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Wladimir I. Lenin 19051031 Die ersten Ergebnisse der politischen Gruppierung

Wladimir I. Lenin: Die ersten Ergebnisse der politischen Gruppierung

[Proletarij", Nr. 23, 18./31. Oktober 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 8, S. 450-458]

Der in der vorangegangenen Nummer veröffentlichte Bericht von der Konferenz der sozialdemokratischen Parteien und Organisationen Russlands bietet die Möglichkeit, einige wenn auch nur anfängliche Ergebnisse der gegenwärtigen politischen Gruppierung festzustellen. Die Konferenz der sozialdemokratischen Parteien und OrganisationenZK, Bund, Lettische SDAP, Polnische SD und Revolutionäre Ukrainische Partei) hat in der Frage der Reichsduma einstimmig die Taktik des aktiven Boykotts angenommen. Die Notwendigkeit einer verstärkten Agitation im eigentlichen Sinne des Wortes gegen die Reichsduma, die Notwendigkeit, gegen alle Parteien zu agitieren, die die Beteiligung an der Reichsduma zulassen, und schließlich die Verpflichtung zur Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes – das alles ist jetzt, das darf man ohne Übertreibung sagen, von der ganzen revolutionären Sozialdemokratie ohne Unterschied der Nationalität anerkannt worden. Die Grundlage jener Taktik, die das ZK der SDAPR und wir im „Proletarij" von der Nr. 12 an, d.h. schon seit zweieinhalb Monaten, vertraten, ist jetzt zur Grundlage der Taktik fast der ganzen Sozialdemokratie in Russland geworden – mit einer einzigen traurigen Ausnahme.

Diese Ausnahme bilden, wie der Leser weiß, die „Iskra" und die „Minderheit", die sich von der SDAPR abgespalten hat. Die „Organisationskommission" – ihr praktisches Zentrum – war auf der Konferenz vertreten. Wie ihr Delegierter gestimmt hat, wissen wir nicht.1 Tatsache ist aber, dass die Organisationskommission es abgelehnt hat, die Resolution der Konferenz zu unterzeichnen. Das war zu erwarten, nachdem die Neu-Iskristen auf der „konstituierenden" Konferenz des Südens die äußerst unkluge, in prinzipieller Hinsicht opportunistische Resolution über die Reichsduma beschlossen hatten, die wir in der Nr. 21 des „Proletarij" ausführlich behandelt haben.

Damit ist die politische Gruppierung vollständig gekennzeichnet. Die Frage des Verhaltens zur Reichsduma hat wohl zum ersten Mal eine gemeinsame Beratung aller oppositionellen und revolutionären Parteien, der legalen und der illegalen Presse über die politische Taktik hervorgerufen. Das war im Vergleich zur vorangegangenen Periode der Bewegung ein gewaltiger Schritt vorwärts. Vorher trennte ein ganzer Abgrund die Opposition von den Revolutionären, die legale Arbeit von der illegalen. Jetzt ist die Bewegung während etwa zehn Monaten derart gigantisch vorwärtsgeschritten, dass der Abgrund im wesentlichen Teil ausgefüllt ist: die „legale" Opposition ist durch den revolutionären Kampf bis auf den Wellenkamm, beinahe bis zur Anerkennung der Revolution als Tatsache gehoben worden. Früher konnten wir mit Vertretern einer legalen Opposition über die Taktik, über die Haltung der politischen Parteien eigentlich gar nicht polemisieren, weil es ja außer den revolutionären, illegalen Parteien keine andere Parteien gab, denn alle „politische Tätigkeit" war die Tätigkeit „politischer Verbrecher", wenn man von der „Tätigkeit" des Absolutismus und seiner Diener absieht. Jetzt ist die Reichsduma ganz natürlich und unausweichlich zum Gegenstand der Beurteilung durch die ganze Volksmasse, alle Schattierungen, alle Richtungen und Parteien geworden. Der revolutionäre Kampf hat der revolutionären Diskussion sowohl in der legalen Presse und in den Versammlungen der Semstwos als auch in den Zusammenkünften der Studenten und in den Massenmeetings der Arbeiter den Weg geebnet.

