Wladimir I. Lenin: Eine misslungene Provokation

[„Nowaja Schisn", Nr. 13 15./28. November 1905 Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 8, S. 530-532]

Der Beschluss des Arbeiterdeputiertenrats, den wir in dieser Nummer veröffentlichen, bezeichnet eine äußerst wichtige Etappe in der Entwicklung der Revolution.

Regierung und Bourgeoisie, die jetzt verbündet sind, versuchen die Erschöpfung des Proletariats auszunützen, um es zu schlagen. Auf die Bekanntmachung der Einführung des Achtstundentages in den Fabriken und Betrieben Petersburgs auf revolutionärem Wege antwortet die Bourgeoisie mit der Aussperrung.

Die Verschwörung ist da. Man hat beschlossen, den Streik durch Massenentlassungen von Arbeitern zu bekämpfen. Die Staatsbetriebe werden geschlossen, mit ihnen eine ganze Reihe von Privatbetrieben. Zehntausende von Arbeitern sind aufs Pflaster geworfen. Man will das durch den vorangegangenen Kampf erschöpfte Petersburger Proletariat zu einer neuen Schlacht provozieren, und zwar unter Bedingungen, die für dasselbe die allerungünstigsten sind.

Der Arbeiterdeputiertenrat ist den Weisungen der sozialdemokratischen Vertreter gefolgt und hat beschlossen, die Verschwörung der Konterrevolution vor den Arbeitern aufzudecken und das Petersburger Proletariat davor zu warnen, sich in die Falle locken zu lassen. Auf die Herausforderung zu vereinzelten Kämpfen hat der Arbeiterdeputiertenrat damit geantwortet, dass er zur Vereinheitlichung des Kampfes in ganz Russland aufgerufen und unverzüglich Maßnahmen getroffen hat, um das Bündnis der revolutionären Arbeiter mit der revolutionären Bauernschaft und mit jenen Teilen des Heeres und der Flotte, die den Aufstand an allen Ecken und Enden Russlands beginnen, zu festigen. (In einem solchen Moment ist es wichtiger denn je, alle Bemühungen auf die Vereinigung der Armee der Revolution in ganz Russland zu richten, mit den Kräften zu sparen, die eroberten Freiheiten zu verhundertfachter Agitation und Organisation auszunützen und sich auf neue entscheidende Schlachten vorzubereiten.

Mag sich der Absolutismus mit der reaktionären Bourgeoisie verbinden! Mag die liberale Bourgeoisie (vertreten durch den Kongress der Semstwo- und Städtevertreter, in Moskau) der Regierung, die heuchlerisch von Freiheit redet und Polen wegen seiner Forderung nach elementarsten Freiheitsgarantien mit Militärgewalt unterdrückt, ein Vertrauensvotum erteilen!

Dem Bündnis des Absolutismus und der Bourgeoisie müssen wir das Bündnis der Sozialdemokratie und der gesamten revolutionären bürgerlichen Demokratie entgegenstellen. Das sozialistische Proletariat bietet der für die Freiheit kämpfenden Bauernschaft die Hand und ruft sie zum gemeinsamen, vereinten Angriff im ganzen Lande auf.

Darin eben liegt die ungeheure Bedeutung des Beschlusses des Arbeiterdeputiertenrats. Wir Sozialdemokraten müssen dafür sorgen, dass die gesamte Partei dem Arbeiterdeputiertenrat zu Hilfe komme. Wir streben nicht bloß den demokratischen Umsturz an. Wir kämpfen für den Sozialismus, d. h. für die volle Befreiung der Werktätigen von jeder, nicht nur politischen, sondern auch ökonomischen Unterdrückung. Wir vereinigen in unserer Partei nur diejenigen, die sich zu diesem hohen Ziel bekennen und zur Vorbereitung der Kräfte für seine Erreichung keinen Augenblick ungenützt lassen.

Aber gerade um der Erreichung unseres sozialistischen Zieles willen erstreben wir Sozialisten die entschiedenste Durchführung der demokratischen Revolution und die Eroberung der vollsten Freiheit zum erfolgreichen Kampfe für den Sozialismus. Und darum müssen wir mit den revolutionären Demokraten, die mit der Regierung nicht kuhhandeln, sondern gegen sie kämpfen, die die Revolution nicht verstümmeln, sondern sie zu Ende führen wollen – darum müssen wir mit diesen Leuten Hand in Hand gehen, allerdings ohne uns mit ihnen zu verschmelzen. Es lebe also das Bündnis des sozialistischen Proletariats und des gesamten revolutionären Volkes! An ihrem gemeinsamen Angriff werden alle Mächte der Reaktion, alle Anschläge der Konterrevolution zerschellen.