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Wladimir I. Lenin 19050207 Wie Trepow haust

Wladimir I. Lenin: Wie Trepow haust

[Wperjod" Nr. 5, 25. Januar/7. Februar 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 137-140]

Die grausame Abrechnung mit allen Unzufriedenen ist nach dem 9. Januar zur Losung der Regierung geworden. Am Dienstag wurde zum Generalgouverneur von Petersburg mit diktatorischen Vollmachten Trepow ernannt, einer der in ganz Russland bestgehassten Diener des Zarismus, der sich in Moskau durch seine Grausamkeit, seine Brutalität und sein Mitwirken an den Subatowschen Versuchen zur Korrumpierung der Arbeiter berühmt gemacht hat.

Es hagelte Verhaftungen wie aus einem Füllhorn. Vor allem wurden die Mitglieder der liberalen Delegation1 festgenommen, die sich am Sonnabend spät abends zu Witte und zu Swjatopolk-Mirski begab, um die Regierung zu bitten, dass sie die Petition der Arbeiter entgegennehmen möge und dass das Militär auf die friedliche Demonstration nicht mit Schießereien antworten solle. Es versteht sich von selbst, dass diese Bitten zu keinem Resultat führten: Witte verwies die Abordnung an Swjatopolk-Mirski, letzterer weigerte sich, sie zu empfangen. Der Vizeminister des Innern Rydsewski empfing die Abordnung sehr kühl, erklärte, dass man nicht auf die Regierung, sondern auf die Arbeiter einwirken müsse, dass die Regierung über alle Vorgänge sehr gut unterrichtet sei und dass sie bereits Entschlüsse gefasst habe, die durch keine Fürbitten geändert werden könnten. Es ist interessant, dass in der Versammlung der Liberalen, die diese Delegation gewählt hatte, auch die Frage angeschnitten wurde, ob man den Arbeitern von dem Zug zum Winterpalast abraten solle, doch erklärte ein in der Versammlung anwesender Freund Gapons, dies sei nutzlos, der Entschluss der Arbeiter sei unwiderruflich. (Die Meldungen stammen von Herrn Dillon, dem Korrespondenten der englischen Zeitung „The Daily Telegraph", und sind später von anderen Korrespondenten bestätigt worden.)

Gegen die verhafteten Mitglieder der Delegation, Hessen, Arsenjew, Karejew, Pjeschechonow, Mjakotin, Semewski, Kedrin, Schnitnikow, Iwantschin-Pissarew und Gorki (der in Riga festgenommen und nach Petersburg gebracht wurde) wurde die ganz alberne Anklage erhoben, beabsichtigt zu haben, am Tage nach der Revolution die „provisorische Regierung Russlands" zu organisieren. Diese Beschuldigung fällt selbstverständlich in sich zusammen. Viele der Verhafteten (Arsenjew, Kedrin, Schnitnikow) sind bereits freigelassen. Im Auslande begann eine energische Kampagne unter der gebildeten bürgerlichen Gesellschaft zugunsten Gorkis, und das Gesuch an den Zaren um seine Freilassung wurde von vielen hervorragenden deutschen Gelehrten und Schriftstellern unterschrieben. Jetzt haben sich ihnen die Gelehrten und Schriftsteller Österreichs, Frankreichs und Italiens angeschlossen.

Am Freitag Abend wurden vier Mitarbeiter der Zeitung „Nascha Schisn" verhaftet: Prokopowitsch nebst Frau, Chischnjakow und Jakowlew (Bogutscharski). Von den Mitarbeitern der Zeitung „Naschi Dni wurde Sonnabend morgen Ganejser verhaftet. Besonders eifrig sucht die Polizei nach dem Geld, das aus dem Auslande für die Streikenden oder für die Witwen und Waisen der Gefallenen geschickt worden sein soll. Die Verhaftungen erfolgen massenhaft: der Verhaftungsbefehl gegen Bogutscharski trug die Nummer 53, der gegen Chischnjakow schon die Nummer 109. Am Sonnabend fanden in den Redaktionen der beiden genannten Zeitungen Haussuchungen statt und sämtliche Manuskripte ohne Ausnahme wurden beschlagnahmt, darunter ausführliche Berichte über die Ereignisse während der ganzen Woche, Berichte, die von zuverlässigen Augenzeugen verfasst und unterschrieben waren, die alles aufzeichneten, was sie gesehen haben, den künftigen Generationen zur Lehre. Dieses ganze Material wird nun das Licht der Welt nicht mehr erblicken.