Die Diskussion über die Frage, wie man sich zur Reichsduma stellen soll, haben fast als erste die Semstwo-Männer und die radikale Intelligenz begonnen, die an der zaristischen Gabe unmittelbar am meisten interessiert waren und die über sie schon vor dem Manifest vom 6./19. August am besten orientiert waren. Nachher griff diese Diskussion auf die gesamte politische Presse Russlands über, sowohl die freie, d. h. illegale, die alle ihre Argumente und alle ihre Losungen deutlich aussprach, als auch die legale Presse, die in äsopischer Sprache für den Boykott und offen gegen ihn schrieb.

Die politische Gruppierung, dieser Vorbote der Abgrenzung der Parteien und Klassen aller Völkerschaften Russlands voneinander, begann bei der Boykottfrage. Soll man in die Duma gehen oder nicht? Soll man die Duma sprengen oder akzeptieren? Soll man in der Duma, auf dem Boden der Duma oder außerhalb der Duma, unabhängig von der Duma oder gegen die Duma kämpfen? So stand die Frage unausweichlich sowohl vor dem Häufchen der privilegierten Wähler als auch vor der „rechtlosen" Volksmasse. Und zu dieser Frage, die schließlich von tausend verschiedenen Standpunkten, in tausend verschiedenen Variationen und im Sinne von tausend „besonderen Meinungen" behandelt wurde, liegen jetzt die zusammenfassenden Ergebnisse jener „Befragung" der öffentlichen Meinung vor, die sich aus der gesamten Presse, aus allen Erklärungen der politischen Organisationen, der politischen Versammlungen, Zusammenkünfte usw. ergab.

Diese zusammenfassenden Ergebnisse sind die folgenden: Drei Grundtypen von Ansichten über die Duma heben sich ab, und zwar in voller Übereinstimmung mit den drei sozialen Grund- und Hauptkräften der sich abspielenden Revolution: die Ansicht der Schwarzen Hunderte (des Absolutismus), der Liberalen (der Bourgeoisie) und die der Revolutionäre (des Proletariats). Die Schwarzen Hunderte klammern sich an die Duma als das beste und wohl einzig mögliche, ja sogar einzig denkbare Mittel, den Absolutismus zu schützen. Die Liberalen kritisieren die Duma und akzeptieren sie; eine unwiderstehliche Kraft treibt sie auf den legalen Weg und zur Verständigung mit dem Zaren. Das revolutionäre Volk mit dem Proletariat an der Spitze brandmarkte die Duma, verkündete gegen sie den aktiven Boykott und zeigte durch die Tat das Bestreben, diesen aktiven Boykott in den bewaffneten Aufstand zu verwandeln.

Bei diesen drei Grundtypen verlohnt es sich ausführlicher zu verweilen.

