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Wladimir I. Lenin 19081016 Die Studentenbewegung und die gegenwärtige politische Lage

Wladimir I. Lenin: Die Studentenbewegung und die gegenwärtige

politische Lage1

[Proletarij" Nr. 36, 16. (3.) Oktober 1908. Nach Sämtliche Werke, Band 12, Wien-Berlin 1933, S. 419-425]

Die Studenten der Petersburger Universität haben den Streik erklärt. Eine ganze Reihe weiterer Hochschulen hat sich ihm angeschlossen. Die Bewegung hat bereits auf Moskau und Charkow übergegriffen. Nach allem zu urteilen, was die ausländischen und russischen Zeitungen und was Privatbriefe aus Russland mitteilen, stehen wir vor der Tatsache einer ziemlich breiten akademischen Bewegung.

Zurück zum Alten! Zurück zum vorrevolutionären Russland – das ist es, wovon diese Ereignisse vor allen Dingen zeugen. Wie ehedem sucht die reaktionäre Regierung, die Universitäten an die Kandare zu nehmen. Der im absolutistischen Russland ewige Kampf gegen die Studentenorganisationen trägt heute die Form eines Feldzuges des reaktionären Ministers Schwarz – der im vollen Einverständnis mit dem „Premierminister" Stolypin vorgeht – gegen die im Herbst 1905 den Studenten versprochene Autonomie (was hat der Absolutismus damals, unter dem Ansturm der revolutionären Arbeiterklasse, den russischen Bürgern nicht alles „versprochen"!), gegen die Autonomie, die die Studenten hatten, solange der Absolutismus „Wichtigeres zu tun" hatte, und deren Abschaffung er in Angriff nehmen musste, weil er eben Absolutismus geblieben ist.

Wie ehedem grämt sich und jammert die liberale Presse – diesmal im Verein mit manchen Oktobristen –, es grämen sich und lamentieren die Herren Professoren und flehen die Regierung an, nicht den Weg der Reaktion zu betreten, die ausgezeichnete Gelegenheit zu nutzen, um „dem von Erschütterungen erschöpften Land" „durch Reformen Friede und Ordnung zu sichern"; sie flehen die Studentenschaft an, zu keinen gesetzwidrigen Methoden zu greifen, die ja nur der Reaktion in die Hand arbeiten usw. usw. Was sind das alles für alte, uralte, abgedroschene Weisen, und wie lebhaft lassen sie vor uns alles wiedererstehen, was wir so vor 20 Jahren, Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, erlebt haben! Die Ähnlichkeit jener Zeit mit der heutigen wird besonders in die Augen springen, wenn man die gegenwärtige Lage für sich allein, außerhalb des Zusammenhangs mit den verflossenen drei Revolutionsjahren, betrachtet. Denn die Duma (so scheint es auf den ersten Blick) bringt ganz das gleiche vorrevolutionäre Kräfteverhältnis in einer nur ein klein wenig veränderten Form zum Ausdruck: Herrschaft des rohen Gutsbesitzers, der Verbindungen bei Hofe und die Einwirkung vermittels seines guten Freundes, des Tschinowniks, allen und jeden Vertretungen vorzieht; Unterstützung dieses Tschinowniks durch die Kaufmannschaft (Oktobristen), die es nicht wagt, ihren „Gönnern" untreu zu werden; die „Opposition" der bürgerlichen Intellektuellen, die am allermeisten darum besorgt sind, ihre Loyalität zu beweisen, und die sanfte Ermahnungen an die Machthaber politische Betätigung des Liberalismus nennen. Die Arbeitervertreter in der Duma sind eine viel, viel zu schwache Erinnerung daran, welche Rolle das Proletariat vor kurzem durch seinen offenen Massenkampf gespielt hat.

Es fragt sich: können wir unter solchen Verhältnissen den alten Formen des primitiv-akademischen Kampfes der Studentenschaft Bedeutung beimessen? Mögen die Liberalen zur „Politik" (nur zum Hohn kann hier natürlich von Politik die Rede sein) der achtziger Jahre herabgesunken sein – wird es aber seitens der Sozialdemokratie nicht eine Herabwürdigung ihrer Aufgaben sein, wenn sie es für geboten findet, den akademischen Kampf in der einen oder anderen Weise zu unterstützen?

