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Wladimir I. Lenin 19070217 Eine politische Litwaliade

Wladimir I. Lenin: Eine politische Litwaliade

[Srenije" Nr. 2, 17. (4.) Februar 1907. Nach Sämtliche Werke, Band 10, Wien-Berlin 1930, S. 462.464]

Im Saale der Zivilingenieure hat sich in der Versammlung vom 6. Februar (24. Januar) laut Bericht des „Telegraf" vom 8. Februar (26. Januar) folgender Vorfall ereignet.

Auf die Bühne tritt W. W. Wodowosow und erinnert die Versammlung an den Zwischenfall im Theater Nemetti. ,Ich fragte dort, ob es richtig sei, dass Miljukow hinter dem Rücken der Wähler mit Stolypin verhandle. Als Antwort ertönten Rufe: Lüge! Verleumdung! Professor Gredeskul aber antwortete, dass Miljukow ein Ehrenmann sei, dem die Partei unbedingt vertraue. Ich zweifle nicht im Geringsten an der persönlichen Ehrenhaftigkeit Miljukows, aber diese Verhandlungen haben stattgefunden. Das leugnet auch Miljukow nicht. Heute schreibt er in der Zeitung ,Rjetsch', dass er mit Stolypin über die Legalisierung der Partei der Volksfreiheit gesprochen habe, wobei ihm unannehmbare Vorschläge gemacht worden seien. Miljukow verheimlicht jedoch, was für Vorschläge man ihm denn eigentlich gemacht hat. Wenn es schmutzige Vorschläge waren, muss man sie bekannt geben, muss man sie öffentlich… an den Schandpfahl nageln!'

Ich schließe die Versammlung! – verkündete der Polizeibeamte.

Lärmend und pfeifend begeben sich die Versammlungsbesucher zum Ausgang. Die Veranstalter der Versammlung wenden sich an Wodowosow mit scharfen Vorwürfen, der Polizeibeamte aber schickt auf jeden Fall ein paar Schutzleute zur Bühne."

Herr Wodowosow hat für seine Versuche, die Verhandlungen Miljukows mit Stolypin ans Licht zu zerren, nicht scharfe Vorwürfe, sondern Anerkennung verdient. Deswegen einem Politiker Vorwürfe machen können entweder nur Spießbürger, die die Pflichten eines Bürgers nicht verstehen, oder Leute, die diese Machenschaft der Kadetten vor dem Volke verheimlichen wollen. Wir wissen nicht, zu welcher von diesen Kategorien die Veranstalter der Versammlung gehörten, deren Berichterstatter der Kadett Nabokow war.

Die Frage der Verhandlungen Miljukows mit Stolypin hat ungeheure Bedeutung. Tausendmal Unrecht haben diejenigen, die geneigt sind, diese Frage geringschätzig zu behandeln, sie von sich abzuschütteln, die Verhandlungen als kleinen Skandal zu bezeichnen, der keine Bedeutung habe. Wer einen Skandal rchtet, der begreift nicht, dass es seine Bürgerpflicht ist, politische Litwaliaden aufzudecken.

Die Verhandlungen Miljukows mit Stolypin aber sind gerade ein Stückchen politischer Lidwaliade. Hier haben wir es nicht zu tun mit Diebereien und Betrügereien, die das Strafgericht angehen, sondern mit einem politisch gewissenlosen und verbrecherischen Kuhhandel einer Partei, die das Wort „Volksfreiheit" missbraucht.

Wir haben bereits in der Zeitung „Trud" darauf hingewiesen, dass Miljukow vor dem Volke verheimlicht, worin die ..Bedingungen" Stolypins bestanden. Er verheimlicht auch, ob eine oder mehrere Audienzen stattgefunden haben, und wann sie stattgefunden haben. Er verheimlicht auch, ob Stolypin Miljukow zu sich gerufen, oder ob Miljukow um eine Audienz gebeten hat.

Schließlich verheimlicht er auch, ob das Petersburger Komitee und das ZK der Kadetten anlässlich dieser Verhandlungen Beschlüsse gefasst und die Organisation in der Provinz unterrichtet haben.

Es ist unschwer zu erkennen, dass hiervon das Endurteil über die kadettische Subatowiade abhängt. Man verheimlicht vor dem Volke nur üble Sachen. Herr Wodowosow hat recht, wenn er sagt, dass man sie bekanntgeben müsse. Und Herr Wodowosow ist verpflichtet, seine Enthüllungen fortzusetzen, wenn er will, dass die Bürger, die sich ihrer politischen Pflichten bewusst sind, ihn als einen ehrlichen und überzeugungstreuen standhaften Politiker und nicht als sensationslüsternen kleinen Journalisten betrachten. Handelt es sich um schmutzige Dinge, die das ganze Volk angehen, so ist es die Pflicht des Bürgers, die Hehler zum Reden zu bringen.

Wenn jemand etwas über diese schmutzigen Dinge weiß und seine Bürgerpflicht erfüllen will, dann ist er verpflichtet, die Miljukow zu zwingen, ihn wegen Verleumdung zu verklagen, dann muss er vor Gericht den Kadettenführer entlarven, der hinter dem Rücken des Volkes mitten im Wahlkampf, den das Volk gegen die alte Ordnung führt, über die Hintertreppe zum obersten Hüter der alten Ordnung läuft!

Wir stellen Herrn Miljukow und der Partei der Kadetten folgende offenen Fragen:

1. Wann hat die Audienz oder wann haben Audienzen Miljukows (und seiner Freunde?) bei Herrn Stolypin stattgefunden?

2. Hat Stolypin Miljukow zu sich eingeladen? Und war hierbei Herrn Miljukow irgendetwas über die (nach den Worten des Herrn Wodowosow) „schmutzigen" Bedingungen bekannt, über die Stolypin mit Miljukow reden wollte?

3. Wann hat eine Beratung des Petersburger Komitees und des ZK der Kadetten (oder eine gemeinsame Beratung beider Komitees) über die Vorschläge Stolypins stattgefunden? Ist dort nicht beschlossen worden, diesen Vorschlägen ein paar Schritte entgegenzukommen? Wurde hierüber irgend etwas in die Provinz geschrieben?

4. In was für einer Verbindung stehen die Audienz Miljukows bei Stolypin und überhaupt die paar Schritte, die diese beiden Männer einander entgegengekommen sind, mit der Art des Verhaltens der Kadetten auf der „Konferenz" vom 31. (18.) Januar mit dem kleinbürgerlichen Block?

Wir werden noch – und wahrscheinlich mehr als einmal – auf die Enthüllungen über die „Audienz" des Kadetten bei dem Schwarzhunderter zurückkommen. Wir werden noch an der Hand von sämtlichen Dokumenten, die einem diesen Dingen fern stehenden Menschen zugänglich sind, beweisen, dass gerade diese Verhandlungen der Kadetten mit den Schwarzhundertern die Ursache davon waren, dass der Block der „Linken" und der Kadetten, den viele herbeiwünschten und gegen den wir immer gekämpft haben, nicht zustande gekommen ist.

Einstweilen aber sagen wir:

Mögen Herr Miljukow und die Partei der Kadetten wissen, dass nicht Wodowosow allein, sondern noch sehr, sehr viele Leute alle Anstrengungen machen werden, um diese politische Lidwaliade zu entlarven!

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