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Wladimir I. Lenin 19050131 Der Pope Gapon

Wladimir I. Lenin: Der Pope Gapon

[Wperjod" Nr. 4, 18./31. Januar 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 119-121]

Für die Vermutung, dass der Pope Gapon ein Provokateur sei, scheint die Tatsache zu sprechen, dass er Teilnehmer und Anführer des Subatowschen Vereins ist. Ferner stellen die ausländischen Zeitungen, ebenso wie unsere eigenen Korrespondenten, die Tatsache fest, dass die Polizei absichtlich die Streikbewegung freier und ungehinderter sich entwickeln ließ, dass die Regierung überhaupt (und Großfürst Wladimir im Besonderen) unter den für sie günstigsten Bedingungen eine blutige Abrechnung hervorrufen wollte. Die englischen Korrespondenten weisen sogar darauf hin, dass die energische Beteiligung gerade der Subatowleute an der Bewegung bei dieser Lage der Dinge für die Regierung besonders vorteilhaft sein musste. Die revolutionäre Intelligenz und die klassenbewussten Proletarier, die sich wahrscheinlich am ehesten mit Waffen versehen hätten, konnten gar nicht anders, als der Subatowschen Bewegung fernbleiben, sie meiden. Der Regierung waren demnach die Hände frei und sie spielte ein sicheres Spiel: zur Demonstration würden ja die friedlichsten, farblosesten, am wenigsten organisierten Arbeiter kommen; mit ihnen fertig zu werden, würde für unser Militär ein leichtes sein, und dem Proletariat würde eine tüchtige Lektion erteilt werden; man würde einen glänzenden Vorwand haben, um jeden auf der Straße niederzuschießen; der Sieg der reaktionären (oder Großfürsten-) Partei am Hofe über die Liberalen würde vollständig sein, darauf würde dann ein wütender Unterdrückungsfeldzug folgen.

Sowohl die englischen wie die konservativen deutschen Zeitungen sagen der Regierung (oder Wladimir) einen solchen Aktionsplan direkt nach. Sehr wahrscheinlich mit Recht. Die Ereignisse des blutigen 9. Januar liefern dafür eine glänzende Bestätigung. Aber das Bestehen eines solchen Planes schließt keineswegs aus, dass der Pope Gapon unbewusst das Werkzeug dieses Planes sein konnte. Das Vorhandensein einer liberalen, reformatorischen Bewegung unter einem gewissen Teil der jungen russischen Geistlichkeit unterliegt keinem Zweifel, diese Bewegung fand ihre Wortführer sowohl in den Versammlungen der religionsphilosophischen Gesellschaft als auch in der kirchlichen Literatur. Diese Bewegung bekam sogar eine besondere Bezeichnung: die „neurechtgläubige" Bewegung. Der Gedanke ist daher nicht absolut ausgeschlossen, dass der Pope Gapon ein aufrichtiger, christlicher Sozialist sein konnte und dass eben der blutige Sonntag ihn auf einen durchaus revolutionären Weg hin drängte. Wir neigen zu dieser Annahme, um so mehr, als die Briefe, die Gapon nach dem Gemetzel des 9. Januar geschrieben hatte, dass „wir keinen Zaren mehr haben", sein Aufruf zum Freiheitskampf usw., dass dies alles Tatsachen sind, die für seine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit; sprechen, denn zu den Aufgaben eines Provokateurs konnte unmöglich eine so wuchtige Agitation für die Fortführung des Aufstandes gehören.

Wie dem auch sei, die Taktik der Sozialdemokraten gegenüber dem neuen Führer ergab sich von selbst: es war notwendig, ein vorsichtiges, abwartendes, misstrauisches Verhalten gegenüber einem Subatowanhänger. Notwendig war auf jeden Fall die energische Beteiligung an der eingeleiteten (wenn auch von einem Subatowmann eingeleiteten) Streikbewegung, die energische Propaganda der sozialdemokratischen Anschauungen und Losungen. Diese Taktik befolgten auch, wie aus den oben angeführten Briefen zu ersehen ist, unsere Genossen vom Petersburger Komitee der SDAPR1. So „schlau" die Pläne der reaktionären Hofclique auch sein mochten, die Wirklichkeit des Klassenkampfes und des politischen Protestes der Proletarier als der Avantgarde des ganzen Volkes erwies sich um ein Vielfaches schlauer. Dass die Pläne der Polizei und der Militärs sich gegen die Regierung gekehrt haben, dass aus der Subatowiade als kleinem Anlass eine breite, große allrussische revolutionäre Bewegung hervorgewachsen ist, das ist eine Tatsache. Die revolutionäre Energie und der revolutionäre Instinkt der Arbeiterklasse brachen sich mit unwiderstehlicher Kraft Bahn, allen politischen Kniffen und Winkelzügen zum Trotz.

1 Die „Briefe", von denen Lenin hier spricht, waren Korrespondenzen von Gussew, die in Nr. 4 des „Wperjod", unmittelbar vor dem Artikel „Der Pope Gapon", unter der Überschrift „Briefe von Petersburger Sozialdemokraten" veröffentlicht wurden.

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