Diese Frage wird, wie es scheint, mancherorts von sozialdemokratischen Studenten gestellt. Jedenfalls ist an die Redaktion unserer Zeitung der Brief einer Gruppe sozialdemokratischer Studenten gelangt, in dem es unter anderem heißt:

Am 13. September wurde in einer Versammlung der Studenten der Petersburger Universität beschlossen, die Studentenschaft zum allgemeinen Studentenstreik in ganz Russland aufzufordern, und diese Aufforderung wurde mit der aggressiven Taktik von Schwarz motiviert. Die Plattform des Streiks ist akademischer Natur, die Versammlung begrüßt sogar die ersten Schritte der Moskauer und der Leningrader2 Professorenräte im Kampf um die Autonomie. Wir finden die von der Petersburger Versammlung aufgestellte akademische Plattform unbegreiflich, wir halten sie unter den gegenwärtigen Bedingungen für unzulässig und ungeeignet, den Zusammenschluss der Studentenschaft zu einem aktiven breiten Kampf herbeizuführen. Wir denken uns die Aktion der Studentenschaft nur koordiniert mit einer allgemeinen politischen Aktion, keinesfalls aber als isolierte Aktion. Es fehlen die Elemente, die den Zusammenschluss der Studentenschaft herbeiführen könnten. Infolgedessen sprechen wir uns gegen eine akademische Aktion aus."

Der Fehler, den die Verfasser des Briefes machen, hat viel größere politische Bedeutung, als man es auf den ersten Blick annehmen könnte, denn ihre Argumentation berührt eigentlich ein Thema, das unvergleichlich breiter und wichtiger ist als die Frage der Beteiligung an diesem Streik.

Wir denken uns die Aktion der Studentenschaft nur koordiniert mit einer allgemeinen politischen Aktion … Infolgedessen sprechen wir uns gegen eine akademische Aktion aus."

Eine solche Argumentation ist von Grund aus falsch. Aus einer lebendigen Anleitung zu immer breiterer, allseitiger Kampfagitation wird die revolutionäre Losung – es ist eine koordinierte politische Aktion von Studenten und Proletariat anzustreben usw.– in ein lebloses Dogma verwandelt, das den verschiedenen Etappen verschiedener Bewegungsformen mechanisch aufgepfropft wird. Das bloße Proklamieren politisch koordinierter Aktionen, als Wiederholung des „letzten Wortes'' der Revolutionslehren, genügt nicht. Man muss es verstehen, für eine politische Aktion Agitation zu treiben und dafür alle Möglichkeiten, alle Bedingungen und in erster Linie, vor allen Dingen, jeden Massenkonflikt der einen oder anderen fortgeschrittenen Elemente mit dem Absolutismus auszunutzen. Nicht darum handelt es sich natürlich, jede Studentenbewegung im Voraus in obligatorische „Stadien" einzuteilen und aus Angst vor „unzeitgemäßem" Übergang zur Politik usw. sorgfältig für die genaue Einhaltung dieser Stadien zu sorgen. Eine solche Auffassung wäre nur überaus schädliche Pedanterie und würde nur zu opportunistischer Politik führen. Ebenso schädlich ist jedoch auch der entgegengesetzte Fehler, nämlich, wenn man der faktischen Lage, den faktischen Bedingungen der gegebenen Massenbewegung, um einer im Sinne der Unbeweglichkeit falsch verstandenen Losung willen, nicht Rechnung tragen will: eine solche Anwendung der Losung artet unvermeidlich zur revolutionären Phrase aus.

Es sind Bedingungen möglich, unter denen die akademische Bewegung die politische herabdrückt oder sie zersplittert oder von ihr ablenkt – in diesem Falle wären die sozialdemokratischen Studentengruppen natürlich verpflichtet, ihre Agitation gegen eine solche Bewegung zu konzentrieren. Aber jedermann sieht, dass heute die objektiven politischen Bedingungen andere sind: die akademische Bewegung bedeutet den Anfang der Bewegung eines neuen „Nachwuchses" der studierenden Jugend, die eine dürftige Autonomie schon mehr oder weniger gewöhnt ist; dabei setzt diese Bewegung in einer Situation ein, wo andere Formen des Massenkampfes fehlen, inmitten eines Stillstandes, wo die breiten Massen noch immer schweigsam, nachdenklich, langsam fortfahren, die Erfahrungen der drei Revolutionsjahre zu verarbeiten.

