Wladimir I. Lenin: Hysterie der Geschlagenen

[„Proletarij", Nr. 23, 18./31. Oktober 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 8, S. 459-461]

Unser Aufsatz „Die ersten Ergebnisse der politischen Gruppierung" war schon geschrieben, als wir die Nr. 112 der „Iskra" mit einem nervösen, von Wutausbrüchen, Tränen, Geschrei und Ausflüchten strotzenden Artikel „Die Früchte des Zirkelwesens" erhielten. Anders als Hysterie lässt sich das nicht nennen. In diesem hysterischen Geheul ist nicht einmal der Schatten eines Arguments zu finden. Was hat das mit Zirkelwesen zu tun, teure Genossen von der „Iskra", wo ihr selbst freiwillig zu der Konferenz der verschiedenen sozialdemokratischen Parteien und Organisationen Russlands gegangen seid? Denkt doch ein wenig nach, wenn ihr die Denkfähigkeit noch nicht ganz verloren habt; denkt wenigstens nachher darüber nach, wenn euer hysterischer Anfall vorübergegangen sein wird! Denn wenn ihr bereit wäret, zur Konferenz zu gehen, und wenn euer Delegierter dort war, so habt ihr selbst diese Konferenz als eine ernste, das Proletariat verpflichtende Parteisache angesehen. Ihr verliert doch den letzten Rest von Achtung bei allen einigermaßen denkenden Arbeitern, wenn ihr zu schimpfen anfangt, nachdem ihr auf einer Konferenz, die ihr durch die Tatsache eurer freiwilligen Teilnahme als eine ernste und notwendige Sache anerkannt habt, eine Niederlage erlitten habt!

Ihr seid damit unzufrieden, dass die Konferenz, nach eurer Meinung, eure Taktik zu scharf verurteilt hat, wenn sie die Teilnahme an der Reichsduma als einen Verrat an der Sache der Freiheit bezeichnete? Aber habt ihr denn nicht gewusst, liebe Genossen von der „Iskra", dass ihr zu einer Konferenz mit dem ZK der SDAPR geht und dass das Organ dieses ZK, der „Proletarij", schon seit langem in Broschüren und in Artikeln eure Verwandlung in ein Anhängsel der monarchistischen liberalen Partei aufzeigt? Ihr wusstet das sehr gut, teure Genossen von der „Iskra", und wenn ihr euch jetzt bis zur Besinnungslosigkeit ärgert, so können wir euch wirklich nicht helfen. Denn es ist eine Tatsache, eine unbestrittene und nicht weg zu leugnende Tatsache, dass ihr unter allen illegalen Parteien, Organisationen, Richtungen und Organen sämtlicher Völker Russlands mit dem „Oswoboschdjenije" allein geblieben seid. Diese Tatsache ist die schärfste Anklage gegen euch, eine in ihrer Schärfe in der Geschichte ungewöhnliche Anklage, und ihr bildet euch ein, dass die Quelle der Schärfe in den Worten „Verrat an der Sache der Freiheit" zu suchen sei!

Ihr habt so sehr den Kopf verloren, dass ihr nach eurer Niederlage auf der Konferenz ein wildes Geheul über die Schädlichkeit des Föderalismus in der Organisation erhebt, der vom Bund und anderen nationalen sozialdemokratischen Gruppen so gehegt und gepflegt wird. Wie unvernünftig ist das, liebe Genossen von der „Iskra": damit unterstreicht ihr doch nur die Größe eurer Niederlage. In der Tat, überlegt einmal, teure Genossen von der „Iskra": wer hat denn die organisatorische Verschwommenheit und Unklarheit, die Prinzipien der Verständigung und Dezentralisation zwei Jahre lang verteidigt und verteidigt sie noch? Gerade ihr, gerade die Neu-Iskristen. Und gerade die Föderalisten vom Bund, von der lettischen und der polnischen Sozialdemokratischen Partei, haben seinerzeit eure desorganisatorischen Redensarten gegen den angeblich auf die Spitze getriebenen Zentralismus usw. in der Presse aufgegriffen. Es ist doch auch wieder eine Tatsache, eine nicht aus der Welt zu schaffende, unbestreitbare Tatsache, dass alle Föderalisten der genannten Parteien Artikel im Geiste der Minderheit schrieben und veröffentlichten! Seht doch, teure Genossen von der „Iskra", wie unangebracht ihr den Föderalismus erwähnt: ihr habt damit unterstrichen, dass eure gestrigen wohlwollenden Freunde vom Bund und von der lettischen und der polnischen Sozialdemokratischen Partei gezwungen waren, euch zu verlassen, weil sie die unmögliche Abgeschmacktheit eurer Dumataktik nicht mehr ertragen konnten! Nein, teure Genossen von der „Iskra", wenn ihr, nachdem ihr euch beruhigt habt, ein bisschen nachdenken werdet, so werdet ihr auch selber sehen, was alle sehen: nicht die „Mehrheit" ist zum Föderalismus, sondern der Bund und die lettischen und polnischen Sozialdemokraten sind unter dem Einfluss der objektiven Logik der revolutionären Ereignisse zu jenem Standpunkt gekommen, den die „Mehrheit" stets verteidigte.

Eure Niederlage ist schwer, teure Genossen von der „Iskra", darüber ist kein Wort zu verlieren, aber ihre Ursache liegt nicht in der Tücke der Mehrheit oder der Sozialdemokraten Polens usw., sondern in jenem hoffnungslosen Wirrwarr, der schon in den taktischen Resolutionen der allrussischen Konferenz der Menschewiki zum Ausbruch kam. Solange ihr auf dem Boden dieser Resolution steht, werdet ihr unausweichlich „selbander" mit dem „Oswoboschdjenije" gegen alle Sozialdemokraten und sogar gegen alle revolutionären Demokraten stehen.