Von den Schwarzen Hunderten konnte man erwarten (und solche Erwartungen äußerten die Leute, die geneigt sind, die Duma ernst zu nehmen – sogar, wenn wir uns nicht irren, die Iskristen), dass diese Anhänger des Absolutismus direkt oder indirekt mit dem Boykott oder der Abstinenz, wie unsere Lakaienpresse sich nicht selten ausdrückt, sympathisieren werden. Sollen sie sie boykottieren, um so besser für uns, dann wird die reaktionäre Zusammensetzung geschlossener und reiner sein. Und da es in Russland konservative Organe gibt, die fähig sind, gegen die Minister des Zaren wegen ihres übermäßigen Liberalismus zu hetzen und gegen die „zu schwache" Regierung zu frondieren, so hätte eine derartige Ansicht einen ebenso klaren oder sogar einen noch klareren Ausdruck finden können, als viele Ansichten der Konstitutionalisten. Hier aber offenbarte sich der Irrtum jener, die die Duma ernst nahmen und vom Kampfe auf dem Boden der Duma, von der Unterstützung des Kampfes der Duma usw. zu reden begonnen hatten. Hier erwies sich sofort, dass der Absolutismus eine legale Dumaopposition sehr stark nötig hat und den Boykott schrecklich fürchtet. Warum? Sehr einfach: weil sich sofort die vollständige Unmöglichkeit herausstellte, das Land ohne Verständigung wenigstens mit einem Teil der Bourgeoisie als Klasse zu regieren. Ohne Verständigung mit dem rechten Flügel der Bourgeoisie kann man das Land nicht regieren, kann man kein Geld auftreiben, kann man nicht mehr länger leben. So asiatisch wild unser Absolutismus auch ist, so viel er auch noch an vorsintflutlicher, Jahrhunderte hindurch in ungewöhnlich reiner Form erhalten gebliebener Barbarei aufweist – immerhin ist doch die absolutistische Regierung die Regierung eines kapitalistischen Landes, das mit tausend unzerreißbaren Banden mit Europa, mit dem internationalen Markt, mit dem internationalen Kapital verknüpft ist. Die Abhängigkeit des Absolutismus von der Bourgeoisie ganz Russlands ist die stärkste materielle Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit kann durch hunderterlei mittelalterliche Zutaten verdeckt, durch Millionenbestechungen Einzelner oder ganzer Gruppen von Höflingen (durch Titel, Posten, Konzessionen, Schenkungen, Vergünstigungen u.a.m.) geschwächt werden, aber in den entscheidenden Augenblicken des Lebens der Nation muss sie sich mit entscheidender Kraft offenbaren.

Und wenn wir jetzt sehen, dass Herr Witte um die Gunst der Liberalen wirbt; dass er liberale Reden schwingt, über die die legale Presse berichtet; dass er „nicht-formelle Unterredungen mit Herrn Hessen", dem Führer der Konstitutionellen Demokraten, führt (Telegramm des Petersburger Berichterstatters der „Times"2); dass die ausländische Presse mit Meldungen von den liberalen Plänen des Zaren überflutet wird – so ist das alles kein Zufall. Freilich wird hier massenhaft gelogen und intrigiert, aber die zaristische Regierung und jede bürgerliche Regierung überhaupt kann in der Politik ohne Lüge und Intrige keinen Schritt tun. Freilich gibt es hier viel raffinierteste Betrügerei, die dadurch hervorgerufen wurde, dass die Bevollmächtigten der französischen und deutschen Bankiers in Petersburg angekommen sind, um über die neue Anleihe von anderthalb Milliarden Rubel zu verhandeln, die die zaristische Regierung unumgänglich nötig hat. Aber das ganze System der Abhängigkeit der Regierungen von der Bourgeoisie erzeugt ja bei allen den Geschäften und Machenschaften, in denen sich diese Abhängigkeit verwirklicht, Fälle von Betrügereien.

Der Absolutismus muss sich mit der Bourgeoisie „aussöhnen" und ist gezwungen, danach zu streben; dabei will er natürlich die öffentliche Meinung Europas und Russlands irreführen. Und die Reichsduma ist ein prachtvolles Mittel dazu. Eine legale Opposition der Bourgeoisie in der Duma ist eben jene Äußerlichkeit der von der Bourgeoisie anerkannten Staatsordnung, die vielleicht dem Absolutismus noch helfen könnte, sich herauszuwinden.

Von diesem Standpunkte aus ist es begreiflich, wieso die „Moskowskije Wjedomosti", dieses Organ der konservativen Opposition gegen die Regierung, vom Dumaboykott nicht mit Schadenfreude, nicht mit einem Lächeln, sondern schäumend und mit der Wut der Verzweiflung spricht. Von diesem Gesichtspunkte aus ist es begreiflich, wenn das Organ der Schwarzen Hunderte, das „Nowoje Wremja", gegen die „Abstinenten" loszieht und versucht, sogar Bebel zum Kampf gegen die Boykottidee heranzuholen („Proletarij", Nr. 20). Die Schwarzhunderter fürchten den Boykott, und nur Blinde oder Leute, die daran interessiert sind, die Liberalen zu rechtfertigen, können jetzt leugnen, dass der Boykott unbedingt gesichert wäre, wenn sich die Wortführer der Kongresse der Semstwo-Männer und der Städtevertreter für ihn ausgesprochen hätten.