Unter solchen Verhältnissen würde die Sozialdemokratie einen schweren Fehler begehen, wollte sie sich „gegen eine akademische Aktion" aussprechen. Nein, die zu unserer Partei gehörenden Studentengruppen müssen ihre ganzen Anstrengungen auf die Unterstützung, Ausnutzung und Erweiterung dieser Bewegung richten. Wie jede andere Unterstützung primitiver Formen der Bewegung durch die Sozialdemokratie, so muss auch diese Unterstützung in erster Linie und hauptsächlich in ideologischer und organisatorischer Beeinflussung der vom Konflikt erregten breiteren Schichten bestehen, die in dieser Form des Konflikts gar häufig ihren ersten politischen Konflikt erleben. Denn das Leben der studierenden Jugend, die im Laufe der letzten zwei Jahre in die Hochschulen gekommen ist, war von der Politik fast gänzlich losgelöst, sie wurde nicht nur von den ärarisch gesinnten Professoren und von der Regierungspresse, sondern auch von liberalen Professoren und der ganzen Kadettenpartei im Geiste eines beschränkten akademischen Autonomismus erzogen. Für eine solche Jugend ist ein breiter Streik (wenn diese Jugend überhaupt einen breiten Streik zu organisieren imstande sein wird! Wir müssen alles daran setzen, um ihr dabei zu helfen, aber natürlich sind es nicht wir Sozialisten, die den Erfolg einer bürgerlichen Bewegung garantieren können) der Beginn eines politischen Konflikts, ganz gleich, ob die Kämpfenden sich dessen bewusst sind oder nicht. Unsere Aufgabe ist es, der Masse der „akademischen" Protestler die objektive Bedeutung dieses Konflikts klarzumachen; wir müssen bestrebt sein, ihn zu einem bewusst politischen zu gestalten, die agitatorische Tätigkeit der sozialdemokratischen Studentengruppen zu verzehnfachen und diese ganze Tätigkeit so zu lenken, dass die revolutionären Lehren aus der Geschichte der drei Jahre gezogen, dass die Unvermeidlichkeit eines neuen revolutionären Kampfes begriffen und unsere alten – und dennoch durchaus zeitgemäßen – Losungen des Sturzes der Selbstherrschaft und der Einberufung einer Konstituierenden Versammlung wiederum zum Gegenstand der Erörterung und zum Prüfstein der politischen Konzentration neuer demokratischer Generationen werden.

Eine solche Arbeit dürfen die sozialdemokratischen Studenten unter keiner Bedingung ablehnen, und wie schwierig diese Arbeit heute auch sein mag, welche Misserfolge den einen oder anderen Agitatoren in der einen oder anderen Universität, Landsmannschaft, Versammlung usw. auch beschieden sein mögen, wir werden ihnen sagen: Klopfet an, so wird euch aufgetan! Politische Agitationsarbeit ist niemals vergeblich. Ihr Erfolg wird nicht nur daran gemessen, ob wir es vermocht haben, sofort und mit einem Schlage die Mehrheit oder die Zustimmung zu einer koordinierten politischen Aktion zu erlangen. Möglich, dass wir das nicht mit einem Schlage erreichen: aber dazu sind wir ja eine organisierte proletarische Partei, um uns nicht durch vorübergehende Niederlagen entmutigen zu lassen, sondern unsere Arbeit auch unter den schwersten Bedingungen zähe, unentwegt, konsequent weiterzuführen.

Der von uns weiter unten veröffentlichte Aufruf des Koalitionsrats der Petersburger Studentenschaft zeigt, dass selbst die aktivsten Elemente der Studentenschaft hartnäckig am reinen Akademismus festhalten und immer noch das kadettisch-oktobristische Lied singen – und dies zu einer Zeit, wo die kadettisch-oktobristische Presse sich gegenüber dem Streik aufs Niederträchtigste verhält, ihn mitten in der Hitze des Gefechts für schädlich, verbrecherisch usw. erklärt. Die Abfuhr, die unsere Petersburger Parteileitung dem Koalitionsrat erteilt hat, können wir nicht anders als nur billigen (siehe „Aus der Partei"3).

