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Wladimir I. Lenin 19020824 Brief an das Moskauer Komitee

Wladimir I. Lenin: Brief an das Moskauer Komitee

[Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahre 1924, im Buche P. N. Lepeschinskisi „Am Wendepunkt" (russisch). Nach Sämtliche Werke, Band 5, Wien-Berlin 1930, S. 234-236]

24. August 1902

Liebe Genossen! Wir haben Euren Brief, in dem Ihr dem Verfasser von „Was tun?" Euren Dank aussprecht, und den Beschluss über die Abzüge von 20 Prozent zugunsten der „Iskra" erhalten. Auch ich danke Euch sehr herzlich für die Kundgebung Eurer freundschaftlichen und brüderlichen Gefühle. Für einen illegalen Schriftsteller ist eine solche Kundgebung um so wertvoller, als er gezwungen ist, in Verhältnissen zu arbeiten, die ihn dem Leser vollkommen entfremden. Jeder Meinungsaustausch, jede Mitteilung über den Eindruck, den dieser oder jener Aufsatz, diese oder jene Broschüre auf die verschiedenen Schichten der Leser ausübt, ist für uns von besonderer Bedeutung, und wir werden sehr dankbar sein, wenn man uns nicht nur von der Arbeit im engen Sinne dieses Wortes, nicht nur für die Presse schreiben wird, sondern auch, damit der Schriftsteller sich nicht vom Leser losgerissen fühle.

In Nr. 22 der „Iskra" haben wir Euren Beschluss veröffentlicht, 20 Prozent Abzüge zugunsten der „Iskra" zu machen. Euren Dank an Lenin haben wir nicht zu veröffentlichen gewagt, denn 1. habt Ihr davon besonders geschrieben, ohne den Wunsch zu äußern, ihn gedruckt zu sehen. 2. aber passte wohl auch die Form, in der Ihr Euren Dank zum Ausdruck brachtet, nicht für die Presse. Aber glaubt bitte nicht, dass es für uns nicht wichtig sei, Erklärungen der Komitees über ihr Einverständnis mit diesen oder jenen Ansichten zu veröffentlichen. Im Gegenteil, gerade jetzt, wo wir alle an die Vereinigung der revolutionären Sozialdemokratie denken, ist das besonders wichtig. Es wäre sehr erwünscht, dass das Moskauer Komitee seinem Einverständnis mit meinem Buch die Form einer Erklärung gäbe, die sofort in der „Iskra" erscheinen könnte. Es wäre längst Zeit, dass die Komitees mit einer offenen Darlegung ihrer Einstellung zu den Parteifragen auftreten, dass sie mit der Taktik des stillschweigenden Einverständnisses, die in der „dritten Periode" vorherrschend war, brechen. Das ist ein allgemeiner Grund zu einer offenen Erklärung. Insbesondere aber bin ich z. B. in der Presse beschuldigt worden (von der Gruppe „Borjba" in ihrem „Listok"), dass ich die Redaktion der „Iskra" zum russischen Zentralkomitee machen will, dass ich die „Agenten" „befehligen" möchte usw. Das ist eine offenkundige Entstellung dessen, was in „Was tun?" gesagt ist, ich habe aber keine Lust, immer und immer wieder in der Presse zu sagen: „ihr verdreht". Ich denke, dass jetzt die in Russland praktisch tätigen Genossen sprechen müssen, die sehr gut wissen, dass das „Kommandieren" der „Iskra" nicht über Ratschläge und die Äußerung ihrer Ansichten hinausgeht, und die sehen, dass die in „Was tun?" dargelegten organisatorischen Auffassungen die tatsächlich aktuelle, brennende Frage der wirklichen Bewegung zum Ausdruck bringen. Ich denke, dass diese Sachkundigen selbst das Wort verlangen und laut erklären sollten, wie sie zu der Frage stehen, wie sie durch die Erfahrung ihrer Arbeit zu Ansichten über die organisatorischen Aufgaben gelangen, die mit den unsrigen übereinstimmen.

Euren Dank für „Was tun?" haben wir so aufgefasst und konnten wir natürlich nur so auffassen, dass Ihr in diesem Buch die Antworten auf Eure eigenen Fragen gefunden habt, dass Ihr selber aus der unmittelbaren Kenntnis der Bewegung jene Überzeugung von der Notwendigkeit einer mutigeren, großzügigeren, besser zusammengefassten, besser zentralisierten, enger an die Zeitung, als Mittelpunkt, sich anschließenden Arbeit gewonnen habt, – die auch in diesem Buch zum Ausdruck gelangt ist. Wenn dem aber so ist, wenn Ihr tatsächlich zu einer solchen Überzeugung gekommen seid, so wäre es wünschenswert, dass das Komitee das offen und laut erklärte und auch andere Komitees aufforderte, mit ihm zusammen in der gleichen Richtung zu arbeiten, sich an dieselbe „Richtschnur" zu halten, sich die gleichen nächsten parteiorganisatorischen Ziele zu setzen.

Wir hoffen, Genossen, dass Ihr es für möglich halten werdet, diesen Brief in einer allgemeinen Versammlung des gesamten Komitees zu verlesen und dass Ihr uns Euren Beschluss zu den angedeuteten Fragen mitteilen werdet. (Nebenbei will ich hinzufügen, dass das Petersburger Komitee uns ebenfalls seine Zustimmung bekundet hat und jetzt an eine ebensolche Erklärung denkt.)

Habt Ihr genügend Exemplare von „Was tun?" gehabt? Haben die Arbeiter die Broschüre gelesen und welchen Eindruck hat sie auf sie gemacht.

Ich drücke allen Genossen fest die Hand und wünsche ihnen einen guten Erfolg

Euer Lenin.

Noch folgendes: am 14. September findet der Parteitag der deutschen Sozialdemokratischen Partei statt. Von uns fährt P. B. Axelrod hin.1 Wenn Ihr es für zweckmäßig haltet, so schickt ihm ein Mandat vom Moskauer Komitee. Es ist noch Zeit dazu. Alles Beste. Antwortet möglichst rasch.

1 Die Reise Axelrods zum Parteitag ist nicht zustande gekommen.

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