Aber die Sache ist eben die, dass die liberale Bourgeoisie durch ihre grundlegenden Klasseninteressen zur Monarchie, zum Zweikammersystem, zur Mäßigung, zum Kampf gegen die „Schrecken" der „permanenten Revolution", gegen die „Schrecken" einer Revolution nach französischem Muster getrieben wird. Die Wendung der liberalen Bourgeoisie, der Oswoboschdjenije-Leute und der Konstitutionellen Demokraten von der radikalen Phrase über den Boykott zum entschlossenen Kampf gegen den Boykott ist der erste wichtige politische Schritt der gesamtrussischen Bourgeoisie als Klasse, ein Schritt, der von ihrer verräterischen Natur, von ihrer „Vorbereitung zum Verbrechen", zum Verrat an der Revolution zeugt. Und das ist nicht eine bloße Vorbereitung (die nach keinerlei Gesetzen strafbar ist, wie uns wohl irgendein Witzbold unter den Oswoboschdjenije-Juristen antworten würde), sondern ein Attentat, sogar ein schon vollbrachtes Attentat. Wir leben jetzt rasch. Schon längst sind jene (nach der gewöhnlichen, für die Revolutionen aber nicht brauchbaren Zeitrechnung gar nicht fernen) Zeiten vorüber, wo es für uns nötig war, das politische Bewusstsein der Bourgeoisie überhaupt erst zu wecken. Sogar jene Zeiten sind schon vorbei, wo wir es nötig hatten, der Bourgeoisie zu helfen, sich als politische Opposition zu organisieren. Jetzt ist sie erwacht, hat sich organisiert, und auf der Tagesordnung steht eine ganz andere, eine große Aufgabe, die nur dank den Siebenmeilenschritten der Revolution möglich und real geworden ist – die Aufgabe, sich mit dem Zaren zu verständigen (die Aufgabe des Kapitals), und die Aufgabe, das verräterische Kapital unwirksam zu machen (die Aufgabe der Arbeit).

Das an der Spitze des revolutionären Volkes marschierende revolutionäre Proletariat hat auch diese Aufgabe auf sich genommen, getreu seiner Pflicht, seine „Nachbarn" im Kampfe gegen das Mittelalter und die Leibeigenschaft zu wecken, zu stoßen und aufzurichten und sich dabei von den weniger revolutionären Nachbarn ab- und den mehr revolutionären zuzuwenden. Das von der Sozialdemokratie geführte revolutionäre Proletariat hat nicht die Duma, sondern jene Worte, Versprechungen und Losungen vom Dumaboykott „ernst genommen", die den Schönrednern der Bourgeoisie aus Leichtfertigkeit, jugendlichem Übermut und Begeisterung entschlüpften. Aus der Phrase vom Boykott machte das Proletariat eine Tat, und zwar dadurch, dass es direkt und offen das Banner des bewaffneten Aufstandes erhob, dass es nicht nur die breiteste Agitation entfaltete, sondern auch einen direkten Straßenkampf (in Moskau) eröffnete; dadurch, dass es sich mit der radikalen Jugend, dieser Avantgarde der breiten, im Klassensinne noch nicht ganz bestimmten, aber unsäglich unterdrückten und ausgebeuteten Volksmasse, besonders der Bauernmasse, verbrüderte. Das sozialistische Proletariat hat sich ohne jegliche Verständigung und ohne jeglichen Vertrag zu einer praktischen, einer Aufgabe des Kampfes mit den erwachten Schichten der revolutionären bürgerlichen Demokratie vereinigt. In den großen Tagen von Moskau (groß als Vorbote und nicht als Ereignisse an und für sich) haben das Proletariat und die revolutionäre Demokratie gekämpft, während die Liberalen, die Oswoboschdjenije-Leute und die Konstitutionellen Demokraten mit dem Absolutismus Unterhandlungen führten.