Die Geißeln des Ministers Schwarz scheinen noch nicht auszureichen, um die heutige Studentenschaft aus „Akademikern" zu „Politikern" zu machen, es bedarf noch der Skorpione immer neuer und neuer reaktionärer Feldwebel, um die revolutionäre Schulung der neuen Kader zu vollenden. An diesen Kadern, die von der ganzen Stolypinschen Politik, von jedem Schritt der Konterrevolution geschult werden, müssen auch wir Sozialdemokraten unermüdlich arbeiten, die wir die objektive Unausbleiblichkeit neuer, im nationalen Maßstab sich abspielender bürgerlich-demokratischer Konflikte mit dem Absolutismus klar erkennen, der sich mit der Schwarzhunderter- und Oktobristen-Duma zusammengeschlossen hat.

Ja, im nationalen Maßstab, denn die Schwarzhunderter-Konterrevolution, die Russland zur Rückentwicklung drängt, stählt nicht allein neue Kämpfer in den Reihen des revolutionären Proletariats, sondern wird unausbleiblich auch eine neue Bewegung der nichtproletarischen, d. h. der bürgerlichen Demokratie hervorrufen (darunter verstehen wir natürlich nicht die Beteiligung der ganzen Opposition am Kampf, sondern die breite Beteiligung wirklich demokratischer, d. h. kampffähiger Elemente der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums). Der beginnende Massenkampf der Studenten im Russland des Jahres 1908 ist ein politisches Symptom, ein Symptom der ganzen, von der Konterrevolution geschaffenen gegenwärtigen Lage. Tausende und Millionen von Fäden laufen zwischen der studierenden Jugend und der mittleren Bourgeoisie wie auch dem Kleinbürgertum, den kleinen Beamten, gewissen Gruppen der Bauernschaft, der Geistlichkeit usw. Wenn im Frühjahr 1908 Versuche gemacht wurden, den „Sojus Oswoboschdenija" wiederzubeleben in Gestalt einer radikaleren Organisation, als die von Peter Struve vertretene alte kadettische, halb gutsherrliche es war; wenn es im Herbst unter der Masse der der demokratischen Bourgeoisie in Russland am meisten nahestehenden Jugend zu gären beginnt; wenn die feilen Skribenten wieder mit verzehnfachter Wut gegen die Revolution in der Schule geifern; wenn niederträchtige liberale Professoren und Kadettenführer jammern und stöhnen wegen der unzeitgemäßen, gefährlichen, verderblichen Streiks, die das Missfallen der lieben Oktobristen erregen und die Oktobristen, die herrschenden Oktobristen „abstoßen" könnten, so bedeutet dies nur das eine: es geht wieder aufwärts! Es setzt nicht nur unter der Studentenschaft eine Reaktion – gegen die Reaktion ein.

Wie schwach, wie unbedeutend dieser Anfang auch sein mag – die Partei der Arbeiterklasse muss und wird ihn ausnützen. Wir haben es verstanden, vor der Revolution Jahre und Jahrzehnte zu arbeiten, unsere revolutionären Losungen zunächst in die Zirkel, dann in die Arbeitermassen, dann auf die Straße, dann auf die Barrikaden zu tragen. Wir müssen es verstehen, auch jetzt in erster Linie das zu organisieren, was die Aufgabe des Tages ist, ohne das alles Gerede über koordinierte politische Aktion eben nur Gerede bleibt, nämlich – eine festgefügte proletarische Organisation, die für ihre revolutionären Losungen überall und allerorts in den Massen politische Agitation treibt. Aufgabe unserer Hochschulgruppen ist es, diese Organisationsarbeit unter der Studentenschaft, diese Agitation auf dem Boden der gegebenen Bewegung in Angriff zu nehmen.

Das Proletariat wird auf sich nicht warten lassen. Auf Banketten, in legalen Verbänden, in den Hochschulen, auf der Tribüne von Vertretungskörperschaften tritt es der bürgerlichen Demokratie oft den Vorrang ab. Aber niemals wird es im ernsten, großen revolutionären Kampf der Massen seinen Vorrang abtreten. Nicht so rasch und nicht so leicht, wie es der eine oder andere von uns wohl möchte, reifen alle Voraussetzungen für den Ausbruch dieses Kampfes heran –, doch sie reifen unabwendbar, sie werden reif. Und der kleine Anfang kleiner akademischer Konflikte ist ein großer Anfang, denn ihm folgen – wenn nicht heute, dann morgen, wenn nicht morgen, dann übermorgen – große Fortsetzungen.