Am Mittwoch war die Zahl der Verhafteten bereits so groß, dass man je zwei und drei in eine Zelle stecken musste. Mit den Arbeitern macht der neue Diktator schon gar keine Umstände. Seit Donnerstag hat man begonnen, sie haufenweise festzunehmen und nach der Heimat abzuschieben. Sie werden dort selbstverständlich die Nachrichten über die Ereignisse des 9. Januar verbreiten und den Kampf gegen den Absolutismus predigen.

Trepow kämpft für seine alte Moskauer Politik: die Masse der Arbeiter durch ökonomische Almosen zu ködern.

Die Unternehmer treten mit dem Finanzminister zusammen und überlegen verschiedene Zugeständnisse an die Arbeiter, man spricht vom Neunstundentag. Der Finanzminister empfängt am Dienstag eine Arbeiterdelegation, verspricht ökonomische Reformen, warnt vor politischer Agitation.

Die Polizei macht alle Anstrengungen, um Misstrauen und Feindschaft zwischen der Bevölkerung überhaupt und den Arbeitern zu säen. Die Nachrichten vom Mittwoch an die Auslandspresse berichten in bestimmtester Weise, dass die Polizei die Einwohnerschaft von Petersburg durch sensationelle Erzählungen über Plünderungen und angebliche Bluttaten der Streikenden einzuschüchtern sucht. Selbst der Vizeminister des Innern, Rydsewski, versicherte am Dienstag einem Besucher, die Streikenden wollten rauben, brennen, zerstören, morden. Die Streikenden erklärten, wo sie nur konnten – wenigstens ihre klassenbewussten Führer –, dass dies eine Verleumdung ist. Die Polizei selber ließ durch Provokateure und Hausmeister Scheiben einschlagen, Zeitungskioske in Brand stecken und Läden plündern, um die Bevölkerung zu terrorisieren. In Wirklichkeit haben sich die Arbeiter so friedlich benommen, dass sie dadurch das Erstaunen der Korrespondenten der ausländischen Zeitungen, die die Schrecken des 9. Januar mit angesehen haben, erregten.

Die Polizeiagenten haben jetzt alle Hände voll zu tun mit einer neuen „Arbeiterorganisation". Sie suchen sich geeignete Arbeiter aus, verteilen unter sie Geld, hetzen sie gegen die Studenten und Literaten auf und preisen „die wahrhafte Volkspolitik des Väterchens Zar". Unter den zwei- bis dreihunderttausend ungebildeten, vom Hunger niedergedrückten Arbeitern dürfte es nicht schwer fallen, einige Tausend zu finden, die auf diesen Leim gehen. Diese letzteren werden nun „organisiert" werden, man wird sie zwingen, die „liberalen Betrüger" zu verfluchen und laut zu erklären, dass man sie am vergangenen Sonntag betrogen habe. Dann soll dieser Abschaum der Arbeiterklasse eine Abordnung wählen, die „den Zaren demütig bitten wird, ihnen zu erlauben, ihm zu Füßen zu fallen und ihre am vergangenen Sonntag begangenen Verbrechen zu bereuen".

Nach meinen Informationen“ – fährt der Korrespondent fort – „wird das jetzt eben von der Polizei in die Wege geleitet. Wenn diese Organisation fertig sein wird, wird Seine Majestät allergnädigst geruhen, die Abordnung in der Manege zu empfangen, die zu diesem Zwecke eigens hergerichtet wird. In einer rührenden Rede wird er seine väterliche Fürsorge für die Arbeiter und die Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lage kundtun."

Diese Zeilen waren bereits gesetzt, als wir aus den Telegrammen erfuhren, dass die Voraussagen des englischen Korrespondenten sich bewahrheitet haben. Der Zar empfing in Zarskoje eine Abordnung von vierunddreißig von der Polizei ausgesuchten Arbeitern und hielt eine Rede voller offizieller Heuchelei über die väterliche Fürsorge der Regierung und über die Vergebung der Verbrechen der Arbeiter. Diese widerwärtige Komödie wird natürlich das russische Proletariat nicht irreführen, das niemals den blutigen Sonntag vergessen wird. Das Proletariat wird mit dem Zaren noch eine ganz andere Sprache reden!

1 In Nr. 212 des bundistischen Organs „Pоslednije Iswestija" wird unter den Mitgliedern der Delegation auch ein Arbeiter namens Кusin genannt. Wahrscheinlich ist dieser Arbeiter jener „Freund Gapons" gewesen, den Lenin weiter unten erwähnt.

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