Die politische Gruppierung hat sich abgezeichnet: für die Duma, um den Absolutismus zu retten; für die Duma, um den Absolutismus einzuschränken; gegen die Duma, um den Absolutismus zu vernichten. Mit anderen Worten: für die Duma, um die Revolution zu ersticken; für die Duma, um die Revolution zum Stillstand zu bringen; gegen die Duma, um die Revolution zum siegreichen Ende zu führen.

Eine Ausnahme, eine traurige, peinliche Ausnahme, die das Einheitliche der klaren Klassengruppierung störte (und bestätigte, so wie jede Ausnahme die allgemeine Regel bestätigt), bildete der opportunistische Flügel der Sozialdemokratie in der Gestalt der neuen „Iskra''. Aber auch in dieser Ausnahme zeigte sich, im engen Rahmen der ausländischen illegalen Organisationen, die von uns vorausgesagte sehr wichtige und sehr lehrreiche Gesetzmäßigkeit. Die Konferenz, die wir oben erwähnten, vereinigte die revolutionäre Sozialdemokratie. Die „Iskra" blieb, nicht kraft eines Vertrages, sondern kraft des Ganges der Ereignisse mit dem „Oswoboschdjenije" vereinigt. In der illegalen Presse traten für den aktiven Boykott die revolutionären Sozialdemokraten und die äußerste Linke der revolutionären bürgerlichen Demokratie ein. Gegen den Boykott traten die opportunistischen Sozialdemokraten und die äußerste Rechte der bürgerlichen Demokratie auf.

So bestätigte sich das, was in der Analyse der wichtigsten taktischen Resolutionen der Neu-Iskristen („Zwei Taktiken" von Lenin) gezeigt worden war: dass die „Iskra" auf das Niveau der liberalen Großgrundbesitzer herabsinkt, während der „Proletarij" die Bauernmassen zu sich emporhebt; dass die „Iskra" auf das Niveau der liberalen Bourgeoisie herabsinkt, der „Proletarij" aber das revolutionäre Kleinbürgertum aufrichtet.

Wer mit der sozialdemokratischen Literatur bekannt ist, kennt den von der „Iskra" in Umlauf gesetzten Satz: die Bolschewiki und der „Proletarij" sind auf die Seite der Sozialrevolutionäre und der extremen bürgerlichen Demokratie hinüber geschwankt In diesem Satze ist, wie in jeder laufenden Redensart, ein Körnchen Wahrheit. Der Satz widerspiegelt nicht einen bloßen Verdruss der Iskristen, er widerspiegelt eine wirkliche Erscheinung, aber er widerspiegelt sie so, wie ein Hohlspiegel einen Gegenstand wiedergibt. Jene wirkliche Erscheinung ist die Tatsache, dass die Menschewiki und die Bolschewiki an und für sich den opportunistischen und den revolutionären Flügel der russischen Sozialdemokratie bilden. Und da die Iskristen zum Opportunismus abgeschwenkt sind, mussten sie unvermeidlich zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Bolschewiki (um in der Sprache der politischen Gruppierungen des 18. Jahrhunderts zu sprechen) „Jakobiner" sind. Diese Beschuldigungen bestätigen nur unsere Ansichten vom rechten und vom linken Flügel der heutigen Sozialdemokratie. Diese Beschuldigungen von Seite der Opportunisten sind für uns ebenso schmeichelhaft, wie es für uns im Jahre 1900 schmeichelhaft war, von der „Rabotschaja Mysl" des „Narodnikitums" beschuldigt zu werden. Die wirkliche politische Gruppierung aller politischen Richtungen ganz Russlands in der wichtigsten taktischen Frage hat jetzt in der Tat die Richtigkeit unserer Einschätzung der ganzen iskristischen Position seit dem 2. Parteitag der SDAPR bewiesen.

