Konferenzen", S. 29), nichts als eine Ausflucht. Da es keine stenographischen Protokolle gab, so blieb nichts anderes übrig, als dass die drei Sekretäre zusammenkamen und eine, wenn auch nur kurze Darstellung des Verlaufes der Debatten gaben. Wir haben das auch vorgeschlagen, aber der „Auslandsbund" lehnte es ab. Es ist klar, dass die Verantwortung für das Fehlen eines, wenn schon nicht vollständigen, so doch wenigstens kurzen Protokolls auf den „Auslandsbund" fällt.

**„Zwei Konferenzen“, S. 28.

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