1 Der Artikel „Die Studentenbewegung und die gegenwärtige politische Lage" ist die Antwort auf den Brief eines damaligen Führers der Moskauer Studentenbewegung, des Genossen Alexander (W. G. Gaidarow). Als Grundlage zu dem Artikel diente die Plattform von N. I. Bucharin, damals Student der Moskauer Universität. Entgegen der „gradlinigen" Taktik einiger Bolschewiki empfahl Lenin, auch die rein akademische Bewegung der Studentenschaft auszunutzen. Die Studentenbewegung jener Zeit wurde hervorgerufen durch die reaktionäre Politik des Ministers für Volksaufklärung, A. Schwarz, der gegen die Reste der Hochschulautonomie vorging und alle Studentenfreiheiten, die noch von 1905 übriggeblieben waren, aufheben wollte.

2Sic! In den Lenin Werken, Band 15: „Petersburger“

3 An der Spitze der Studentenbewegung, die im Herbst 1908 einsetzte, standen in Petersburg die Koalitions-Studentenräte. In den Studentenräten mancher Universitäten spielten Sozialdemokraten die ausschlaggebende Rolle. Im Petersburger Koalitionsrat waren unter den 13 bis 15 Mitgliedern 3 Sozialrevolutionäre und 5 Sozialdemokraten. Die gleiche Nummer des „Proletarij", in der der vorliegende Artikel veröffentlicht ist, bringt auch 1, Auszüge aus der Resolution der allgemeinen Studentenversammlung der Petersburger Universität vom 13. September 1908 und 2. den Appell des Petersburger Studentenrats „An die Öffentlichkeit und die Studentenschaft" (der von Lenin in seinem Artikel erwähnt wird). Die Resolution betont die Notwendigkeit eines Protestes der Studentenschaft gegen die Hochschulpolitik der Regierung und fordert zum Studentenstreik in ganz Russland auf. Die Verfasser des Appells schrieben: „Wir stellen uns die Verteidigung der freien Hochschule, die Verteidigung der Bildung und Kultur zur Aufgabe und rechnen daher auf die einmütige Unterstützung unseres Kampfes durch die öffentliche Meinung des ganzen Landes." Die Exekutivkommission des Petersburger Komitees machte nach Erörterung der Frage der Petersburger Studentenbewegung die sozialdemokratischen Studentengruppen auf Folgendes aufmerksam:

1. dass dieser Appell, der von A bis Z seichtesten bürgerlichen Liberalismus atmet und die Unterordnung der Mehrheit der Studenten unter die oktobristisch-kadettische Leitung bedeutet, trotzdem als Ausdruck der Bestrebungen und Auffassungen der revolutionären Studentenschaft betrachtet wird;

2. dass daher die sozialdemokratische Studentenschaft unbedingt mit aller Bestimmtheit vor der Öffentlichkeit erklären muss, dass die sozialistische Studentenschaft wohl die in Frage stehende akademische Bewegung und ihre akademischen Forderungen energisch unterstützt, aber mit diesem oktobristisch-kadettischen Appell nichts zu tun hat und ihre Beteiligung an der Hochschulbewegung den Aufgaben der Sozialdemokratie im allgemeinen Volkskampf gegen den Zarismus unterordnet."

In der gleichen Nummer des „Proletarij" teilt eine Korrespondenz aus Moskau mit, dass im Moskauer Koalitionsrat die Mehrheit und die Leitung in den Händen der Sozialdemokraten (zusammen mit den Sozialrevolutionären) liegt. Es seien in der sozialdemokratischen Studentenfraktion Meinungsverschiedenheiten zutage getreten. „Ihre Mehrheit war durchaus richtig für den Streik, war aber bestrebt, in jeder Weise seinen rein akademischen Charakter zu demonstrieren, und trat öffentlich mit einer Begründung auf, die der Sozialdemokratie in keiner Weise Ehre machen kann… Die Minderheit schüttete leider das Kind mit dem Bade aus: sie sprach sich gegen den Streik selber aus, da er nur akademischen Charakter trage und mit einer Arbeiteraktion nicht parallel laufen könne" (siehe auch den Artikel „Über die Ergebnisse der Studentenbewegung" in Nr. 33 des „Proletarij").

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