Die Gruppierung der illegalen Parteien, die mit der Konferenz aller Sozialdemokraten zum Abschluss gekommen ist, ergänzt auf diese Weise ganz natürlich die Gruppierung aller Parteien in der Dumafrage. Und wenn sich die Iskristen als eine peinliche Ausnahme gezeigt haben, so gibt uns die Tatsache, dass sie eben eine Ausnahme sind, neuen Glauben an die Kraft der Regel, an den Sieg der revolutionären Sozialdemokratie, an die Verwirklichung ihrer konsequenten Losungen durch die russische Revolution. Und wenn im Augenblick der Niedergeschlagenheit die Gemeinheit der Liberalen und die Herabwürdigung des Marxismus durch manche Marxisten wie Vorzeichen dafür erscheinen, dass die Revolution auch bei uns trivial, als Missgeburt, ohne abschließendes Ergebnis, also so wie die deutsche Revolution von 1848 enden wird – dann flößt anderseits wiederum die Lebenskraft der Prinzipien der revolutionären Sozialdemokratie aufmunternden Glauben ein, und das heldenhafte Auftreten der Arbeiterklasse stärkt diesen Glauben. Die Revolution bringt eine vorzügliche Scheidung der politischen Richtungen und führt die irrigen Meinungen in bester Weise ad absurdum. Die Revolution geht in Russland so vorwärts, dass sie bis jetzt jene Hoffnungen auf ihren vollen Sieg rechtfertigt, die durch die äußere und innere Lage, wie sie sich jetzt gestaltet hat, geweckt wurden. Angesichts der Bestürzung auf der Seite des Absolutismus, der Kopflosigkeit der Liberalen und der frischen revolutionären Energie des Proletariats, das die Bauernschaft mit sich zieht, glaubt man gerne, dass „unser Dampfross eilt, wie nie das deutsche eilte".3

1 Gutowski, der Vertreter der Organisationskommission, hatte der Konferenz eine gegen den Dumaboykott gerichtete Resolution vorgelegt. In der Hauptsache stand er auf dem Standpunkt Axelrods (Wahlen in eine „Volksduma"). Unter den Gründen, die er in seiner Resolution gegen den Boykott anführte, müssen die folgenden vermerkt werden: „… Die Bulyginsche Duma ist keine Verfassung, geeignet, auch nur einen Teil der Bourgeoisie mit dem Absolutismus zu vereinigen und diese vereinten Kräfte dem Proletariat und dem armen Volke entgegenzustellen;" „… sollte sich die Duma wider Erwarten im Prozesse ihres Zustandekommens in irgendeine Konstituante verwandeln, dann wird das Proletariat unter den so geänderten Umständen unausweichlich auch eine andere Begründung für sein revolutionäres Auftreten haben". Zum Plan der Kampagne übergehend, sagt die Resolution: „Als eine solche konkrete Aktion, die imstande ist, die unzufriedenen Massen heranzuziehen und zu organisieren, eine Aktion, die eine raschere Entfaltung der Revolution bewirkt, erscheint auch der von der ,Iskra' vorgelegte Plan parallel vor sich gehender revolutionärer Wahlen, die von einer Reihe von Meetings, Demonstrationen, Eingreifen in die Wählerversammlungen begleitet, und so weit es gelingt, vom politischen Generalstreik unterstützt sein müssten." Der Schluss der Resolution lautet: „Ohne den Wahlen entgegenzuwirken, muss die Sozialdemokratie durch ihre Agitation und durch die Organisierung von Massenkundgebungen gegen den Absolutismus das Wesen der Reichsduma enthüllen und dahin wirken, dass die Wahl der Abgeordneten – bestimmt für die Arbeit in der Duma – verwandelt werden in Wahlen, deren Ziel die Verwandlung der Duma in eine allrussische Tribüne ist zur Verkündung der Forderung nach einer Konstituierenden Versammlung und zur Aufforderung der Volksmassen, diese Forderung zu unterstützen."

2 Das zitierte Telegramm des Petersburger Korrespondenten der „Times" vom 18. Oktober war in der Nr. vom 19. Oktober 1905 abgedruckt unter der Überschrift: „The Tsar and the reformers" (Der Zar und die Reformer).

3 Die zitierten Worte sind einem Gedicht von N. A. Dobrolubow „Im preußischen Waggon" (unterzeichnet: Konrad Lilienschwager) entnommen.

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